Premium Vehicle

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Da steht er, mein Wintergolf. Und zum ersten Mal, seit ich ihn vor fast drei Jahren für einen Hunderter gekauft habe, finde ich den Gedanken an einen Neuwagen verführerisch, die Irrsinnspreise der Autoindustrie hin und jahrelanges Abstottern absurd hoher Monatsraten her. Es ist 22.45 Uhr, es ist an der Total-Tankstelle in Eynatten, Belgien, die gerade geschlossen hat, es ist schweinekalt und ich habe mich ausgesperrt und kann nicht mehr weg.

Vor ein paar Wochen ist mir beim Einsteigen der Griff der Fahrertür abgebrochen. Vielleicht ist bei der starken Kälte zu der Zeit – es war minus 15 Grad – das Material spröde geworden. Andererseits ist bei einem Kilometerstand von über 290.000 halt mit dem einen oder anderen Schwund zu rechnen (ich hätte mir natürlich statt des Golfs auch ein Auto für 200 Euro kaufen können).

Da ich im Januar umgezogen bin und für lange Abende in der Werkstatt weder Zeit noch Lust hatte, musste ich unzählige Male durch die Beifahrertür reinklettern, die linke Tür von innen aufmachen und dann um den Wagen herumgehen, um endlich einsteigen zu können. Unzählige Male ging das auch gut. Bis jetzt, an der Gas-Zapfsäule in Eynatten nach dem VdH-Stammtisch. Da habe ich den Schlüssel im Zündschloss stecken und die Fahrertür zufallen lassen – bei abgeschlossener Beifahrertür.

Da steht er nun, mit kaputter Tür, mit rostfleckigem Kotflügel vorne rechts, mit Hinterradbremsen, die fiese Scheuergeräusche von sich geben, mit einem gerade geschweißten und trotzdem wieder röhrendem Auspuff. Ein Wort drängt sich in so einer Situation in den Kopf.

ABWRACKPRÄMIE.

Aber natürlich ist es Schwachsinn, um an einen Nachlass von zweieinhalbtausend Euro zu kommen, weitere tausende von Euros auszugeben. Und dafür völlig fahrtüchtige Autos reihenweise zu schreddern und so Werte in Millionenhöhe zu vernichten. Staatliche Hilfe scheidet also aus. Die Antwort auf die Tankstellenkrise von Eynatten kann also nur ein massives privates Investitionsprogramm sein. Gestreckt über mehrere Wochen.

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Da wäre zunächst, quasi als – haha – Einstieg, der zerbröselte Türgriff, vorne im Bild. Siggi hat noch ein paar Neugriffe in seinem Kabinett der Köstlichkeiten. Mehr noch: Er ist sogar in der Lage, den Schließzylinder so umzufruckeln, dass mein alter Schlüssel weiterhin passt. Fragt nicht, was so etwas bei VW gekostet hätte.

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Zweitens: Der rostige Kotflügel. Der linke kam ja schon gleich zu Anfang neu, da ist es nur logisch, dass es den anderen jetzt auch erwischt hat. Das Ding hat bei Ebay lächerliche 28 Euro inklusive Versand (!) gekostet, das Lackieren schlägt dagegen mit 180 Euronen zu Buche.

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Aber es hat sich gelohnt.

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Drittens: Das komische Geräusch von hinten. Weil Reinigen der Bremsen vor einigen Wochen nichts gebracht hat, kommt jetzt das ganz große Konjunkturpaket zum Tragen. Erstmal runter mit den rostigen Trommeln…

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…und raus mit dem alten Innenleben. Bremszylinder und Beläge kommen neu, das Innenleben der Trommel wird gründlich gereinigt, ausgebrannt und überlackiert – weil auf der so geglätteten Oberfläche der Bremsstaub nicht mehr so gut haftet.

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Verhüllt wird die glänzende Pracht von nicht minder glänzenden neuen Bremstrommeln, frisch mit silbernem Zinkspray lackiert, damit sie auch so bleiben. Samt neuer Radlager.

