In der Janusstadt

Lüttich, so erkläre ich Freunden immer, die zum ersten Mal im Maasland sind, Lüttich müsst ihr euch vorstellen wie eine beschauliche mittelgroße französische Stadt aus dem 18. Jahrhundert, auf die in den 60er Jahren eine bulgarische Trabantensiedlung aus Betonhochhäusern gefallen ist.

1413-Yachthafen

Und wenn man dann gemeinsam am Boulevard Frère-Orban die Maas in Richtung Stadtmitte hochschlendert, wird mit jedem Schritt klarer, wie das gemeint ist.

1414-Maasufer

Irgendwann in den 60ern muss ein zukunftsgläubiger Stadtrat beschlossen haben, dass Traufhöhenbegrenzungen etwas für Spießer sind, am Ende gar etwas für Deutsche. Ergo brach in der einstigen Wiege der europäischen Stahlindustrie eine Abriss- und Neubauwut aus, die beim heutigen Betrachter die Erkenntnis weckt, dass die alliierten Flächenbombardements des Zweiten Weltkriegs nicht das Schlimmste waren, das einer mitteleuropäischen Stadt im 20. Jahrhundert widerfahren konnte. Verloren quetschen sich seitdem die wenigen übriggebliebenen einst so imposanten Fassaden der alten, drei- und vierstöckigen Bürgerhäuser zwischen die gewaltigen, gerne mal elfgeschossigen Klötze, die es überall ins Weichgebiet der Stadt gehagelt hat.

1415-Uferskulptur

Abgerundet wurde das architektonische Grauen in den folgenden Jahrzehnten vom rapiden Verfall der Schwerindustrie, grassierender Arbeitslosigkeit, fehlenden Mitteln für Restaurierung und Instandhaltung – et voilá, fertig war eine Melange der Tristesse. Die Stadt wurde zum Januskopf – und ihre beiden Gesichter starren in entgegengesetzte Richtungen. Was für ein Kontrast zum nur wenige Kilometer weiter flußabwärts gelegenen, atemberaubend schönen – und dabei historisch vollkommen stimmigen – Maastricht. Was für ein Kontrast auch zum ebenfalls schwer verwundeten, aber danach mit viel gutem Willen wieder zusammengeflickten Aachen. Lüttich wollte ganz nach oben und blieb auf halbem Weg stecken. Die Stadt hatte einst eine Seele – und verlor sie, schrieb der Blogger Don Alphonso, leider finde ich den Link nicht mehr.

1418-Skulptur

Ist das immer noch so? Ja, die Skyline der wallonischen Regionalhauptstadt ist, sagen wir mal zurückhaltend, einzigartig (jedenfalls wünscht man das den anderen Städten dieses Planeten). Aber es ist nicht die einzige Wahrheit. Nicht nur der 2009 fertigestellte Bahnhof Liège-Guillemins von Santiago Calatrava fügt den zwei Seiten der Medaille eine neue Facette hinzu.

1386-Bahnhof

1403-Bahnsteig

1405-Bahnhofshalle

Der Humor der Bewohner tut das Seinige…

1547_Pizza-Belge

…selbst wenn der China-Imbiss mal zu hat.

1546-Wok-Off

Und dann sind da natürlich noch die Juwelen. Für die man manchmal ein paar Schritte abseits des Weges gehen muss. Etwa in die „Impasses“ nördlich der Prachtstraße Hors-Château in der Altstadt. Hier fristeten einst die Dienstboten und Angestellten der Bewohner der Reichen und Schönen der Stadt ihr bescheidenes Dasein. Wer sich durch die teils winzigen Durchgänge an der Hauptstraße…

1426-Impasse

…in diese Labyrinthe aus Hinterhöfen und Sackgässchen quetscht – nirgendwo gibt es eine Verbindung zwischen diesen Stichwegen, stets muss man wieder zurück zur Straße -, wird belohnt durch den Anblick liebevoll geschmückter Gärten und schrullig auf- und aneinandergestapelter Häuser.

1434-Durchgang

1451-Impassenblumen

1433-Taubenhof

1432-Taube

1444-Impassentoepfe

Am Nordende der Rue Hors-Château liegt die Stiftskirche Saint-Barthélemy aus dem 11. und 12. Jahrhundert.

1456-Kirchentor

Das Bauwerk aus Grauwacke war Ende der 90er Jahre stark verwittert und wurde nach der Jahrtausendwende mit gewaltigem Aufwand innen und außen saniert.

1473-Kirchenschiff

Dabei wurde nicht nur der gesamte Boden erneuert, um eine moderne Heizungsanlage einzubauen – wobei zahlreiche Gräber entdeckt wurden -, sondern auch alle Außenwände neu verputzt und das Kirchenschiff neu vermörtelt und gestrichen.

1485-Altar

Im Inneren steht man vor dem Taufbecken des Bronzegießers Reiner von Huy aus der Zeit um 1110, eines der „Sieben Wunder Belgiens“.

1468-Taufbecken

Die einzelnen Taufszenen werden durch Abbildungen von Bäumen voneinander getrennt. Man erkennt die Taufe Jesu im Jordan, die Predigt Johannes’ des Täufers in der Wüste, die Taufe von zwei Katechumenen, die Taufe des römischen Hauptmanns Kornelius und die Taufe des griechischen Philosophens Craton. (Wikipedia)

Aber auf uns wartet noch die ganz große Herausforderung – am anderen Ende der Straße.

1499-Treppenberg

Nämlich die Montagne de Bueren, der berühmten Treppenstraße.

1507-Treppeseitlich

Dieses Bauwerk verbindet die Altstadt mit der auf dem Berg gelegenen Kaserne der Zitadelle…

1514-Rosentor

…und sorgt seit dem 19. Jahrhundert bei Bewohnern wie Touristen für definierte Waden.

1501-Treppentueren

1528-Treppenpanorama

Nein, aus Spaß keucht man nicht sämtliche 374 Stufen bis nach oben. Man tut das für die Aussicht, denn die ist grandios. Und natürlich, um sich selbst in eitler Pose auf dem Gipfel für die Nachwelt zu verewigen. Einmal lächeln, auch wenn’s nicht leicht fällt. (Endlich hat es sich einmal gelohnt, stundenlang das Stativ durch die Gegend zu schleppen.)

