Oecher Viecher
Mainzer Menschen
Nachts, wenn alles bunt ist
Das Jahr 2015 wird für mich – neben reichlich anderen Dingen – das Jahr sein, in dem ich endlich gelernt habe, wie man eine Kamera bedient. Und nachdem das mit der Blende und der Belichtung endlich kein belgisches böhmisches Dorf mehr ist…
…kann man ja auch einmal etwas Interessanteres ausprobieren. Zum Beispiel eine Nachtexkursion der VHS Aachen zum Landschaftspark Duisburg-Nord (von den Einheimischen liebevoll „Lapadu“ oder „Landi“ genannt).
Wie die Wikipedia weiß, handelt es sich um ein stillgelegtes Hüttenwerk des Thyssen-Konzerns, das 1901 von der damaligen „Rheinische Stahlwerke zu Meiderich bei Ruhrort“ errichtet wurde. Die insgesamt fünf Hochöfen produzierten in ihren 84 Jahren 37 Millionen Tonnen Spezialroheisen – in der Regel als Vorprodukt für die Weiterverarbeitung in den Thyssen’schen Stahlwerken.
Freitags, am Wochenende und an Feiertagen werden die Anlagen nachts durch eine Beleuchtungsinstallation von Jonathan Park in science-fiction-hafte Szene gesetzt.
Nachdem der letzte von fünf Hochöfen 1985 stillgelegt und die Produktion verlagert wurde, wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Seit 1994 dürfen Besucher zwischen den riesenhaften Hallen, den Hochöfen und Kaminschloten spazieren, Bunkerwände hochklettern oder durch die diversen Gewässer stapfen.
Am Samstag waren es ein halbes Dutzend ambitionierter Aachener Hobbyfotografen, das sich vor den gigantischen Rohrleitungen aufbaute, im Dunkeln über Stativbeine stolperte, in Pfützen tappte und die Selbstauslöseautomatiken ihrer Kameras verfluchte.
Dozent Uwe Schmid erwies sich nicht nur als Kenner des Geländes (und seiner nassen Untiefen), sondern auch als Künstler des Lichts: Mit einem leistungsstarken Handstrahler, diversen Farbscheiben und noch ausgefeilteren Wedeltechniken tauchte er karge Betonwände, rostige Stahlträger und monströse Rohre in leuchtende Farben.
Dass der nächtliche Winterhimmel die Lichter der Großstadt Duisburg und der angrenzenden Stahl- und Industriewerksanlagen reflektierte, verstärkte den unwirklichen Effekt noch. Noch nie hatte ich bei einer Langzeitbelichtung solche Resultate.
Gut, es ist nicht alles so geworden wie erhofft. Das manuelle Canon-Weitwinkelobjektiv FD 20mm 2.8, der neueste (heißt: etwa 35 Jahre alte) Zugang in meiner mittlerweile stramm auf die 20er-Marke zumarschierenden Linsensammlung, überzeugte zwar mit prachtvoll flächiger Schärfe. Der eine oder andere Wassertropfen des herrschenden Nieselregens fand sich aber leider auf seiner Frontlinse wieder. Beim Objektivwechsel im Dunklen war das Herumgefummel mit dem – einzigen – Adapter zum Anflanschen an die Sony Nex-6 nervig, der Blendenmitnehmer blieb einmal auf Offenblende stehen. Der Kamerarucksack war ein weiteres Mal für einen zügigen Wechsel der Linsen völlig unraktisch.
Immerhin: Die zierliche Schnellkupplung für den Stativkopf, eine Cullmann Cross CX 420, bewährte sich glänzend. Endlich kann ich die Kamera mit einem einzigen Handgriff vom Stativ klipsen – und zum Beispiel in die Tasche stecken. Das ist ganz praktisch, wenn es zum Beispiel regnet. Was es denn auch leider tat. Der Rest der Truppe behalf sich mit Duschhauben, um die empfindliche Elektronik ihrer voluminösen Spiegelreflexen vor dem fallenden Nass zu schützen.
