Im Barcamp

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Mit dem Kaffee fing es an. Der war nämlich einfach gut. Nicht nur kannenweise frisch zubereitet und bereitgestellt von der Rösterei Sonntagmorgen.com, sondern auch noch liebevoll
in seinen unterschiedlichen Sorten und Wirkungsweisen von „mild“ bis „Hammer“ erläutert. Und so wie der braune Muntermmacher keine Einheitsplörre war, sondern individuell und facettenreich, war auch das gesamte Barcamp Köln an sich keine durchstrukturierte Formatveranstaltung, sondern etwas dynamisches, basisdemokratisches, lebendig Pulsierendes und munter Sprudelndes.

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Wenn es die ebenfalls stets ergiebig sprudelnde Kaffeebar nicht gegeben hätte, dann hätte ich den ersten Tag allerdings kaum durchgehalten. Erst gegen 2 Uhr war ich in der Nacht zum Samstag ins Bett gefallen – einer am Freitagnachmittag vor dem Aachener Westbahnhof gefundene Fliegerbombe sei Dank.

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Die halbe Onlineredaktion von Aachener Zeitung und Aachener Nachrichten durfte eine kleine Nachtschicht einlegen, bis das Mördertrumm aus dem Zweiten Weltkrieg lange nach Mitternacht endlich entschärft war. (Bis die letzten Anwohner in ihre Häuser zurückkehren und die letzten professionellen und ehrenamtlichen Helfer endlich Feierabend machen durften, wird es natürlich noch deutlich später gewesen sein.)

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Ich hatte am nächsten Morgen wenig Ahnung, was genau da auf mein müdes Haupt zukommen würde, außer, dass Barcamps keine durchgeplanten Veranstaltungen sind, sondern von den Teilnehmern grundsätzlich selbst, vor Ort und spontan organisiert werden. Jeder darf zu einem Thema sprechen und jeder darf sich dazusetzen. So weit, so anarchistisch.

Ganz so unbeleckt wie ich waren die meisten der anderen Teilnehmer nicht, die sich dann am Samstagmorgen in den vom Kölner IT-Dienstleister QSC zur Verfügung gestellten Räumen in einer großen – und den Zeitrahmen natürlich großzügig überdehnenden – Runde vorstellten. Jeder mit drei Hashtags, die ihn und seine Erwartungen beschreiben sollten:

Der einzige Neuling war ich allerdings auch nicht – gottseidank. Neugier und Erwartungen waren fast mit Händen zu greifen im Raum.

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Nach der Vorstellung kam die Vorstellung. Und zwar die der Sessions, die von Teilnehmern angeboten wurden – sei es lange geplant oder gerade spontan erdacht. Auf dem Sessionboard – das es auch in einer Onlineversion gab – war dann nachzulesen, in welchem Raum welcher Vortrag und welche Diskussion stattfinden würde.

Den Teilnehmern blieb die sprichwörtliche Qual der Wahl, denn die Themenvielfalt war groß und reichte vom Nutzen eines privaten Blogs im Rahmen von Bewerbungsverfahren…

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…über digitales Engagement für Flüchtlinge am Beispiel der Hamburger Kleiderkammer…

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…bis hin zum #BetreutenTrinken beim #Craftbeertasting. Bei letzterem habe ich im übrigen gelernt, dass das Heilige Reinheitsgebot Deutscher Nation dereinst kein Lebensmittel- sondern ein Steuergesetz war, mit dem die Verwendung von Weizen im Braugewerbe – statt im Bäckerhandwerk – unterbunden werden sollte.

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Und dass Hopfen die Libido tötet, weshalb es so viele Klosterbrauereien gibt. Zum Glück hatten die meisten Teilnehmer im Anschluss wohl nicht mehr viel vor. Der Fakt fand trotzdem ein digitales Echo.

Auch der eh schon angeschlagene Verfasser dieser Zeilen war nach dieser Session erst einmal pausenreif. Ein Verlangen, das sich im freundlichen Ambiente der QSC-Caféteria durchaus angenehm erfüllen ließ.

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Gut, dass am Ende des Tages schließlich ein Tieflader mit geschätzt 800 Pizzen für die Social Meute vorfahren kam.

