Neues aus dem Norden

[Assimilation, die: Anpassung an Lebensgewohnheiten und Gebräuche, Ernährung und Sprache in einem Land]

Woran merkt der Zugezogene, dass er sich langsam in seiner neuen Umgebung einlebt? Zum Beispiel daran, dass ihm die frühere Heimat fremd und fremder wird. Am Wochenende bei einem Familienbesuch im Oldenburgischen habe ich es wieder gemerkt.

Oben im Norden, wo der Horizont weit und der Himmel hoch ist, grüßt man sich bekanntlich mit „Moin“. Gerne auch mit „Moin, Moin“. Dies auch abends, denn der Gruß leitet sich ab von „mooi“, schön, und hieß ursprünglich soviel wie „einen schönen Tag“. Jeder Norddeutsche weiß Geschichten zu erzählen von Bajuwaren und anderen wilden Bergvölkern, die ungläubig diesen Zusammenhängen lauschten, weil sie sich über ein zu später Stunde geäußertes „Moin“ echauffiert hatten.

Am Wochenende musste ich nun feststellen, das mich das abendliche „Moin“ inzwischen schon selber irritiert. Und ich mit „Nabend“ darauf antworte. Oh je. Das ist sie, die Entfremdung von den eigenen Wurzeln.

Mehr noch. Nicht erst seit Kollege Felix Lennartz im Friteusenglück schwelgte, weiß ich, dass die Pommes im Aachener Land nicht Pommes heißen, sondern Fritten. Und dass sie auch sonst ganz anders sind als das, was der Rest der Republik unter frittierten Kartoffelstäbchen versteht. Spätestens beim Besuch in Brüssel vor zwei Monaten wurde ich zum Bekehrten (hier noch einmal das Foto des Überzeugungsarguments).

Und hier jetzt das Bild einer Zwischenmahlzeit, die ich mir am Samstag in einem Schnellimbiss in Bersenbrück – nördlich von Osnabrück – gegönnt habe. Bitte klicken Sie nur dann auf das Bild, wenn sie stark genug sind.

Fritten70_800Uih. Habe ich wirklich jahrelang solche Pommes Fritten gegessen? Und sie haben mir geschmeckt? Wahrlich: Fremd, arg fremd ist sie geworden, die Heimat.

Mit solchen Gedanken im Kopf fährt der Ausgewanderte zurück nach Süden, durch Ruhrgebiet und Bergisches Land. Freundlich grüßt das erste „Aachen“ auf dem Autobahnschild. Da fällt ihm noch was auf.

Leverkusen14_800Mir war nie bewusst, dass es in Leverkusen genauso aussieht wie in Belgien.

Ich glaube, ich werde langsam heimisch hier im Westen. Tschö, wa.

Geht ja gut los

Jetzt weiß ich wieder, wofür Automatik-Antennen gut sind. Dafür, dass die Woche nicht damit anfängt, dass man am Montagmorgen in seinen Golf steigt und jemand die Antenne abgeknickt hat.

Asis, verdammte. Und ich hatte gedacht, der Sport wäre in den Neunzigern ausgestorben.

Neues aus dem Amt

Kfz-Stelle_75b_800Mit Behörden ist es ja wie mit lebenswichtigen Organen. Ohne sie geht es nicht. Schon klar. Aber am glücklichsten ist man doch, wenn man von ihrem Funktionieren möglichst wenig mitbekommt. Muss man sich doch einmal intensiver mit ihnen beschäftigen, ist die Frage nur: Wie unangenehm wird’s diesmal?

„Mein Verhältnis zu Behörden war nicht immer ungetrübt…“ begann vor vielen Jahren Reinhard Meys Lied vom Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars. Zu Recht konnte damals praktisch jeder Radiohörer im Lande mitträllern. Bürger und Behörde, das ist wie Frikadelle und Fahrrad, wie Wanderdüne und Webcam, das kann nicht miteinander, das passt nicht.

Wo war ich? Ach ja, auf der Kfz-Zulassungsstelle der Stadt Aachen. Ich muss vorwegschieben, dass einige der unangenehmeren Erinnerungen an meine letzte Heimat Bielefeld um die dortige Zulassungsstelle kreisen. Drei Stunden Wartezeit waren Regel, nicht Ausnahme. Meist radelte ich auf dem Weg zur Arbeit kurz dort vorbei, zog einen Wartebon, fuhr weiter ins Büro und rief alle halbe Stunde an, wieviele Dutzend Nummern noch vor mir dran waren. Ungelogen.

Wer nämlich nicht nur brav jahrein, jahraus denselben Wagen fährt, sondern sich mit einem Sommer- und einem Winterauto plus Motorrad durch’s Jahr hangelt, der kennt bei solchen Wartezeiten für jede einzelne An- und Abmeldung irgendwann jede Fliese auf dem Boden. Jedes Bild an der Wand, besonders dieses dämliche mit dem unfallzerknautschen Mercedes 300SL.