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Das ganze achtteilige Reparaturset hat übrigens bei Ebay gerade einmal läppische 74 Euro gekostet – inklusive Versand. Trotz Trommeln made in Germany by Herzog. Für das Geld hätte ich im Teilehandel nicht einmal diese Trommeln bekommen. Ein Osnabrücker Teilefritze wollte über 120 Euro für einen Satz haben, mit Radlagern 160.

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Neu kommt auch der Auspuff. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ein Endtopf an so vielen Stellen gleichzeitig durchrosten kann. Daher also das Wort Aus-puff.

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Fünftens: Was fürs Auge. Die Abwrackprämie hat nämlich durchaus auch ihr Gutes. Der Hof beim Verwerter Hüllsiek steht voller Autos. So voller Autos, dass die armen Leute nicht mehr wissen, wohin mit den ganzen Todeskandidaten. Wer nach Altteilen sucht, hat Auswahl ohne Ende. Ich entscheide mich für das Innenleben eines weinroten Golf III mit ganzen 108.000 Kilometern. Er ist innen und außen wie neu. 150 Euro für Sitze und Innenverkleidungen, fertig ausgebaut. 5 Euro für eine Hutablage, die aussieht wie frisch gepresst. Dazu ein paar Kleinteile vom Spiegelglas (2 Euro – das alte war angelaufen) bis zur Innenverkleidung der Heckklappe (3 Euro).

Da ich hier ohnehin die nächsten Jahre in dieser Umgebung verbringen werde, bis sich die Gasanlage rentiert hat, kann ich es mir wenigstens etwas wohnlich einrichten. Der Fahrersitz des Weinroten war ganz nach oben gekurbelt – ich tippe auf eine zierliche Fahrerin älteren Baujahrs, so unverbraucht, wie der Wagen aussah. Schade drum. Die Karosserie war nach dem Hängetransport mit dem Gabelstapler eh nicht mehr zu retten.

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Zuletzt: Neue Schuhe. Eine Woche später fallen mir an einem anderen Neuankömmling auf dem Hüllsiekschen Firmengelände die fast makellosen Originalfelgen auf. Es ist 12.50 Uhr, zehn Minuten vor Feierabend. Weil die Schrottis pünktlich Feierabend machen wollen, vergessen sie ganz, die Reifen von den Felgen zu ziehen. Zwei haben noch prima Profil – das alles für 120 Euro. Dafür hätte ich beim Reifenhändler gerade zwei neue Uniroyal-Sommerschlappen gekriegt.

So. Immer noch kein Neuwagen. Aber der Frust ist wieder weg für eine Weile. Und das Thema Vernichtungsprämie ist vom Tisch. Jetzt kann der Sommer kommen.

PS: In Eynatten rettete mich übrigens am Ende der Thomas K. vom VdH.

Baskenblog: Carcassonne

Donnerstag, 2. Oktober 2008. Am nächsten Morgen scheint über Carcassonne – kein Kalauer – die Sonne. Es war gestern Nacht ein etwas komisches Gefühl, mit dem Motorrad direkt durchs Burgtor und durch die engen Gässchen der Mittelalterstadt zu knattern. Aber das Navi hatte mal wieder Recht: Die Jugendherberge liegt genau in der Mitte der mehr als zwei Jahrtausende alten Siedlung. Und Hotelgäste dürfen tatsächlich motorisiert bis vor die Herberge fahren. Marit darf sogar im Innenhof parken.

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Die befestigte Stadt – die historische Cité auf dem Berg bildet nur die Oberstadt – ist nicht allzu groß und gut an einem Tag zu Fuß zu erkunden.

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Die von Historiker und Architekten Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert restaurierten Burganlagen sind weltweit einzigartig. Die Türme der äußeren Stadtmauer sind oft als sogenannte Schalentürme gestaltet, also nach hinten hin offen. So boten sie einem eingedrungenen Feind keine Deckung zur inneren Stadtmauer hin.

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Ob die Restauration der historischen Bausubstanz eher geschadet oder eher genutzt hat, ist unter Fachleuten umstritten. Fakt ist jedenfalls, dass der Betrachter einen hervorragenden Eindruck davon bekommt, wie die Stadt zu ihrer größten Zeit im Hochmittelalter einmal ausgesehen hat. Wer Ruinen will, soll halt nach Schottland fahren und sich Urquhart Castle anschauen.