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Gegen 20 Uhr war dann endgültig Schluss und ein mit Eindrücken, Fakten und Pizza randvoller Hobbyblogger machte sich zusammen mit Mediaperle Meike todmüde auf den Westweg nach Aachen.

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Um dort glücklich endlich in die Federchen zu fallen? Nein, erst mussten die frischen Eindrücke noch hier im Blog festgehalten werden. Und wo die Bilder doch schon mal bearbeitet waren, konnte man doch gleich noch fix eine kleine Präsentation zusammenklöppeln… hatte nicht eine der Bloggerinnen in einem Nebensatz geseufzt, sie verstünde leider so gar nichts von Fotografie?

Es spricht vermutlich nicht gegen die Qualität einer solchen Veranstaltung, wenn ein todmüder Teilnehmer, statt im Anschluss kräftespendenden Schlummer zu tanken, sich spontan an den Rechner setzt. Um zum ersten Mal in seinem Leben eine Session abzuhalten.

Genau 23 Folien hatte die Präsentation mit dem Titel „Fototipps für Blogger – oder: Erste Schritte aus dem güldenen Käfig der Programmautomatik“, die in den folgenden Stunden entstand.

Inhalt: Die heilige Dreifaltigkeit der Fotografie aus Blende, Belichtung und ISO-Wert, ein paar mehr oder weniger gelungene Beispielsfotos, die kostenlose Bildbearbeitung Irfanview und das WordPress-Foto-Plugin Responsive Lightbox, ein Link auf die Video-Tutorials von Benjamin Jaworskyj auf Youtube, ein bisschen Kaufempfehlung für Systemkameras und zu guter Letzt die Verwendung von preisgünstigen manuellen Objektiven.

23 Folien, mit denen ich – so die wachsende Panik im Lauf des folgenden Vormittags – zweifellos innerhalb von zehn Minuten fertig sein würde. Worauf meine Teilnehmer immerhin in den Genuss kommen würden, innerhalb der vorgegebenen 45 Minuten noch eine fast vollständige zweite Session besuchen zu können.

Es kam dann doch etwas anders. Nach 50 Minuten hochkomprimierten Quatschens war ich mit der Präsentation gerade durch und hatte noch nicht einmal meine zusätzlich auf das Macbook gezogenen Beispielsfotos gezeigt. Noch eine volle weitere Stunde im Anschluss saß ich mit den letzten Interessierten im Raum zusammen.

Immerhin: Den Reaktionen auf Twitter nach kann die Session nicht völlig daneben gewesen sein.

Dann die rituelle Abschluss-Session. Das Feedback, der Dank an die Sponsoren, die Helfer, die Organisatoren…

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Auch wenn der eine oder andere hier etwas ernst guckt: Es war eine ziemlich großartige Veranstaltung, fluffig und familiär. Inhaltlich teils hochkarätig, vom Publikum her angenehmst möglich, von der Location her fast ideal.

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Und dann war da noch der Kaffee. Am liebsten hätte ich mir ja für den Rückweg eine Thermosflasche „Palthope Estate Ponya“ abgefüllt. Was nicht ging.

Was aber gehen muss: das nächste Barcamp. Ich, die neue Kamera mit dem alten Objektiv und der noch ältere Mercedes mit Salatölantrieb werden dabei sein.

Wen meine Präsentation interessiert, kann sich eine (aus rechtlichen Gründen um eine Folie gekürzte) Fassung hier herunterladen:
Fototipps für Blogger – Marc Heckert – Barcamp Köln 2015.
Über Kritik, Anregungen und vielleicht sogar Lob freue ich mich in den Kommentaren.

Und, weil der Bloggerkodex einen solchen Hinweis gebietet: Die erste Fassung dieses Artikels, geschrieben nach dem ersten Tag, wurde nach dem zweiten Tag überarbeitet und ergänzt.

Nachtrag am Montag:

Ein Barcamp kann Folgen für Sie, Ihren Kontostand und die Menschen in Ihrer Umgebung haben. Die finden sich unter Umständen nämlich plötzlich ständig im Fokus.

