Neues von der Isle of Man

„Was meinst du damit, du verlässt Europa?“ Fassungslos gucke ich meinen Onkel Andy an. Andy, ein Engländer, der seit mehreren Jahren in München lebte, ist auf Abschiedsbesuch in Aachen. Er wechselt Job, Stadt, Land und gleich auch noch Staatsangehörigkeit, um auf der Isle of Man zu arbeiten. Der britischen, aber nicht englischen Isle of Man: Die Insel in der irischen See ist nämlich ein ganz besonderes Fleckchen Erde. Das sogar etwas mit Aachen zu tun hat.

Über die nur 572 Quadratkilometer große Insel weiß man hierzulande eigentlich nur, dass dort die Katzen keine Schwänze haben und auf ihren Straßen alljährlich ein ziemlich mörderliches Motorradrennen namens Tourist Trophy stattfindet.

Was allerdings bei weitem nicht alles ist, was das Eiland an Skurrilitäten zu bieten hat. Die Isle of Man, im dortigen Gälisch-Dialekt Ellan Vannin genannt, gehört nämlich weder zur Europäischen Union, noch zu England. Sie ist direkt der britischen Krone unterstellt, und damit auch kein Teil des United Kingdom oder des Commonwealth. Wer dort einreist, verlässt die EU.

Logischerweise legen die von Wikingern abstammenden rund 76.000 Einwohner – gegenüber ihren 170.000 Schafen in beängstigender Unterzahl – auch Wert auf eine eigene Währung. Die ist zwar 1:1 an das britische Pfund gekoppelt, sieht aber anders aus. Immerhin besteht das dortige Pfund heute nicht mehr aus 280 Pence, von denen 14 einen Shilling bilden. Auf dem 20-Pfund-Schein ist das Laxey Wheel abgebildet, das größte Wasserrad der Welt.

Foto: Wikipedia/Public Domain
Foto: Wikipedia/Public Domain

Dem längsten Drehstromkabel der Welt, das die Insel mit Elektrizität versorgt, ist dagegen unfairerweise keine Banknote gewidmet.

In der Hauptstadt Douglas, malerisch in eine Bucht geschmiegt, tagt das Tynwald, mit mehr als 1.000 Jahren Tätigkeit das älteste ununterbrochen tätige Parlament der Welt. Es verkündet seine Gesetze auf dem Tynwald-Hügel. Das Staatsoberhaupt ist der Lord of Mann und derzeit eine Frau, nämlich Königin Elisabeth II.

Während man auf den rund 500 Kilometer Inselstraßen mangels Tempolimit meist unbeschwert rasen darf, geht es auf den Eisenbahnen geruhsamer zu. Es gibt gleich fünf verschiedene Bahnsysteme: Von Dampf-, Elektro- oder Pferdekraft angetrieben, bewegen sich die Züge auf verschiedenen Spurweiten über die Gleise.

Womit wir bei der Beziehung zu Aachen wären, denn die beschränkt sich nicht auf das rituelle Streuselbrötchen, das Andy zum Frühstück vorgesetzt bekam. Als nämlich Anfang der Siebziger Jahre die ASEAG ihr Straßenbahnnetz auflöste, verkaufte sie die Fahrzeuge in aller Herren Länder (was eine weitaus bessere Verwertungsmethode war, als sie, wie 1944 geschehen, als fahrende Bomben auf feindliche Truppen rollen zu lassen). So erwarb auch die Isle of Man Transport Motoren und Fahrzeugtechnik aus Aachen.

Das hierzulande erstandene Material bauten die sparsamen Insulaner in ihre vorhandenen, bereits damals rund 70 Jahre alten Wagen ein. Spätestens daraus wird deutlich, dass die Insel genauso nah an Schottland wie an England liegt.

Foto: Wikipedia/Public Domain
Foto: Wikipedia/Public Domain

Heute sind die hundertjährigen Manx-Triebwagen die ältesten noch fahrenden Straßenbahnen der Welt. Wer mit ihnen auf den 621 Meter hohen Snaefell-Berg fährt, verdankt es auch Technik aus Aachen.

Komischer Ort, diese Isle of Man. Gestern wusste ich praktisch nichts von ihr. Heute will ich unbedingt mal hin.