Mit entsprechend überschaubarer Vorfreude hatte ich mich im Frühjahr zum ersten Mal aufgemacht, das erste meiner Vehikel nach Aachen umzumelden. „Ich komm morgen später“, warnte ich am Tag vorher die Kollegen in der Redaktion. Am nächsten Tag piepte der Wecker denn auch extra früh. Das große Erlebnis begann damit, dass die Zulassungsstelle nicht bequem in der Stadt liegt, sondern draußen auf der grünen Wiese, was sag ich: dem grünen Hügel, am Rande des Gewerbegebiets Würselen. Was, Sie haben kein Auto, um Ihr Auto anzumelden? Dann sehen Sie mal zu, wie Sie zu uns hochkommen.

Erst einmal vor Ort allerdings: hui! Riesenparkplatz hinterm Haus, Nummer ziehen, hinsetzen und sofort dran sein. Oder auch: Gar nicht warten, Ummeldung gleich am Schnellschalter erledigen. Fünfmal war ich schon da, zuletzt am vergangenen Freitag, und nie hat es länger als zehn, fünfzehn Minuten gedauert. Beim ersten Mal hatte das zur Folge, dass ich danach nochmal nach Hause fahren und den unterbrochenen Morgenschlaf fortsetzen konnte. Ein geradezu unfassbar schneller und angenehmer Vorgang.

Hätte Reinhard Mey das geahnt. Manchmal ist es mit Behörden auch wie mit einem dieser Extra-Big-Burger im XXXL-Menü mit dreimal Fleisch und viermal Käse. Erst glaubt man, mit diesem Monster wird man nie fertig. Und eine Stunde später könnte man glatt schon wieder.

Neues aus dem Wald

Schuhe_311Im Wald, da sind die Räuber, bekamen Kinder zu Urgroßvaters Zeiten warnend eingetrichtert. Dunkel und gefährlich ist’s unter den Bäumen, kein vernünftiger Mensch wagte sich freiwillig in das Reich der Wölfe und Bären. Früher. Heute tragen die Bären niedliche Namen wie Bruno oder Knut und haben ihr Revier geräumt für andere wilde Geschöpfe. Zum Beispiel den Waldläufer. Es folgt etwas Werbung für eine Betätigung, die man aus tiefstem Herzen liebt oder hasst.

Jogger, das sind diese Irren, die ohne Ziel und ohne Zeitabnahme durch friedliche Grünanlagen hetzen. Deren Japsen die Tauben aufflattern lässt und deren verstöpselte Ohren das Klingeln der Radfahrer nie hören. Sagen die einen. Für die andere Hälfte der Menschheit ist Laufen die wunderbarste Bewegung der Welt, ideale Fettverbrennung und innere Einkehr inbegriffen.

Sie meinen, für Sie ist das nichts? Vor Jahren mal probiert und nach ein paar hundert Metern hustend und mit peinvollem Seitenstechen zusammengeklappt? Das heißt gar nichts. Passiert jedem am Anfang. Es braucht eine Weile, bis sich der Körper an das gesteigerte Bewegungstempo gewöhnt hat. Einfach mal ein paar Runden flott gewalkt, in der zweiten Stufe mal längere Laufpassagen reingeschoben, dann geht es. Dauert nicht lange.

Parkplatz_01_800Und was für ein Glück wir haben. Der Aachener Stadtwald ist nämlich die perfekte Trainingsbahn. Wir stellen unseren Wagen am Wanderpilz ab, dehnen noch ein wenig die vom Bürotag verhärtete Beinmuskulatur…

Weg_08_800…und dann los. Die ersten Schritte sind noch etwas staksig. Aber schön ist es hier: Das Sonnenlicht bricht sich in den gelben und roten Blättern. Mücken tanzen in der Luft. Abgefallenes Laub raschelt unter den Sohlen. Der anfangs schnurgerade Weg wird schnell abwechslungsreicher.

Matsch_13_800Stellenweise sogar etwas zu abwechslungsreich. Was jetzt: Mit einem kühnen Sprung über den Matsch setzen oder künstlerisch am Schlamm vorbeitänzeln? Hauptsache, nicht aus dem Rythmus geraten.

Steigung_23_800Erst recht nicht bei Steigungen wie dieser. So etwas strengt an. Aber ein Hürdenlauf macht ohne Hürden ja auch keinen Spaß.