Ich war am Zug

Es ist an der Zeit, euch etwas zu gestehen, ihr lieben und treuen Leserlein: Der Autor dieser Zeilen ist ein Morgenmuffel. Aufstehen ist ihm ein Graus, schlaftrunken stolpert er allmorgendlich die Treppenstufen hinunter, selbst die Dusche macht ihn kaum wacher. Bevor nicht am Frühstückstisch die erste Tasse Kaffee ihre Arbeit aufgenommen hat, ist er so munter wie eine Seepocke. Bei Ebbe.

Es kommt daher nicht jeden Tag vor, dass sich ihm schon beim Hören der ersten Lokalnachrichten im Radio die Nackenhaare aufstellen und der Puls beschleunigt. Nur zu oft hat er ja die Meldungen, die da verlesen werden, am Vortag selbst auf die Webseiten seines Arbeitgebers gewuppt.

Es kommt aber auch nicht jeden Tag vor, dass Aachens größter und wichtigster Verkehrsknotenpunkt stundenlang lahmgelegt ist – durch einen Zug. Genau das war aber passiert. Ein rund 40 Meter langer Schwertransporter, so war da zu hören, war in den Morgenstunden von der Autobahn 544 in den Europaplatz gefahren und in der engen S-Kurve zwischen den Leitplanken steckengeblieben. Geladen hatte er, so war zu erfahren, einen Eisenbahn-Reparaturzug.

Ein Zug blockiert den Europaplatz? Und es gab noch keine Fotos auf unseren Webseiten? Heckert, Sie sind am Zug! Wie zu seligen Lokalreporterzeiten griff der Autor dieser Zeilen – in seltener Heck-tik quasi – zur Kamera. Und zum Fahrradhelm, um sich auf den Weg zu strampeln. Denn – hier kommt ein Pro-Tipp, Leute – wer zu einem blockierten Kreisverkehr möchte, tut gut daran, das Auto stehen zu lassen.

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Um so mehr natürlich, wenn Ort des Dramas sowieso nur etwa 1100 Meter vom eigenen Zuhause entfernt liegt. Vor Ort hatten sich bereits reichlich Schaulustige und ein Kamerateam eingefunden. Letzteres visierte mich umgehend an, als ich meinerseits die Sony ansetzte. Erst als ich einen Polizeibeamten ansprach, erkannte mich der Kameramann offenbar als Kollegen und lies von mir ab.

340-Kreisel

Wenige Stunden zuvor musste es sich gewaltig geknubbelt haben, eine Dreiviertelstunde lang ging auf der Autobahn in Richtung Innenstadt gar nichts mehr. Dann hatten Polizisten im Nachteinsatz den Koloss irgendwie aus der Engstelle herausgefädelt, ihn sicherheitshalber erst einmal auf der Außenspur im Kreisel geparkt und mit Warnbaken abgesichert. Auf der Autobahn dahinter – die A544 bis zum Europaplatz ist Aachens führende Anbindung in Richtung Düsseldorf und Köln – staute es sich zwar noch in erklecklicher Länge zurück, der Verkehr floss aber immerhin wieder. Wieviel Autopendler an diesem Morgen wohl verzweifelt ihren Vorgesetzten versucht haben zu erklären, dass die Bahn schuld an ihrer Verspätung war?

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Während ein genervter Autofahrer nach dem anderen an dem so ungewohnt nahen Schienenfahrzeug vorbeimanövrierte, berieten die Einsatzkräfte nach Kräften, wie das Monstrum von Aachens fröhlich sprudelnder Begrüßungsfontäne aus weiter in Richtung seines Bestimmungsortes gelotst werden sollte.

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Denn, so sagte mir der Einsatzleiter in die laufende Kamera, auf seinem Weg ins Verhängnis hatte der Transporter mit seinem geschätzten Lebendgewicht von etwa 115 Tonnen auch die Haarbachtalbrücke an der Abfahrt Rothe Erde passiert, die für gerade mal 40 Tonnen zugelassen ist. Ein schlichter U-Turn rund um den Kreisel, eigentlich die naheliegendste Lösung, schied daher aus.

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Was übrigens nicht die Schuld von Fahrern und Navigatoren des gewichtigen Tatzelwurms war. Denen hatte nämlich die Straßenverkehrsbehörde des Landkreises Dithmarschen die Route so abgesegnet. Die Kollegen der Aachener Behörde hätten da wohl einiges zu ergänzen gehabt. Ziel des aus Polen kommenden Gefährts war der Hafen im belgischen Zeebrügge.

