Südländisches Flair

Das Verdeckgestänge scheuert das Verdeck durch. Die Fensterdichtungen sind nicht dicht. Die Kraftstoffpumpe pumpt nicht. Durch die Rückleuchten läuft Wasser in den Kofferraum. Die variable Ventilsteuerung des Motors geht kaputt. Und dann nochmal kaputt. Der Zahnriemen reißt. Die Zylinderkopfdichtung brennt durch. Der Anlasser lässt nicht mehr an. Der Auspuff bricht. Der Gaszug reißt. Die Wegfahrsperre nimmt ihren Job zu ernst. Motorhaube und Kofferraumdeckel verbeulen sich bei zu hartem Anfassen. Die Blenden an den Türschlössern verlieren ihre Chromschicht. Der Lack am Verdeckdeckel wird abgescheuert. Die Gummidichtungen am Verdeckkasten reißen. Das Armaturenbrett knarzt. Die Mittelkonsole knarzt. Die Türverkleidung knarzt.

Gegen eine Fiat Barchetta ist der Wintergolf der reinste Mercedes.

Driving home for Christmas

Hot ’n‘ spicy to go

Ende November war’s, ein erster weißer Gruß war in der Nacht auf Aachen herniedergefallen, da lag des Morgens, als ich frischen Mutes zur Arbeit schritt, diese scharfe vegetarische Warnung auf dem Bürgersteig. Da wusste ich: It will be a hot winter.

's wird allmählich Herbst
’s wird allmählich Herbst

Selber Ort, nur wenige Tage darauf. Da ist er auch schon, der Winter. Nun denn, wir sind gerüstet. Im Kofferraum des Golfs liegt ein Fünfkilopack Katzenstreu (Sand kann einfrieren, wegen der Feuchtigkeit darin), auf dem Rücksitz eine Wolldecke und eine Flasche Wasser, falls die Nacht mal länger wird. Zwei Handbürsten warten auf Fahrer und Beifahrer, um die weiße Pracht vom Lack zu fegen. Zwei Regenschirme ebenso, falls sich das mit dem Niederschlag zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz erledigt haben sollte. Zwei Eiskratzer, den Scheiben zu Durchsicht zu verhelfen. Zwei Handschuhe, die Finger des Fahrers dabei warm zu halten (der Co muss sehen, wie er zurechtkommt, um alles kann ich mich ja nun auch nicht kümmern). Im Tank schwappt eine Extraladung Sprit, im Scheibenwasserbehälter eine Extraladung Frostschutz. Die Wischerblätter sind neu. Golfi selber, der Treue, trägt mit Frontantrieb und Riesenbatterie das Seinige dazu bei, uns stets ans gewünschte Ziel zu bringen. Die Winterreifen sind zwar nicht mehr ganz fabrikfriscih, aber es sind immerhin Winterreifen. Noch einmal Neureifen zu kaufen, würde sich bei so einem alten Auto ja auch kaum noch lohnen.

Und jetzt auf nach Norden mit unserer Fuhre. Es ist der 23. Dezember, der weihnachtliche Elternbesuch steht an und im Radio spielen sie „Driving Home for Christmas“ von Chris Rea, das einzige erträgliche Weihnachtslied überhaupt, da stört uns auch der stockende Verkehr auf der A1 bei Hagen nicht.

Driving Home for Christmas
…yes I’m driving home for Christmas…

Es schneit ohne Ende, als wir nach über zwei Stunden auf der überfüllten Autobahn plus einer dreiviertelstündigen Schleichfahrt über die elende B64 endlich Zwischenstation im westälischen Warendorf machen, wo die Gasanlage von den netten Jungs von Klargas gecheckt wird. Für die läppischen 160 Kilometer von Köln hierher haben wir über drei Stunden gebraucht. Zwar nicht mit Ach und Krach, dafür aber mit reichlich Flitsch und Glitsch sind wir irgendwie durchgerutscht. Die Wischer sind im laufenden Betrieb auf der Scheibe eingefroren. Der Wagen trägt einen Panzer aus Eis, die Antenne einen regelrechten Bart. Egal, wir sind ja angekommen.

17 Uhr. Die Gasanlage ist neu eingestellt. Draußen ist es inzwischen dunkel. Es ist der 23. Dezember, der verkehrsreichste Tag des Jahres. Es wird immer kälter und es schneit immer weiter. Es wird das schneereichste Weihnachten seit mehr als 100 Jahren sein, aber das weiß ich um diese Zeit noch nicht. Das Radio läuft. Auf Nordrhein-Westfalens Straßen herrscht Alarmstufe Rot, die letzte Stufe vor Lila. Lila ist, wenn nichts mehr geht und nichts mehr fährt. Man glaubt zu spüren, wie der Blauanteil im Rot von Minute zu Minute steigt.

Die Verkehrsdurchsage beginnt mit gesperrten Bundesstraßen und Autobahnen, listet dann sämtliche größeren Staus auf, angefangen von mehreren 30- und 25-Kilometer-Monstern auf der A1 bei Bremen und der A2 bei Helmstedt, lässt die dringende Warnung folgen, auf alle nicht unbedingt notwendigen Fahrten zu verzichten, führt zwei Regierungsbezirke auf, in denen ein flächendeckendes Fahrverbot verhängt wurde, warnt vor Blitzeis und überfrierender Nässe und endet mit einer Aufzählung der Bahnstrecken in Norddeutschland, auf denen kein Zug mehr fährt und der Schienenersatzverkehr gestrichen wurde. Es ist die Mutter aller Verkehrsdurchsagen. Als sie endlich vorbei ist, ist es sechs Minuten später.

Habe ich vorhin 160 Kilometer läppisch genannt? Genauso viele sind es laut Navi noch bis Oldenburg. Kurzer Profilcheck: Die Hankooks auf der Vorderachse haben gerade mal drei, die ollen Vredestein Ganzjahresgummis auf der Hinterachse nur noch zwei Millimeter Profil. Schon beim Verlassen des Laternenparkplatzes hatte Golfi seine liebe Not, das Katzenstreu kam erstmals zum Einsatz.