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Die ältesten Teile von Carcassonnes Außenmauern stammen noch aus gallo-römischer Zeit und sind rund zweitausend Jahre alt.

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Ab dem 12. Jahrhundert war die Stadt eine der Verbreitungsstätten der Katharerbewegung, die sich von der katholischen Kirche losgesagt hatte. Dies und diverse Eroberungen und Erbstreitigkeiten regionaler Adelsgeschlechter führten dazu, dass die Stadt immer weiter festungsartig ausgebaut wurde.

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Heute ist Carcassonne Unesco-Weltkulturerbe – in Deutschland ist der Name auch durch das gleichnamige Brettspiel bekannt, das 2001 zum Spiel des Jahres gewählt wurde.

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Im Inneren des Stadtkerns warten Mengen kleiner Läden auf Touristen…

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…und in den kleinen Läden warten Mengen kleiner leckerer Versuchungen. Ach ja. Manchmal hätte ich ja doch einen größeren Kofferraum. Oder zumindest einen, den sich etwaige Mitbringsel nicht mit den Ausdünstungen eines Zweiliterkanisters Benzin teilen müssen. Ich entscheide mich für eine kleine gelbe Tischdecke mit provençalischem Muster. Die lässt sich waschen.

Nach ein paar Stunden habe ich das Meiste gesehen. In den Motorradklamotten wird es mal wieder unerträglich warm. Also weiter! Am Atlantik war ich schon. Jetzt will ich noch ans Mittelmeer. See Europe in one week – bin ich wirklich erst vor acht Tagen aus Aachen aufgebrochen?

Baskenblog: Back to France

Immer noch 1. Oktober, später am Nachmittag. Von Canfranc aus führt die Straße weiter nach Norden.

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Es ist ein wirklich schöner Tag hier oben. Das Gebirge selber ist auch nicht allzu anstrengend – die Alpen sind doch eine Nummer größer. So ähnlich sieht es ja schon im Schwarzwald aus…

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…und dann bin ich schon wieder im Nachbarland. Willkommen in Frankreich. Das ging ja schnell.

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Oh je. Ein Blick hinunter ins Tal verheißt nichts Gutes: Eine dichte Wolkendecke hängt zwischen den Bergen.

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Aber die Gegend ist gar lieblich anzuschauen, also heißt es: jeden Meter genießen.

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Plötzlich überragt in einer engen Schlucht eine Festung die Straße: das Fort du Portalet, eine alte französische Grenzbefestigung. Die 1842 gebaute Burg dürfte neben dem Bahnhof von Canfranc die zweite größere Investitionsruine in dieser entlegenen Gegend sein. (Eine sehr schöne Bildergalerie gibt es bei „Forbidden Places„.)

Da sich die größeren Kriege der jüngsten Vergangenheit eher an Frankreichs Nordgrenze abspielten, dürfte die Inhaftierung politischer Gegner zur Zeit des Vichy-Regimes die einzige erfolgreiche bedeutende militärische Aufgabe der Anlage gewesen sein.

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Ein paar Kilometer weiter nördlich blockiert ein ganz anderes Hindernis die Straße. Im Hintergrund ist übrigens einer der unzähligen Tunnel auf der Bahnstrecke Canfranc-Pau zu sehen. Die alte Trasse verläuft meist parallel zur Straße, und man kann die vielen Viadukte, Brücken, Bahndämme und sonstigen Kunstbauten bewundern, mit denen die Konstrukteure vor fast einem Jahrhundert die Pyrenäen bezwungen haben. Auf dem südlichen Abschnitt sind die Gleise abgebaut und die Bahnhöfe leer, die Züge fahren nur noch bis Oloron-Sainte-Marie.