Nein, es klappte noch nicht alles reibungslos. Aber zwischen den stählernen Monstern von Duisburg am Jahresende hatte ich das Gefühl, dass sich doch ein bisschen was getan hatte seit den ersten vorsichtigen Versuchen im Frühjahr, den Punkt „intelligente Programmautomatik“ auf dem Einstellrad der Nex zu verlassen. Es ist ein Lichtschein am Horizont aufgetaucht. Heute war er blau.
Leipzig. 50 mm.
Neue Weiten
Es ist bizarr, wie unterschiedlich die Preise für die alten Objektive aus den 70er und 80er-Jahren sind. Teilweise werden einem die alten Linsen regelrecht nachgeworfen. Für 15 und 20 Euro habe ich mir je ein Minolta MC und MD in der gemäßigten Weitwinkelbrennweite 28 Millimeter und der ebenfalls eher mäßigen Lichtstärke von 3.5 zugelegt.
Die ersten Bilder mit dem späteren MD, heute nach Feierabend vor dem Zeitungsverlag Aachen aufgenommen, zeigen ein ganz angenehmes Bokeh und schöne Schärfe. Mit dem fantastischen Canon FD 50mm 1:1.4 (die meisten der Fotos im Artikel „Eine andere Welt“ zum BMW-Museum entstanden in Offenblende 1.4 mit diesem Objektiv) kann das allerdings nicht mithalten. Mal sehen, wie sich ansonsten schlägt.
Neugierig warte ich derzeit auf das bei Ebay geschossene Minolta MD 50mm mit sagenhafter F1:1.2-Lichtstärke. Da lag der Preis allerdings nicht bei 20 Euro. Der Dichter schweigt aus Höflichkeit.
Im Barcamp
Mit dem Kaffee fing es an. Der war nämlich einfach gut. Nicht nur kannenweise frisch zubereitet und bereitgestellt von der Rösterei Sonntagmorgen.com, sondern auch noch liebevoll
in seinen unterschiedlichen Sorten und Wirkungsweisen von „mild“ bis „Hammer“ erläutert. Und so wie der braune Muntermmacher keine Einheitsplörre war, sondern individuell und facettenreich, war auch das gesamte Barcamp Köln an sich keine durchstrukturierte Formatveranstaltung, sondern etwas dynamisches, basisdemokratisches, lebendig Pulsierendes und munter Sprudelndes.
Wenn es die ebenfalls stets ergiebig sprudelnde Kaffeebar nicht gegeben hätte, dann hätte ich den ersten Tag allerdings kaum durchgehalten. Erst gegen 2 Uhr war ich in der Nacht zum Samstag ins Bett gefallen – einer am Freitagnachmittag vor dem Aachener Westbahnhof gefundene Fliegerbombe sei Dank.
Die halbe Onlineredaktion von Aachener Zeitung und Aachener Nachrichten durfte eine kleine Nachtschicht einlegen, bis das Mördertrumm aus dem Zweiten Weltkrieg lange nach Mitternacht endlich entschärft war. (Bis die letzten Anwohner in ihre Häuser zurückkehren und die letzten professionellen und ehrenamtlichen Helfer endlich Feierabend machen durften, wird es natürlich noch deutlich später gewesen sein.)
Ich hatte am nächsten Morgen wenig Ahnung, was genau da auf mein müdes Haupt zukommen würde, außer, dass Barcamps keine durchgeplanten Veranstaltungen sind, sondern von den Teilnehmern grundsätzlich selbst, vor Ort und spontan organisiert werden. Jeder darf zu einem Thema sprechen und jeder darf sich dazusetzen. So weit, so anarchistisch.
Ganz so unbeleckt wie ich waren die meisten der anderen Teilnehmer nicht, die sich dann am Samstagmorgen in den vom Kölner IT-Dienstleister QSC zur Verfügung gestellten Räumen in einer großen – und den Zeitrahmen natürlich großzügig überdehnenden – Runde vorstellten. Jeder mit drei Hashtags, die ihn und seine Erwartungen beschreiben sollten:
Meine Hashtags für das #barcampkoeln: Neue Kameras mit alten Objektiven, noch ältere Mercedesse mit Salatölantrieb und #nixmitfußball.