Plötzlich geht es nicht mehr darum, ob es grundsätzlich sinnvoll ist, für so ein altes Auto – 15 Jahre, rund 325.000 Kilometer – noch einmal Geld in neue Winterreifen zu investieren. Es geht nicht einmal mehr um die Überlegung, ob man den Kaufzeitpunkt besser hinter die Feiertage verlegt, bis die Preislage sich beruhigt hat, die Lager wieder voll sind und es vielleicht sogar Sonderangebote gibt.

Plötzlich geht es nur noch darum, heil durch diese Nacht zu kommen. Durch den Schnee. Über die 160 tiefverschneiten Landstraßen- und Autobahnkilometer, die es noch bis Oldenburg sind.

Was sind 160 Kilometer wert?

Schneefräse
Schneefräse

24. Dezember 2010, Vormittag. Vor einer Doppelhaushälfte im Oldenburger Stadtteil Bürgerfelde steht ein VW Golf III. Auf dem Dach: in der Nacht gefallener Schnee. Auf der Vorderachse: zwei neue Winterreifen, Premium, Continental Winter Contact. Zu je knapp 100 Euro, inklusive Auswuchten und Montage, bei ATU in Warendorf. Fröhliche Weihnachten.

Moorbraun goes Giftgrün

Grauer Novemberhimmel über Aachen. Das Coupé mit é schlummert in seiner Scheune den Winterschlaf der Saisongekennzeichneten. Die Golfsaison hat wieder begonnen. Erfreuen wir uns mangels schokoladigen Brauns doch an diesem giftigen Grün, präsentiert von Škoda.

Schöner Spot. So ähnlich muss es damals ausgesehen haben, 1995, als dem Coupé das Dieselherz eingepflanzt ward.

Der Mensch denkt: Gott, Gent.

Einerseits ist da Brügge. Venedig des Nordens, Unesco-Weltkulturerbe und berühmt als Perle Flanderns, spätestens seit Martin McDonaghs Kinokracher „Brügge sehen… und sterben?“ (trotz des fürchterlich übersetzten Titels).

Andererseits gibt es Gent. Doppelt so groß, doch von den Touri-Horden gefühltermaßen nur halb so heimgesucht. Und schnelle 200 Kilometer nah an Aachen, 50 weniger als Brügge. „Brügge ist ein Museum, aber Gent lebt“, schwärmt die Betreiberin unseres Bed-and-Breakfasts. Da sie als Genterin möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen ist, bedarf diese These einer Überprüfung. Auf ins Leben der drittgrößten Stadt Belgiens also – wenn’s denn existiert.

Erster Eindruck: Auch wenn die Unesco der ostflandrischen Provinzhauptstadt bislang die kalte Schulter zeigt, das Panorama der Altstadt kann mit dem Brügges durchaus konkurrieren. (Die Bilder lassen sich großklicken.)

Gent. Einfach nur Gent.
Gent. Einfach nur Gent.

Graslei heißt die Uferpromenade links im Bild. Wie die gut gemachte und sogar deutschsprachige Besucher-Webseite Visitgent.be behauptet, würden neun von zehn Gentern bestätigen, dass ihre Stadt dort am schönsten sei. Umfragen sind etwas Wunderbares: Schließt man sich der Mehrheit an, fühlt man sich sofort in warmer Masse wunderbar geborgen.

Grasleigiebelgebäude
Grasleigiebelgebäude

Das fällt allerdings auch nicht schwer. Wer beim Anblick der alten Giebelhäuser nicht in Schwärmen gerät, wird wahrscheinlich auf einer Bahre an ihnen vorbeigetragen und hat eine Decke über den Kopf gezogen, wie Douglas Adams einmal schrieb (allerdings nicht über Gent).

Draußen vom Meer, da komm ich her
Draußen vom Meer, da komm ich her

Die Zeit der stolzen Dreimaster ist hier m Zusammenfluss von Lieve und Leie zwar schon längere Zeit vorbei…

Hausboot mit üppigem Deckbewuchs
Hausboot mit üppigem Deckbewuchs

…geblieben sind dafür solch sympathische Hausboote mit üppigem Deckbewuchs. Das ist wirklich eher Leben als Museum. Der Genter hat’s anscheinend gerne gemütlich, wenn auch ein klein wenig Rebell in ihm steckt:

In jedem Belgier steckt ein kleiner Rebell
In jedem Belgier steckt ein kleiner Rebell

Überhaupt, Schilder. Mit der Skurrilität Büdingens in puncto Schilderwald können die Genter zwar nicht konkurrieren. Was sie von Falschparkern auf Behindertenparkplätzen halten, machen sie aber sehr deutlich:

Nimmst du meinen Parkplatz, nimm dann auch meine Behinderung!
Nimmst du meinen Parkplatz, nimm dann auch meine Behinderung!

„Neem je mijn parkeerplaats, neem dan ook mijn handicap!“ Nimmst du meinen Parkplatz, dann nimm auch meine Behinderung. Gut gegeben, Gent. Das ist ebenfalls Leben, nicht Museum.

Französische Schräghecklimousinen? Hier bitte nicht.
Französische Schräghecklimousinen? Hier bitte nicht.

Auch sonst herrscht im Straßenverkehr Ordnung. Französische Schräghecklimousinen zum Beispiel – das Auto am Haken ist eindeutig ein Citroën DS – scheinen nicht gerne gesehen zu sein. Man ist hier schließlich nicht in der Wallonie. Gut, dass wir mit einem klassischen Stufenheckmodell Stuttgarter Herkunft angereist sind, da hat man gleich eine Sorge weniger.

Es folgen ein paar der üblichen touristischen Highlights.

Stadttheater
Stadttheater

Das Stadttheater am Sint-Baafsplein (zu deutsch: Sankt-Bavo-Platz).