(Der „Reparaturzug“ entpuppte sich vor Ort als ältere Gleisstopfmaschine des Schweizer Herstellers Matisa in der Lackierung des spanischen Bahnnetzbetreibers AZVI. Möglicherweise handelte es sich um den ausgemusterten Vorgänger dieses 2011 neu erworbenen Fahrzeugs.)

Noch während ich um die stehende Kolonne herumkrebste, um kleine Videoschnipsel einzufangen, brach plötzlich Geschäftigkeit aus: Eine neue Route hatte offensichtlich den Segen der Verantwortlichen gefunden – über die Lütticher Straße sollte es jetzt weitergehen. Dieselmotoren wurden angelassen, Blinker gesetzt, die Polizeibusse riegelten den Verkehr auf beiden Spuren ab. Vorsicht bei der Abfahrt des Zuges. Sachte setzte sich der polnisch-spanisch-schweizerische Riese mit dem belgischem Ziel in Bewegung.

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Während sich die Stopfmaschine, die so wirkungsvoll das wichtigste Verkehrsnadelör einer Großstadt verstopft hatte, unter dem Abschiedsgeflatter der CHIO-Fahnen auf ihre Weiterreise machte, machte sich der selbsternannte Bild- und Videoreporter auf die seinige in die Redaktion. Wo ihm die mit solchen Dingen beruflich beschäftigten Kollegen zartfühlend erklärten, dass der so stolz angeschleppte O-Ton des Einsatzleiters aufgrund des im Hintergrund leerlaufenden Dieselmotors der Zugmaschine leider nicht verwendbar war. Nächstes Mal bitte ein paar Schritte weiter weg aufstellen, ja?

Immerhin, die Fotos waren zu gebrauchen, ein paar der Filmschnipsel auch. Wer mag, kann sich das Resultat des so bewegungslosen wie bewegten Morgens in Text, Bild und Bewegtbild hier bei der AZ ansehen (die AN hat eine eigene Textversion). Sich die teils unerträgliche Besserwisserei und Häme in den Leserkommentaren unten auf der Seite anzutun, ist aber auf nüchternen Magen nicht zu empfehlen – da sollte man zumindest den ersten Kaffee intus haben.

Für den Schreiber dieser Zeilen, mittlerweile am eigenen Schreibtisch angekommen, war es denn erstmal Zeit für Tasse Nummer Zwei – und einen dem Ereignis angemessen langen Zug.

Tankenfoto

Wir unterbrechen das Baskenblog mal wieder kurz. Heute wurde ich vor die Tür gejagt, um ein Aufmacherbild für den Webauftritt der Aachener Zeitung zu schießen:

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Also wirklich. Da fällt der Benzinpreis mal um zwei Cent, schon wird gehamstert wie im Winter 1948/49. Mich interessiert das nicht ganz so. Autogas kostet in Belgien 349 Cent, und an Benzin hab ich nur etwa fünf bis zehn Liter Starthilfeschluck im Tank.

Tagesbester

Bin ich ein reaktionäres Schwein, wenn ich finde, dass für knappe 180 Stundenkilometer innerorts 375 Euro Strafe nicht übermäßig viel sind? Vor ein paar Stunden in Jülich passiert:

33-Jähriger rast mit 177 km/h durch die Ortschaft

In Norwegen hätten sie ihn für sowas wahrscheinlich in den nächsten Fjord geworfen. Und womit? Mit Recht.

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Wo wir grad schon bei Nachrichten sind – hier noch ein paar Meldungen aus der Region:

Neues von der Dauerbaustelle A4-Eschweiler: Gewitter zerstört 50 Meter Autobahn – Fünf Zentimeter Regen in Monschau. Das Gewitter vom Samstag firmiert inzwischen unter „Jahrhundertregen„.

Auf der Trierer Straße in Aachen (direkt bei mir um die Ecke) musste ein Bus vollbremsen, weil eine Autofahrerin ihm die Vorfahrt nahm. Ein 82-jähriger Gast starb dabei. Jetzt ermittelt die Polizei gegen die Frau wegen Unfallflucht.