1523-Obenpaar

Und schließlich, um nach erfolgreichem Abstieg schnurstracks hinter der Ecke in die Brasserie Curtius abzubiegen, einen ebenso schnuckeligen wie abgelegenen Biergarten im ehemaligen Ursulinenkonvent mit angeschlossener Mikrobrauerei.

1540-Leuchtbier

Und während man das traulich im Glas leuchtende, vor Ort gebraute Lütticher Bier die durstigen Kehlen herunterlaufen lässt, stellt man fest, dass sich die Frage nach der Seele dieser merkwürdigen Stadt längst erledigt hat. Lüttich, die Janusstadt, hat eben einfach: mehr als nur eine.

Belgien rüstet auf

Mächtig aufgerüstet hat zum Jahreswechsel meine Leib- und Magentankstelle an der belgischen Grenze bei Eynatten. Vier flamm nagelneue Säulen statt einer klapprigen. Unter regenschützendem Dach. Mit schnelleren Pumpen als je zuvor. Und dank doppelter Stellplatzzahl weniger Notwendigkeit, nach dem Einhaken des Tankrüssels wieder ins Auto steigen zu müssen, um vor dem Bezahlen nochmal ein Stück vorzusetzen, damit der hinter einem stehende Depp mit dem seit zwanzig Minuten laufendem Motor schon mal anfangen kann. Nicht mal teurer ist das Gas geworden.

LPG-Eynatten-neu_1280

Fehlt eigentlich nur noch freies WLAN, damit man seine Begeisterung auch ohne Roamingkosten in die Welt hinaustwittern kann.

Da fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe, euch zu zeigen, wie meine Lieblingszapfstelle noch vor Weihnachten aussah:

4707-Eynattentuer

Wochenlang war die Glastür mit Holzplatten provisorisch verrammelt, man musste durch den seitlichen Restauranteingang ins Gebäude. Der Tankwart erklärte mir, warum: Ein paar belgische Crashkiddies hatten in der Nacht einen geklauten Opel Corsa mit Wucht in die Tür gesetzt. Durch die Splitter kletterten sie in den Shop, plünderten die Zigarettenregale und machten sich dann mit dem Wagen davon.

Die Freude am erfolgreichen Bruch dauerte nicht allzulang. Ein paar Minuten später rasten die euphorisierten Möchtegernkriminellen schon in eine Geschwindigkeitskontrolle der Polizei.

Mit etwas Glück hätte es bei einer gebührenpflichtigen Verwarnung wegen zu schnellen Fahrens bleiben können – wenn die kriminellen Großhirne nicht ihre schwarzen Skimasken auf dem Armaturenbrett liegengelassen hätten.

Luxemburg

Es ist ein schöner sonniger Morgen an diesem Sonntag, 12. August 2012, gegen 9 Uhr 15. Auf dem Gelände der Esso-Tankstelle am Aachener Europaplatz steht eine Gruppe jüngerer Menschen um eine Gruppe älterer Autos herum. Karten werden auf ausgebreitet, gute Ratschläge erteilt, Gepäck umgeräumt. Wohlgefüllte Picknickkörbe und Packtaschen lassen Großes erahnen.

Tankenplanung am Europaplatz
Kartenwälzen an der Tankstelle

Irgendwann ist alles geklärt, gepackt, besprochen – Abfahn! Vorweg Dirks 280 TE, dahinter Sebastians frisch restaurierter 230 C, gefolgt vom 600 SEL von Lars. Am Schluss der kleinen Kolonne dasjenige Fahrzeug, das heute zwar die mit Abstand niedrigsten Kilometerkosten haben wird, aus ebendiesem Grunde aber auch ganz hinten fahren muss: mein 240 CD, proudly powered bei Rapsöl. Unser Ziel: Luxemburg. Sebastian hat die ganze Sache angeleiert, die Route gelant und alle eingeladen. Es ist, wenn man den Erinnerungen der Mitfahrer glauben schenken darf, gerade einmal die zweite offizielle Ausfahrt des Aachener Stammtischs des VdH (Verein der Heckflossenfreunde).

Melkerin
Fragt sich, wer vom anderen begeisterter war: die Melkerin oder wir Youngtimer-Fahrer

Über Lichtenbusch geht es die E40 herunter, dann die E42 an Verviers vorbei, wo wir der Autobahn Lebewohl sagen und uns auf schmalen belgischen Landstraßen durch die herrliche Ardennenlandschaft nach Süden vorarbeiten. Da unser Kolonnenführer netterweise nicht gar so aufs Tempo drückt, bleibt Gelegenheit für den einen oder anderen Schnappschuss – etwa von dieser fröhlichen jungen Dame, die hinter einem artig aufgestellten Warndreieck eine Kuh am Straßenrand von ihrer Milch befreit und den vorbeirauschenden Altfahrzeugen begeistert zuwinkt.

Dorfkirche
Wuchtige Bauwerke des 14. und 20. Jahrhunderts

Meine Fahrposition am Ende der Gruppe birgt bei der gegebenen Fahrzeugwahl den Nachteil, dass hochaufragende Kirchen und mächtige Natursteinhöfe mit einem nicht minder ausladenden Fahrzeugheck um die vorhandenen Pixel auf meinem Kamerachip konkurrieren müssen. Aber sehen wir’s positiv: Immerhin ist es nicht die Coupé-Version des W140, die da vor uns die Szenerie befährt…

Allee
Eine schnurgerade Allee – hatten Napoleons Straßenbauer hier ihre Finger im Spiel?

Die schmalen Straßen führen uns abwechselnd über solch offenes Weideland und romantisch gewundene, bewaldete Täler. Sie sind manchmal kurvig und manchmal schnurgerade, manchmal bequem und manchmal, äh, belgisch. Manchmal überholen Motorradfahrer uns, manchmal wir ein Rudel Radsportler. Eins aber sehen wir nie, fällt uns im Nachhinein auf: Ampeln.