Neues aus Hessen

„Willste am Sonntag mit zum Fuppes?“ Wieder so eine Frage, die sich dem Neu-Aachener nicht sofort erschließt. Wer ist Fuppes? Jupp heißt Josef, soviel ist klar, und Tuppes ist man auch schon mal genannt worden. Egal, bloß nichts anmerken lassen. „Klar, warum nicht.“ Später klärt eine wohlmeinende und mit der hiesigen Mundart vertraute Person den Schreiber dieser Zeilen auf, dass Fuppes Fußball heißt und er für eine Fahrt zum Auswärtsspiel der Alemannia shanghait wurde.

Und darum fährt der Tuppes
am Sonntag mit zum Fuppes.

Es ist ja nicht so, dass ich das Treten nach Lederbällen generell verabscheuen würde. In meiner letzten Wahlheimat Bielefeld wurde ich schon mehrmals auf die Alm in die SchücoArena gelockt – originellerweise stets in den Aachener Gästeblock. Beim letzten Mal, es war im Oktober vergangenen Jahres, verließen die angereisten Freunde aus der Kaiserstadt das Spiel allerdings bereits vorzeitig beim Stand von 4:1 für die Gastgeber. Leider nicht vorzeitig genug. Noch in Rufweite des Stadions brandete der Jubel der Westfalen ein fünftes Mal auf. Naja, Schwamm drüber, zweite Liga ist auch was feines.

Nun ist „Wehen“ der Gegner des Tages. Witze über diesen Namen verbietet der Anstand. Was es mit dem Club auf sich hat, ist etwas schwerer zu verstehen als die Bedeutung des Wortes Fuppes. Der SV Wehen ist eigentlich gar nicht Wehen, sondern eher Wiesbaden, spielt aber weder da noch dort, sondern in BankFrankfurt. Verstanden? Macht nichts, ich auch nicht. Wichtig zu wissen ist nur, dass hinter Wehen ein Hersteller von Wasserfiltern steckt. Um den Gegner nicht zu unterstützen, bereite ich am Sonntagmorgen meinen Frühstückskaffee eigens mit ungefiltertem Wasser zu. Schnell noch die kleine Pocketknipse eingesteckt (deshalb die etwas pixelige Bildqualität im folgenden), schon klingelt es an der Tür – auf geht’s!

Navi_084Die Koordinaten des Großraums Frankfurt werden ins Navigationssystem gegeben – sind das viele Autobahnen! – und der Audi dahinter auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. Knapp zwei fröhliche Autostunden später rollt ein ebenso fröhliches Quartett auf dem Parkplatz aus.

Dort schwelgen bereits Fans in kühnen Visionen. „Wenn wir 4:0 gewinnen, sind wir Tabellenführer“, hat ein gelbschwarz gekleideter Aachener ausgerechnet. Düsenlärm reißt ihn aus seinen Aufstiegsträumen.

Jet_087In der Nähe scheint ein Flugplatz zu sein. Prima, um so leichter sollte sich nach dem Spiel das Auto wiederfinden lassen: Wir müssen nur nach dieser DC-10 Ausschau halten.

Eingang_089So winzig der gegnerische Verein ist, so imposant ist sein Stadion. Der Name des Hauptsponsors ist mir leider entfallen – vermutlich eine Versicherung.

Langnese_093Der „Langnese Familienblock“. Geschlossen. Was ist trauriger: Dass es in Frankfurt keine Familien oder kein Eis gibt?

Was es dagegen gibt, ist eine kleine Imbussbude. Umgehend wird die lokale Stadionwurst verkostet. Ihre Soßenreste putze ich mir minutenlang mit immer verheerenderem Ergebnis aus dem Gesicht, bis ich merke, dass die untere Spitze der Serviette im Ketchup gehangen hat. Der knorpelige Phosphatschlauch legt nach dem Verzehr den Kreislauf seines Wirtes für längere Zeit weitgehend lahm.

Stadion_103Genauso prall gefüllt ist der Öcher Stehblock. Das Auge des aufmerksamen Betrachters registriert die Bandenwerbung eines Anbieters von „Abrechnungssystemen und Marketingkonzepten für das Taxi-Gewerbe“. Offenbar hofft das Unternehmen auf zahlreiche Taxifahrer unter den Gästen. Wenn das mal nicht trügt, hin und zurück sind es schließich gut 500 Kilometer.