Und in Kaarst hat ein 70-Jähriger zusehen müssen, wie ein Zug sein neues 40.000-Euro-Auto zu Klump fuhr. Der Wagen war unter der Schranke durchgerollt. Bitter: Der Mann war auf dem Weg zum Verkehrstraining.

In eigener Sache

Wir unterbrechen dieses Blog für eine private Mitteilung. Einen Spendenaufruf. Im Ernst jetzt. Seit geraumer Zeit verfolge ich im Blog des Medienjournalisten Stefan Niggemeier (das ist übrigens der Gründer des bekannten Bildblog.de) den Rechtsstreit mit der Firma Callactive. Die betreibt Gewinnspiele im Privatfernsehen (diese fürchterlichen Anrufsendungen), und Kritiker werfen ihr vor, dass die teilnehmenden Zuschauer dabei systematisch betrogen werden.

In einem privaten Online-Forum namens Call-In-TV wird über das Gebaren des Unternehmens diskutiert und werden auffällige Details bei den Gewinnspielen dokumentiert. Wie bei Stefan Niggemeier zu lesen ist, habe es die Firma Callactive geschafft, mit Klagen und Geldforderungen den Betreiber des Forums Marc Doehler so unter Druck zu setzen, dass er kurz vor dem Aufgeben stehen soll. Erstaunlicherweise kommen demnach sowohl die Landesmedienanstalten ihrer Aufgabe der Senderkontrolle ebensowenig nach, wie die Justiz willens scheint, das Grundrecht der Meinungsfreiheit über die Geschäftsinteressen von Wirtschaftsunternehmen zu stellen.

Es ist eine ziemlich lange, komplizierte und deprimierende Geschichte, bei Niggemeier hier nachzulesen. Darum beschränke ich mich darauf, seinen heutigen Spendenaufruf für Marc Doehler an dieser Stelle wiederzugeben. Hier die Daten:

CALL-IN-TV.DE
Kontoinhaber: MARC DOEHLER
Konto: 4779072008
Bankleitzahl: 76026000
IBAN: DE35760260004779072008
SWIFT-BIC: NORS DE 71
PayPal: marc.doehler@call-in-tv.de

Vielleicht gibt es ja doch noch so etwas wie Solidarität im Netz.

PS: Stefan Niggemeier ist heute zum Journalisten des Jahres gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch! (Ich darf mich rühmen, ihn ebenfalls dafür vorgeschlagen zu haben.)

Statt Wackeldackel

Der israelische Ministerpräsident hat die Deutschen als Nazis bezeichnet! Spiegel-Leser wissen natürlich mehr. Vor allem, wenn Sie das Heft vom 11. Mai 1981 haben, zwei Tage, bevor ein gewisser moorbrauner Mercedes 230CE zugelassen wurde.

spiegelheft

Zugegeben: Ein etwas hübscheres Titelbild hätte ich mir schon gewünscht. Zum Glück habe ich inzwischen auch einen Playboy von Mai 1981 bei Ebay geschossen…

Braun ist das neue Weiß (1)

Ich habe es gewusst. All die Jahre, in denen ich Kommentare wie „kackbraun“ und „schlammfarbig“ erdulden musste, habe ich gewusst: Eines Tages wird es ihnen leid tun.

Es ist soweit. Zieht euch warm an, ihr Leasingsilbernen und Grundierten, denn im Spiegel erblickt ihr die Wahrheit:

Braun-ist-das-neue-Weiss

Und wenn jetzt noch einer was sagt, haue ich ihm Worte wie „Starbucks-Effekt“ um die Ohren.

Seitenblick nach NRW

Doppelschlag. Nein, das sind definitiv keine guten Nachrichten für die Medienlandschaft in Nordrhein-Westfalen. Nachdem gestern bekannt gewordenen Aus für die NRW-Ausgabe der Tageszeitung taz wird heute das einstweilige Aus für die Online-Zeitung OnRuhr verbreitet. Allerdings: Vergleichbar sind beide Projekte kaum.

