Neues aus der Schattenwelt

Also, das hier ist wirklich etwas für Feinschmecker. Haben Sie ein paar Minuten Zeit? Lust auf ein morbides Prickeln? Dann schauen Sie auf domainregistry.de Internetadressen beim Sterben zu. Im Minutentakt erscheinen dort die wieder frei werdenden Webdomains. Es ist die Zombie-Parade einst hoffnungsvoller Jung-Unternehmungen, privater Internet-Träume und seriöser Webprojekte. Jetzt sind sie Geschichte.

Was mag sich hinter www.firmenliste24.de (aus naheliegenden Gründen spare ich mir das Verlinken) verborgen haben, die heute um 4:30 Uhr und 41 Sekunden in die Leichenhalle gerollt wurde? Eine weitere findige Idee optimistischer Uni-Abgänger, deren mühsam finanzierter Business Plan dann durch Google obsolet wurde? Was wurde aus dem fremdenverkehrsverein-naunhof.de (5:59 Uhr), was aus dem restaurant-volksgarten.de (5:17 Uhr)? Und war das aixnetz.de (14:03) ein echtes Öcher Projekt?

Nachdenklich stimmt auch die menschliche Seite. Was mag dem Inhaber von www.markus-glowka.de widerfahren sein, dass die Adresse um 14:08 wieder zu haben war? Wünschen wir ihm, dass er es gut getroffen hat, sich vielleicht mit den Eigentümern von www.notare-daniels-starke.de zu einer neuen Kanzlei zusammengefunden hat. Auch dass es die singles-bielefeld.de (9. Mai, 15:09) nicht mehr gibt, hat ja vielleicht einen freudigen Grund.

Bei einigen Namen allerdings… nun, sagen wir, ihr Auftauchen in der Hall of the Fameless überrascht nicht allzusehr: Der Anlass von millennium-abi.de (27. Mai, 16:15 Uhr) dürfte sich mittlerweile erledigt haben, www.nagelzubehoer-nagelreinigung-nagellack.de war nicht wirklich griffig, und was war wohl ein altenschoepfer.de (25. Mai, 14:40)? Was ein meeresfunken.de (13:57)?

Eins ist mal sicher: Die Leichenschau am laufenden Band macht süchtig. Und geradezu folgerichtig erscheint, dass in dieser Totentabelle auch der zombieguide.de auftaucht (24. Mai, 23:45 Uhr). Hat der olle Sensenmann also doch Humor, denkt man beim Schreiben. Und hofft, dass wenigstens www.az-web.de/blogs/serendipity/ noch ein Weilchen lebendig bleibt. Sagt mir jemand Bescheid, wenn’s soweit ist?

[via Ulf Schönerts Blog beim Stern]

Meeting in Münster

Es geht wieder auf Tour. In Münster lockt das Jahrestreffen der Interessengemeinschaft Mercedes-Benz. Mit großem Abschlussaufstellung vor dem Schloss – und damit, wie Boert in seiner Einladung schreibt, ein „passender Zeitpunkt also, um sich ne MAL aus nem Gullwing zu besorgen“. Keine Frage, da muss man hin.

Mit Steffen 200D treffe ich mich zunächst in Warendorf mit Boert und zwei Michaels. Erst wird noch der Autoverwertung Kisse in Freckenhorst ein Besuch abgestattet, dann geht es ab nach Münster, wo zunächst bei Burger King gespachtelt wird. Dann treffen wir Roman aus Hamburg samt Begleitung.

Das Zusammenkommen der MBIG mit abschließender Parade vor der Universität ist eigentlich eine Edelveranstaltung für Flügeltürer, Adenauer und ähnlich herrschaftliche Gefährte. Wir Fußvolk dürfen unsere mehr oder weniger gepflegten Alltags-Youngtimer trotzdem am Rande der Wiese mit dazustellen.

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Eine durchaus angemessene Kulisse für das Coupé mit é. Neben ihm parkt Romans Liasgrauenr.

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Auf der Hutablage das Kissen mit dem Gesicht vom silbernen Dieselstern und, natürlich, eine Flasche feinster Holstensegen. Nur die noch unlackierten Radkappen stören das Bild etwas.