Sodann plärrt aus den Lautsprechern die gegnerische Mannschaftshymne. Der holprige Refrain „Wir sind ein Team! / Esvau Wéhn! Wiesba-déhn!“ klingt dermaßen nach Schülerband, dass die zunächst fassungslos-mitleidig blickenden Nordrhein-Westfalen schnell beginnen, die Pausen im Text hilfreich mit „Aachen! Aachen!“ aufzufüllen.

Doch wo sind die Gastgeber? Blick nach rechts aus dem Fanblock…

Baerchen_100Da tobt der Bär. Ausverkauft geht anders. Später erfahren wir, dass es genau 6.934 Besucher waren. Ohne uns wären es 6.930 gewesen, das ist schon ein Unterschied.

Anpfiff! Mit „Toben“ lässt sich leider auch nicht beschreiben, was in den folgenden 90 Spielminuten auf dem Grün passiert. Die Jungs da unten scheinen ebenfalls bei den Stadionwürstchen zugelangt zu haben. Zum Spiel selbst schreibe ich nichts, das können andere besser.

Anzeige_105Schon 2:0. So war das nicht geplant. Wir verlassen kurz das traurige Geschehen, um uns zu stärken – nein, keine Currywürste mehr, jetzt müssen harte Getränke her. Kaum am Stand angekommen, erzeugt der Jubel der Gastgeber zum 3:0 ein gespenstisches Déjà-vu-Gefühl: Genau so war es letztes Jahr in Bielefeld auch. Was nun: Draußen bleiben? Zurückgehen? Der in dieser Sekunde ertönende Abpfiff gibt die Antwort.

Schild_114Rückfahrt. Der Audi wirft sich mit einer Kraft auf der A3 voran, die der Aachener Sturm so sehr hat vermissen lassen. Schweigen bei den Herren im Wagen, spitze Bemerkungen beim weiblichen Teil der Mitfahrerschaft. „Weißt du eigentlich, gegen wen die Alemannia heute gespielt hat?“ – „Irgend so eine Kartoffelmannschaft, glaub ich.“ – „Die haben sie sicher ordentlich geputzt.“ – „Na klar! Was meinst du, wie sich sonst die ganzen Fans ärgern würden, die da extra mit dem Auto hingefahren sind.“

In zwei Wochen geht es gegen 1860 München. Immerhin kann ich dann vorher wieder mein Kaffeewasser filtern. Aber Currywurst ist tabu.

Neues vom Backblech

Streusel_1920Es ist an der Zeit, eines der besten Backwerke zu feiern (um mal eine bis zur völligen Erschöpfung wiederholte Fernsehwerbung etwas zu variieren). Es geht nicht um hauchzarte Blätterteig-Creationen französischer Herkunft oder, im Gegenteil, von belgischer Edelschokolade überzogene und mit Marzipan gefüllte Leckereien im Gigakalorienbereich.

Nein, die Rede ist vom Streuselbrötchen.

Für den Neu-Aachener kommt der Erstkontakt mit diesem flockigen Fröhlichmacher so sicher wie die Frage, ob man schon mal beim Karneval war. Irgendwann liegt da auf dem Teller so ein runder Geselle, der ein Frühstück mit der soliden Selbstverständlichkeit eines Gullideckels abschließen kann. Wenn er auch etwas – etwas! – leichter im Magen liegt.

Die Methoden, die sich auftürmenden gelben Gebirge zu bezwingen, sind vielfältig. Dem Schreiber dieser Zeilen sind Zeitgenossen bekannt, die die krümelige Köstlichkeit aufgeschnitten mit einer dazwischengeschobenen Scheibe Käse genießen – Verwendung findet meist die Spielart „belegen Gouda“ aus einem westlichen EU-Nachbarstaat. Ich selbst ziehe Honig vor, beziehungsweise schmiere ihn dazwischen.

Während mit Zuckerguss überzogene sogenannte „Streuseltaler“ auch außerhalb des Rheinlands anzutreffen sind, ist die pure Streuselvariante eine hiesige Spezialität. Das Streuselbrötchen verzichtet auf Überzug oder Füllung. Wäre es ein Konzern, würde es in Pressemitteilungen behaupten, sich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren.

Aber schauen wir doch mal, ob sich der Streusel auch im Internet angemessen wiederfindet. Auf diversen Marketingseiten über Aachen wird er natürlich erwähnt, auch in etwas, öh, skurrilen Blogbeiträgen taucht er auf. Auf Frauenseiten werden fleißig Rezepte getauscht und Aachener am anderen Ende der Welt (Düsseldorf) versuchen verzweifelt, ihn nachzubacken („Ich bin Streuselbrötchen-süchtig und wohne in der Diaspora„). Soweit, so schön.