Schließlich überqueren wir die Grenze zu Luxemburg (was sich, wie um das Vorurteil zu bestätigen, von einem Meter auf den anderen an der Qualität der Straßendecke bemerkbar macht). In Wiltz steigt ein alter Studienfreund von Dirk zu, der uns zu einem kaum zugänglichen, aber umso reizvolleren Aussichtspunkt lotsen will. Über schmale Feldwege und vorbei an gestikulierenden Bauern geht es in einen Wald, wo die Aachener Sternenflottille zwischen schattenspendenen Bäumen vor Anker geht. Ein an den Heckwischer geklemmter Zettel mit einer Erklärung in Lëtzebuergesch macht etwaigen Ordnungskräften deutlich, dass wir die Erlaubnis des örtlichen Landwirts haben, zu sein wo wir sind.

Waldparkplatz
Parken im Wald

Etwa 200 Meter Fußweg dahinter öffnet sich der Wald und wir erreichen die kleine Lichtung des Aussichtspunktes Tempelskamp, wo ein hölzerner Aussichtsturm und einige Bänke mit Tischen die müden Reisenden begrüßen. Was für eine Aussicht!

Der Obersauerstausee
Der Obersauerstausee

Nach Süden hin ringelt sich der Obersauerstausee durch die Landschaft, ein künstliches Gewässer, das fast drei Viertel Luxemburgs mit Trinkwasser versorgt. A propos Wasser: Jetzt ist es Zeit…

Picknick am Aussichtspunkt Tempelskamp
Sachen raus, jetzt wird gepicknickt

…für unser Picknick, nachdem wir gut zweieinhalb Stunden in den weitgehend unklimatisierten Wägen gesessen haben. Dirks Bekannter Adrian zeigt uns, was luxemburgische Gastfreundschaft bedeutet und verteilt kühles luxemburgisches „Simons“-Bier in hübschen weißen Blechflaschen, Riesling-Pasteten und Küchlein. Wir würden am liebsten gar nicht mehr weg…

Strandbad
Unten im Tal wird derweil gebadet

…und beneiden die Badenden unten am Seeufer kein bisschen. Doch nach einer guten Stunde sind wir bereit zu neuen Abenteuern.

Noch eine Ruine
Nennt man so etwas eine Luxemburgruine?

Auch Luxemburg hat reichlich landschaftliche Reize, von den gepflegten hübschen Dörfchen und den diversen Burgruinen ganz zu schweigen.

Noch eine Burg
Noch eine. Ist das Burgenland nicht in Österreich?

Hinter jeder Kurve scheint eine neue Burg vom Berg zu dräuen. Doch es gibt noch andere faszinierende Bauwerke, etwa zwei Stahlträgerbrücken älteren Baujahrs. Es rumpelt mächtig, als unsere vier Stuttgarter Schwermobile über die schmale einspurige Fahrbahn zockeln.

Stahlträgerbrücke
Historisches Brückenbauwerk

Nach mehreren Kilometern durch bewaldete Berglandschaft zeigt sich hinter einer Linkskurve dieser Anblick.

Burg Vianden
So muss eine Burg aussehen. Nimm das, Disney!

Es ist die Burg Vianden, eine imposante Stauferfestung aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die in den 80er-Jahren in ihren heutigen Zustand restauriert wurde. Wir halten im kleinen Dorf zu ihren Füßen, doch mit freien Parkplätzen sieht es in diesem Touristenmagnet mau aus. Nach kurzer Fotopause müssen wir uns notgedrungen wieder auf den Weg machen. Doch ein Ziel haben wir noch vor uns, auch wenn es von außen weit weniger eindrucksvoll aussieht.

Eingang zum Pumpspeicherkraftwerk
Eingang zum Pumpspeicherwerk

Das nahegelegene Pumpspeicherwerk Vianden, mit über 1000 Megawatt Leistung eines der stärksten in Europa. Dabei handelt es sich nicht nur um ein normales Wasserkraftwerk, sondern um eine Art Stromspeicher: Wenn wenig Strom benötigt wird, zum Beispiel nachts, wird Wasser in einen Stausee gepumpt. Dieses hochgepumpte Wasser ist nichts anderes als gespeicherte Energie, die zu Spitzenzeiten wieder abgerufen werden kann. Weil sich mit solchen Pumpspeicherwerken der erzeugte Strom speichern lässt, sind sie ein wichtiger Bestandteil bei der Energieerzeugung aus Sonne und Wind.

Das Werk Vianden an der Ourtalsperre wurde 1964 eingeweiht. Heute halten der Staat Luxemburg und die deutsche RWE je 40 Prozent der Anteile. Der erzeugte Strom wird ins europäische Verbundnetz eingespeist.

Unterirdische Turbinenhalle
Blick in die Kaverne mit den Turbinen

Der Eingang ist offen. Über einen langen unterirdischen Schacht gelangt man in einen Besucherraum, von dem aus man in die 330 Meter lange und 25 Meter hohe Kaverne mit den neun gewaltigen Turbinen sehen kann. Eine zehnte befindet sich in einem Seitental, eine elfte ist gerade in Arbeit.

Leitstand
Kommandozentrale in Sechziger-Jahre-Holzoptik

Der Leitstand mit seiner Holzverkleidung, den mechanischen Schaltern und analogen Anzeigen erinnert ein wenig an Kernkraftwerke aus dem früheren Ostblock.

Coupéduo
Kraftpakete vor Kraftwerk

Draußen auf dem Besucherparkplatz bietet sich noch Gelegenheit für dieses aussagekräftige Foto: Kraftpakete vor einem Kraftwerk. Dann trennen sich die Wege unserer Gruppe: Dirk und Lars machen einen Schlenker durch Luxemburg, Sebastian und mich zieht es heim gen Aachen beziehungsweise Köln.

Coupé und Coupé
Auf der Autobahn

Wir fahren hinter Weiswampach über die Grenze, schließlich bei St. Vith auf die Autobahn und zurück nach Aachen. Unterwegs schießt Sebastians Freundin dieses schöne Foto meines Dieselboliden. Gegen 18.30 Uhr kurvt der Moorbraune auf den Europaplatz ein, eine Stunde darauf bin ich zurück in Köln – und reichlich geschlaucht von einer kurzen Nacht und vielen hundert schönen Kilometern Straße durch drei Länder.

