Abendrunde

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Darf ich euch mitnehmen? An einen meiner Lieblingsplätze in unserer kaiserlichen Stadt? Seit ich vor acht Jahren hergezogen bin, gehört eine Joggingrunde im Öcher Busch Öcher Bösch zu meinen Alltime Summer Evening Favorites, wenn nicht gar Weekend Afternoon Specials. Im Oktober 2007, noch kein halbes Jahr in der Stadt, habe ich darüber auch schon mal gebloggt.

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Lang ist’st her – die Joggingschlappen, die den Artikel von damals zierten, sind längst im Laufschuhhimmel und aktuell durch die oben zu sehenden schrillen blauen Hightechtreter ersetzt. Die Canon-Pocketknipse, mit der ich seinerzeit die Bilder machte, verdient heute ihr Gnadenbrot als Unterwasserkamera im Tauchbeutel, wenn ich im Urlaub mal Schnorcheln gehe. Unverändert geblieben sind nur der Öcher Busch und die Paarkilozuviel, die mich regelmäßig aus dem Haus treiben.

Und als Kamera vorhin eher spontan mitgenommen – das über der Schulter hängende Täschchen hüpft beim Joggen denn auch entsprechend albern herum – ist meine 2013 gekaufte Sony NEX-6 dabei (von der wochenlangen zermürbenden Entscheidungsfindung vor dem Kauf hatte ich ja seinerzeit lang und breit berichtet). Vorne dran ist heute das 30-Millimeter-Objektiv von Sigma. Diese Festbrennweite, die mich beim ersten Einsatz so begeistert hatte, lag anschließend doch meist in ihrem Köcher. Das zur Kamera mitgelieferte 16-50-mm-Zoom schien doch allzu oft die praktischere Wahl zu sein – allein schon wegen des Weitwinkels. In punkto Bildqualität läuft das Sigma allerdings Kreise um das Kitobjektiv, um mal beim Thema dieses Blogbeitrags zu bleiben.

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Wir parken unseren Wagen auf dem Parkplatz an der Monschauer Straße – auf der Karte mit der Zahl 71 markiert -, dehnen die verharzten Stelzen noch ein wenig und traben los. In Richtung Spielplatz (Nr. 69), von da aus über den gestrichelten Reitweg bis zum Hirschweg, anschließend die Steilrampe rauf zum 309 Meter hohen Tatarenkopf (nach welcher versprengten Ein-Mann-Horde der wohl so genannt wurde?), weiter in Richtung Forsthaus Grüne Eiche, kurz vorher links abgebogen und schließlich über den Wanderweg Nr. 5 zurück zum Parkplatz. Dauer: etwa eine halbe Stunde, je nachdem, wie schlimm man aus dem Training… äh, ich meine natürlich, je nachdem, wie lange der Autofokus braucht, um scharfzustellen.

669 Serpentine

Es ist ein verschlungener und abwechslungsreicher Weg, der sich da durch den Wald windet. Mal stampft man über schweren Sandboden, den man sich mit Reitern teilt, mal läuft es sich locker über festen Waldboden, zwischendurch geht es ein paar Meter über den Asphalt des Hirschwegs.

Und immer gibt es irgendwas zu gucken.

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Die lagen beim letzten Mal zum Beispiel noch nicht da. Ob Förster Grüne Eiche sich da etwas für den Winterkamin zurechtgehackt hat?

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Aber da ist schon die Erklärung: Die Frühjahrsstürme diesen Jahres haben einige Spuren hinterlassen. Nach dem Sturm „Kyrill“ 2007 lagen seinerzeit auch noch viele Monate lang viele Riesen zersplittert auf dem Waldboden.

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Was für eine angenehme, abwechslungsreiche Strecke. Helle Wegstücke wechseln sich mit verschatteten Abschnitten ab. Die Sonne ist inzwischen hinter den Baumkronen abgetaucht – das Licht wird zusehends schwächer. Eine schöne Gelegenheit, mal die Lowlightqualitäten des Objektivs zu testen.