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Bei so einem Treffen kann man viele gute Ideen klauen Anregungen aufnehmen. Zum Beispiel die Blumenvase am Armaturenbrett…

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…der zeitgenössische Hutablagenschmuck

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…und, äh, nein, das lassen wir lieber bleiben. Auch wenn es bei unserem Bio-Treibstoff tatsächlich stimmt.

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Der Wagen passt allerdings zum Aufkleber. Bleibt dieses Fahrzeug einmal liegen, kann es nur mit einer Goldkette abgeschleppt werden.

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Diesen Rat der Firma Gasolin beherzigen W123-Diesel-Fahrer tagtäglich.

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Es geht doch nichts über einen schicken 107er-SLC. Mein Traum. Na gut, vielleicht nicht in dieser Farbe.

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Pontonfahrer sind ein ganz, ganz eigenartiges Völkchen. Naja, immerhin passt der Feuerlöscher zur Wagenfarbe.

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Und ich dachte immer, Pontons wären in Puncto Seriosität die Steigerung von Heckflossen.

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Weit gefehlt…

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Sagte ich schon, dass Pontonfahrer ein ganz, ganz eigenartiges…?

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Okay, es scheint sich um einen Werbeträger zu handeln…

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…aber ob der TÜV das hier noch entschuldigt?

Nach einem erfüllten Tag geht es schließlich – im, Zitat Roman: „schlechtesten Wetter der Welt“ – wieder heim nach Bielefeld.

Neues aus Italien

Egal, ob man Don Alphonso mag oder nicht: Wer einmal die ganz, ganz hohe Schule des Bloggens bewundern möchte, nehme sich ein Weilchen Zeit und besuche sein GT Blog.

Die italienische Oldtimer-Rallye Mille Miglia, die der Don für einen Autozubehörhersteller journalistisch begleitete und nebenher bebloggte, ist nun vorbei. Schön, dass die Flut der Bilder von automobilen und steinernen Kostbarkeiten wohl noch etwas länger im Netz stehen wird.

Ja, so ästhetisch kann Bloggen sein.

Eine Seite, die man all jenen zeigen sollte, die gerne in TV-Debatten das Wort von der Belanglosigkeit der Blogs im Mund führen. In Blogdorf wird nicht nur gehäkelt, sehr geehrte Damen und Herren.

Neues aus der Galaxis

Okay, das ist jetzt für Insider, ich geb’s zu. Und es ist auch nicht ganz die Gute Nachricht Des Tages™. Heute ist nämlich weltweiter Towel Day.

Zum Gedenken an den Mann, wegen dessen Buch ich 1987 während der London-Klassenfahrt mit der Tube (damals dachte man dabei noch nicht an eine Video-Webseite) nach Rickmansworth rausgefahren bin, im „Café Swiss“ ein Käsesandwich gegessen und eine Tasse Tee getrunken habe. Eine Idee zur Weltrettung ist mir damals übrigens, wie man unschwer erkennen kann, im Gegensatz zu Fenchurch aus dem Buch nicht gekommen.

Danke, Douglas, nicht nur für den Fisch.

PS: Doch noch was Gutes gefällig? In der (englischen) Wikipedia steht natürlich auch alles zum Thema The Hitchhiker’s Guide To The Galaxy.

[via Stefan Niggemeier.]

Neues aus der Damenwelt

BLOGine 2007: Dramatische Oper in drei Teilen

I. Adagio moderato

Am Anfang stand eine gute Idee. Eva Katharina H. hatte sie, eine 23-jährige BWL-Studentin aus Berlin: Auf ihrem neuen Startup Bondea – „das offizielle Freundinnen Netzwerk Blog“ – rief sie auf zur Wahl der BLOGine 2007, also Deutschlands Blogger-Königin des Jahres. Auslöser waren Meldungen, wonach unter den Top 50 der deutschen Blogs praktisch kein von einer Frau geschriebenes zu finden ist (Ehrensenf-Katrin mal ausgenommen, aber deren Daily Videocast ist ja auch kein klassisches Blog).