Schatten_27_800Wer mag, kann per MP3-Player die Außenwelt auf optische Eindrücke reduzieren. Vogelzwitschern hat zwar seinen Reiz, aber wer im Innenohr Chris Rea La Passione rauchen hört, versinkt schneller in eine Art angenehme Trance. Der Körper hat sein Tempo gefunden, Glückshormone schwappen fröhlich durch die Blutbahn, und die Beine bewegen sich wie von selbst.

Fuss_28_800Allzu meditatives Dahintraben hat allerdings auch Nachteile. Wir Zweibeiner sind nämlich nicht allein hier.

Haufen_34_800Also schön die Äuglein aufgelassen und den Blick auf den Weg gerichtet. Der ist manchmal nämlich ganz schön holprig.

Steine_40_800Wer hat nur die Idee gehabt, mitten in der Wildnis Pflastersteine zu verlegen? Römer? Räuber?

Strasse_41_800Wer auch immer sie waren: Ihre Nachfahren waren gründlicher. Über die Monschauer Straße rennt man nicht so einfach, ohne nach links und rechts zu gucken. Jedenfalls nicht um diese Zeit, am frühen Abend.

Dunkel_53_800Noch eine letzte Schleife, dann geht es zurück zum Parkplatz. Die Sonne ist längst weg, die Dämmerung hat eingesetzt. Das ist der Nachteil am Herbst: Es wird inzwischen schon so früh dunkel, dass man ein Problem hat, nach Feierabend noch im Hellen seine Runde zu Ende zu bringen. Aber wir haben’s grade noch geschafft. Falls es hier doch noch einen übriggebliebenen Bären gibt.

Waren wir wirklich eine Stunde unterwegs? Ging ja fast wie von selbst. Sagten Sie nicht, das wäre nichts für Sie?

Morgen wieder?

Neues von der Breslauer Straße

Es gibt Augenblicke, die können einem den ganzen Tag vergolden. Selbst wenn das Weckerklingeln genau im falschen Moment des Traums kam, man sich nur mit Mühe aus den Federn gequält hat, im Radio die falsche Musik lief und das Frühstück viel zu kurz ausfallen musste: Der Morgen kann trotzdem schön werden. Man braucht nur ein Eichhörnchen.

Hoernchen_243So wie heute gegen 9.50 Uhr auf der Breslauer Straße in Aachen-Ost. Zu der Zeit hatte der Morgen trotz des verkorksten Frühstücks schon seinen ersten Glanzpunkt bekommen: durch den strahlend blauen Himmel über der Stadt. Ein paar hundert Meter vor dem Grundstück meines Brötchengebers – rechts bereits am Bildrand zu erkennen – flitzte dann eine Art rotbrauner Strich unmittelbar vor den Lieferwagen, der vor mir fuhr. So etwas macht wach. Ein Eichhörnchen. (Nein, auf dem Foto ist es nicht zu sehen – das Bild zeigt nur die Stelle.)

Die Breslauer Straße hat vier ziemlich breite Spuren. Die dort geltende Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern wird von manch moderner Mittelklasselimousine schon einmal großzügig ausgelegt. Für so einen kleinen Nager schon eine lebensgefährliche Angelegenheit.

Um so mehr hat es meine Laune gehoben, dass es der rote Strich gerade noch vor dem großen weißen Transporter von JCDecaux über die Straße und direkt einen der Bäume hinauf geschafft hat.

Und das i-Tüpfelchen auf den Vormittag setzte der Lenker des Lieferwagens, der nämlich für das rasante Pelzträgerchen die Bremslichter aufleuchten ließ. Das macht nämlich auch nicht jeder.

Aus dem Tag kann also doch noch was werden. Schauen wir mal.

Lange nicht mehr gesehen

Begegnung auf dem Bürgersteig heute Morgen: Erinnert sich noch jemand an diesen eigenwilligen Gesellen?

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Citroën Visa. Gebaut 1978 bis 1988. Nachfolger des Ami8, in der Modellpalette angeordnet zwischen 2CV-Ente (deren Zweizylinder-Boxer er bekam) und GSA, dem er optisch angeglichen war. Mehr dazu auf dieser Fanseite.

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Dieses bestenstielblaue Kerlchen hier könnte tatsächlich genauso alt sein wie das Coupé mit é. Stammt aus der zweiten Baureihe ab 1981, hat Kunststoffbeplankung rundum, optisch konservativere Stoßfänger und ein „normalisiertes“ Armaturenbrett. Die früheren Versionen sahen da noch deutlich, öhm, individueller aus – vor allem mit diesem Multifunktions-Satelliten neben dem Lenkrad… (Fotos unter „identification„)

Weniger nostalgisch stimmt mich ein paar Schritte darauf der Blick auf die eigene Motorhaube. Jemand hat, wohl aus dem Wohnblock, vor dem ich geparkt hatte, eine halbe Mahlzeit auf den Benz geworfen oder gespuckt. Irgend etwas Frittiertes. Ich hoffe nur, es war noch nicht allzusehr angedaut.