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Keine Frage, die Sigma-Festbrennweite ist Spitze. Wenn ich jetzt noch richtig fotografieren könnte, hätte ich sicher noch ein paar Stufen abgeblendet und etwas mehr Tiefenschärfe in die Bilder zaubern können.

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Immerhin: Der Fotokurs, den ich seit einigen Wochen besuche, hat dazu geführt, dass ich nach langer Zeit mal wieder den Blendenmodus benutze. Sogar einige dunkle Geheimfunktionen der NEX habe ich kennengelernt und daddele jetzt fröhlich an den Knöpfen für Belichtungskorrektur, ISO-Wert und Flexible-Spot-Fokussierung herum. Oh verdammt, schon wieder die Histogrammwerte aufgerufen, wie kommt man aus dem verdammten Menü nochmal raus?

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Was das Niedriglicht angeht: Ja, keine Frage, das haben wir heute reichlich im Angebot. Gelegentlich sorgt es für besonders stimmungsvolle Momente, wenn sich so wie hier letztes Tageslicht durch dichtes grünes Blätterdach gekämpft hat. Wahnsinn, wie scharf Kamera und Objektiv noch abbilden. Trotz des Schummerlichts und der zitternden Joggerhände, von denen sie gehalten werden.

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Endspurt. Für die letzten Meter hat der Weg noch einige unverhoffte Steigungen und Gefälle parat…

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…aber die Ausschilderung macht klar: Gleich sind wir am Ziel.

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Die letzte Kurve zieht uns wie ein Strudel die letzten Meter bergab. Noch ein paar Schritte über federnden Boden – und da sind wir wieder. Mit müden Muskeln (oh, dieser Autofokus… es hat doch länger gedauert als gedacht…), ein paar Mückenstichen auf Armen und Beinen und ein paar Motiven auf dem Chip, die zu Hause gleich mal genauer untersucht werden wollen.

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Während der Moorbraune mich nach Hause dieselt, schweifen die Gedanken ab. Ob ich heute irgendwelche Gramm Körpergewicht verloren habe, weiß ich nicht. Aber das Fotografieren hat richtig Spaß gemacht – hätte ich mich vor zwei Jahren für eine dicke Spiegelreflex statt der handlichen NEX entschieden, wären diese Bilder heute jedenfalls nicht entstanden, das ist mal sicher.

Und was ein gutes Objektiv kann, insbesondere bei wenig Licht, ist auch nochmal klargeworden. Dann war es also wohl doch gerechtfertigt, sich die halbe letzte Nacht um die Ohren zu schlagen, weil über ein gewisses Ebay-Sonderangebot entschieden (und gegoogelt) werden musste. Ein Festbrennweitenobjektiv. 32 Millimeter, also fast dieselbe Konstruktion wie das ohnehin schon brillante Sigma. Mit auf den ersten Blick auch nur marginal unterschiedlichen Werten: die größte Blende ist 1,8 statt 2,8 wie beim Sigma.

Allerdings ist die Optik von Carl Zeiss. Und sollte nur etwa die Hälfte dessen, was für dieses Objektiv mal zur Markteinführung aufgerufen wurde. Es waren dann die euphorische Rezension beim Phoblographer und die Beispielfotos bei Brian Smith, die mich überzeugt haben.

Ich habe nicht widerstehen können. Und seit heute Abend weiß ich auch, dass es die richtige Entscheidung war. Bleibt nur noch der Praxistest: Wie joggt es sich mit einem Zeiss-Objektiv?

Ich war am Zug

Es ist an der Zeit, euch etwas zu gestehen, ihr lieben und treuen Leserlein: Der Autor dieser Zeilen ist ein Morgenmuffel. Aufstehen ist ihm ein Graus, schlaftrunken stolpert er allmorgendlich die Treppenstufen hinunter, selbst die Dusche macht ihn kaum wacher. Bevor nicht am Frühstückstisch die erste Tasse Kaffee ihre Arbeit aufgenommen hat, ist er so munter wie eine Seepocke. Bei Ebbe.