Gesagt, getan: Bis zum 13. Mai wurden 122 Blogs nominiert, darunter einige mit sehr netten Namen: Draußen nur Kännchen, Pappalatur, die Naselnuss, Zeitrafferin oder Erdbeerwelt-Touri. Erstaunlicherweise war Anke Gröner, deren Blog in den Charts zuletzt knapp unter der 50er-Marke hing, nicht dabei.

Die Nominierten stellten sich in Kurz-Interviews vor. Am 16. Mai begann die Abstimmung, und zunächst lief alles gut. Nach 44 Stunden waren schon 1.500 Stimmen abgegeben worden.

II. Allegro con spirito

Bondea ist benannt nach der altrömischen Bona Dea, was „Gute Göttin“ bedeutet. Deren ausschließlich weibliche Priesterschaft kam ihrerzeit stets unter strengstem Ausschluss von Männern zusammen. Ob diese Treffen vor 2000 Jahren immer harmonisch abliefen? Mann weiß es nicht. Die heutigen Nachfahren der Gottesanbeterinnen Priesterinnen jedenfalls gerieten alsbald in Streit.

Es begann am 18. Mai mit einer auffälligen Häufung von Stimmen mit Arcor-IP-Adresse für das Blog vibes-bild. Die Organisatoren entschieden sich, 388 der offensichtlich vom selben Absender stammenden Klicks manuell herauszurechnen.

Ein nicht gerade transparentes Verfahren. Im Bondea-Blog gingen die Wogen hoch. „Schwachsinn“, „peinlich“, „Zickenterror“, hieß es. Auch gegen andere Nominierte wurde gekeilt. Alice: „Dieses Chaos-blog ‚lanu‘ ist weiter auf Nummer 1? Ist Lanu überhaupt ein Frauenblog?“, blogneurose: „ich glaube das ist einfach ne trittbettfahrerrin mit profilneurose“.

III. Finale furioso (sine chauvinismo)

Es folgten die ersten Rücktritte. Barbara L. stieg schon am 19. Mai aus: „Ich finde das alles nur noch peinlich.“ Die bis dato zweitplatzierte Pia zog am 23. Mai ihre Teilnahme zurück: „Frauen sind nicht in der Lage objektiv und freundlich als Konkurrentinnen aufzutreten.“ Erdbeerwelt-Touri Diana verabschiedete sich am selben Tag: „Ich wünsche den übriggebliebenen Damen viel Spass dabei, sich gegenseitig weiter zu zerfetzen.“ Am Abend hatten sich insgesamt sieben Teilnehmerinnen ausgeklinkt.

Königinlichen Spaß an alledem hat zweifellos die auf Platz 1 liegende Lanu (Ex-Dotcomtod, heute Boocompany), die in ihrem puristischen Blog den Zickenkrieg süffisant kommentiert: „Ich hatte nicht die Absicht, mich tagelang damit zu beschäftigen. Warum tu ich es dennoch? Weil ich es kann!“

Zu dem Zeitpunkt schien sie selber schon Opfer einer Schummelei Ungereimtheit geworden zu sein: Auf der Bondea-Seite fand sich ein Abstimmungsbutton „Lanu for BLOGine 2007!„, was an sich schon eigenartig genug gewesen wäre. Doch wer ihn drückte, gab seine Stimme nicht für Lanu, sondern jemand anderen ab.

Ganz großes Kino also. „Popcorn für alle!!!“ freute sich Lanu denn auch – das Bloginen-Chaos hatte bereits Eingang in die Boocompany gefunden. Nach knapp anderthalb Stunden war der Button wieder verschwunden – offizielle Erklärung: Er war nur kurz zum Testen der nach den Austritten geänderten Abstimmungs-Reihenfolge eingebaut worden.

Königlichen Spaß haben natürlich auch die Beobachter des Ganzen, etwa Robert Basic, der den „Catfight“ in seinem Blog mit einem Kätzchenvideo kommentiert („Am Ende kommt wahrscheinlich heraus, dass es sich um eine virale Kampagne von Dove handelt“). Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis weitere Wogen aus Spott und Häme aus Klein-Bloggersdorf über den Bloginen-Anwärterinnen zusammenbrechen (hier schon mal ein Vorgeschmack: „Stutenbiss 2.0“, „Zicken-Zoff und Wahlbetrug“ und „Auch eine Klofrau hat Visionen“).

