Rudeltatort

Lang, lang ist’s her, dass ich zuletzt live gebloggt habe. Heute soll es mal wieder soweit sein, und dazu noch in Form einer Premiere – nämlich von der wöchentlichen Tatort-Übertragung aus dem Café und Bar Zuhause. Der plüschig-gemütliche Laden mit seiner imposanten, mehrseitigen Whisky-Karte hat sich in den letzten Wochen zu meiner aktuellen Lieblingslocation gemausert. Außerdem glänzt er mit prima WLAN und netter Bedienung.

Der Tatort wiederum ist, das muss ich mal vorwegschicken, ein ausgesprochen hellgrauer Fleck auf meiner sozialen Google Map. Als jahrelanger Fernsehverächter habe ich die Kultserie eigentlich nur in Form von kritisch-amüsierten Kommentaren auf Twitter oder den Filmkritiken auf Spiegel Online wahrgenommen. Selbst die legendären Köln-Tatorte konnten mich nicht aus meiner antipathischen Lethargie reißen, obwohl ich diverse Male an der berühmten Bratwurstbude („Bratort“) am Rheinauhafen vorbeigeradelt bin. Heute nun soll der lethargischen Antipathie ein Ende gesetzt und die TV-Terra-Incognita erobert werden. Tatortrudelgucken mit paralleler Twitterverfolgung – das Beste aus sämtlichen Welten!

Da ich und mein Notebook eine betastbare Unterlage brauchen, radele ich schon eine gute Dreiviertelstunde vor der magischen 20.15-Uhr-Marke auf dem Rad die Sandkaulstraße hinauf. Sagte ich „schon“? Überraschung: Der Laden ist bereits weitgehend voll. Immerhin findet sich im Hinterzimmer, wo schon der ARD-Weltspiegel auf eine Großleinwand gebeamert wird, noch ein Plätzchen, gar mit Tisch. Die Saaltür schließt der nette Kellner sofort hinter mir – „wegen des Tonversatzes“. Ich erschließe mir selbsttätig, dass man so die Zeitdifferenz zwischen den Übertragungen auf der Leinwand und den beiden Fernsehern vorne im Lokal nennt. Hat sich das Bergaufstrampeln schon mal gelohnt: Wieder ein neues Wort gelernt.

zuhause

Der Saal füllt sich. Kurz scheint das Glück zu lächeln, als sich eine junge Schönheit nach dem Besatzungsstatus des Stuhls neben mir erkundigt und auf selbigem platziert. Dann ist das Glück schon wieder anderweitig beschäftigt: Ihr Freund schwenkt einen dritten Stuhl über meinen Kopf herbei und quetscht sich damit in die Mitte. Was soll’s, ich bin ja auch nicht aus Spaß hier.

Ein paar Minuten später steht ein Eifeler Landbier neben der Tastatur und wärmt eine Pizza Speciale (vom Italiener nebenan geliefert) im Karton meinen Schoß – kann losgehen. Bremer Tatort, prima. Vielleicht erkenne ich Ex-Nordlicht ja auch dabei etwas wieder? Schließlich die Startfanfare, die Augen, das Fadenkreuz, schon sind wir drin. Im trüben Schein meines runtergedimmten Notebookdisplays fingere ich Pizzaachtel aus dem Karton und in den Mund. Großes Hallo im Saal, als sich gleich zu Anfang ein bulimiekranker Nebendarsteller unverbrämt in ein Klo übergibt. Ich bin hörbar nicht der einzige im Raum, der plötzlich ebenfalls mit Appetitlosigkeit kämpfen hat.

Während das bizarre Wiederaufgetauchte-Vielleichtauchnicht-Tochter-Familiendrama seinen Lauf nimmt, stoße ich auf weitere Probleme. Teile des Pizzabelags weichen im Dunklen von der vorgegebenen Route ab. Zugleich versuche ich in erfolgloser Verkrampfung, das Restlicht des Displays aus dem Blickfeld meiner Sitznachbarn zu halten und trotzdem originelle Sätze zustandezubringen. Was schlechter gelingt, ist schwer zu sagen. Nein, aus Spaß sind wir nicht hier.

Ratlos starren Lürsen und Stedefreund (warum heißt der Mann eigentlich wie ein Herforder Stadtteil?) in die Leere, in der sich ihre Ermittlungen verlaufen. Ist Fiona nun die Tochter ihrer Mutter oder nicht? Schwer zu sagen, noch schwerer zu erklären, Tatort halt, ihr kennt das. Ein Block Notizkarten wandert durchs Publikum. „Täterraten“, erklärt mir der Nachbar auf meinen fragenden Blick hin. Ich tippe auf das Muttertier, weil das noch als einziges unverdächtig erscheint. Als Krimi-Profi weiß man ja, dass – sofern kein Gärtner im Spiel ist – am Ende grundsätzlich die unwahrscheinlichste Randfigur abgeführt wird.

Und was passiert? Genauso kommt es auch. Der Mörder war der bulimiekranke Nebendarsteller vom Anfang – tatsächlich der einzige Charakter, der noch unverdächtiger ist als die Mutter. Es wird noch einige Liter Eifeler Landbier brauchen, bis ich mich halbwegs erfolgversprechend in die Hirnwindungen der ARDrehbuchschreiber werde einfühlen können.

Abspann. Kaltes Licht geht an. Ernüchterung macht sich breit. Einziger Trost: Ganze zwei Gäste haben richtig geraten. Sicher Stammkunden. Verdammte Streber.

Auf Twitter und bei Facebook sind sich die meisten Kommentatoren einig: Ausnahmetatort, tolle Darsteller. „Mehr Stedefreund bitte!“ Auf der Leinwand betalkt derweil Günther Jauch den griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis. Der Zauber der TV-Unterhaltung: restlos vorbei. Es ist eh das Leben, in dem die größten Krimis ablaufen. Die Rechnung bitte.

Nächste Woche kommt der Tatort aus Berlin. „Das Muli“ heißt die Folge.

Mal schaun.

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