Es kommt daher nicht jeden Tag vor, dass sich ihm schon beim Hören der ersten Lokalnachrichten im Radio die Nackenhaare aufstellen und der Puls beschleunigt. Nur zu oft hat er ja die Meldungen, die da verlesen werden, am Vortag selbst auf die Webseiten seines Arbeitgebers gewuppt.

Es kommt aber auch nicht jeden Tag vor, dass Aachens größter und wichtigster Verkehrsknotenpunkt stundenlang lahmgelegt ist – durch einen Zug. Genau das war aber passiert. Ein rund 40 Meter langer Schwertransporter, so war da zu hören, war in den Morgenstunden von der Autobahn 544 in den Europaplatz gefahren und in der engen S-Kurve zwischen den Leitplanken steckengeblieben. Geladen hatte er, so war zu erfahren, einen Eisenbahn-Reparaturzug.

Ein Zug blockiert den Europaplatz? Und es gab noch keine Fotos auf unseren Webseiten? Heckert, Sie sind am Zug! Wie zu seligen Lokalreporterzeiten griff der Autor dieser Zeilen – in seltener Heck-tik quasi – zur Kamera. Und zum Fahrradhelm, um sich auf den Weg zu strampeln. Denn – hier kommt ein Pro-Tipp, Leute – wer zu einem blockierten Kreisverkehr möchte, tut gut daran, das Auto stehen zu lassen.

325-Pilot

Um so mehr natürlich, wenn Ort des Dramas sowieso nur etwa 1100 Meter vom eigenen Zuhause entfernt liegt. Vor Ort hatten sich bereits reichlich Schaulustige und ein Kamerateam eingefunden. Letzteres visierte mich umgehend an, als ich meinerseits die Sony ansetzte. Erst als ich einen Polizeibeamten ansprach, erkannte mich der Kameramann offenbar als Kollegen und lies von mir ab.

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Wenige Stunden zuvor musste es sich gewaltig geknubbelt haben, eine Dreiviertelstunde lang ging auf der Autobahn in Richtung Innenstadt gar nichts mehr. Dann hatten Polizisten im Nachteinsatz den Koloss irgendwie aus der Engstelle herausgefädelt, ihn sicherheitshalber erst einmal auf der Außenspur im Kreisel geparkt und mit Warnbaken abgesichert. Auf der Autobahn dahinter – die A544 bis zum Europaplatz ist Aachens führende Anbindung in Richtung Düsseldorf und Köln – staute es sich zwar noch in erklecklicher Länge zurück, der Verkehr floss aber immerhin wieder. Wieviel Autopendler an diesem Morgen wohl verzweifelt ihren Vorgesetzten versucht haben zu erklären, dass die Bahn schuld an ihrer Verspätung war?

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Während ein genervter Autofahrer nach dem anderen an dem so ungewohnt nahen Schienenfahrzeug vorbeimanövrierte, berieten die Einsatzkräfte nach Kräften, wie das Monstrum von Aachens fröhlich sprudelnder Begrüßungsfontäne aus weiter in Richtung seines Bestimmungsortes gelotst werden sollte.

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Denn, so sagte mir der Einsatzleiter in die laufende Kamera, auf seinem Weg ins Verhängnis hatte der Transporter mit seinem geschätzten Lebendgewicht von etwa 115 Tonnen auch die Haarbachtalbrücke an der Abfahrt Rothe Erde passiert, die für gerade mal 40 Tonnen zugelassen ist. Ein schlichter U-Turn rund um den Kreisel, eigentlich die naheliegendste Lösung, schied daher aus.