Genter Türme: St. Nikolaus, Belfried, St. Bavo
Genter Türme: St. Nikolaus, Belfried, St. Bavo

Das Turm-Trio: In der Bildmitte die St.-Nikolauskirche am Korenmarkt, rechts davon der Belfried-Glockenturm, dahinter der Turm der Sankt-Bavo-Kathedrale. In letzerer ist normalerweise der Genter Altar von Jan van Eyck aus dem Jahr 1432 zu sehen, auch bekannt als „Die Anbetung des Lamm Gottes“. Leider befindet sich dieser Meilenstein der Kunstgeschichte (dessen Geschichte übrigens ein Krimi für sich ist) derzeit in Restauration. Man darf aber Geld dafür ausgeben, ersatzweise in einer Seitenkapelle eine Nachbildung mit der Anmutung einer Baumarkts-Fototapete zu betrachten. Müssen muss man gottseidank nicht. Ansonsten ist das Innenleben der Kathedrale schlichtweg wunderschön. Schade, dass man es nicht fotografieren darf. Dafür einen Museumsminuspunkt.

Little Big Ben
Little Big Ben

Einen Big Ben haben sie auch, die Genter.

Waffeltraum mit Traumwaffel
Ein Waffeltraum mit Traumwaffel

Und das Wichtigste: Sie können Waffeln. Außen hauchknusprig, innen zartweich. Selbst wenn Gent am Ende doch ein Museum ist – das Museumscafé ist vom Feinsten.

Haus mit Seeblick
Haus mit Seeblick

Glücklich, wer ein Haus mit Seeblick hat…

Meerbalkon
Meerbalkon

…und das Ambiente seiner Terrasse entsprechend zu gestalten weiß.

Zahnmordender Geheimtipp: die Confiserie Temmermann
Zahnmordender Geheimtipp: die Confiserie Temmermann

Ein Muss für jeden Besucher und längst kein Geheimtipp mehr: die Confiserie Temmerman an der Kraanlei im Patershol-Viertel, seit acht Generationen im Familienbesitz (zweites Haus von rechts). Unbedingt die lokale Spezialität „Neuzekes“ (Näschen) probieren, rote Bonbons in Kegelform mit Geleefüllung.

Der Vrijdagmarkt mit dem Denkmal...
Der Vrijdagmarkt mit dem Denkmal…

Auf dem Vrijdagmarkt…

Haltet ein! Nehmt mich mit!
Haltet ein! Nehmt mich mit!

…prangt das Denkmal des stehengelassenen Straßenbahnpassagiers.

"Unser Haus" - aber die Heizkostenrechnung zahlt bitte wer anders
„Unser Haus“ – aber die Heizkostenrechnung zahlt bitte wer anders

1910 gönnte sich die Sozialistische Arbeitervereinigung diesen Prachtbau: „Ons Huis“ (Unser Haus) zeigt Merkmale des sogenannten eklektischen Stils und des Jugendstils.

Casteel Gravensteen
Casteel Gravensteen…

Die Grafensteinburg (Gravensteen), eine der größten Wasserburgen Europas, stammt aus der Zeit um 1200 herum und sollte dereinst die Herrschaft der Grafen von Flandern sichern.

Der Grafen Latrine
…ist berühmt für seine gravitationsgesteuerten sanitären Anlagen

Die in die Außentürme eingelassenen, äh, sanitären Anlagen zeigen deutlich, was die Burgherren auf die Rechte der Stadtbewohner gaben.

An der Spiegelgracht
Spiegelgracht

Nacht in Gent. Der Tourist sucht sich im Patershol ein nicht völlig überteuertes Restaurant, was leider nicht ganz so leicht ist. Eine Mahlzeit unter 20 Euro? Ich bitte Sie. Das flämische Nationalgericht, der Waterzooi-Eintopf, ist fast unbezahlbar.

Genter Nacht
Genter Nacht

Irgendwann findet sich doch noch ein annehmbares Gasthaus. Und so geht der Tag zu Ende, die Füße schmerzen, doch im Glas glänzt beste belgische Braukunst. Zeit für die Entscheidung: museale Metropole oder lebendige Stadt?

Das Grinsen von Gent
Das Grinsen von Gent

Kein Zweifel, Gent lebt. Man könnte sogar sagen: Gent grinst. Eigentlich ganz gut, dass die Unesco noch nicht hier war. Wer weiß, was ein Bier sonst kosten würde.

Ans Ende der Welt (4): Die stille Stunde

Oldenburg. Donnerstag, 3. Juni 2010, kurz nach Mitternacht. Alles ist ruhig im Haus meiner Eltern. Die Mitfahrerin ist noch irgendwo auf der A1. In einer Stunde wird sie hier sein, sie hat es gerade gesimst. Dann werden wir komplett sein: Zwei Fahrer, zwei Maschinen, ein Ziel und noch 2900 Kilometer vor uns.Stille. Die Freewind steht in der Garageneinfahrt. Ihr Fahrer sitzt im ersten Stock in einem Raum, der vor 20 Jahren einmal sein Kinderzimmer war. Unten liegt der Flur übersät mit seinen Packtaschen, Seitenkoffern, Tankrucksäcken und Navigationsgerätehüllen, mit seinen Helm, Jacke, Hose, Stiefeln und minderen Ausrüstungsgegenständen wie Handschuhen, Halskrause und Nierengurt.

Marschgepäck, abmarschbereit. Und jetzt: Abmarsch!
Marschgepäck, abmarschbereit. Und jetzt: Abmarsch!

So sah es gestern Nachmittag in Aachen aus. Alles fein verpackt und verkorkt, aber es war ein harter Weg bis dahin. Was nämlich so voluminös aussieht, birgt in Wahrheit erschreckend wenig Platz. So wird manches Teil es nie ans Nordkap schaffen. Der kleine EeePC zum Beispiel. Oder die Jeans mit dem motorradtauglichen Kevlargewebe (und des komisch-chemischen Geruch, der ihm entströmt). Gewogen und für zu schwer befunden. Bitte wieder aussteigen, Ihre Reise endet hier, es gibt keine Karten mehr.