Soviel ist aber sicher: In Luxemburg waren wir nicht zum letzten Mal. Das kleine Land verdient, dass man es mit viel Zeit im Kofferraum erkundet. Und irgendwann gibt es auch bestimmt mal einen freien Parkplatz an Burg Vianden.

Autobahngold

Der Wagen steht an der Autobahnabfahrt Eynatten, warnblinkend, in der Kurve, die hinauf zur Landstraße nach Aachen führt. Ein dunkler Kombi, offenbar liegengeblieben und mit letzter Kraft gerade noch von der Autobahn gerollt. Eine Frau mit Kopftuch ist ausgestiegen, ein Mann mit dunklem Teint winkt hilfesuchend. Es ist gegen 20.30 Uhr, ich habe nach Feierabend noch rasch am Autohof hinter der belgischen Grenze LPG getankt und beschleunige gerade auf die Zufahrt zur Autobahn. Kaum habe ich das gestrandete Pärchen wahrgenommen, bin ich auch schon an ihnen vorbei, man bremst ja aus voller Beschleunigung nicht ohne weiteres, zumal mit weiteren Autos im Rücken.Auf den folgenden Kilometern wächst das schlechte Gewissen mit jedem Meter: Hattest du nicht auch schon mal eine Panne? Wie lange wird so ein südländisches Pärchen mit Autopanne in dieser Gegend auf Hilfe warten müssen? Bis Aachen-Brand ist das schlechte Gewissen so stark geworden, dass ich mit innerem Seufzen abfahre und wieder umkehre. Der Kombi steht immer noch in der Abfahrt.Ich halte auf dem Seitenstreifen. Der Mann tritt ans Beifahrerfenster. Er sei liegengeblieben, mit leerem Tank und ohne Geld. Ob ich ihm etwas leihen könnte? Er schwört, es zurückzuüberweisen,faltet die Hände, Verzweiflung in der Stimme. Ich werfe einen Blick ins Portemonnaie – mehr als zehn Euro sind nicht drin. Er nimmt das Geld, dankt traurig. Weit wird ihn das nicht bringen. Wo er hin will? „To Paris.“ – „Good luck to you.“ Ich fahre wieder los.In der folgenden Dreiviertelstunde bis Köln legt das schlechte Gewissen erst so richtig los. Du hättest den armen Kerl wenigstens zur Tankstelle fahren können, schimpfe ich mit mir. Oder ihn besser gleich dahin abbeschleppt. Was soll er mit zehn Euro, wenn er sich davon erstmal einen Reservekanister kaufen muss? Man hätte unter den wartenden Autofahrern an der Tankstelle den Hut herumgehen lassen können. Wenn jeder fünf Euro gegeben hätte… wie weit ist es eigentlich nach Paris?

Zu Hause angekommen, erzähle ich von meinem Treffen mit dem ärmsten Autofahrer in ganz Belgien. Meine Freundin bleibt ungerührt. „Du weißt, dass das eine ganz gängige Betrugsmasche ist?“ Böses ahnend, werfe ich Google an. Schnell ist das Stichwort gefunden: „Autobahngold„. Ein verbreiteter Trick, vor allem in der Reisezeit. Die Betrüger – meist aus Osteuropa – simulieren eine Panne, winken mit leeren Kanistern oder Abschleppseilen, leihen sich von hilfreichen Autofahrern Bargeld und bieten als Pfand scheinbar wertvollen Goldschmuck, Lederjacken oder ähnliches. Die Ware ist reiner Tinnef, das geliehene Geld sieht der Geneppte nie wieder. Polizei und Medien warnen seit Jahren vor der Masche.

Kalte Ernüchterung. Ich rufe die Autobahnpolizei am Grenzübergang Lichtenbusch an. Ich sei da einem angeblich liegengebliebenen Pärchen begegnet… „Haben die Ihnen Gold angeboten?“, fragt der Beamte. „So weit sind wir nicht gekommen“, erwidere ich zerknirscht. Für meine zehn Euro gab’s ja nicht mal ein echtes Goldkettchen aus Messing. „Sobald die ihr Geld bekommen haben, sind die gleich über alle Berge“, erklärt der Polizist. Fahndung zwecklos.

Man hätte von selbst drauf kommen können. Wer nach Paris will, bleibt schließlich nicht auf der Strecke von Lüttich nach Aachen mit leerem Tank liegen.

Ich ärgere mich. Über meine Leichtgläubigkeit, über die zehn Euro, aber vor allem darüber, dass ich beim nächsten liegengebliebenen Auto mit dunkelhäutigem Fahrer und/oder Kopftuchfrau wohl noch weniger zum spontanen Hilfshalt geneigt sein werde. Womit das Betrügerpärchen dann noch mehr Opfer auf dem Kerbholz hätte.

Andererseits: Zehn Euro sind kein allzu hoher Preis für eine nachhaltige Lektion Lebenshilfe. So ein falsches Goldkettchen hätte ich trotzdem gerne gehabt – als Andenken. Ob ich es beim nächsten Mal mit 20 Euro versuche? 15! Letztes Wort!

Der Mensch denkt: Gott, Gent.

Einerseits ist da Brügge. Venedig des Nordens, Unesco-Weltkulturerbe und berühmt als Perle Flanderns, spätestens seit Martin McDonaghs Kinokracher „Brügge sehen… und sterben?“ (trotz des fürchterlich übersetzten Titels).

Andererseits gibt es Gent. Doppelt so groß, doch von den Touri-Horden gefühltermaßen nur halb so heimgesucht. Und schnelle 200 Kilometer nah an Aachen, 50 weniger als Brügge. „Brügge ist ein Museum, aber Gent lebt“, schwärmt die Betreiberin unseres Bed-and-Breakfasts. Da sie als Genterin möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen ist, bedarf diese These einer Überprüfung. Auf ins Leben der drittgrößten Stadt Belgiens also – wenn’s denn existiert.

Erster Eindruck: Auch wenn die Unesco der ostflandrischen Provinzhauptstadt bislang die kalte Schulter zeigt, das Panorama der Altstadt kann mit dem Brügges durchaus konkurrieren. (Die Bilder lassen sich großklicken.)

Gent. Einfach nur Gent.
Gent. Einfach nur Gent.