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Was übrigens nicht die Schuld von Fahrern und Navigatoren des gewichtigen Tatzelwurms war. Denen hatte nämlich die Straßenverkehrsbehörde des Landkreises Dithmarschen die Route so abgesegnet. Die Kollegen der Aachener Behörde hätten da wohl einiges zu ergänzen gehabt. Ziel des aus Polen kommenden Gefährts war der Hafen im belgischen Zeebrügge.

(Der „Reparaturzug“ entpuppte sich vor Ort als ältere Gleisstopfmaschine des Schweizer Herstellers Matisa in der Lackierung des spanischen Bahnnetzbetreibers AZVI. Möglicherweise handelte es sich um den ausgemusterten Vorgänger dieses 2011 neu erworbenen Fahrzeugs.)

Noch während ich um die stehende Kolonne herumkrebste, um kleine Videoschnipsel einzufangen, brach plötzlich Geschäftigkeit aus: Eine neue Route hatte offensichtlich den Segen der Verantwortlichen gefunden – über die Lütticher Straße sollte es jetzt weitergehen. Dieselmotoren wurden angelassen, Blinker gesetzt, die Polizeibusse riegelten den Verkehr auf beiden Spuren ab. Vorsicht bei der Abfahrt des Zuges. Sachte setzte sich der polnisch-spanisch-schweizerische Riese mit dem belgischem Ziel in Bewegung.

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Während sich die Stopfmaschine, die so wirkungsvoll das wichtigste Verkehrsnadelör einer Großstadt verstopft hatte, unter dem Abschiedsgeflatter der CHIO-Fahnen auf ihre Weiterreise machte, machte sich der selbsternannte Bild- und Videoreporter auf die seinige in die Redaktion. Wo ihm die mit solchen Dingen beruflich beschäftigten Kollegen zartfühlend erklärten, dass der so stolz angeschleppte O-Ton des Einsatzleiters aufgrund des im Hintergrund leerlaufenden Dieselmotors der Zugmaschine leider nicht verwendbar war. Nächstes Mal bitte ein paar Schritte weiter weg aufstellen, ja?

Immerhin, die Fotos waren zu gebrauchen, ein paar der Filmschnipsel auch. Wer mag, kann sich das Resultat des so bewegungslosen wie bewegten Morgens in Text, Bild und Bewegtbild hier bei der AZ ansehen (die AN hat eine eigene Textversion). Sich die teils unerträgliche Besserwisserei und Häme in den Leserkommentaren unten auf der Seite anzutun, ist aber auf nüchternen Magen nicht zu empfehlen – da sollte man zumindest den ersten Kaffee intus haben.

Für den Schreiber dieser Zeilen, mittlerweile am eigenen Schreibtisch angekommen, war es denn erstmal Zeit für Tasse Nummer Zwei – und einen dem Ereignis angemessen langen Zug.

Rettungsflug im Hindukusch

Nach etwas, ähm, längerer Auszeit auf Pilotblog.de, dem fliegerischen Teil dieses Blogs, mal wieder ein Video, das ich sehenswert finde. Der offenbar eher semiprivat, aber mit professionellem Anspruch gedrehte und vertonte Clip zeigt einen Rettungseinsatz mit NH90-Helikoptern der Luftwaffe in Afghanistan. Neben dem dramatischen Soundtrack sind es vor allem die Flugaufnahmen über dem atemberaubenden afghanischen Bergpanorama, die im Gedächtnis bleiben.

Forward Air MedEvac nennt sich die Einsatztruppe, die Verletzte schnell aus Kampfzonen ausfliegen soll. Von April 2013 bis August 2014 waren die NH90-Maschinen der Bundeswehr am Hindukusch im Einsatz. Das Videomaterial wurde in dieser Zeit offenbar während einer Übung gedreht. (Was für ein faszinierend schönes Land Afghanistan ist. Ob man je wieder als Tourist hinfahren können wird?) Die offizielle Darstellung eines solchen Einsatzes – ausführlich kommentiert, aber um Längen weniger spannend – findet sich hier auf dem Youtube-Kanal der Bundeswehr.