— t (@t55759281) August 29, 2015
Der einzige Neuling war ich allerdings auch nicht – gottseidank. Neugier und Erwartungen waren fast mit Händen zu greifen im Raum.
Nach der Vorstellung kam die Vorstellung. Und zwar die der Sessions, die von Teilnehmern angeboten wurden – sei es lange geplant oder gerade spontan erdacht. Auf dem Sessionboard – das es auch in einer Onlineversion gab – war dann nachzulesen, in welchem Raum welcher Vortrag und welche Diskussion stattfinden würde.
Den Teilnehmern blieb die sprichwörtliche Qual der Wahl, denn die Themenvielfalt war groß und reichte vom Nutzen eines privaten Blogs im Rahmen von Bewerbungsverfahren…
…über digitales Engagement für Flüchtlinge am Beispiel der Hamburger Kleiderkammer…
…bis hin zum #BetreutenTrinken beim #Craftbeertasting. Bei letzterem habe ich im übrigen gelernt, dass das Heilige Reinheitsgebot Deutscher Nation dereinst kein Lebensmittel- sondern ein Steuergesetz war, mit dem die Verwendung von Weizen im Braugewerbe – statt im Bäckerhandwerk – unterbunden werden sollte.
Und dass Hopfen die Libido tötet, weshalb es so viele Klosterbrauereien gibt. Zum Glück hatten die meisten Teilnehmer im Anschluss wohl nicht mehr viel vor. Der Fakt fand trotzdem ein digitales Echo.
@pmaurus Ich hoffe, dass du weißt, was du tust. @rasibo
— t (@t55759281) August 30, 2015
Auch der eh schon angeschlagene Verfasser dieser Zeilen war nach dieser Session erst einmal pausenreif. Ein Verlangen, das sich im freundlichen Ambiente der QSC-Caféteria durchaus angenehm erfüllen ließ.
Gut, dass am Ende des Tages schließlich ein Tieflader mit geschätzt 800 Pizzen für die Social Meute vorfahren kam.
Gegen 20 Uhr war dann endgültig Schluss und ein mit Eindrücken, Fakten und Pizza randvoller Hobbyblogger machte sich zusammen mit Mediaperle Meike todmüde auf den Westweg nach Aachen.
Um dort glücklich endlich in die Federchen zu fallen? Nein, erst mussten die frischen Eindrücke noch hier im Blog festgehalten werden. Und wo die Bilder doch schon mal bearbeitet waren, konnte man doch gleich noch fix eine kleine Präsentation zusammenklöppeln… hatte nicht eine der Bloggerinnen in einem Nebensatz geseufzt, sie verstünde leider so gar nichts von Fotografie?
Es spricht vermutlich nicht gegen die Qualität einer solchen Veranstaltung, wenn ein todmüder Teilnehmer, statt im Anschluss kräftespendenden Schlummer zu tanken, sich spontan an den Rechner setzt. Um zum ersten Mal in seinem Leben eine Session abzuhalten.
Genau 23 Folien hatte die Präsentation mit dem Titel „Fototipps für Blogger – oder: Erste Schritte aus dem güldenen Käfig der Programmautomatik“, die in den folgenden Stunden entstand.
Inhalt: Die heilige Dreifaltigkeit der Fotografie aus Blende, Belichtung und ISO-Wert, ein paar mehr oder weniger gelungene Beispielsfotos, die kostenlose Bildbearbeitung Irfanview und das WordPress-Foto-Plugin Responsive Lightbox, ein Link auf die Video-Tutorials von Benjamin Jaworskyj auf Youtube, ein bisschen Kaufempfehlung für Systemkameras und zu guter Letzt die Verwendung von preisgünstigen manuellen Objektiven.
23 Folien, mit denen ich – so die wachsende Panik im Lauf des folgenden Vormittags – zweifellos innerhalb von zehn Minuten fertig sein würde. Worauf meine Teilnehmer immerhin in den Genuss kommen würden, innerhalb der vorgegebenen 45 Minuten noch eine fast vollständige zweite Session besuchen zu können.