Gleichgültig, wo immer man politisch stehen mag, ist das Ende der linksalternativen taz-Landesausgabe ein herber Verlust für die Pressevielfalt. Zumal wohl ein weiteres Mal die harte Wahrheit des Print-Sektors gelten wird: Für eine eingestellte Zeitung wird keine neue mehr gegründet. Nach dem Ende des nur 14 Monate lang erscheinenden NRW-Teils der Süddeutschen vor vier Jahren ist damit eine weitere überregionale Tageszeitung in unserem Land gescheitert. Ehrliches Mitgefühl habe ich mit den 20 taz-Mitarbeitern, auch wenn ich – im Gegensatz zur NRW-Süddeutschen, wo zwei frühere Redakteurskollegen von mir betroffen waren – niemanden persönlich kenne.

Für das Redaktionsteam ist die Nachricht um so bitterer, als sie – wie alle taz’ler – aufgrund der chronischen Finanznot des Blattes ohnehin stets unter Tarif bezahlt wurden, aber in den vergangenen Wochen eine fulminante Werbe- und Sympathiekampagne für ihr Blatt organisiert hatten. Um die bis Ende Juni angepeilten zusätzlichen 1.000 Neu-Abonnements zu erreichen, wurde etwa von einem „Kommando Horst Schleußer“ (ein früherer SPD-Landesminister) die Domain www.kraft-2010.deentführt„. Kämen nicht von der SPD (deren Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2010 Hannelore Kraft ist) 100 neue Abos, werde die Adresse an die CDU verschachert, drohten die Maskierten.

Wann hat je eine Zeitung so fantasievoll um Leser gekämpft? Selbst eine gemeinsame Probe-Abo-Vermarktung mit der Konkurrentin WAZ gab es. Und noch vor wenigen Tagen hatte – ausgerechnet – die Süddeutsche noch eine Gegendarstellung drucken müssen, in der die angeblich beschlossene Einstellung der taz-NRW-Ausgabe dementiert wurde.

Bitter, dass alles umsonst war. Bitter, dass es zuerst – ausgerechnet – im Springer-Blatt Welt stand (die höhnischen Leserkommentare dort sind noch einmal ein Fall für sich: „wenn die Türken verstehen würden, was die Taz und die Linken schreiben, würden sie auch rechts wählen“).

In der Medienlandschaft fallen die Antworten auf die Einstellung denn auch wenig begeistert aus, etwa bei Jens im Pottblog, der das Drama in den vergangenen Wochen ausführlich begleitet und kommentiert hatte. Eine Sammlung der Nachrufe findet sich im taz-NRW-Blog. Die Sicht der Geschäftsführung ebenfalls.

Onruhr-schliessen_388„OnRuhr Schließen“ – ein Button mit Symbolkraft

Anders sieht die Situation bei OnRuhr aus. Das im November 2006 vom früheren WAZ-Chefredakteur Uwe Knüpfer gestartete Lokalnachrichten-Portal hatte den Anspruch, ein völlig neues Medium für das Ruhrgebiet zu sein. Die Verfügbarkeit eines kostenlosen Onlinedienstes sollte mit der Lesequalität einer professionellen Printzeitung verbunden werden. Ein flächendeckendes Netz von Lokalredaktionen über ein Franchise-System war geplant. „OnRuhr versteht sich als Stimme der Ruhrstadt“, verkündete Knüpfer. Und hatte dabei sicher auch den Ehrgeiz, dem mit ähnlichen Zielen angekündigten WestEins-Projekt seines Ex-Arbeitgebers WAZ eins vorzusetzen.

Was dabei in der Realität herauskam, sah sich heftiger Kritik ausgesetzt: Eine Zeitung im PDF-Format zum Herunterladen. Viel zu wenig lokale Themen, stellenweise dürftige journalistische Qualität, überkomplizierte Anmeldeverfahren, mangelhafte Druckmöglichkeiten und unzureichende Aktualisierung (einmal am Tag) wurden dem Produkt vorgeworfen. Von „Totgeburt“ bis zu „OnRuhr schwer offruhr“ reichten die Reaktionen. „Onruhr ist so grausam schlecht angelegt, dass es eigentlich nur als Vintage-Internet-Seite für 90er-Jahre-Nostalgiker durchgeht“, ätzte Thomas Knüwer vom Handelsblatt.