Nennt mich unsachlich, nennt mich Spielkind: Nach meiner bescheidenen Meinung gibt es auf diesem Planeten kaum etwas Cooleres, als Helikopter zu pilotieren (an dieser Stelle eine Verbeugung zu meiner Freundin Sabine, die es zum CHPL gebracht hat, also zur Berufshelikopterpilotenlizenz). Verglichen mit dem permanenten dreiarmigen Meistern von Pitch, Nick, Roll und Gier ist die Flächenfliegerei ja fast so simpel wie das Werfen von Papierflugzeugen.

[via Thomas Wiegold, Augen Geradeaus!]

Gut gepresst

Pressemitteilungen bekommt man als Journalist jeden Tag. Im Dutzend. Als Mail, als Brief, als Hochglanzbroschüre, als Pressemappe. Die Meisten landen ungelesen im digitalen oder realen Rundordner. Der Tag hat schließlich nur 24 Stunden und das Leben ist kurz.

Dieser Umschlag hier hat es geschafft, dass ich ihn nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch aufgemacht habe. Den Inhalt nicht nur gelesen habe, sondern ihn auch sozialviral weiterverbreite. Und das nicht etwa, um mich an bizarren Formalfehlern zu weiden damals wie bei der Mail mit den 876 unverschlüsselten Empfänger-Adressen der Skihalle Landgraaf.

Und warum das Ganze? Weil mein Blick als erstes an der Briefmarke hängenblieb. Ja, es ist eine Mercedes-Heckflosse.

gutgepresst

In dem, was dahinter steckte, geht es um Reisen mit dem Oldtimer, angeboten von einer Firma aus Ostwestfalen-Lippe. Was hiermit verkündet und Menschen von entsprechendem Interesse, Geschmack und Finanzkraft zur wohlwollenden Prüfung ans Herz gelegt sei.

Gute Pressearbeit – das ist manchmal einfach nur eine Fragen guten Geschmacks.

Stil oder Knacks

Was einem lieb ist, das schützt man vor einem Knacks. Und was einem auch noch teuer ist, das darf ruhig mit etwas mehr Aufwand und Stil geschützt werden. Zu dieser Erkenntnis gelangt, klickte sich der Schreiber dieser Zeilen – seit kurzem stolzer Besitzer eines Edel-Notebooks mit Früchtelogo auf dem Deckel – auf der Suche nach einer angemessen funktionalen wie stilvollen Schutzhülle nächtelang durch die Angebote diverser Verkaufsplattformen im Netz.

Die 8,99-Euro-Hüllen aus Fernost waren schnell verworfen. Auf den Kunsthandwerks- und Handarbeits-Plattformen Etsy und Dawanda fanden sich viel schmuckere und individuellere Futterale. Doch der richtige Funke sprang erst über, als ein Bekannter von den Notebookhüllen einer kleinen Manufaktur aus Mülheim schwärmte: liebevoll aus wiederverwerteten Turnmatten aus dem Schulunterricht gefertigt, im markant-blauen Knieaufschürfer-Rubbelkunststoff, mit abgegriffenen Lederecken versehen. Mehr Stil ist kaum denkbar. Der Autor dieser Zeilen, in seiner Abscheu für den Schulsport unübertroffen, war begeistert: Das digitale Schätzchen in die Haut des alten Feindes wickeln, was für ein nachträglicher Triumph!

zirkeltraining

Da die upgecycleten Hüllen auch seiner Heimatstadt erhältlich sind, schwang er sich am folgenden Abend aufs Rad. Und damit wäre diese Geschichte um ein Haar auch schon zu Ende gewesen: Gedankenverloren zog er an einer Kreuzung vom rechten Straßenrand quer über die Spuren nach links, auf den Zielladen zu. Dass just in dieser Sekunde ein flott gefahrener Kleinwagen zum Überholen angesetzt hatte, merkte er erst, als dieser gefühlte Millimeter an seinem linken Lenkerende vorbeischoss.