Das Zelt - neun Jahre im Verpackungskoma haben ihm nicht geschadet
Das Zelt – neun Jahre im Verpackungskoma haben ihm nicht geschadet

Mit im Kader für die Reise in den Norden ist dagegen das gute alte Zelt, im September 2001 beim Campingurlaub in der Provence gekauft (wegen dieses Urlaubs bin ich übrigens einer der ganz wenigen Menschen der westlichen Hemisphäre, die keine Ahnung haben, was sie gerade gemacht haben, als in New York die Flugzeuge ihre Ziele trafen).

Nach neun Jahren Dämmerschlaf in seiner Packtasche schimmerte das Leinwand-Teilzeitheim vorhin beim Probeaufbau so strahlend wie neu im Glanz von Sommersonne und frisch aufgesprühten Imprägnierspray.

Wenigstens eine Sache, die ich nicht neu kaufen musste. Ansonsten waren es teure Tage, die der vergangenen Wochen. Die neuen Reifen für die Freewind (250 Euro), das neue Kettenkit für die Freewind (170 Euro), die neuen Bremsbeläge, die neue Vergasereinstellung, die Seitenständerreparatur und die Heckhöherlegung (110 Euro), das neue Navi (190 Euro), das neue Bluetooth-Interkom (140 Euro), der neue Tankrucksack (45 Euro), die neue Ortlieb-Packtasche (65 Euro), der neue Regenkombi (50 Euro), die neuen Überschuhe (20 Euro), die neuen Überhandschuhe (10 Euro), die neue Halskrause (25 Euro), die zwei Paar neuen Socken (20 Euro), der neue Kamerachip (13 Euro), das Umfalltraining in Wuppertal… an dieser Stelle blenden wir die Musik für Sie aus, sonst werden Sie noch schwermütig.

Shawn, das Schaf von Ikea, vor seiner Rückkehr nach Schweden
Shawn, das Schaf von Ikea, vor seiner Rückkehr nach Schweden

Und dann ist da natürlich Shawn, das Schaf (15 Euro). Shawn heißt eigentlich Alleby, was aber nicht irisch oder auch nur englisch ist, sondern schwedisch, denn Shawn stammt aus dem Mitnahmelager eines großen blau-gelben SB-Möbelhauses in Heerlen. Shawn ist viereckig, wuschelig und wird meinen Hintern jenseits des Polarkreises hoffentlich besser wärmen als jede Sitzheizung.

Shawn ist eine Empfehlung der Mitfahrerin, deren Anruf in dieser Sekunde das Display meines Handys aufleuchten lässt: Sie steht vor der Tür. Die stille Stunde ist vorbei. Das Team ist komplett.

Ans Ende der Welt (3): Die Pylonen des Todes

Motorradfahren an sich ist bekanntlich keine ungefährliche Art, sich durch die Landschaft zu bewegen. Fast jeder Fahrer, den ich kenne, kennt jemanden, der jemanden kennt, dem schon einmal etwas Unangenehmes passiert ist.Mein ehemaliger Garagenmitnutzer Mathias zum Beispiel wurde in einer Saison gleich zweimal übersehen: Einmal fuhr ihm an einer Ampel ein Auto von hinten ins Moped, einmal humpelte ihm ein altes Mütterchen davor. Einerseits. Andererseits fährt Mathias ein böses, tiefes und vor allem mattgrau lackiertes Streetfighter-Bike mit Miniblinkern und weißem LED-Rücklicht. Und er trägt eine Jacke im coolen und ebenfalls grauen Urban-Camouflage-Tarnmuster. Man könnte also sagen, dass Mathias auf dem Weg zum unsichtbaren Motorradfahrer schon ziemlich weit ist. Leider nicht auf dem zum Unverletzlichen. Was ich damit andeuten will: Man ist auf zwei Rädern zwar seinen Unfallpartnern Mit-Verkehrsteilnehmern ein Stück weit ausgeliefert. Man hat aber auch einiges selbst in der Hand. Hoffe ich jedenfalls.

Was mich auf die bevorstehende Nordkapreise bringt. Noch gut zwei Wochen sind es bis zur Abfahrt. Auf den bevorstehenden 3200 Kilometern bis ans Ende der Welt und dem noch deutlich längeren Rückweg die norwegische Küste hinunter wird sich jede Menge Gelegenheit bieten, gegen malerisch in der Landschaft stehende Rentiere zu fahren oder in einen überraschend hinter einer Kurve herumlungernden Fjordarm zu fallen. So ließ ich mich gerne von der umsichtigen Mitfahrerin überzeugen, zehn Jahre nach bestandener Motorradführerscheinprüfung (im zweiten Anlauf) mal wieder an einem Sicherheitstraining teilzunehmen. Am vergangenen Samstag fand sich ein geeigneter Termin – wenn auch mit der Einschränkung, dass das Training im 120 Kilometer entfernten Wuppertal stattfand und ich von da aus direkt wieder nach Aachen fahren müsste, um beim Aufbau der Ein-Jahres-Geburtstagsparty unserer Community 5ZWO zu helfen. Volles Programm also. Aber schaffbar.

Kreiselkräfte in Aktion
Kreiselkräfte in Aktion

Das Trainingsgelände: der städtische Bushof von Wuppertal. Hatte ich erwartet, hier das Serpentinenwedeln mit 80 km/h zu lernen, werde ich etwas enttäuscht: Zunächst geht es brav in Schrittgeschwindigkeit um aufgestellte kleine Pylonen herum. Kreise, Achten, Abbiegemanöver. Erst am Nachmittag kommt Zug in die Sache: Bremsen steht auf der Tagesordnung. Immerhin, dass man bei Tempo 50 mit voll durchgetretener Hinterradbremse nicht gleich blockierend durch die Szenerie fliegt, das hatte ich tatsächlich vergessen.