Schon im April sah sich Chefredakteur Knüpfer gezwungen, Honorarzahlungen an freie Mitarbeiter einzustellen. Grund: Geldmangel durch zu geringes Anzeigenaufkommen. Ab etwa dem 17. Juni wurden auch die meisten Lokalausgaben nicht mehr aktualisiert. Jetzt folgt das offizielle Aus: OnRuhr werde „eingefroren„, erklärte Knüpfer im Wirtschaftsmagazin Ruhr. Zwar will er im Herbst mit einem neuen, ähnlichen Dienst wieder antreten, dann aber von Herne aus. Die Redaktionsräume in Essen würden aufgegeben.

Zweifellos hatte OnRuhr seine Mängel. Traurig ist es trotzdem, wenn ein innovatives Start-Up nach gerade einem halben Jahr schon wieder vor dem Ende steht. Ein Erfolg hätte auch ein Überlebensbeweis für ambitionierten Journalismus in den Zeiten des Web 2.0 sein können. Freilich: Nicht mit dem aktuellen Konzept.

Fazit. Die Medienlandschaft in NRW ist um zwei interessante, wenn auch höchst unterschiedliche Farbtupfer ärmer. Nun ruhen wieder alle Augen auf dem WAZ-Projekt WestEins. Dessen für Frühjahr 2007 angekündigter Start ist mittlerweile auf Sommer verlegt, was allerdings für ein Vorhaben dieser Größenordnung nicht ungewöhnlich ist. Die Erwartungen sind hoch. Das Gesetz der Serie ist jedenfalls auf der Seite von Online-Chefin Katharina Borchert und ihrer Truppe: Nach zwei gescheiterten Projekten wäre es nun wieder Zeit für einen Erfolg.

Seitenblick zum Tagesspiegel

Für eines der großen Medienhäuser der Republik zu arbeiten, birgt bestimmt den einen oder anderen Reiz. Visitenkarten mit den Logos von Spiegel, Stern und Süddeutscher öffnen vermutlich mehr Türen und Münder als eine des Grevenbroicher Tageblattes, (wisst ihr Bescheid, Schätzchen).

Auch auf dem Klassentreffen ist der Neidfaktor sicher höher, wenn man auf die Frage des prolligen Ex-Banknachbarn „was machst’n du jetzt so?“ knapp antworten kann: „Zeit„. Auch wenn es dann erstmal heißt „joah, viel Zeit ist echt’n Vorteil, so ohne Job“.

Doch die großen Konzerne, sie haben auch ihre Nachteile. Da sind die endlosen Fußmärsche vom Firmenparkplatz bis ins eigene Büro, lauwarme Latte Macchiatos in der Betriebskantine und interessant riechende Personen im Aufzug. Vor allem aber führt die Anonymität eines solchen Mammutbetriebes zu bisweilen gar lustigen Situationen. So wurde Roland Peters etwa, Online-Redakteur des Tagesspiegels, einmal gar für einen Kriminellen gehalten. Als er mit einem Praktikanten fernab seiner vertrauten Korridore im Haus unterwegs war, warnte sofort eine E-Mail die Mitarbeiter des Hauses, ihre Wertsachen wegzuschließen:

„Es sind in der EDV gegen 16.40 Uhr zwei betriebsfremde Personen angetroffen worden, die wir nicht genau einordnen können.“

Wieviel familiärer geht es doch hier beim Zeitungsverlag zu. Zugegeben, auch ich habe in meinen ersten Wochen in Fluren und Treppenhäusern den einen oder anderen teils prüfenden, teils verwirrten Blick geerntet. Mittlerweile scheinen sich aber alle an das Nordlicht im Westzipfel gewöhnt zu haben.

Kein Grund also, von Hamburg, Berlin oder München zu träumen. Und der Weg vom Parkplatz zum Büro ist auch viel kürzer.

Phantomdebatte

Ich kann diese Phantomdebatte nicht mehr ertragen. Sind Blogger Journalisten? Sind Blogs eine Bedrohung für Qualitätsjournalismus?