Der Schreiber dieser Zeilen schätzt Fahrradhelme sehr. Ginge es nach ihm, würde kein Radler ohne die lebensrettende Styroporhalbschale auf dem Sattel sitzen. Er selbst wird diesem hehren Anspruch allerdings nicht immer gerecht – auch an diesem Abend nicht. Manchmal hat das ebenfalls etwas mit fehlendem Stil zu tun, manchmal mit schlichter Bequemlichkeit.

Sein Gesicht wird so weiß wie der Rahmen seines Rades gewesen sein, als er es mit zitternden Fingern vor dem Computerladen anschloss. Sein Notebook steckt seit jenem Tag in einer ebenso sportlichen wie stilvollen Hülle. Seinen Schädel, das hat er sich geschworen, verhüllt er von nun an ebenfalls, wenn er auf zwei Rädern unterwegs ist – denn noch stilloser als ein Notebook mit Kratzern ist nur noch ein Kopf mit Knacks.

[Geschrieben als “Gedanke des Tages” für AmAbend.com, 19 März.]

Rudeltatort

Lang, lang ist’s her, dass ich zuletzt live gebloggt habe. Heute soll es mal wieder soweit sein, und dazu noch in Form einer Premiere – nämlich von der wöchentlichen Tatort-Übertragung aus dem Café und Bar Zuhause. Der plüschig-gemütliche Laden mit seiner imposanten, mehrseitigen Whisky-Karte hat sich in den letzten Wochen zu meiner aktuellen Lieblingslocation gemausert. Außerdem glänzt er mit prima WLAN und netter Bedienung.

Der Tatort wiederum ist, das muss ich mal vorwegschicken, ein ausgesprochen hellgrauer Fleck auf meiner sozialen Google Map. Als jahrelanger Fernsehverächter habe ich die Kultserie eigentlich nur in Form von kritisch-amüsierten Kommentaren auf Twitter oder den Filmkritiken auf Spiegel Online wahrgenommen. Selbst die legendären Köln-Tatorte konnten mich nicht aus meiner antipathischen Lethargie reißen, obwohl ich diverse Male an der berühmten Bratwurstbude („Bratort“) am Rheinauhafen vorbeigeradelt bin. Heute nun soll der lethargischen Antipathie ein Ende gesetzt und die TV-Terra-Incognita erobert werden. Tatortrudelgucken mit paralleler Twitterverfolgung – das Beste aus sämtlichen Welten!

Da ich und mein Notebook eine betastbare Unterlage brauchen, radele ich schon eine gute Dreiviertelstunde vor der magischen 20.15-Uhr-Marke auf dem Rad die Sandkaulstraße hinauf. Sagte ich „schon“? Überraschung: Der Laden ist bereits weitgehend voll. Immerhin findet sich im Hinterzimmer, wo schon der ARD-Weltspiegel auf eine Großleinwand gebeamert wird, noch ein Plätzchen, gar mit Tisch. Die Saaltür schließt der nette Kellner sofort hinter mir – „wegen des Tonversatzes“. Ich erschließe mir selbsttätig, dass man so die Zeitdifferenz zwischen den Übertragungen auf der Leinwand und den beiden Fernsehern vorne im Lokal nennt. Hat sich das Bergaufstrampeln schon mal gelohnt: Wieder ein neues Wort gelernt.

zuhause

Der Saal füllt sich. Kurz scheint das Glück zu lächeln, als sich eine junge Schönheit nach dem Besatzungsstatus des Stuhls neben mir erkundigt und auf selbigem platziert. Dann ist das Glück schon wieder anderweitig beschäftigt: Ihr Freund schwenkt einen dritten Stuhl über meinen Kopf herbei und quetscht sich damit in die Mitte. Was soll’s, ich bin ja auch nicht aus Spaß hier.