Weniger ertragreich ist die Suche in der Wikipedia – ein einziger kleiner Satz im Beitrag zu Aachen ist dort zu finden:

„Weiterhin hervorzuheben ist das nach Angaben der Aachener Nachrichten in Aachen erfundene Streuselbrötchen, ein Weichbrötchen mit Butterflocken, das außerhalb von Aachen kaum bekannt ist.“

Das war’s schon? Was ist mit der dramatischen Entstehungsgeschichte, von den unzähligen Versuchen, Rückschlägen, Triumphen und Tragödien der Streuselschaffenden? Wo sind die Nährwerttabellen, wo die Schnittdiagramme, wo ist die Liste mit Erwähnungen des Streuselbrötchens in Literatur, Kunst und Fernsehen?

Aber gucken wir doch mal bei den Bäckern selbst. Sicher werden diejenigen, in deren Händen die Bewahrung des kulturellen Erbes liegt, die Fahne des gelben Gebrösels hochhalten. Und tatsächlich findet sich zum Beispiel auf einer Seite, die für die Gesellenprüfungen im Bäckerhandwerk vorbereitet, eine Beispielsaufgabe: „Nennen Sie Erzeugnisse, die mit folgenden Füllungen hergestellt werden: Schlagsahne (…)“.

Es ist zwar kaum zu glauben, aber die Antwort soll lauten: Streuselbrötchen. „Wie der Name schon sagt, hat es eine Brötchenform, welche aufgeschnitten ist. Dazwischen ist dieses Plundergebäck mit Sahne und Kirschen gefüllt.“

Erschütternd. Generationen von Jungbäckern werden so in die Irre geführt. Was die Alten erschufen, füllen die Jungen mit Kirschen. Kann denn niemand etwas dagegen tun? Führt dieser Verfall der Zivilisation geradewegs an die Theke des Schnellimbisses? Zum McStreusel XXL-Menü mit Karamellfüllung und draufgestreuten Smarties?

Noch ist Zeit. Noch gibt es Streuselbrötchen, die diesen Namen verdienen. Doch wenn nicht bald etwas geschieht, werden unsere Nachfahren nie den unverfälschten Geschmack von Butterflocken auf Hefeteig zwischen den Zähnen spüren. Ob mit Honig oder Käse dazwischen.

Neues aus der weiten Welt

Ich mag diese Stadt. Klingt albern, aber irgendwann muss es ja mal raus. Was mir als Eingewandertem an Aachen gefällt, ist diese europäische Leichtigkeit, dieser selbstverständliche internationale Hauch, der hier in der Luft liegt. Gut, man kann es damit übertreiben, aber dazu später.

Es gab diesen einen Moment, da ich mich in die Stadt verliebte. Letztes Jahr war’s, wir saßen an einem sonnigen Samstagnachmittag auf den Stufen des Denkmals auf dem Münsterplatz. In der Hand belgischen Reisfladen, im Blick Touristen aus dem fernen Osten und dem nahen Holland, im Ohr den Ungarischen Tanz Nr. 5, virtuos gefiedelt von drei jungen Musikern im Schatten des Doms. Ja, dachte ich. Hier lässt sich’s leben.

Auch heute, ein Jahr später, ist der Duft von weiter Welt noch nicht verflogen. Die neue Heimat, das Ostviertel, ist mit seinem Vielvölkergemisch wie ein quirliger Kiez. Gemeinsam mit Leuten aus aller Herren Länder wartet man in der traditionellen Schlange vor der Eisdiele…

Delzepich…und bummelt dann mit seiner Riesenportion Italien plus Schokostreusel durchs prächtige Frankenberger Viertel. Dort, wo einst zu Wohlstand gekommene Aachener ihren eigenen Weitblick am Hausgiebel in Stein verewigten.

GiebelWen es dann nach Abgeschiedenheit verlangt, der überquert den vierspurigen Adalbertsteinweg mit seinen Afro-Shops, Dönerstuben und Internet-Cafés und setzt den Spaziergang auf dem Ostfriedhof fort. Dort sind die Aachener wieder unter sich. Vom einstigen Wohlstand der hier Liegenden zeugen noch die Engel auf ihren Gräbern.