Nachspiel.

Für den 28. Mai ist die Krönungszeremonie der BLOGine 2007 angesetzt. Wie es ausschaut, bekommt Lanu den iPod im Bondea-Design. Was bleiben wird, ist ein gewisses Gefühl des Bedauerns, dass so wenig genügt hat, so viel unangenehmen Nachgeschmack zu erzeugen.

Ob die schlechte PR für „das offizielle Freundinnen Netzwerk Blog“ am Ende doch gute PR war, wie es ja ein Sprichwort behauptet, wird sich zeigen. Zeigen wird sich auch, ob Katrin Bauerfeind (die das Ehrensenf-Schiff voraussichtlich Mitte Juni verlassen wird), weiterhin die einzige Frau unter den 50 meistgeklickten deutschen Blogs bleiben wird.

Es dürften jedenfalls nicht nur Frauen sein, die das ein bisschen schade finden würden.

Neues aus der Welt der Wissenschaft

Von Zeit zu Zeit flattern einem Journalisten Nachrichten auf den Schreibtisch, die beim Lesen ein feines Stimmchen im Hinterkopf auslösen: „Vorsicht, Aprilscherz“. Doch es ist zweifellos längst tiefer Mai, als die doch als seriöse Quelle einzustufende Presseagentur dpa folgendes vermeldet:

Viagra hilft Hamstern gegen Jetlag

Wäre man ein Hamster mit vielen „Miles & More“-Punkten, wäre das zweifellos Die Gute Nachricht Des Tages™.

Und während das Stimmchen im Hinterkopf noch murmelt „ich glaub, mein Hamster bohnert“, liest man staunend, was argentinische Forscher da herausgefunden haben. (Lauwarme Witzchen über die Hintergründe und näheren Umstände des Entdeckungstriebes der ja angeblich so heißblütigen Lateinamerikaner verbieten sich an dieser Stelle natürlich.)

Danach haben die Wissenschaftler den possierlichen Nagern das wohl bestbeworbene Mittelchen der Welt vor einer verkürzten Nachtruhe verabreicht. Die aufgegeilten derart präparierten Tierchen verkrafteten das verfrühte Aufstehen viel besser als ihre nüchternen Kollegen. „Der Wirkstoff Sildenafil verhindert dabei den Abbau einer Substanz im Gehirn, die an der Steuerung der inneren Uhr beteiligt ist“, heißt es. Allerdings hatten die viagrarisierten Hamsterlein mit einem Problem zu kämpfen, das auch den männlichen Nachfahren des Homo erectus nach dem Aufstehen nur zu bekannt ist, in dem schönen Gedicht „Hart ist der Zahn der Bisamratte…“ verewigt wurde und auf das hier nicht näher eingegangen werden soll.

Lauwarme Witzchen sind hingegen absolute Pflicht angesichts der potenziellen Anwendungsmöglichkeiten des Mittels beim Überwinden der körperlichen Folgen von Zeitverschiebung durch Langstreckenflüge. Sitzen Sie, lieber Leser? Zitat: „Gegen einen Jetlag könne Viagra nur im Falle von Fernreisen nach Osten eingesetzt werden, schreiben die Forscher.“ In umgekehrter Richtung helfe es nicht, da es seine Wirkung nur entfalte, wenn Tag oder Nacht verkürzt würden.

Ausgerechnet nach Fernost. Man stelle sich vor, wie demnächst 600 Bumsbomber-Touristen am Flughafen von Bangkok steif-, äh, -beinig die Treppe des Airbus A380 herunterstaksen. Die alte Weisheit „Nur Fliegen ist schöner“ erweitert ihre Gültigkeit um eine ganz neue Dimension. Hoffentlich sind die Abstände zwischen den Sitzreihen groß genug.

Offen ist noch die Frage, was auf solchen Flügen im Bordkino gezeigt werden soll. Filme, deren Inhalt eher die Wirkung steigert? „Heiße Nächte in Buenos Aires – Latin Lover im harten Einsatz“? Nein, sonst sind die Passagiere am Ende des Fluges noch zu erschöpft, den laglosen Jet zu verlassen, was ja dem Sinn der Aktion zuwiderliefe. Also lieber etwas streng Unerotisches, eine deutsche Komödie etwa, eine Dokumentation oder einen schönen Tierfilm. Vielleicht etwas über Hamster?