Es kam dann doch etwas anders. Nach 50 Minuten hochkomprimierten Quatschens war ich mit der Präsentation gerade durch und hatte noch nicht einmal meine zusätzlich auf das Macbook gezogenen Beispielsfotos gezeigt. Noch eine volle weitere Stunde im Anschluss saß ich mit den letzten Interessierten im Raum zusammen.
Immerhin: Den Reaktionen auf Twitter nach kann die Session nicht völlig daneben gewesen sein.
Puh… die erste eigene Präsi auf dem #BarcampKoeln – samt einstündiger Nachdiskussion – glücklich überstanden.
— t (@t55759281) August 30, 2015
@Tippling erklärt sehr schön die fotografische Dreifaltigkeit aus Blende, Verschluss und ISO. #barcampkoeln
— Michael Schwengers (@MSchwengers) August 30, 2015
Sehr coole Fotosession von @tippling. Jetzt habe ich Lust auf Fotos! #barcampkoeln
— Nils Müller (@Weltenkreuzer) August 30, 2015
https://twitter.com/Pixelkurier/status/637957342533939200
@Tippling Das war absolut super! Danke!
— Nils Müller (@Weltenkreuzer) August 30, 2015
Dann die rituelle Abschluss-Session. Das Feedback, der Dank an die Sponsoren, die Helfer, die Organisatoren…
Auch wenn der eine oder andere hier etwas ernst guckt: Es war eine ziemlich großartige Veranstaltung, fluffig und familiär. Inhaltlich teils hochkarätig, vom Publikum her angenehmst möglich, von der Location her fast ideal.
Und dann war da noch der Kaffee. Am liebsten hätte ich mir ja für den Rückweg eine Thermosflasche „Palthope Estate Ponya“ abgefüllt. Was nicht ging.
Was aber gehen muss: das nächste Barcamp. Ich, die neue Kamera mit dem alten Objektiv und der noch ältere Mercedes mit Salatölantrieb werden dabei sein.
Wen meine Präsentation interessiert, kann sich eine (aus rechtlichen Gründen um eine Folie gekürzte) Fassung hier herunterladen:
Fototipps für Blogger – Marc Heckert – Barcamp Köln 2015.
Über Kritik, Anregungen und vielleicht sogar Lob freue ich mich in den Kommentaren.
Und, weil der Bloggerkodex einen solchen Hinweis gebietet: Die erste Fassung dieses Artikels, geschrieben nach dem ersten Tag, wurde nach dem zweiten Tag überarbeitet und ergänzt.
Nachtrag am Montag:
Ein Barcamp kann Folgen für Sie, Ihren Kontostand und die Menschen in Ihrer Umgebung haben. Die finden sich unter Umständen nämlich plötzlich ständig im Fokus.
https://twitter.com/tboley/status/638436937863417856?s=09
Sternenhimmel
Man kann nicht dasselbe Foto zweimal machen, bloggerte ich neulich. Aber man kann versuchen, dasselbe Motiv noch einmal besser hinzukriegen. Beziehungsweise mit einem besseren Objektiv.
So sah der Abenstern vor einigen Wochen aus – mit der High-Tech-Festbrennweite Sony SEL 20f28. Regulärer Neupreis: 349 Euro.
Das heute war ein gut 30 Jahre altes, garantiert elektronikfreies Canon FD 50mm 1:1.4 für 40 Euro. Finde den Unterschied.
Umgekrempelt
Wie Granaten in der Waffenkammer liegen sie da aufgetürmt in ihrem Regal, die metallenen Spitzen nach vorne gerichtet, die Weberschiffchen. Ihnen gegenüber ragen, drohend wie Kanonenrohre eines Schlachtschiffs, die Achsen aus der dreifach gewaltigen Maschine, die fast eine komplette Seitenwand der Maschinenhalle beherrscht.
Es ist ein faszinierend düsterer und gleichzeitig leuchtender Ort, so rostig wie farbenfroh, so alt wie neu: das Depot des Textilmuseums Tuchwerks Aachen in der alten Stockheider Mühle am Strüverweg in der Soers. Ein Ort irgendwo zwischen Vergangenheit und Aufbruch, noch an allen Ecken unfertig und doch mit einem Ziel.