Engel1Engel2Engel3Gedämpft fällt das Licht durch grünes Laub, gedämpft dringt der Straßenlärm über die Friedhofsmauer. Nichts erinnert an die Welt dort draußen. Nichts, außer dem grün gewandeten Polizisten, der plötzlich vor den Flanierenden steht. Ob man eine verdächtige Person beobachtet habe, fragt er höflich. Männlich, blond, mache sich an den Grabkreuzen zu schaffen.

Die Angesprochenen sehen sich brüsk ins Hier und Jetzt zurückgeholt. Die moderne Version des Grabräubers zupft keine goldenen Skarabäus-Ringe mehr von Mumienhänden. Lara Crofts hiesige Kollegen klauen ganz profanes Schwermetall, von der Blechgießkanne bis zum Kerzenständer, um es an Schrotthändler zu verhökern. Der gewaltige Hunger auf Stahl in Ländern wie China und Indien hat weltweit die Metallpreise in die Höhe getrieben. Und hierzulande machen allerlei üble Gestalten in ihrer Gier auf schnelles Geld nicht einmal vor Gräbern halt.

Da ist sie wieder, die große weite Welt. Der kalte Wind der Globalisierung weht über den Aachener Ostfriedhof. Man geht nach Hause mit der neu gewonnen Erkenntnis, dass manchmal auch etwas weniger Internationalität ganz nett wäre.

Tschätte mit Jido

Chatten kann auch Arbeit sein. Wobei dieser Chat geradezu ein Vergnügen darstellte:

Buchwald_Chat_1787_800Guido Buchwald, Trainer von Alemannia Aachen, ist zu Gast in der Onlineredaktion. Er diktiert, ich tippe, rund 40 Fans der Gelb-Schwarzen stellen Fragen. Der Teamchef stellt sich dabei als nicht nur angenehmer und humorvoller Mensch (der übrigens durchaus auch Hochdeutsch spricht), sondern auch fähiger Fertige-Sätze-Formulierer heraus. So druckreif könnte ich nie sprechen. Da sage noch einer was gegen Fußballer.

Der Ton macht die Musik

Don Alphonso bespricht eine CD des Ensembles Florilegium mit bolivianischer Barockmusik (ja, so etwas hat es gegeben). Nun bin ich weder ein besonderer Fan diese Genres, noch dieses Landes. Aber der Text hat Passagen, die mir außerordentlich gut gefallen. Ein – besonders kräftiges – Zitat:

Dann entfaltetet das Stück seine volle Wucht. Sollte man vorhaben, sich jemals mit 300 Sachen auf Koks in einem Ferrari in den Brückenpfeiler zu knallen, den man voller Überheblichkeit noch mit „Verpiss Dich“ anbrüllt – dann ist das der passende Soundtrack dafür.

Sollte ich mir eine CD mit bolivianischer Barockmusik zulegen? Nicht, dass ich den Moorbraunen an eine Brücke zu tapezieren gedenke (er hat ja nicht mal ein funktionierendes Kassettendeck), aber man kann das Stück ja vielleicht auch im Wohnzimmer genießen.

Es sind solche Texte, wegen derer ich den Rebellmarkt in meiner Blogroll (von Feedreader und sämtlichen Lesezeichenlisten ganz zu schweigen) habe. Aber dann kommt heute im selben Blog die Ankündigung einer Strafanzeige gegen ein „kommerzielles Medienangebot“… wer hat sich diesmal den Zorn des Dons zugezogen? Stefan Niggemeier? Spreeblick?

Ich habe neulich mal vermutet, dass im Jahr 2011 die Abmahnung den Kommentar als häufigste Kommunikationsform in der Blogosphäre ablösen wird.

Sowas kann einem schon die Lust am Bloggen verderben.

Zwei Kleinigkeiten

Erstens: Norman E. Mailers kunsthistorische Analyse des digitalen Meisterwerks „Newsroom der Welt-Gruppe in Berlin“ ist wirklich sensationell (danke, Stefan, für den Link). Zitat:

Die insgesamt sieben Falten auf der Stirn des Chefredakteurs lassen zusammen mit den herabgezogenen Mundwinkeln die emotionale Auswirkung dieser Situation auf die Person erahnen. Einzig die hochgezogene Augenbraue lässt Ironie als mögliche Bewältigungsstrategie aufblitzen. Bei der dem Chefredakteur gegenüber sitzenden Frauenfigur ist die Möglichkeit der Ironisierung bereits aufgehoben, die ebenfalls herabgezogenen Mundwinkel, der leere Blick und die auf dem Schoße ruhenden Hände zeigen das Bild der Resignation. Die Figur könnte die Norne „Urd“ darstellen, die auf das Gewesene zurückblickt, hier in die ferne Vergangenheit der Gutenberggalaxis einer nicht wiederkehrenden Print- und Papierkultur.