Reiten im Wind

XT1Uhr-AusschnittSchöne neue Onlinewelt.

Der Schreiber dieser Zeilen zählt zu denen, die auch andere Arten des Reisens kennen und schätzen als die auf vier Rädern. Eine der unkomfortabelsten Alternativen sollte jetzt nach längerer Pause wieder betrieben werden: das Reiten auf einem explosionsmotorgetriebenen Einspurfahrzeug. Genauer, einer Yamaha XT 600 von 1991, siehe Bild.

Sie ist eine Art zweirädriger Dinosaurier. Aus einer Zeit, als Motorräder noch nicht die hochtechnischen Freizeitbegleitgeräte von heute waren. Die sich entweder mit dem Leergewicht eines Kleinwagens der Wirtschaftswunderzeit nur noch dank ABS und Rückwärtsgang bewegen lassen. Oder aber vollverkleidet mit einer Motorleistung über die Autobahnen knallen, dass es einen Jagdflieger graust. Die XT stammt noch aus einer Epoche, als ein Motorrad deutlich weniger kostete als ein Auto. Vor einiger Zeit hatte der Schreiber dieser Zeilen beruflich an der Vorstandssitzung eines Geldinstitutes teilzunehmen. In der Pause tauschten sich die Geschäftsführer über ihre neuesten Harleys und BMWs aus. Motorradfahren, hatte das nicht einmal etwas mit Rebellion gegen das Establishment zu tun?

Kurz: Entweder pilotiert man wie ein früherer Kollege so ein 15.000-Euro-Hochleistungsgeschoss, das mehrmals im Jahr wegen unerklärlicher Gebrechen zu einem Update des elektronischen Motormanagementes in die Werkstatt gebracht werden muss (natürlich nicht auf eigener Achse). Oder man fährt so ein Ding wie eine XT, bei der alles auf das Nötigste reduziert ist. Die Elektrik ist äußerst übersichtlich; irgendwo da unten kümmert sich eine einzelne Zündkerze quasi in Handarbeit darum, dass Explosion und Arbeitshub in sinnvoller Reihenfolge stattfinden und was das Motormanagement angeht, dafür gibt es ein solides Gegengewicht. Ein E-Starter ist der einzige Luxus; selbst der Drehzahlmesser wurde nachträglich angeschraubt. Klar, moderne Vierzylindermotoren stoßen in Geschwindigkeitsbereiche vor, die früher der Formel 1 vorbehalten waren. Aber ein Einzylinder vibriert halt so schön.

Zugegeben: Ihre gut 80.000 Kilometer, ziemlich genau zwei Erdumrundungen, sieht man der alten Dame an. Womit wir endlich beim Thema wären, dem Internet.

Das gab es 1991 natürlich noch gar nicht, als die XT zusammengelötet wurde (auch wenn Herr Berners-Lee da widersprechen mag). Doch längst haben die drei W’s auch in die Welt motorisierter Klassik Einzug gehalten.

Was jetzt am Wochenende wieder einmal bewiesen wurde. Da stand das erwähnte Zweirad nämlich noch in der rund 270 Kilometer von Aachen entfernten Werkstatt, die ein paar kleinere Alterserscheinungen beseitigen sollte. Altes Kettenkit wechseln, Ventile einstellen – Kleinkram. Doch dabei war etwas gebrochen, ein Stück Ankerplatte des hinteren Bremszylinders. Einen Yamahahändler gibt es vor Ort ebensowenig wie gebrauchte Ankerplatten.

Was es gibt, sind einschlägige Foren im Internet. Gegen 16 Uhr ward dort ein Hilferuf gepostet, nur eine halbe Stunde später trudelte schon die erste Antwort ein, mit genauer Beschreibung der gesuchten Platte, Kaufangebot für ein Gebrauchtteil und beigefügtem Foto desselben. Kurz darauf hatten bereits drei hilfsbereite Seelen Ersatz angeboten und dabei nebenbei auch auf eine hervorragende amerikanische Händler-Seite verwiesen, wo exzellente Diagrammzeichnungen jeder Baugruppe hinterlegt sind. Eine gebrauchte Ankerplatte für kleines Geld zu beschaffen war letztlich ein leichtes.