Graslei heißt die Uferpromenade links im Bild. Wie die gut gemachte und sogar deutschsprachige Besucher-Webseite Visitgent.be behauptet, würden neun von zehn Gentern bestätigen, dass ihre Stadt dort am schönsten sei. Umfragen sind etwas Wunderbares: Schließt man sich der Mehrheit an, fühlt man sich sofort in warmer Masse wunderbar geborgen.

Grasleigiebelgebäude
Grasleigiebelgebäude

Das fällt allerdings auch nicht schwer. Wer beim Anblick der alten Giebelhäuser nicht in Schwärmen gerät, wird wahrscheinlich auf einer Bahre an ihnen vorbeigetragen und hat eine Decke über den Kopf gezogen, wie Douglas Adams einmal schrieb (allerdings nicht über Gent).

Draußen vom Meer, da komm ich her
Draußen vom Meer, da komm ich her

Die Zeit der stolzen Dreimaster ist hier m Zusammenfluss von Lieve und Leie zwar schon längere Zeit vorbei…

Hausboot mit üppigem Deckbewuchs
Hausboot mit üppigem Deckbewuchs

…geblieben sind dafür solch sympathische Hausboote mit üppigem Deckbewuchs. Das ist wirklich eher Leben als Museum. Der Genter hat’s anscheinend gerne gemütlich, wenn auch ein klein wenig Rebell in ihm steckt:

In jedem Belgier steckt ein kleiner Rebell
In jedem Belgier steckt ein kleiner Rebell

Überhaupt, Schilder. Mit der Skurrilität Büdingens in puncto Schilderwald können die Genter zwar nicht konkurrieren. Was sie von Falschparkern auf Behindertenparkplätzen halten, machen sie aber sehr deutlich:

Nimmst du meinen Parkplatz, nimm dann auch meine Behinderung!
Nimmst du meinen Parkplatz, nimm dann auch meine Behinderung!

„Neem je mijn parkeerplaats, neem dan ook mijn handicap!“ Nimmst du meinen Parkplatz, dann nimm auch meine Behinderung. Gut gegeben, Gent. Das ist ebenfalls Leben, nicht Museum.

Französische Schräghecklimousinen? Hier bitte nicht.
Französische Schräghecklimousinen? Hier bitte nicht.

Auch sonst herrscht im Straßenverkehr Ordnung. Französische Schräghecklimousinen zum Beispiel – das Auto am Haken ist eindeutig ein Citroën DS – scheinen nicht gerne gesehen zu sein. Man ist hier schließlich nicht in der Wallonie. Gut, dass wir mit einem klassischen Stufenheckmodell Stuttgarter Herkunft angereist sind, da hat man gleich eine Sorge weniger.

Es folgen ein paar der üblichen touristischen Highlights.

Stadttheater
Stadttheater

Das Stadttheater am Sint-Baafsplein (zu deutsch: Sankt-Bavo-Platz).

Genter Türme: St. Nikolaus, Belfried, St. Bavo
Genter Türme: St. Nikolaus, Belfried, St. Bavo

Das Turm-Trio: In der Bildmitte die St.-Nikolauskirche am Korenmarkt, rechts davon der Belfried-Glockenturm, dahinter der Turm der Sankt-Bavo-Kathedrale. In letzerer ist normalerweise der Genter Altar von Jan van Eyck aus dem Jahr 1432 zu sehen, auch bekannt als „Die Anbetung des Lamm Gottes“. Leider befindet sich dieser Meilenstein der Kunstgeschichte (dessen Geschichte übrigens ein Krimi für sich ist) derzeit in Restauration. Man darf aber Geld dafür ausgeben, ersatzweise in einer Seitenkapelle eine Nachbildung mit der Anmutung einer Baumarkts-Fototapete zu betrachten. Müssen muss man gottseidank nicht. Ansonsten ist das Innenleben der Kathedrale schlichtweg wunderschön. Schade, dass man es nicht fotografieren darf. Dafür einen Museumsminuspunkt.

Little Big Ben
Little Big Ben

Einen Big Ben haben sie auch, die Genter.

Waffeltraum mit Traumwaffel
Ein Waffeltraum mit Traumwaffel

Und das Wichtigste: Sie können Waffeln. Außen hauchknusprig, innen zartweich. Selbst wenn Gent am Ende doch ein Museum ist – das Museumscafé ist vom Feinsten.

Haus mit Seeblick
Haus mit Seeblick

Glücklich, wer ein Haus mit Seeblick hat…

Meerbalkon
Meerbalkon

…und das Ambiente seiner Terrasse entsprechend zu gestalten weiß.

Zahnmordender Geheimtipp: die Confiserie Temmermann
Zahnmordender Geheimtipp: die Confiserie Temmermann

Ein Muss für jeden Besucher und längst kein Geheimtipp mehr: die Confiserie Temmerman an der Kraanlei im Patershol-Viertel, seit acht Generationen im Familienbesitz (zweites Haus von rechts). Unbedingt die lokale Spezialität „Neuzekes“ (Näschen) probieren, rote Bonbons in Kegelform mit Geleefüllung.

Der Vrijdagmarkt mit dem Denkmal...
Der Vrijdagmarkt mit dem Denkmal…

Auf dem Vrijdagmarkt…

Haltet ein! Nehmt mich mit!
Haltet ein! Nehmt mich mit!

…prangt das Denkmal des stehengelassenen Straßenbahnpassagiers.

"Unser Haus" - aber die Heizkostenrechnung zahlt bitte wer anders
„Unser Haus“ – aber die Heizkostenrechnung zahlt bitte wer anders

1910 gönnte sich die Sozialistische Arbeitervereinigung diesen Prachtbau: „Ons Huis“ (Unser Haus) zeigt Merkmale des sogenannten eklektischen Stils und des Jugendstils.

Casteel Gravensteen
Casteel Gravensteen…

Die Grafensteinburg (Gravensteen), eine der größten Wasserburgen Europas, stammt aus der Zeit um 1200 herum und sollte dereinst die Herrschaft der Grafen von Flandern sichern.