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Ostviertel halt.

Neues vom Backblech

Streusel_1920Es ist an der Zeit, eines der besten Backwerke zu feiern (um mal eine bis zur völligen Erschöpfung wiederholte Fernsehwerbung etwas zu variieren). Es geht nicht um hauchzarte Blätterteig-Creationen französischer Herkunft oder, im Gegenteil, von belgischer Edelschokolade überzogene und mit Marzipan gefüllte Leckereien im Gigakalorienbereich.

Nein, die Rede ist vom Streuselbrötchen.

Für den Neu-Aachener kommt der Erstkontakt mit diesem flockigen Fröhlichmacher so sicher wie die Frage, ob man schon mal beim Karneval war. Irgendwann liegt da auf dem Teller so ein runder Geselle, der ein Frühstück mit der soliden Selbstverständlichkeit eines Gullideckels abschließen kann. Wenn er auch etwas – etwas! – leichter im Magen liegt.

Die Methoden, die sich auftürmenden gelben Gebirge zu bezwingen, sind vielfältig. Dem Schreiber dieser Zeilen sind Zeitgenossen bekannt, die die krümelige Köstlichkeit aufgeschnitten mit einer dazwischengeschobenen Scheibe Käse genießen – Verwendung findet meist die Spielart „belegen Gouda“ aus einem westlichen EU-Nachbarstaat. Ich selbst ziehe Honig vor, beziehungsweise schmiere ihn dazwischen.

Während mit Zuckerguss überzogene sogenannte „Streuseltaler“ auch außerhalb des Rheinlands anzutreffen sind, ist die pure Streuselvariante eine hiesige Spezialität. Das Streuselbrötchen verzichtet auf Überzug oder Füllung. Wäre es ein Konzern, würde es in Pressemitteilungen behaupten, sich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren.

Aber schauen wir doch mal, ob sich der Streusel auch im Internet angemessen wiederfindet. Auf diversen Marketingseiten über Aachen wird er natürlich erwähnt, auch in etwas, öh, skurrilen Blogbeiträgen taucht er auf. Auf Frauenseiten werden fleißig Rezepte getauscht und Aachener am anderen Ende der Welt (Düsseldorf) versuchen verzweifelt, ihn nachzubacken („Ich bin Streuselbrötchen-süchtig und wohne in der Diaspora„). Soweit, so schön.

Weniger ertragreich ist die Suche in der Wikipedia – ein einziger kleiner Satz im Beitrag zu Aachen ist dort zu finden:

„Weiterhin hervorzuheben ist das nach Angaben der Aachener Nachrichten in Aachen erfundene Streuselbrötchen, ein Weichbrötchen mit Butterflocken, das außerhalb von Aachen kaum bekannt ist.“

Das war’s schon? Was ist mit der dramatischen Entstehungsgeschichte, von den unzähligen Versuchen, Rückschlägen, Triumphen und Tragödien der Streuselschaffenden? Wo sind die Nährwerttabellen, wo die Schnittdiagramme, wo ist die Liste mit Erwähnungen des Streuselbrötchens in Literatur, Kunst und Fernsehen?

Aber gucken wir doch mal bei den Bäckern selbst. Sicher werden diejenigen, in deren Händen die Bewahrung des kulturellen Erbes liegt, die Fahne des gelben Gebrösels hochhalten. Und tatsächlich findet sich zum Beispiel auf einer Seite, die für die Gesellenprüfungen im Bäckerhandwerk vorbereitet, eine Beispielsaufgabe: „Nennen Sie Erzeugnisse, die mit folgenden Füllungen hergestellt werden: Schlagsahne (…)“.

Es ist zwar kaum zu glauben, aber die Antwort soll lauten: Streuselbrötchen. „Wie der Name schon sagt, hat es eine Brötchenform, welche aufgeschnitten ist. Dazwischen ist dieses Plundergebäck mit Sahne und Kirschen gefüllt.“

Erschütternd. Generationen von Jungbäckern werden so in die Irre geführt. Was die Alten erschufen, füllen die Jungen mit Kirschen. Kann denn niemand etwas dagegen tun? Führt dieser Verfall der Zivilisation geradewegs an die Theke des Schnellimbisses? Zum McStreusel XXL-Menü mit Karamellfüllung und draufgestreuten Smarties?

Noch ist Zeit. Noch gibt es Streuselbrötchen, die diesen Namen verdienen. Doch wenn nicht bald etwas geschieht, werden unsere Nachfahren nie den unverfälschten Geschmack von Butterflocken auf Hefeteig zwischen den Zähnen spüren. Ob mit Honig oder Käse dazwischen.