Dann zum zweiten Teil der Übung: Vollbremsung nur mit dem Vorderrad. Zweimal sanft, dann zweimal etwas kräftiger und dann zweimal „mit allem was geht“, wie der Kursleiter sagt. Dabei gilt aber: Blockiert das Vorderrad, hat man umgehend die Bremse wieder zu öffnen.

Los geht’s. Einmal sanft, upps, aus Versehen das Hinterrad mitgebremst, haha, die Gewohnheit, jetzt nochmal sanft, aber richtig, dann zweimal kräftig. Hu, das kostet schon Überwindung. Und jetzt mal mit allem, was geht. Erster Gang, Gas, 30 km/h, zweiter Gang, mehr Gas, jetzt mitten durch die Pylonen – rechte Hand würgt den Bremshebel bis zum Anschlag – es haut das Vorderrad zur Seite – das Bild kippt nach rechts –

Dem Boden so nah
Dem Boden so nah

Aua.

„Pardauz“ hieß es in den Bilderbüchern meiner Kindheit immer, wenn sich jemand auf die Nase legte. An die Kindheit erinnert es auch, Pflastersteine aus so unmittelbarer Nähe und den Himmel aus der Froschperspektive zu sehen. Erwachsenen Menschen ist das nicht mehr oft gegönnt. Was für eine elementare Erfahrung: Dem Boden so nah zu sein. Boden ist gut. Boden bewegt sich nicht.

Pardauz ist ein viel zu nettes Wort für einen Aufschlag mit Tempo 50 aufs Pflaster. Erster Gedanke: Jetzt ist das schöne Motorrad im Eimer. Zweiter Gedanke: du auch?

Menschen eilen herbei, Kursteilnehmer. Das Motorrad wird von mir gehoben, besorgte Stimmen reden auf mich ein. Was wollt Ihr von mir, ich bin so müde. „Tut dir was weh?“ Lasst mich liegen. „Hast du dir was gebrochen?“ Man hilft mir auf. Auuh, der Fuß. Und die Schulter. Immerhin, stehen kann ich noch. Jemand drückt mir einen Schokoriegel in die Hand, der in den Tagen meiner Kindheit Raider hieß. „Hier, iss das, wegen Blutzucker und Adrenalin.“ Gerne, Schoko nehmen wir immer. Aber wie geht es Marit, meiner Freewind?

Noch etwas wacklig auf den Rädern, hm?
Noch etwas wacklig auf den Rädern, hm?

Auch sie kann noch stehen. „Morgen holen wir uns auch solche Sturzbügel“, raunt die Hondafahrerin ihrem Mann zu. Prüfende Blicke zeigen, dass mein treues Maschinchen überraschend wenig abbekommen hat. Zwar sind Lenkerende, Spiegel, Handprotektor und das Topcase verkratzt, auch einige andere Teile haben kleinere Schleifspuren abbekommen. Doch der massive Motorschutzbügel hat das Meiste abgefangen. Mehr noch: Das ausladende Stahlrohr hat mein Bein davor bewahrt, unter dem Motorrad eingequetscht zu werden. Nur für meinen großen Zeh – ihr erinnert euch, ich und meine großen Zehen – scheint es nicht mehr ganz gereicht zu haben: Er fühlt sich an, als hätte ihn jemand mal wieder mit einer Kommode bearbeitet. Am schlimmsten hat es aber die Jacke erwischt: Das Textilgewebe ist am Unterarm bös zerfetzt. Doch die Protektoren an Ellenbogen und Schulter haben den Sturz anscheinend gut abgefangen.

Fazit: Der Fahrer kann noch laufen, sein Untersatz noch fahren. Für meinen ersten Sturz ist die Angelegenheit ganz glimpflich abgegangen. „Meine Kiste wäre jetzt hin gewesen“, sagt der Fahrer der vollverkleideten Ninja. Stimmt – zumindest die metallic-blaue Eierschale rund um seinen Supersportler wäre empfindlich angeschmirgelt worden, hätte er sie so auf die Seite gelegt.

Den Rest des Trainings absolviere ich etwas zittrig und mit schmerzender linker Körperhälfte. Auf der Rückfahrt nach Aachen lasse ich mir dann auch wesentlich mehr Zeit als auf dem Hinweg und komme nur ein ganz kleines bisschen zu spät, um beim Aufbau der Party zu helfen. Das Leben geht ja weiter.

Es stimmt wohl: Man hat selbst in der Hand, wie man durchkommt. Das gilt auf zwei Rädern wie auch im Leben an sich. Seit Samstag weiß ich, dass es beim Fahren vor allem die rechte Hand ist, in der man es haben sollte. Und noch etwas haben Motorrad und Leben gemeinsam: Blockieren tut man sich meistens selbst.

Ans Ende der Welt (2): Das Kind im Manne

In jedem Mann steckt ein Kind, um auch den zweiten Teil dieser Reihe mit einer Plattitüdemit einem klugen Spruch anzufangen. Da beim morgendlichen Rasieren gelegentlich graue Stoppeln in mein Waschbecken rieseln, muss ich mittlerweile im Mannesalter angekommen sein. Doch unter der angejahrten Hülle steckt definitiv noch ein Kind. Und das verlangt nach Spielzeugen. Mehr Spielzeug!So eine lange Reise ist natürlich eine ideale Gelegenheit, derlei Spieltrieb zu befriedigen. Ach was sag ich: eine Verpflichtung! Gut, dass wir im Zeitalter des Dispokredits leben.

Zu groß, zu klein, halbwegs passend: mein Hosentrio
Zu groß, zu klein, halbwegs passend: mein Hosentrio

Frisch ans Werk also. Erstmal eine neue Motorradhose angeschafft. Die alte, Größe XXXL (oben), die hatte ich vor zehn Jahren gekauft, als ich noch viele Kilos mehr zählte als heute, und seitdem schlackert sie um meine verschlankten Waden. Die zweite wiederum, Größe L (unten), die habe ich vor sechs Jahren gekauft, als ich einmal für kurze Zeit diverse Kilos weniger zählte als heute, und seitdem zieht sie im Schrank den Staub an. Die nunmehr dritte (Mitte), vor wenigen Tagen frisch Erworbene, die liegt größenmäßig irgendwo dazwischen. Dass beim Hinsetzen noch gerne mal der oberste Druckknopf aufspringt, nehme ich als Ansporn, demnächst wieder etwas konsequenter zu sein mit dem Salatessen. Demnächst.

