Die Bahnbrechende

Heutige Begleiterin beim Walk in den Wald ist eine wunderhübsche Baldina aus dem Jahr 1935. Vom kleinen Hersteller Balda aus Dresden als Konkurrentin zur ein Jahr zuvor erschienenen Kodak Retina auf den Markt gebracht, war sie damals eine topmoderne kompakte Klapp-Sucherkamera. Ausgestattet war sie mit einem superscharfen und lichtstarken Objektiv, dem erst 1931 neu gerechneten Tessar 2.8 5 cm von Carl Zeiss Jena, und dazu dem schnellsten Verschluss auf dem Markt, dem erst in diesem Jahr vorgestellten Compur Rapid der Firma Friedrich Deckel aus München mit bis zu einer 1/500 Sekunde Belichtungszeit. (Es gab sogar Versionen mit fünflinsigem Schneider Xenar 2.8 5 cm und sechslinsigem Schneider Xenon 2.0 5 cm, Zeiss Biotar 2.0 4,5 cm und Rudolph Kleinbild-Plasmat 2.7 5 cm.)

Dazu gab es eine Ausstattung vom Allerfeinsten: automatischer Bildzähler (ein rotierender Pfeil hinter einer bezaubernden runden Klappe, ähnlich einer Taschenuhr), eine Doppelbelichtungssperre, ein mechanischer Parallaxenausgleich für Nahaufnahmen unter dem Sucher, ein Gehäuseauslöser, eine Tiefenschärfe-Tabelle auf der Rückwand und ein seitlicher Tragegriff. Alle blanken Metallteile waren hochwertig goldfarben vernickelt. Die Bereitschaftstasche aus Leder und verchromtem Metall war von allerbester Qualität und bot sogar ein aufklappbares Fenster, um durch eine transparente Plastikfolie die Tiefenschärfetabelle ablesen zu können. Schon von den Daten her ein Spitzenprodukt. (Was sie dagegen, typisch für ihr Produktionsjahr, nicht hat: Entfernungs- und Belichtungsmesser. Beides musste man, wie noch jahrzehntelang in der Amateurfotografie durchaus üblich, schätzen.)

Doch die wahre Revolution sitzt im Inneren. Nach der erwähnten Kodak Retina war sie die zweite Kamera, die für die damals brandneuen Einweg-Filmpatronen konstruiert wurde, die sich in den folgenden Jahren rasant über die Welt verbreiten sollten und bis heute gebräuchlich sind. Erst mit diesen Patronen konnte jedermann und jedefrau zum Kleinbildfotografen werden, ohne erst in der eigenen Dunkelkammer Film zurechtschneiden und aufrollen zu müssen. Der 35-mm-Kinofilm, den zuvor nur die Profikameras Contax und Leica verwendeten, wurde erst damit zum meistbenutzten Filmformat aller Zeiten. Und blieb es für Jahrzehnte, bis die Digitalfotografie ein neues Zeitalter einläutete.

Mit diesen allerersten Jackentaschen-Kameras begann der wahre Siegeszug der Fotografie als Massenmedium. So ist denn beim heutigen Ausflug auch ein normaler Kodak Gold 200 aus dem Rossmann-Drogeriediscounter an Bord. Ein völlig alltäglicher Einsatz in einer Kamera aus den allerersten Tagen der Kleinbildfotografie. Einer Kamera, die mit fast 90 Jahren noch so gut wie neu aussieht.

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