Ein paar Minuten später steht ein Eifeler Landbier neben der Tastatur und wärmt eine Pizza Speciale (vom Italiener nebenan geliefert) im Karton meinen Schoß – kann losgehen. Bremer Tatort, prima. Vielleicht erkenne ich Ex-Nordlicht ja auch dabei etwas wieder? Schließlich die Startfanfare, die Augen, das Fadenkreuz, schon sind wir drin. Im trüben Schein meines runtergedimmten Notebookdisplays fingere ich Pizzaachtel aus dem Karton und in den Mund. Großes Hallo im Saal, als sich gleich zu Anfang ein bulimiekranker Nebendarsteller unverbrämt in ein Klo übergibt. Ich bin hörbar nicht der einzige im Raum, der plötzlich ebenfalls mit Appetitlosigkeit kämpfen hat.

Während das bizarre Wiederaufgetauchte-Vielleichtauchnicht-Tochter-Familiendrama seinen Lauf nimmt, stoße ich auf weitere Probleme. Teile des Pizzabelags weichen im Dunklen von der vorgegebenen Route ab. Zugleich versuche ich in erfolgloser Verkrampfung, das Restlicht des Displays aus dem Blickfeld meiner Sitznachbarn zu halten und trotzdem originelle Sätze zustandezubringen. Was schlechter gelingt, ist schwer zu sagen. Nein, aus Spaß sind wir nicht hier.

Ratlos starren Lürsen und Stedefreund (warum heißt der Mann eigentlich wie ein Herforder Stadtteil?) in die Leere, in der sich ihre Ermittlungen verlaufen. Ist Fiona nun die Tochter ihrer Mutter oder nicht? Schwer zu sagen, noch schwerer zu erklären, Tatort halt, ihr kennt das. Ein Block Notizkarten wandert durchs Publikum. „Täterraten“, erklärt mir der Nachbar auf meinen fragenden Blick hin. Ich tippe auf das Muttertier, weil das noch als einziges unverdächtig erscheint. Als Krimi-Profi weiß man ja, dass – sofern kein Gärtner im Spiel ist – am Ende grundsätzlich die unwahrscheinlichste Randfigur abgeführt wird.

Und was passiert? Genauso kommt es auch. Der Mörder war der bulimiekranke Nebendarsteller vom Anfang – tatsächlich der einzige Charakter, der noch unverdächtiger ist als die Mutter. Es wird noch einige Liter Eifeler Landbier brauchen, bis ich mich halbwegs erfolgversprechend in die Hirnwindungen der ARDrehbuchschreiber werde einfühlen können.

Abspann. Kaltes Licht geht an. Ernüchterung macht sich breit. Einziger Trost: Ganze zwei Gäste haben richtig geraten. Sicher Stammkunden. Verdammte Streber.

Auf Twitter und bei Facebook sind sich die meisten Kommentatoren einig: Ausnahmetatort, tolle Darsteller. „Mehr Stedefreund bitte!“ Auf der Leinwand betalkt derweil Günther Jauch den griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis. Der Zauber der TV-Unterhaltung: restlos vorbei. Es ist eh das Leben, in dem die größten Krimis ablaufen. Die Rechnung bitte.

Nächste Woche kommt der Tatort aus Berlin. „Das Muli“ heißt die Folge.

Mal schaun.

Autsch

Der Schmerz setzte mitten auf dem Bürgersteig ein. So muss es sich anfühlen, wenn man eine Rückenmarksspritze in die Lendenwirbel gesetzt bekommt und der Anästhesist just in dieser Bewegung an seinen Vermieter denken muss.

Der Verfasser dieser Zeilen zuckte erst, stockte dann und blieb Millisekunden später in einer komischen Bewegung eingefroren auf dem Gehweg stehen. Wie eine dieser bronzenen Sinnfiguren, mit denen weniger einfallsreiche Stadtväter ländlicher Kommunen ihre Dorfplätze zu verschönern gedenken – „Tauben fütternder Tattergreis“ etwa oder „Marktfrau mit Kiepe und Adipositas“. Aber bitte, lieber Künstler, nicht zu abstrakt. Man soll ja noch erkennen können, was es darstellt.