Weiter auf der Einkaufsliste. Eine Regenkombi muss her, denn was ist, wenn es auf der Rückfahrt tagelang dauerschüttet, man aber einfach übermorgen wieder im Büro sein muss?

Intensives Prospektstudium klärt mich auf, dass neben den althergebrachten Regenpellerinen aus wasser- und luftdichtem Kunststoff (Nachteil: Man schwitzt von innen fleißig gegen die Feuchtigkeit von außen an) inzwischen auch Exemplare mit atmungsaktiver Membran auf dem Markt sind. Solche Membranen haben meine normalen Motorradklamotten allerdings auch, doch die Fahrten durch Skandinavien und Spanien haben mich gelehrt: Wenn man stundenlang mit aufrechtem Oberkörper durch den Regen knattert, kriecht einem die Dauerpfütze auf der Sitzbank doch irgendwann in die Unterwäsche. Sorry, Mister Goretex, ich wähle die Plastikhaut nach alter Väter Sitte.

Aber wo wir schon einmal die Kreditkarte gezückt in der Hand halten: wasserdichte Überschuhe brauche ich noch. Für zum über die Stiefel drüberziehen. Und ein spezielles, winddichtes Halskragentuch, soll ja schon mal was frischer werden da oben am Polarkreis. Jetzt darf es denn auch mal Goretex sein. Ach, und geben Sie mir bitte Ersatzhandgriffe für Kupplung und Bremse, falls die vollbeladene Maschine mal umkippt und so ein Hebelchen abbricht. Und neue Rückspiegel, wo wir schon mal im Katalog blättern. Gut, dass in Aachen sämtliche großen deutschen Motorradhändler Filialen haben.

Was noch? Brauch ich ein neues Zelt, oder reicht das alte noch? Ich vergaß zu erwähnen, dass sich mittlerweile über ein Motorradforum eine Mitfahrerin – sogar mit Nordkap-Erfahrung – gefunden hat. Die delikate Frage, ob ein großes Zelt oder viele zwei kleine mit sollen, bedarf noch einer diplomatischen Klärung.

Bis jetzt hielten sich die Ausgaben noch im Rahmen. Ein schicker neuer Helm sollte also noch drin sein. Ist ja schließlich ein nicht ganz unwichtiger Teil der Ausrüstung, und der alte – ebenfalls vor zehn Jahren angschafft, damals, während der ersten Fahrstunden – hat auch schon die eine oder andere Schramme. Also wieder intensiv das Angebot in Katalogen und Online-Shops gewälzt.

Für 150 bis 200 Euro sollte schon ein vernünftiger Klapphelm zu bekommen sein. Das Einsteigermodell von Probiker gibt’s schon für 119 Euro, das von MTR sogar nur für 99. Oder vielleicht ein Vorjahresmodell von Nolan für 169 Euro? Ein Caberg? Ein Airoh? Shark? Marushin? Ein Auslaufmodell von Shoei? Als mir die freundliche Verkäuferin mit den Worten „man hat schließlich nur einen Kopf, probier doch den hier mal“ das Spitzenmodell ihrer Kollektion nahebringen will, den Schuberth C3 für stolze 480 Euro, werde ich energisch: Alles hat seine Grenzen, auch und vor allem mein Dispo. Diese High-Tech-Haube ist etwas für pensionierte Sparkassenvorstände, die auf einer Harley oder dicken BMW-Boxer in den dritten Lebensabschnitt reiten wollen.

Doch so viele Helme ich auch auf mich stülpe, sie alle haben einen Nachteil: Keiner passt. Jedenfalls nicht richtig. Seit Vater Staat nach meinen Diensten verlangte und mich Helme in Olivgrün tragen hieß, weiß ich, dass mein Schädel nur mit Hutgröße 63 angemessen bedeckt ist. Das ist mindestens ein Zentimeter mehr als der deutsche Durchschnittsklotzkopf. Schon aus dem Styroporfutter des alten Helms musste ich ein Stück Stirnschutz heraussäbeln, damit er kopfschmerzfrei zu fahren war.

„Du kannst den Schuberth doch mal aufsetzen, dann weißt du wenigstens, dass selbst der nicht passt“, empfiehlt die hilfreiche Verkaufsfee. Na schön, was habe ich zu verlieren. Das silberne Spitzenmodell, garantiert Made in Germany, wird aus dem oberen Regal geholt. Klapp, sagt das Visier. Um mich herum wird es still.

„Verdammt“, sage ich.

Denn sonst gibt es auch nichts zu sagen. Er sitzt, er passt, er umschmeichelt meinen Schädel so perfekt, als hätte jemand heimlich einen Gipsabdruck genommen, damals im Kreiswehrersatzamt 1989.

„Das nehme ich dir jetzt ein kleines bisschen übel“, grummele ich die Fee an. „Weißt du eigentlich, dass wir gerade eine Zwanzig-Prozent-Rabattaktion haben?“, flötet sie siegessicher zurück.

Taa... tataaaaaa... taataaaaaaaaa ("Also sprach Zarathustra")
Taa… tataaaaaa… taataaaaaaaaa („Also sprach Zarathustra“)

Nun ja. Da ist er also. Doppelt so teuer wie einkalkuliert ist immerhin nicht dreimal so teuer. Außerdem, und letztlich kann man auch dieser Plattitüde diesem klugen Spruch nicht widersprechen: Außerdem hat man schließlich nur einen Kopf.