Da sitzen sie, in immer neuen Talkrunden und Podiumsdiskussionen: in Ehren ergraute Zeitungsjournalisten und jungdynamische Onliner, immer die gesunkenen Auflagenzahlen des Prints und die miesen Online-Erlöse im Nacken. Und diskutieren über dieses eigenartige Phänomen, von dem jeder spricht, das sie nicht wirklich verstehen und das sich ihnen auch dann nicht erschlossen hat, als sie mal auf einen dieser merkwürdigen „Blogs“ (sie verwenden da gerne die maskuline Form) geklickt haben.

Blogs. Bürgerjournalismus. Citizen Content.

Wie immer man es nennt, dahinter steckt: Leser machen Internet, Menschen schreiben Texte. Texte, die jeder lesen kann. So muss sich ein Pastor fühlen, wenn seine Kirchengemeinde die Kanzel stürmt und anfängt, sich eine eigene Bibel zu schreiben.

Diese Welt dort ist eine Parallelwelt, eine, die sich dem Journalisten alter Denke erstaunlich erfolgreich zu verschließen scheint. Was ist das? Wie geht man damit um? Und vor allem: Wie macht man aus diesen verloren gegangenen Söhnen (und Töchtern) des Netzes wieder ordentliche Zeitungsleser?

Die Antwort auf letzteres ist leicht. Gar nicht. Vergesst es. Warum auch?

Eine der eingängigsten Weisheiten, die ich vom Media Coffee im Kölner Komed gestern mitgenommen habe, war dieser Satz, den Torsten Zarges von kress den Zeitungsverlagen ins Poesiealbum geschrieben hat (sinngemäß zitiert):

Die mächtigen Eisenbahngesellschaften in den USA sind deshalb eingegangen, weil sie dachten, sie wären im Eisenbahngewerbe. Tatsächlich waren sie aber im Transportgewerbe.

Soll heißen, Journalisten stellen eine Ware her: Nachrichten, Texte, Bilder, Meinungen, Inhalte. Je eher es ihnen egal ist, über welche Kanäle sie ihre Kunden erreichen, desto besser.

Und, je eher sie die neuen Spielregeln dieses Geschäfts verstehen. Selbiges lief früher zu 99 Prozent in eine Richtung ab (die paar Leserbriefe, Telefonanrufe und Gegendarstellungen außen vor gelassen). Heute spricht die Masse zurück. Und kritisiert. Meckert gar. Zeigt Fehler auf. Und: Sie findet Gehör. Lauffeuerartig verbreitet sich, was ein Einziger auf den Artikel zu sagen hat.

Das ist neu. Neu ist auch, dass die Leserschaft den Spieß umdreht. Und Fragen stellt – auch dem Journalisten. Dem das nicht immer gut passt, wie ich in Köln an der Reaktion von WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz auf die Anfrage von Stefan Niggemeier sehen konnte, ob denn die Walden-Bello-Falschmeldung der WAZ in Print und Online irgendwann korrigiert würde.

Gerade erst diskutierten in Berlin einige Onliner über das Thema. Blogger Felix „ix“ Schwenzel hat’s später süffisant in Bild und Text zerlegt. Sein Fazit:

alles ist gut, wir machen unser ding, aber keine experiente, ihr macht euer ding, aber das hat nix mit uns zu tun. schlimm ist das, bis auf die deutlich mitschwingende arroganz, nicht. aber ein bisschen traurig, wenn man zeitungen mag, ist es schon. starrköpfigkeit und furcht vor neuem führt nicht zwangsläufig ins grab, aber definitiv zu einem starren kopf.

Na gut, es gibt Ansätze. Mercedes Bunz antwortete auf die Frage, warum Blogs so authentisch und beliebt seien: Das habe etwas mit der lokalen Verwurzelung einer Community zu tun, der Vernetzung der Leser untereinander und damit, dass dort die Inhalte von den Lesern gestaltet würden, nicht von Redakteuren. Genau. Genau darum geht es. „Ich fordere meine Redakteure immer wieder auf, geht weg von dem Meldungs-Ticker. Wir werden alle tickerblind. Recherchiert im Netz, aber lest sowohl andere Tageszeitungen und lest auch Blogs.“

Wohl gesprochen. Das war’s eigentlich auch schon.

Aber warum soll man sich auch Gedanken machen, was anders werden muss. Wo doch die Zukunft der Holzzeitung so rosig aussieht, wie Mathias Döpfner und Clemens Bauer jetzt wieder beteuerten.