Die lange Geschichte der alten Tuchmacherstadt Aachen soll in dieser ehemaligen Textilfabrik dokumentiert werden. Im Jahr 2003 hat sich ein Verein gegründet, um dieses von Vergessenheit bedrohte Erbe der Kaiserstadt zu retten.
Keine leichte Arbeit, denn die Ausstellungsstücke sind etwas, nun ja, unhandlich. Aber: Wer alte Maschinen mag, ölig glänzende Zahnräder, Handkurbeln und Antriebsbänder, dem werden die Augen glänzen beim Anblick der Schätze in der von außen so unscheinbaren Halle.
Das übermannshohe Monstrum auf der rechten Seite des Raumes, das den Blick des Besuchers sofort an sich zieht, nennt sich Krempelsatz. Mit ihm wird die ungekämmte Wolle in einzelne Fasern aufgelöst. Der Verein hat ihn 2010 von der Firma Astonjohnson aus dem belgischen Kettenis überlassen bekommen.
Schon das Trumm aus seiner Halle heraus- und nach Aachen hereinzutransportieren, erwies sich – im wahrsten Sinne des Wortes – als Mammutaufgabe.
Doch nun ist er in voller Länge aufgebaut – und nicht die einzige Maschine im Raum. Der Besucher lernt hier so schöne Worte wie Selfaktor und Kettschärmaschine, dazu gibt es Reißwölfe und Spulmaschinen, Hand- und mechanische Webstühle.
„Die älteste Maschine ist ein Krempel aus der Werkstatt der Familie Cockerill in Verviers, aus der Zeit um 1810“, heißt es auf der Webseite des Vereins.
Als Laie bleibt einem oft nur das Staunen über die geheimnisvollen Apparate – was ihre Funktion ist oder war, lässt sich nur raten…
…sofern man nicht unter den vielen Ausstellungsstücken auch mal ein vertrautes Gerät entdeckt.
Mein Freund Peter Behrens hatte mich eingeladen, zusammen mit dem Lions Club Aachen Aquisgranum an einer Sonderführung durch das neue Zuhause des Museums teilzunehmen.
Los ging es um 19.30 Uhr. Die Stockheider Mühle präsentierte sich an diesem Sommerabend als halb triste, halb charmante Industrieruine, noch nicht ganz aufgewacht aus dem Dornröschenschlummer.
Der Standort selbst hat allerdings Potenzial – und die Lage in Aachens grüner Lunge Soers ist traumhaft.
Wer sich von dem etwas – ahem – spröden Äußeren der Anlage nicht abschrecken lässt – oder sogar vielleicht von einem Blick durchs Fenster der ehemaligen Pförtnerloge auf die dahinter ausgestellte Spinnmaschine angelockt wurde…
…der entdeckt ein paar Schritte weiter, hinter den Türen der Lagerhalle das, was der Verein in den letzten zwölf Jahren zusammengetragen hat.
Was für ein Kontrast: Strahlend weiße Wolle wartet auf die Verarbeitung.
Jochen Buhren, der Vorsitzende des Vereins Tuchswerk Aachen e.V., hatte angeboten, den Verein und seine Arbeit vorzustellen.
Eine kleine Ausstellung im vorderen Teil der Halle verschaffte uns zunächst den nötigen theoretischen Background…
…während gleich daneben die Welt der Textilherstellung greif- und sogar streichelbar wurde.
Als Gäste durften wir selbst versuchen, Wolle zu kämmen. Danach versteht man besser, warum der Mensch diese Aufgabe einer nicht allzu filigranen Maschine anvertraute.
Die Herbstkollektion 2015 besticht durch farbenfrohes Schottenkaro.
Während die Führung unter den kundigen Worten von Herrn Buhren von Maschine zu Maschine zog, stellte sich für den Verfasser dieser Zeilen – und nebenbei auch Fotografen dieser Bilder – das Schummerlicht im Saal als gewisses Problem dar.