Ans Ende der Welt (1): Gedankenspiele

Auch die längste Reise, sagt ein sicherlich chinesisches Sprichwort, beginnt mit dem ersten Schritt. Das ist nur die halbe Wahrheit, denn bevor der erste Schritt getan werden kann, muss die Reise geplant werden. Die längste Reise beginnt also mit dem ersten Gedanken an sie. Einem Gedanken wie diesem: Wohin komme ich, wenn ich so weit fahre, wie es geht? Zum Beispiel: so weit nach Norden wie möglich?In Zeiten von Google Maps ist die Frage so einfach beantwortet wie nie. Man kommt an diesen Ort:

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Das Ende der Welt in nördlicher Richtung heißt Nordkapp, in der Landessprache mit doppeltem P, und liegt auf der Insel Magerøya in der Provinz Finnmark in Norwegen.Auch die nächste Frage ist dank Google einfach beantwortet. Vom Aachener Europaplatz aus sind es genau 3186 Kilometer bis dahin. Einfach auf die A4, am Kreuz Köln-West links abbiegen auf die A1, dann immer nach Nordwesten Richtung Bremen und Hamburg. Der kleine Fährhüpfer von Puttgarden nach Rødby über die Ostsee bleibt das einzige Mal, dass wir den festen Boden verlassen müssen. Schon sind wir in Skandinavien, der Rest ist ein Pappenstiel: Malmö – Kopenhagen – Stockholm – Uppsala. Da haben wir dann auch schon fast die Hälfte geschafft. Die restlichen 1670 Kilometer geht es einfach weiter den Bottnischen Meerbusen hoch, über den nördlichen Polarkreis, ein Stück durch Finnland, ein Stück durch Norwegen, durch einen fast sieben Kilometer langen (und furchtbar teuren) Mauttunnel auf die Nordkapinsel, et voilà. Da sind wir schon.Aber was heißt: schon? Dem ersten Gedanken folgen weitere. Denn laut Google schafft man die Fahrt durch fünf Länder und halb Europa (zum Vergleich: bis zum Capo Passero auf Sizilien sind es gerade einmal 2333 Kilometer) in nur einem Tag und 13 Stunden. Das dürfte nur zu machen sein, wenn man beim Tanken den Motor nicht abstellt und die Rentiere auf der Landstraße so zügig umkurvt wie Maria Riesch die Slalomstangen von Whistler.

Das Nordkap. Wer schon einmal da war, sagt oft: Ganz schön öde, die Fahrt. Und oben gibt es nichts zu sehen, außer einem Besucherzentrum und einer langen, langen Reihe von Wohnmobilen, fein säuberlich auf einen Sonnenuntergang ausgerichtet, der im Sommer nicht einmal stattfindet. Lohnt das die Fahrt? Die Mühe? Das Geld?

Der Weg ist das Ziel, sagt ein anderes Sprichwort. Vielleicht ist es besser, das Nordkap nicht als Höhepunkt, sondern als Anfang der eigentlichen Reise zu verstehen. Die fast 3200 endlosen Autobahn- und Landstraßenkilometer als Vorspiel. Die eigentliche Reise würde dann am Kap beginnen und nicht auf dem selben Weg zurückführen, sondern viel weiter westlich verlaufen: die norwegische Küste entlang. Atemberaubende Fjorde, steile Schluchten, Gletscher und Wasserfälle, Serpentinenstraßen, Meerblick. Vielleicht ein Abstecher auf die Lofoten? Wale beobachten? Das wäre eine Reise! Dafür könnte man sich auch gut und gerne zwei, drei Wochen Zeit lassen. Wann kann ich mir dieses Jahr eigentlich Urlaub nehmen?

Den ersten Überlegungen folgen Erinnerungen. An die Norwegenfahrt vom Juni 2008 (siehe 2008-06: Skandinavien).

Blick vom Preikestolen den Lysefjord hinauf
Blick vom Preikestolen den Lysefjord hinauf
Marc auf dem Preikestolen
Auf dem Preikestolen

Die Überlegungen verfestigen sich, werden von vagen Gedankenspielen zu konkreten Plänen. Mit dem Auto kann es jeder, wenn auch vielleicht nicht in einem Tag und 13 Stunden. Nein, es muss schon wieder mit der Freewind sein, wenn man dereinst am prasselnden Kamin die Enkelkinder beeindrucken will. Mit Zelt und Schlafsack. Durch Sonne und Regen. Den Wind spüren und mit der Nase das fremde Land erschnuppern. Schnell hin, gemütlich zurück.

Einmal ans Ende der Welt also. Der Gedanke ist gefasst. Die längste Reise hat begonnen.

Biokraftstoffe reloaded

Kleines Déjà-vu. Pölfahrer, erinnert Ihr Euch?

Der Motor wird explodieren. Der Versicherungsschutz erlischt. Der Spritfilter wird sich mit Schlonz zusetzen. Schläuche und Gummidichtungen werden sich auflösen. Der Wagen wird nicht anspringen. Der Motor wird laufen wie ein Sack Nüsse. Der Verbrauch wird ansteigen und den billigeren Spritpreis wieder auffressen.

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Heute, Freitagabend, 18.30 Uhr, Stawag-Tankstelle Lombardenstraße, Aachen. 20,02 Liter Bioethanol à 95 Cent.

Biokraftstoffe, die Zwote. Mehr demnächst in diesem Blog – bleiben Sie dran!

Baskenblog: Abgeledert in Lyon

Donnerstag, 2. Oktober 2008. Da sich in der näheren und weiteren Umgebung des Pont du Gard keine Herberge anbietet, ich außerdem so langsam den Drang in die Heimat verspüre (am Montagmorgen muss ich schließlich wieder in der Redaktion schwitzen), entscheide ich mich für Lyon. In der Riesenstadt gibt es gleich zwei Jugendherbergen, da wird schon irgendetwas frei sein. Allerdings sind es stolze 200 Kilometer bis nach da oben. Egal – adieu, Mittelmeer. Jetzt geht es nach Norden, das Rhônetal hoch.