Hoffentlich bloggt der Mann weiter.

Zweitens: Alle iPhone-Freaks müssen jetzt ganz, ganz tapfer sein. Was kommt raus, wenn man eins in den Mixer tut?

Die Antwort ist so eine Art schwarzes Pulver.

Neues aus China (Update)

Vor ein paar Tagen habe ich über den chinesischen Journalisten Shi Tao geschrieben, der in seiner Heimat zu zehn Jahren Haft verurteilt worden ist. Sein eigener E-Mail-Dienstleister Yahoo! hatte den Behörden seine Identität verraten.

Dagegen kann man ein wenig mehr tun, als sich zu ärgern und seinen Yahoo!- oder Flickr-Account zu kündigen, wie es von einigen Bloggern gefordert und praktiziert wird. Neben der Button-Kampagne „boo Yahoo“ (ich verlinke jetzt nicht darauf, weil die Seite defekt zu sein scheint) läuft auch bei Amnesty International eine Aktion, bei der man eine Online-Petition für Shi Taos Freilassung unterschreiben kann.

Auf der Seite steht noch ein wenig mehr über die Umstände der Verhaftung des 37-jährigen Journalisten und Autors. Sein Verbrechen: Er hatte einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation in einer Mail berichtet, dass die chinesische Regierung Journalisten davor gewarnt hatte, zum 15. Jahrestages des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens zu berichten. Das Gericht wertete dies als Verrat von Staatsgeheimnissen.

Bisher haben 6.487 Menschen unterschrieben. Vielleicht kommen ja noch ein paar Adressen aus dem Großraum Aachen dazu. Shi Tao würde sich vielleicht darüber freuen.

[via Don Alphonso im Rebellmarkt]

Seitenblick nach NRW

Doppelschlag. Nein, das sind definitiv keine guten Nachrichten für die Medienlandschaft in Nordrhein-Westfalen. Nachdem gestern bekannt gewordenen Aus für die NRW-Ausgabe der Tageszeitung taz wird heute das einstweilige Aus für die Online-Zeitung OnRuhr verbreitet. Allerdings: Vergleichbar sind beide Projekte kaum.

Gleichgültig, wo immer man politisch stehen mag, ist das Ende der linksalternativen taz-Landesausgabe ein herber Verlust für die Pressevielfalt. Zumal wohl ein weiteres Mal die harte Wahrheit des Print-Sektors gelten wird: Für eine eingestellte Zeitung wird keine neue mehr gegründet. Nach dem Ende des nur 14 Monate lang erscheinenden NRW-Teils der Süddeutschen vor vier Jahren ist damit eine weitere überregionale Tageszeitung in unserem Land gescheitert. Ehrliches Mitgefühl habe ich mit den 20 taz-Mitarbeitern, auch wenn ich – im Gegensatz zur NRW-Süddeutschen, wo zwei frühere Redakteurskollegen von mir betroffen waren – niemanden persönlich kenne.

Für das Redaktionsteam ist die Nachricht um so bitterer, als sie – wie alle taz’ler – aufgrund der chronischen Finanznot des Blattes ohnehin stets unter Tarif bezahlt wurden, aber in den vergangenen Wochen eine fulminante Werbe- und Sympathiekampagne für ihr Blatt organisiert hatten. Um die bis Ende Juni angepeilten zusätzlichen 1.000 Neu-Abonnements zu erreichen, wurde etwa von einem „Kommando Horst Schleußer“ (ein früherer SPD-Landesminister) die Domain www.kraft-2010.deentführt„. Kämen nicht von der SPD (deren Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2010 Hannelore Kraft ist) 100 neue Abos, werde die Adresse an die CDU verschachert, drohten die Maskierten.