Denn das mitgenommene Teleobjektiv Sony SEL 18200LE – ein sogenanntes „Immerdran“ – ist zwar im Sonnenlicht Teneriffas zu vielem zu gebrauchen, lässt aber bei schwacher Beleuchtung doch arg wenig Licht an den Sensor der Kamera. Das Super-Zoom wurde zum Suppen-Zoom. Nachdem ich daran gescheitert war, das Fabrikschild der Krempelmaschine scharf an den Rand einer geplanten Weitwinkelaufnahme zu stellen war, geschah etwas, was mir noch nie passiert ist –
Ich schraubte nämlich freiwillig die teure High-Tech-Computerlinse von der Nex und klipste das ebenfalls mitgebrachte Steinzeitobjektiv dran. Nicht aus Spaß, sondern aus Notwendigkeit. Das erst vor ein paar Tagen in Betrieb genommen manuelle Minolta MD 50mm 1:1.7 (hier vorgestellt) würde auch bei diesen Lichtverhältnissen brauchbare Bilder abliefern, das war klar.
Was es dann auch tat. Mechanik schlägt Elektronik. Gut, man könnte auch sagen: Lichtstärke schlägt Ofenrohr. Auch Sony bietet ein nagelneues 50-Millimeter-Objektiv für die Nex an, komplett mit Autofokus, Bildstabilisierung und allem Pipapo.
Aber das hatte ich halt nicht da – und das manuelle Fokussieren macht mir inzwischen so viel Spaß, dass ich gar nicht mehr darauf verzichten möchte.
Wenn man doch nur etwas mehr hätte abblenden können! Tiefenschärfe gegen ISO-Wert aufzurechnen, kann ja so unbefriedigend sein.
Bereut habe ich es jedenfalls nicht, das Altobjektiv statt etwa des neuen 20-mm-Weitwinkels einzustecken.
Ich mag die Schärfe im Vordergrund des alten Minolta, ich mag den cremigen Hintergrund…
…und ich mag die Farben, die das Ding produziert. Zum ersten Mal kam mir heute der bizarre Gedanke, die frisch zusammengestellte Sammlung digitaler Objektive wieder aufzulösen und dafür eine Handvoll Steinzeitlinsen anzuschaffen – das legendäre Minolta Rokkor 1:1.2 50 mm aus den 70er Jahren soll ja so ziemlich das schönste Bokeh der Fotogeschichte produzieren…
Wo war ich? Zurück zum Thema, zurück in die Soers, wo inzwischen der Lärm der Spinnmaschinen verstummt ist und dafür Gulaschsupppe Chili con Carne und Baguette ihrer Bestimmung entgegengehen.
Es war ein spinnender, äh, spannender Abend in diesen bröckeligen alten Mauern. Und wir haben etwas gelernt: Alter Krempel kann etwas ganz Wunderbares sein.
Der Whow-Moment
Es gibt Momente, da klappt einem der Kiefer auf, da sagt man einfach nur „Whow“. Vielleicht ist es auch ein anderes Wort. Eins halt, das einem unwillkürlich entflutscht, wenn man eine Sekunde lang einfach nur geplättet ist. So einen Moment hatte ich heute. Es war nach dem achten diesjährigen TestessenAC im Lai Thai am Kehrmännchen, wie stets in wunderbarer Weise organisiert von Sabine.
Für das „Whow“ des Tages war allerdings nicht der Schärfegrad meiner Thai-Ente verantwortlich (auch wenn zwei von drei möglichen Chilischoten auf der Karte durchaus für den einen oder anderen heißen Moment sorgen können).
Nein, ich hatte ein neues Objektiv an der Nex. Wobei „neu“ nicht ganz das passende Wort für eine Linse ist, die 1979 erstmals auf den Markt kam, also irgendwas um die 30 Jahre alt sein dürfte. Und die jetzt schon seit etwa anderthalb Jahren unbeachtet in meiner kleinen Sammlung vor sich hin staubfängert. Ein vollmechanisches Minolta MD 50mm 1:1.7 Standardobjektiv.