Viel bekomme ich von der schönen Landschaft allerdings nicht mehr zu sehen. Als ich ein paar Stunden später nach ziemlich scharfem Ritt (die Freewind dankt es mit zügellosem Verbrauch) in der Stadt ankomme, ist es längst dunkel. Die erste Jugendherberge ist geschlossen, wie mir die Mitarbeiter der zweiten erklären. Die wiederum ist bei meiner Ankunft schon voll. Man verweist mich an ein Hotel in der Rue Vaubecourt – 45 Euro soll das Zimmer kosten. Was hilft’s.

Aber wo steckt die Bleibe? Das Navi bekommt in den engen Straßen keine Verbindung. Die Rue Vaubecourt kennt auch niemand (man spricht es „Wubkurt“ aus, erklärt mir schließlich ein englisch radebrechender Einheimischer). In mittlerweile strömendem Regen quartiere ich mich ein. Während die nassen Klamotten trocknen, gucke ich etwas fern, zum zweiten Mal in diesem Jahr: Deutsches Unterschicht-TV, in dem eine Art männliche Sozial-Nanny die von Mann und Kindern permanent gedemütigte Frau und Mutter einer Problemfamilie auf unfassbare Weise, nun ja, demütigt. Oh, wär ich doch am Mittelmeer geblieben, wo es sonnig, warm und nett war und nirgendwo Super-RTL lief.

(Das mehrminütige Gruselerlebnis ist übrigens Schuld daran, dass sich mein TV-Konsum 2008 auf diese Sendung, die Übertragung der Ordensverleihung wider den tierischen Ernst im Januar sowie eine Doku über die „Lustiania“-Versenkung im Dezember beschränken werden. Was definitiv zwei Sendungen zuviel waren.)

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Freitag, 3. Oktober 2008. Am nächsten Morgen sieht die Welt schon viel freundlicher aus. Ich mache dem Portier zum Abschied noch eine kleine Szene, weil laut Zettel an meiner Zimmertür das Kämmerchen nur 35 Euro hätte kosten dürfen. Klugerweise warte ich mit der Szene bis nach dem Frühstück, dessen Bezahlung ich dankend ablehne. Dann stürze ich mich ins Stadtleben.

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Ein prima Startpunkt für eine Lyon-Erkundung ist die Basilika Notre-Dame de Fourvière auf dem Fourvière-Hügel. Ein absolut bombastisches, neo-byzantinisches Monster von 1896. Wir Aachener gucken ja etwas säuerlich, wenn eine gerade mal über hundert Jahre alte Kirche genauso zum Weltkulturerbe gehören soll wie unser tausend Jahre älterer Dom. Klickt die Bilder ruhig an – wozu hab ich mir schließlich die Mühe gemacht, sie mit den Großversionen auf Flickr (Pro-Account!) zu verknüpfen?

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„Ist uns egal, was es kostet“, haben die Stadtväter dem Architekten eingeimpft. „Nur teuer muss es aussehen. Richtig teuer.“

Wir überlassen das prestigeträchtige Glaubenssymbol sich selbst und gehen ein Stück weiter den Hügel hinunter…

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…wo andere Architekten vor etwas längerer Zeit ein doppeltes Amphitheater in den Hang gebaut haben. Eine Art römisches Multiplexkino. Für mich deutlich spannendender. Hier haben die Lyoner (die damals noch Lugdunumer hießen) vor zweitausend Jahren gesessen und Stars zugejubelt, deren Namen längst vergessen sind. Nur die Sitzreihen von damals sind noch da. Und werden heute immerhin für Open-Air-Konzerte genutzt.

Direkt daran schließt sich das Gallo-römische Museum an, das in den Berg hinein gebuddelt worden ist und einige ziemlich beeindruckende Mosaike und Statuen hat. Wer auf Römergedöns steht, ist in Lyon genau richtig. Mit dem zweifachen Cineplexx ist es übrigens nicht getan – etwas weiter liegt noch ein drittes Amphitheater. Man hatte es ja. Damals genau so wie 1896.

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Mitten durch die Stadt fließen die Rhône – hier im Bild – und wenige Meter daneben die Saône. Soviel zur berühmten französischen Inkreativität in Sachen geografischer Namensgebung (ich sage nur: Zentralmassiv. Max Goldt meinte, einst müsse wohl die DDR für die Benennung französischer Gebirge zuständig gewesen sein).

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Doch die Stadt selber ist wirklich schön. Einen Tag lang bummele ich durch die Gassen der Altstadt (ein weiteres Weltkulturerbe, man hat’s ja) und klettere zum Arbeiterviertel Croix-Rousse hoch. Rechts im Blick Sacre-Coer und Eiffelturm Basilika und Funkturm.

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Mein Versuch, das kulinarische Zentrum Frankreichs – Lyon nennt sich selbst die „Gaumenstadt“ – zu erobern, scheitert an den immensen Preisvorstellungen der hiesigen Gastronomie. Wir erinnern uns: Oktober 2008 war noch vor der Krise. Frustriert bestelle ich in einem Bistro das einzig zumindest ansatzweise frankophile Bier im Sortiment – ein belgisches Duvel. Für den frugalen 0,3-Liter-Trunk berappt man dem tumben Touri aus den sumpfigen Nordlanden 7,80 Euro, schade, dass es die Preußen 1871 nicht doch noch ein paar Kilometer weiter geschafft haben. Vielleicht hätten sie ja wie einige Jahre später in Tsingtao eine ordentliche Brauerei dagelassen. Der kurzfristige Aufenthalt der Türken vor Wien hat sich auf die europäische Frühstückskultur ja auch ganz segensreich ausgewirkt.

So wie dieser zur Abwechslung mal ganz schön fußläufige Tag mit einer kleinen Abzocke begonnen hat, geht er also auch zu Ende. Die Freewind erholt sich derweil vor der Jugendherberge, wo ich zumindest für die zweite Nacht noch ein Zimmer ergattert habe.

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Gleichheit unter Rollern – klickt das Bild an und lest die Beschriftung: Egalité! Frankreich, Frankreich.

Morgen, Samstag, geht’s weiter nach Norden. Mal sehen, wie weit ich komme.