Ein halbwegs aufgeweckter Zuschauer hätte denn auch keinen Publikumsjoker bemühen müssen, um zu raten, dass der Amateurpantomime da in der morgendlichen Seitenstraße des Adalbertsteinwegs „Hexenschuss“ mimte.

Als das Aachener Ostviertel aufgehört hatte, sich um ihn zu drehen, nahm die menschliche Salzsäule all ihren Mut zusammen und setzte sich kirschend und ruckend wieder in Bewegung. Den Rest dieses und des folgenden Tages blieb ein höchst spezieller Gesichtsausdruck – von einem Kaubonbon die Plombe gezogen zu bekommen, um im Reich der Metaphern zu verweilen – der treue Begleiter unseres Autors.

Eine Blisterpackung Schmerztabletten aus der Apotheke in Kombination mit selbstbewusst bepreisten Wärmekissen zum Umschnallen versetzte ihn nach und nach wieder in die Lage, seiner Tätigkeit nachzukommen – und einen mehr oder weniger ambitionierten Text über das Erlebte zu verfassen.

Offen blieb die Frage: Was wollte ihm sein Körper damit sagen? „Bedenke, dass auch du sterblich bist“? Diese klassisch-römische Weisheit hatten ihm bereits Asterix & Obelix nahegebracht. Vielleicht war es einfach nur ein Wink, öfter mal innezuhalten. An den Blumen am Wegesrand zu schnuppern, wie es so schön heißt.

Wenn das die Absicht war, so ist sie gescheitert: Das letzte, was der Verfasser dieser Zeilen auf absehbare Zeit tun wird, ist, sich nach irgendwelchem Grünzeug auf dem Boden zu bücken.

[Geschrieben als „Gedanke des Tages“ für AmAbend.com, 4. Februar.]

In diesen Tagen

[Edit: Dieser Beitrag wurde am 2.9.15 aus rechtlichen Gründen gekürzt.]

Es ist in diesen Tagen viel geschrieben worden über die Attentate von Paris. Über ihre Folgen für die Gesellschaft in Europa, über ihre Auswirkungen auf das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen überall in der Welt. Nach der Freude über die starken Demonstrationen gegen Pegida in Köln und anderswo war das Blutbad in der Charlie-Hebdo-Redaktion ein Tiefschlag. Viele Fragen gehen einem durch den Kopf in diesen Tagen: Werden nächste Woche 50.000 Wutmenschen in Dresden gegen den Islam marschieren? Heißt die nächste Präsidentin von Frankreich Marine LePen? Wird es weitere wahnsinnige Attentate geben? Ich hatte beruflich das zweifelhafte Vergnügen, mich intensiver mit den Geschehnissen beschäftigen zu können, als mir das manchmal lieb war.

Unter dem vielen, was geschrieben wurde, hat mich heute Abend ein Beitrag auf Facebook besonders berührt.

[Edit: Hier folgte ein Dialog zwischen einem Mann aus Köln und seinem muslimischen Freund, den ich aus rechtlichen Gründen leider nicht mehr veröffentlichen kann. Es ging darin um Freundschaft und Unterstützung über die Religionen hinweg.]

Der Artikel hatte am Freitagabend mehr als 17.000 Likes und ist über 5000 Mal geteilt worden. Normalerweise schreibe ich keine Fremden auf Facebook an, diesmal machte ich eine Ausnahme. Und da die Botschaft ihre Kraft daraus gewann, dass sie öffentlich war, habe ich meine Dankesmail an den Autor kurzerhand auch auf meine Pinnwand gestellt:

[Edit: Entfernt.]

So wie es aussieht, sind wir wirklich nicht alleine in diesen Tagen.