Der Grafen Latrine
…ist berühmt für seine gravitationsgesteuerten sanitären Anlagen

Die in die Außentürme eingelassenen, äh, sanitären Anlagen zeigen deutlich, was die Burgherren auf die Rechte der Stadtbewohner gaben.

An der Spiegelgracht
Spiegelgracht

Nacht in Gent. Der Tourist sucht sich im Patershol ein nicht völlig überteuertes Restaurant, was leider nicht ganz so leicht ist. Eine Mahlzeit unter 20 Euro? Ich bitte Sie. Das flämische Nationalgericht, der Waterzooi-Eintopf, ist fast unbezahlbar.

Genter Nacht
Genter Nacht

Irgendwann findet sich doch noch ein annehmbares Gasthaus. Und so geht der Tag zu Ende, die Füße schmerzen, doch im Glas glänzt beste belgische Braukunst. Zeit für die Entscheidung: museale Metropole oder lebendige Stadt?

Das Grinsen von Gent
Das Grinsen von Gent

Kein Zweifel, Gent lebt. Man könnte sogar sagen: Gent grinst. Eigentlich ganz gut, dass die Unesco noch nicht hier war. Wer weiß, was ein Bier sonst kosten würde.

Bilstain

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Mit „ai“. Nicht Bilstein, wie die Stoßdämpfer. Obwohl es passen würde. In Bilstain, einem kleinen Nest zwei Autobahnabfahrten hinter der belgischen Grenze, liegt dieses Endurogelände. Freunde von mir tollen dort jedes Wochenende im Wald herum. Auch wenn sich Marit, meine Freewind, bei derlei Kindereien nicht die Tauchrohre dreckig machen mag – neugierig war ich schon. Und bin am vergangenen Wochenende einfach mal hingefahren. (Sorry für die schlechte Bildqualität, ich hatte nur die Handykamera dabei.)

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Das Fahrerlager. Hier wird gezeltet, gegrillt, an den Moppeds geschraubt und abends der eine oder andere Kamillentee getrunken.

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Dahinter: der Wald. Das Licht des späten Sommers bricht sich in den Baumkronen. Ach, ist das ruhig zwischen den steilen Hängen wie diesem…

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…und trockenen Bachbetten wie diesen.

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Huch – was war das?

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Plötzlich ist es gar nicht mehr ruhig. Es knattert, öttelt und sprotzt, dass es nur so seine Bewandnis hat. In der Waldesluft liegt Zweitaktduft.

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Wer fürchtet sich vorm steilen Hang? Niemand! Geronimoooo!

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Nach dem Einsatz: Fahrerpalaver. Also, das mit Baumwurzeln funktioniert so…

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Am Ende des Tages ist von den schmucken Sportgeräte dann ein wenig der Glanz ab. Aber wie heißt es so schön? Wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass Motorräder sauber sind, wäre Spülmittel im Regen.

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Egal, wofür hat er den Kärcher geschaffen?

Hm. Das ist alles ziemlich witzig. Die Leute waren auch supernett (ich durfte sogar mal als Sozius mit über Stock und Stein hoppeln).

Aber ich weiß nicht, ob ich noch ein weiteres Hobby brauche. Ganz billig ist der Spaß ja auch nicht – was allein an dem Wochenende in der Gruppe an neuen Auspuffen, Bremsscheiben und sonstigen Teilen fällig war, ist kein Pappenstiel. Aber Spaß macht’s sicher.

Man kann ja mal ein Probetraining machen… ganz unverbindlich selbstverständlich… nur so. Zum Spaß.

Wasserspiele

In was für eine trübe Gegend bin ich hier geraten, habe ich in den letzten Tagen oft gedacht. Wenn der Blick aus dem Fenster der Redaktion mal wieder auf einen finsteren Himmel fiel, der seine Schleusen über Aachen geöffnet hatte. Nun ist es nicht so, dass da, wo ich herkomme, nicht auch gelegentlich der eine oder andere Wassertropfen vom Himmel fiele.

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Doch verglichen mit dem Öcher Sommern 2007 und 2008 herrscht in der norddeutschen Tiefebene die reinste Savannendürre – jedenfalls, soweit mich meine Erinnerung nicht täuscht, und warum sollte sie. Gottseidank gab es am Samstag Gelegenheit, zwischen ein paar Platzregen mit einem guten Freund eine Spritztour in die Umgebung zu machen. „Oh Gott, jetzt er war mal wieder in Belgien„, werdet Ihr denken. Ihr habt Recht.

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Und zwar in Spa.

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Der edle kleine Kurort im Arondissement Verviers, im Englischen das Synonym für einen Badeort schlechthin (Bad Aachen ist also nur ein Spa von vielen), trug einmal den Spitznamen „Café de l’Europe“, wegen der vielen gekrönten Häupter, die sich dort zum Bewässern – oder Begießen – ihrer Wehwehchen trafen.

Ein Hauch von Noblesse weht heute noch durch die Straßen rund um das Casino – die Dichte der Luxuskarossen und überaus schick gekleideter Leute ist ein sichtbarer Beweis.

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Wer nicht zu den oberen Zehntausend des alten Kontinents gehört, steuert sein Fortbewegungsmittel selbst und trägt Handschuhe aus derbem Leder statt aus feinster Seide. Für einen Milchkaffee unter Sonnenschirmen reicht der Inhalt des Portemonnaies (in diesem Ambiente ist die alte französische Schreibweise die einzig angemessene) aber noch.

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Beim nächsten Mal bringen wir etwas mehr Zeit mit. Doch in den schweren Motorradklamotten wird es schnell warm in der – ja, sie ist es wirklich! – Sonne. Lassen wir also die Rösslein etwas traben, die Ardennen wollen erkundet werden.

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Aber halt, was ist das da neben der Straße? Schlösser in Belgien sehen anscheinend immer so aus, als würden Tim, Struppi und Kapitän Haddock dort wohnen.

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Unser zweites Ziel ist der Wasserfall von Coo am Amblève-Fluss.

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Die 15 Meter hohe „Cascade“ ist die höchste Belgiens…

…und verleitet dazu, erneut mit der Video-Funktion der Kamera herumzuspielen.

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Ein Felsen mit Besucherabstieg teilt den Wasserfall in zwei Hälften. Aus ihrer Gischt springt ein Regenbogen.