Wann hat je eine Zeitung so fantasievoll um Leser gekämpft? Selbst eine gemeinsame Probe-Abo-Vermarktung mit der Konkurrentin WAZ gab es. Und noch vor wenigen Tagen hatte – ausgerechnet – die Süddeutsche noch eine Gegendarstellung drucken müssen, in der die angeblich beschlossene Einstellung der taz-NRW-Ausgabe dementiert wurde.

Bitter, dass alles umsonst war. Bitter, dass es zuerst – ausgerechnet – im Springer-Blatt Welt stand (die höhnischen Leserkommentare dort sind noch einmal ein Fall für sich: „wenn die Türken verstehen würden, was die Taz und die Linken schreiben, würden sie auch rechts wählen“).

In der Medienlandschaft fallen die Antworten auf die Einstellung denn auch wenig begeistert aus, etwa bei Jens im Pottblog, der das Drama in den vergangenen Wochen ausführlich begleitet und kommentiert hatte. Eine Sammlung der Nachrufe findet sich im taz-NRW-Blog. Die Sicht der Geschäftsführung ebenfalls.

Onruhr-schliessen_388„OnRuhr Schließen“ – ein Button mit Symbolkraft

Anders sieht die Situation bei OnRuhr aus. Das im November 2006 vom früheren WAZ-Chefredakteur Uwe Knüpfer gestartete Lokalnachrichten-Portal hatte den Anspruch, ein völlig neues Medium für das Ruhrgebiet zu sein. Die Verfügbarkeit eines kostenlosen Onlinedienstes sollte mit der Lesequalität einer professionellen Printzeitung verbunden werden. Ein flächendeckendes Netz von Lokalredaktionen über ein Franchise-System war geplant. „OnRuhr versteht sich als Stimme der Ruhrstadt“, verkündete Knüpfer. Und hatte dabei sicher auch den Ehrgeiz, dem mit ähnlichen Zielen angekündigten WestEins-Projekt seines Ex-Arbeitgebers WAZ eins vorzusetzen.

Was dabei in der Realität herauskam, sah sich heftiger Kritik ausgesetzt: Eine Zeitung im PDF-Format zum Herunterladen. Viel zu wenig lokale Themen, stellenweise dürftige journalistische Qualität, überkomplizierte Anmeldeverfahren, mangelhafte Druckmöglichkeiten und unzureichende Aktualisierung (einmal am Tag) wurden dem Produkt vorgeworfen. Von „Totgeburt“ bis zu „OnRuhr schwer offruhr“ reichten die Reaktionen. „Onruhr ist so grausam schlecht angelegt, dass es eigentlich nur als Vintage-Internet-Seite für 90er-Jahre-Nostalgiker durchgeht“, ätzte Thomas Knüwer vom Handelsblatt.

Schon im April sah sich Chefredakteur Knüpfer gezwungen, Honorarzahlungen an freie Mitarbeiter einzustellen. Grund: Geldmangel durch zu geringes Anzeigenaufkommen. Ab etwa dem 17. Juni wurden auch die meisten Lokalausgaben nicht mehr aktualisiert. Jetzt folgt das offizielle Aus: OnRuhr werde „eingefroren„, erklärte Knüpfer im Wirtschaftsmagazin Ruhr. Zwar will er im Herbst mit einem neuen, ähnlichen Dienst wieder antreten, dann aber von Herne aus. Die Redaktionsräume in Essen würden aufgegeben.

Zweifellos hatte OnRuhr seine Mängel. Traurig ist es trotzdem, wenn ein innovatives Start-Up nach gerade einem halben Jahr schon wieder vor dem Ende steht. Ein Erfolg hätte auch ein Überlebensbeweis für ambitionierten Journalismus in den Zeiten des Web 2.0 sein können. Freilich: Nicht mit dem aktuellen Konzept.

Fazit. Die Medienlandschaft in NRW ist um zwei interessante, wenn auch höchst unterschiedliche Farbtupfer ärmer. Nun ruhen wieder alle Augen auf dem WAZ-Projekt WestEins. Dessen für Frühjahr 2007 angekündigter Start ist mittlerweile auf Sommer verlegt, was allerdings für ein Vorhaben dieser Größenordnung nicht ungewöhnlich ist. Die Erwartungen sind hoch. Das Gesetz der Serie ist jedenfalls auf der Seite von Online-Chefin Katharina Borchert und ihrer Truppe: Nach zwei gescheiterten Projekten wäre es nun wieder Zeit für einen Erfolg.