Danke, Internet. Damals, als die XT gebaut wurde, gab es es nur das tagelange Abtelefonieren aller Motorradwerkstätten und Hinterhofschrauber in Nordwestdeutschland sowie lange Überlandfahrten zum Ansehen und meist ergfolglosen Vergleichen („war wohl doch für’n Vorgängermodell“).

Damals wäre man früher oder später entnervt zum Händler gefahren und hätte ein Neuteil besorgt. Dessen Preis heute – auch diese Information hatte einer der drei Helfer in seiner elektronischen Post parat – bei deutlich über 200 Euro liegt. Zweiradfahren ist wahrlich ein teures Vergnügen geworden.

Nun ja, das Web transportiert eben auch die weniger guten Nachrichten. Der XT soll’s egal sein. Der alte Einzylinder läuft wieder. Ob mit oder ohne moderne Elektronik.

Seitenblick in die Blogtoonwelt

Wer nun glaubt, in der Blogosphäre herrsche immer so ein scharfer Ton wie im Welt-Bild-Fall (zu dem jetzt Welt-Chefredakteur Christoph Keese in der Süddeutschen aufschlussreich erklärte, warum die Blog-Beiträge der Autoren von Welt.de ab sofort redigiert werden), oder wie bis heute Morgen 9 Uhr zwischen „Boocompany“-Lanu und Robert Basic „Thinking“, der sei eines besseren belehrt.

Soeben entdecke ich nämlich via Turi2 beim Clap-Club nicht nur das erste witzige Video über die eingangs erwähnte Posener-Diekmann-Affäre, sondern – tataaa! Die Gute Nachricht Des Tages™! – auch die erste mir bekannte deutsche Blogger-Karikatur: Peter Turi trifft Stefan Niggemeier. (Die beiden haben sich bekanntlich ständig in der Wolle, zuletzt ging’s mal wieder um die Richtigkeit von Niggemeier-Zitaten bei Turi.)

Gut, ist wahrscheinlich nicht wirklich der erste Blogger-Cartoon. Aber der erste, über den ich gelacht habe.

Und für das Wort Blogtoon melde ich Gebrauchsmusterschutz an.

Neues vom Dachstuhl

Ist ja erstmal vorbei mit dem Sommer. Manch einen soll’s sogar freuen, dass es jetzt mal wieder regnet. Einen mit Sicherheit nicht: den Besitzer jener Halle in Nörvenich, von der schlechte Menschen jetzt die Regenrinnen geklaut haben.

Doch wie sagt der Dichter: Zum Schade kommt der Spotte, oder, bei uns Schreiberlingen: die Überschrift, die flotte. „Mit 30 Metern Rinnen von hinnen“ betitelte ein Kollege die entsprechende Meldung.

Lieber Hallenmann oder liebe Hallenfrau, wenn du das hier liest, tröste dich. Die Gute Meldung Des Tages™ lautet: Hätte alles noch viel schlimmer kommen können. Wenn die Diebe nämlich noch weitergemacht hätten mit der Dach-Demontage. Dann hätte da nämlich gestanden: „Mit 14.000 Pfannen von dannen“.

Seitenblick nach Springerstadt

Kein deutsches Medium reizt Journalisten und normale Menschen so sehr wie das Blatt mit den vier Buchstaben: die Bild. Das gilt für Medienjournalisten (Bild hat mit dem Bildblog sogar ein eigenes Wächtermedium an der Seite) ebenso wie für Otto Normalverbraucher (das Bildblog wiederum verzeichnet so viele Seitenabrufe wie eine mittlere deutsche Tageszeitung). Richtig spannend wird es, wenn die glatte Fassade des Springer-Hochhauses in Hamburg aufbricht und einen Seitenblick in die Kulissen ermöglicht.

So war es vor einigen Tagen unterhaltsam zu lesen, wie Chefredakteur Kai Diekmann im Interview mit der Netzeitung auf die Frage nach seinem Gehalt reagierte. Oder dass die Bild-Mitarbeiter am Tag der Pressefreiheit (3. Mai) vor allem über den geplanten Umzug nach Berlin debattierten, von dem sie gerade in einem Diekmann-Interview in der FAZ gelesen hatten, wurde berichtet.