Zugegeben, der Whisky-Wasserfall im Lysefjord ist ein klein wenig eindrucksvoller. Dafür ist der Anfahrtsweg weiter.

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Die beiden Kaskadeure. (Wer’s bei LEO nachschlagen will: Cascadeur bedeutet „Stuntman„. Vielleicht, weil sich die ersten von ihnen Wasserfälle hinabstürzen mussten.)

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Coo ist ein beliebtes Ausflugsziel. Während sich die beiden Gäste aus Aachen an der Aussicht und den überall aufgestellten üppigen Blumenkübeln erfreuen, herrscht auf dem Gelände des Freizeitparks am Flussufer Hochbetrieb. Hunderte von Ausflüglern verteilen sich über Uferpromenaden, Cafés und Flussufer. Ein Sessellift bringt Besucher über die Amblève…

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…und über dem Berggipfel kreisen Paraglider am blauen Himmel.

Aus dem den ganzen Tag über nicht ein einziger Tropfen fällt. Geht doch, denke ich. In was für eine schöne Gegend bin ich hier geraten.

Neues aus Hasselt

Wanderer, kommst du nach Hasselt, dann versäume nicht, den Japanischen Garten zu besuchen. Der ist nämlich der größte seiner Art in Europa und einen Abstecher wert.

Hasselt liegt in der belgischen Provinz Limburg, gut 70 Kilometer westlich von Aachen. Nicht gerade ein Katzensprung, aber wen es in die Gegend verschlägt, der wird einen kleinen Umweg an die Straße Gouverneur Verwilghensingel nicht bereuen. Kleiner Tipp für den Erstbesucher: Es gibt keine Hausnummer. Nach einer grau-gelben Kletterburg am Straßenrand Ausschau halten, dort der Beschilderung „Japanse Tuin“ folgen.

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Es warten zwar weder gastronomische Sensationen noch Kinderbespaßung auf den Besucher. Dafür zweieinhalb Hektar originalgetreu gestaltete Gartenlandschaft…

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…mit reichlich Gelegenheit, sich zu entspannen, die Außenwelt zu vergessen und den Kopf in die Federn zu stecken.

Der Garten ist ein Geschenk von Hasselts Partnerstadt Itami. Die Japaner bekamen dafür ein Turmglockenspiel. Als Bewohner der Euregio darf man anerkennend feststellen, dass die Belgier bestimmt keinen schlechten Tausch gemacht haben.

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Dem Besucher fällt beim Betreten als erstes das Zusammenspiel von Pflanzen, Wasser und Stein ins Auge. Bäche und Teiche mit Wasserfällen und Stufen durchziehen das Gelände. Graue Gesteinsbrocken sind an ausgewählten Stellen aufgerichtet. Auf Brückensteinen und Zickzack-Holzstegen geht der Besucher übers Wasser. Zwischen Bäumen, die von Bambusgerüsten in kunstgerechte Form gebracht werden, stehen Teehäuser und Pavillons.

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Geplant wurde die Anlage nach dem Vorbild japanischer Teegärten des 17. Jahrhunderts. So steht es jedenfalls im Handzettel, den der freundliche Pförtner am Eingang aushändigt. Es gibt sogar eine Version auf deutsch.

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250 Zierkirschbäume sind über den hinteren Teil des Parks verteilt.

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Ebenfalls landestypisch: die farbenprächtigen Koi-Karpfen in den Teichen und Bächen. Sie versammeln sich gerne in der Nähe der Besucher…

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…sind aber natürlich nicht die einzigen Tiere im Park.

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In der Mitte des zentralen Gartens ragt das Zeremonienhaus in den Hauptteich. Auch seine Architektur folgt den Vorbildern aus dem 17. Jahrhundert.

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Der Bau mit seinen strengen geometrischen Formen und originaler Einrichtung verströmt einen Hauch von Asien.

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Zu bestimmten Terminen werden Teezeremonien vorgeführt.

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Weiter hinten wartet eine fliederüberwucherte Pergola auf Gäste. Wenn man überhaupt etwas an dieser fernöstlichen Enklave aussetzen kann, dann die Lage. Der Verkehrslärm auf dem vierspurigen Ring macht sich unter anderem an dieser schönen Stelle störend bemerkbar.

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Auch jetzt, Mitte Mai, ist die Anlage noch voller Blüten.

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Hier nutzt ein Brautpaar das Gelände für Hochzeitsfotos.

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„Zurück in den Westen“: Was sich auf den „westlicher“ gestalteten Teil des Gartens bezieht, hat natürlich auch symbolische Bedeutung. Ein paar Schritte weiter, hinter dem Ausgang, hat uns Europa wieder.

Was zeigt uns der Spaziergang? Fremde Kulturen lassen sich gelegentlich entdecken, ohne dass man einen halben Tag lang im Flieger sitzen muss. Manchmal warten sie direkt um die Ecke.

Japanse Tuin Hasselt
Gouverneur Verwilghensingel

Offen vom 1. April bis 31. Oktober
dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr
samstags, sonntags, feiertags 14 bis 18 Uhr
montags geschlossen

Eintritt: Erwachsene 5 Euro, Kinder unter 12 Jahren gratis

(Niederländischer Wikipedia-Eintrag zum Japanischen Garten)

Neues von der Autobahn

Weihnachten, nicht wahr, das ist ja auch die Zeit der Besinnlichkeit und des Erkenntnisgewinns. Darum nun dreieinhalb Erkenntnisse zum Jahresausklang. Gewonnen auf meiner persönlichen Mille Miglia 2007, will sagen: dem diesjährigen Autobahn-Marathon von rund 1.000 Kilometern zwecks Besuchs von Verwandten und Freunden zum Fest der Liebe.

Erkenntnis 1: Wir sind beschränkt

A1-120-kmh48_360Bekanntlich fordert unter anderem die SPD die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Vergesst es Leute, das kostet Euch nur Wählerstimmen, und schlimmer noch: Es ist unnötig. Die flächendeckende Geschwindigkeitsbeschränkung ist schon längst auf dem Vormarsch. Zum Beispiel auf der A 1 zwischen Osnabrück und – mindestens – dem Dreieck Ahlhorner Heide. Seit meinem ersten Studiensemester in Osnabrück 1991 kenne ich diese Strecke in- und auswendig. Nun ist hier tagsüber Tempo 120 angesagt, und zwar flächendeckend. Aber zugegeben: Es war ein ziemlich entspanntes Fahren da oben.