Nach den begeisterten Berichten in diversen Blogs und Foren über die Güte von mechanischen Objektive aus der vordigitalen Zeit und ihre leichte Kombinierbarkeit mit den heutigen Systemkameras wollte ich damals auch unbedingt eins ausprobieren. Und schoss mir, mangels Erfahrung und Kenntnis, statt des bekannt brillanten Minolta MD 50mm 1:1.4 oder des 50mm 1:2 deren mittleren Bruder 1:1.7 (die zweite Zahl, also 1.7, bezeichnet die maximal offene Blende – alles unter 2 ist schon mächtig lichtstark).
Das 1:1.7 ist das Stiefkind des Trios. Bei Offenblende soll seine Schärfe vor allem in den Randbereichen nicht an die anderen heranreichen, wenn auch etwas abgeblendet allerdings kein Unterschied mehr feststellbar sein soll. Gekostet hatte mich das Schnäppchen ohne erkennbare Gebrauchsspuren denn auch nur irgendwas um die 25 bis 30 Euro – die begehrteren 1:1.4er-Modelle werden gerne für das Drei- bis Vierfache gehandelt.
Spaß machte der frisch ersteigerte Dinosaurier leider nicht. Die Schärfe war zwar tatsächlich brillant, der Tiefenschärfebereich dagegen so minimal, dass die ersten Probebilder kaum zu verwenden waren. Und da mir damals ISO-Werte und Belichtungszahlen böhmische Dörfer mit sieben Siegeln waren, kam auch nichts Gescheites bei den Experimenten heraus. Folglich dornröschenschlief der Mechaniker die letzten anderthalb Jahre im Köcher – bis jetzt.
Wenn man sich darauf einlässt, Blende, Belichtung und ISO-Zahl an Objektiv und Kamera selbst einzustellen und mit Hilfe von Displaylupe und Kantenanhebung zu fokussieren, dann entstehen plötzlich tatsächlich so etwas wie Fotos. Auch wenn das Fokussieren per Lupe nur bei sehr ruhiger Hand funktioniert.
Doch es klappt: Trotz der um 50 Prozent verlängerten Brennweite – das 50-Millimeter-Standardobjektiv der Kleinbildkamera wird ja am kleineren APS-C-Sensor der Nex zu einem leichten 76-Millimeter-Teleobjektiv – und des verringerten Lichteinfalls durch den zusätzlichen Adapterring produziert die Alt-Neu-Kombination sogar im eher gedämpften Licht des Gastraums und trotz freihändigen Anvisierens der Thai-Ente brauchbare Bilder. Und was für welche. Bilder mit Farben. Bilder mit cremiger Hintergrundunschärfe.
Keine Frage, das hat was. Selbst bei so wenig günstigen äußeren Bedingungen und einem so wenig erfahrenen Fotografen zaubert dieser jahrzehntealte Oldie quasi aus dem Ärmel solche Schüsse hin. Und weil diese ersten Treffer so ermutigend ausfielen, habe ich auf dem Rückweg noch einmal an meinem bewährten Fotostandort am Klosterplatz angehalten und unter dem schützendenDach der Papeterie Clou auf die Domschatzkammer gepeilt. Das kleine Immerdabei-Teleskopstativ aus der Ortliebtasche geholt, 30 Sekunden Belichtung, ISO 100. Warten. Schauen: Und, wie ist es geworden?
Dann war er da. Nach dem Heranzoomen an die Mauersteine, an das regennasse Straßenpflaster, an den „Blütezeit“-Schriftzug des Blumenladens ganz hinten an der Straße: der Whow-Moment.
Was für eine kristallklare Schärfe. Der mechanische Ebay-Billigheimer mit seinen diversen Jahrzehnten auf dem Buckel spielt brandneue vollelektronische Komfortobjektive locker an die Wand. (Die Großbildansicht in der Galerie hier lässt sich über den X-Button oben rechts übrigens auf volle Bildschirmgröße bringen.) Man sieht mich begeistert. Und nachdenklich.
Und morgen: bei Ebay. Nach mechanischen Billigheimern gucken. Plötzlich sieht die schöne neue Fotowelt etwas anders aus. Wer braucht schon Elektronik, wenn er Brillianz haben kann?