Was aber heute hinter den Firewalls des Konzerns geschah, wirft ein interessantes Licht auf die Wertschätzung Diekmanns unter seinen eigenen Kollegen ebenso wie auf die innere Pressefreiheit im Verlag. Und auf die Macht der Blogosphäre, in der jetzt der Text kursiert, um den es geht.

Geschrieben hat ihn Alan Posener, Kommentarchef beim Springer-Blatt Welt am Sonntag. In seinem Blog „Apocalypso„. Posener hatte Diekmanns Abrechnung mit der 68er-Generation in Buchform („Der große Selbstbetrug“) als Anlass für eine bissige Replik mit dem Titel „Wir sind Papst!“ genommen:

[…] Ah ja, klar. Die 68er haben K. D. gezwungen, Politiker zu wählen, die haltlose Versprechen abgaben. (Wen meint er? Den Mann, dessen Autobiographie er als Ghostwriter mitverfasste? Den Mann der „blühenden Landschaften“?) Die 68er haben K. D. gezwungen, Verantwortung zu scheuen. (Was meint er damit?) Die 68er haben K. D. gezwungen, als Chefredakteur der Bildzeitung nach Auffassung des Berliner Landgerichts „bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung Anderer“ zu ziehen. Die 68er zwingen ihn noch heute, täglich auf der Seite 1 eine Wichsvorlage abzudrucken, und überhaupt auf fast allen Seiten die niedrigsten Instinkte der Bild-Leser zu bedienen, gleichzeitig aber scheinheilig auf der Papst-Welle mitzuschwimmen. Die 68er zwingen ihn, eine Kampagne gegen die einzige vernünftige Reform der Großen Koalition zu führen, die Rente mit 67. Die 68er zwingen ihn… aber das wird langweilig. Hier die Kurzfassung: ich bin’s nicht, die 68er sind’s gewesen. Das ist jämmerlich. […]

Was für offene Worte. Donnerwetter, staunte die Szene. Wie war das mit der Wahrheit und dem Mutigen, der sie ausspricht? Das Staunen war kurz. Schon um 11.47 Uhr, das Bildblog hat’s gestoppt, war der Beitrag aus dem Blog verschwunden. Nun war Poseners aktuellster Text wieder der vom Vortag, ausgerechnet über Zensur bei Welt.de (kein Scherz).

Da war es freilich schon zu spät: Findige Blogger hatten den Originaltext per Google-Caching gerettet. Da half es dem Verlag auch nichts mehr, die ganze Angelegenheit um 16.55 Uhr überhaupt nicht amüsant zu finden:

Dies ist die Entgleisung eines einzelnen Mitarbeiters. Der Beitrag von Alan Posener über Kai Diekmann ist ohne Wissen der Chefredaktion in den Weblog von Alan Posener gestellt worden.

Der Beitrag ist eine höchst unkollegiale Geste und entspricht nicht den Werten unserer Unternehmenskultur.

Bei Axel Springer gilt Meinungspluralismus, aber nicht Selbstprofilierung durch die Verächtlichmachung von Kollegen.

Was für geharnischte Worte. Posener hat das Mitgefühl der Blog-Szene (wie auf Technorati unschwer zu erkennen ist), und dass der komplette Text inzwischen auf vielen einschlägigen Blogs in voller Länge zu lesen ist und webauf, webab diskutiert wird, mag ihm zum Trost gereichen. Nebst diverser Auszeichnungen zum Kopf, Tropf bzw. Held des Tages.

Für den Autor, soviel gab der Verlag dann noch gegen 18.40 Uhr bekannt, werde die Angelegenheit immerhin keine personalrechtlichen Konsequenzen haben. Schön für ihn.

Die Zeitung mit den vier Buchstaben geht mit den Objekten ihrer Berichterstattung nicht immer zärtlich um. Und so mag sich der eine oder andere Leser wünschen, ihre Unternehmenskultur würde nicht nur vor der Verächtlichmachung von Journalistenkollegen Halt machen. Sondern auch vor der normaler Menschen.