Erkenntnis 2: Andere Leute haben viel lustigere Nummernschilder

KatzMaus42_360Wenn man sich mit dem Wunschkennzeichen etwas Mühe gibt, ist auch mal eine rote Maus möglich. Und was hat der Schreiber dieser Zeilen seit seinem Besuch des Aachener Straßenverkehrsamtes? Eine seelenlose, zufallsgenerierte Kombination. Andererseits: Was lässt sich mit den Anfangsbuchstaben AC-… schon groß anfangen? Höchstens was mit AC-H. Har, har.

Und: Andere Fahrer haben vielleicht mehr Maus im Nummernschild. Dafür habe ich mehr Glückskatze auf dem Armaturenbrett. Die schützt nicht nur vor BMWs und Blitzeis, sie hält auch das Kabel des Navigationsgerätes an Ort und Stelle.

Erkenntnis 3: Ich mag Belgien

Poubelle55_360An dieser Stelle lässt es mit der Erkenntnisqualität leider schon deutlich nach, denn dass ich eine Zuneigung für unser freundliches kleines Nachbarland hege, dürfte aufmerksamen Lesern mittlerweile sattsam bekannt sein. Aktuelles Objekt meiner Gefühle ist dieser Streugutcontainer an meiner Lieblingstankstelle in Eynatten, der in so hübschem Franko-Deutsch darauf aufmerksam macht, dass er keine Poubelle ist.

Dass ich die Tankstelle selber mit ihren 53,2 Cent pro Liter Autogas mag, ist noch eine ganz andere Geschichte. Übrigens gingen heute vor der Fahrt nach Remscheid in den Radmuldentank stolze 50,6 Liter, und es werden wohl noch etwa vier bis sechs Liter Reserve dringewesen sein. Insgesamt müssen also mindestens etwa 55 Liter ausfahrbar sein – ich dachte, es gingen überhaupt nur 48 Liter rein. Kann es sein, dass sich das Gas bei Kälte weniger ausdehnt?

Erkenntnis 3 1/2: Büdinger haben Humor

Das ist jetzt schon gar keine Autobahnerkenntnis mehr, aber da sie sich zwischen den Feiertagen manifestierte, kommt sie auch mit in diesen Beitrag.

Auch wenn ich es nach der Begegnung mit dem Personal meines Gasthauses nie vermutet hätte: Die Einwohner von Büdingen (das ist die Stadt mit den schrägen Schildern und furchterregenden Fröschen) scheinen durchaus mit Humor gesegnet zu sein. Nach meinem jüngsten Beitrag über die Freuden eines Besuchs in der Perle Oberhessens war ich sicher, fürderhin den pittoresken Ort nie mehr betreten zu können, ohne eine solide Teerung und Federung nach alter Väter Sitte fürchten zu müssen.

Aber entweder will man mich in falscher Sicherheit wiegen, oder die Büdinger sind wirklich ein lustiges Völkchen – so viele freundliche Kommentare, wie da unterm Text stehen. Vielleicht fahr ich ja doch nochmal hin.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Falls wir uns in diesem Jahr nicht mehr lesen sollten: Kommen sie gut ins neue Jahr. Muss ja nicht über die Autobahn sein.

Neues aus dem Norden

[Assimilation, die: Anpassung an Lebensgewohnheiten und Gebräuche, Ernährung und Sprache in einem Land]

Woran merkt der Zugezogene, dass er sich langsam in seiner neuen Umgebung einlebt? Zum Beispiel daran, dass ihm die frühere Heimat fremd und fremder wird. Am Wochenende bei einem Familienbesuch im Oldenburgischen habe ich es wieder gemerkt.

Oben im Norden, wo der Horizont weit und der Himmel hoch ist, grüßt man sich bekanntlich mit „Moin“. Gerne auch mit „Moin, Moin“. Dies auch abends, denn der Gruß leitet sich ab von „mooi“, schön, und hieß ursprünglich soviel wie „einen schönen Tag“. Jeder Norddeutsche weiß Geschichten zu erzählen von Bajuwaren und anderen wilden Bergvölkern, die ungläubig diesen Zusammenhängen lauschten, weil sie sich über ein zu später Stunde geäußertes „Moin“ echauffiert hatten.

Am Wochenende musste ich nun feststellen, das mich das abendliche „Moin“ inzwischen schon selber irritiert. Und ich mit „Nabend“ darauf antworte. Oh je. Das ist sie, die Entfremdung von den eigenen Wurzeln.

Mehr noch. Nicht erst seit Kollege Felix Lennartz im Friteusenglück schwelgte, weiß ich, dass die Pommes im Aachener Land nicht Pommes heißen, sondern Fritten. Und dass sie auch sonst ganz anders sind als das, was der Rest der Republik unter frittierten Kartoffelstäbchen versteht. Spätestens beim Besuch in Brüssel vor zwei Monaten wurde ich zum Bekehrten (hier noch einmal das Foto des Überzeugungsarguments).

Und hier jetzt das Bild einer Zwischenmahlzeit, die ich mir am Samstag in einem Schnellimbiss in Bersenbrück – nördlich von Osnabrück – gegönnt habe. Bitte klicken Sie nur dann auf das Bild, wenn sie stark genug sind.

Fritten70_800Uih. Habe ich wirklich jahrelang solche Pommes Fritten gegessen? Und sie haben mir geschmeckt? Wahrlich: Fremd, arg fremd ist sie geworden, die Heimat.

Mit solchen Gedanken im Kopf fährt der Ausgewanderte zurück nach Süden, durch Ruhrgebiet und Bergisches Land. Freundlich grüßt das erste „Aachen“ auf dem Autobahnschild. Da fällt ihm noch was auf.

Leverkusen14_800Mir war nie bewusst, dass es in Leverkusen genauso aussieht wie in Belgien.

Ich glaube, ich werde langsam heimisch hier im Westen. Tschö, wa.