Dann reitet mich mal wieder der Teufel – beziehungsweise das Navi. Ich hatte mich entschlossen, unbedingt noch die berühmte Mittelalterstadt Carcassonne zu besuchen. Als das Navi dann eine ostwärts führende Seitenstraße als Route vorschlägt, verlasse ich die große N 134 lange vor Pau, und schlage mich rechts in die Berge. Wie üblich, bereue ich die Abkürzung sofort. Die Straße kringelt sich als schmaler einspuriger Teerweg durch menschenleere Seitentäler. Einzig die Namen von Radrennfahrern, die wohl anlässlich einer Tour de France auf den Asphalt gepinselt wurden, erinnern an die Anwesenheit von Menschen. Außerdem geht es wieder steil bergauf. Hoffentlich entschädigt wenigstens ein schönes Bergpanorama für das zeitraubende Serpentinengewurstel…

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Endlich oben! „Col de Marie Blanque“ heißt dieser Pass. Sagte ich Bergpanorama?

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Also wieder zu Tal. Nichts wie weg hier.

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Drob vom Berge komm ich her, ich kann euch sagen, es nebelt da schwer…

Wenn nur endlich eine Tankstelle auftauchen würde! Es wird langsam später Nachmittag, und in dieser einsamen Gegend machen bestimmt bald auch die letzten Läden zu.

Um die Chance auf Futter für Marit & mich (langsam kriege ich wirklich Hunger) zu erhöhen, lege ich die Reiseroute über die Pilgerstadt Lourdes. Die Entscheidung war zur Abwechslung mal richtig – bald erreiche ich ein Dorf mit (offener) Tankstelle. Mein rudimentäres Französisch reicht für eine Tankfüllung, eine Packung Kekse und ein undefinierbares Erfrischungsgetränk. Aaah – schon besser!

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Als ich Lourdes erreiche, wird es gerade dunkel. Die Zeit wird mal wieder knapp, also spare ich mir die berühmte Grotte für ein anderes Mal auf und beschränke mich auf einen Schnappschuss der Zitadelle aus größerer Entfernung.

Jetzt aber genug der Landstaße. Bis nach Carcassonne sind es noch 260 Kilometer, und man muss einen ärgerlichen Umweg über Toulouse fahren. Also schnell auf die Autobahn – zur Hölle mit der Maut.

Auch wenn wir in Südfrankreich sind: Anfang Oktober wird es hier nachts ganz schön kalt. Mit knapp über 130 Sachen knallen Marit und ich über A 64 und A 61 nach Osten. Ich krümme mich hinter das Windshield und wünsche mir wärmere Klamotten. Seit ich 2001 im Dunkeln auf der A1 mal fast einen abgerissenen Lkw-Frontspoiler überfahren hätte, fahre ich nachts nur sehr ungern Motorrad, Autobahn hin oder her. Hoffentlich lohnt Carcassonne die Mühe…

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Aber es lohnt sich! Und wie es sich lohnt!

Baskenblog: Canfranc, der Geisterbahnhof im Nirgendwo

Endlich geht’s weiter im Baskenblog. Seit mehr als zwei Monaten stottere ich hier mit den Beiträgen herum, das ist ja nicht mehr feierlich. Vielleicht muss ich davon abkommen, jeden einzelnen Kilometer der Reise fotografisch zu dokumentieren…

Aber zurück in ein abgelegenes Tal in den spanischen Pyrenäen in der Nähe des winzigen Örtchens Canfranc nahe der Grenze zu Frankreich. Es ist immer noch der Nachmittag des 1. Oktober 2008.

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Vor dem Eingangsportal des einstigen Prachtbahnhofs Canfranc parke ich Marit. Canfranc, das sollte ein riesigier Umsteigebahnhof für die Expressverbindung Madrid-Paris werden. Direkt hinter der französisch-spanischen Grenze sollten die Reisenden aus den normalspurigen französischen Waggons in die breitspurigen spanischen Züge umsteigen.

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Nach fast siebzigjähriger (!) Vorbereitung wurde die Bahnstrecke nach dem ersten Weltkrieg fertiggestellt. Von 1921 bis 25 entstand vier Kilometer nördlich des Dörfchens Canfranc ein luxuriöses, rund 250 Meter langes Bahnhofsgebäude, komplett eingerichtet mit Fahrkartenschaltern, Wartehallen, Zollbüros, Hotel und Restaurant, bis hin zur Krankenstation mit Gynäkologenstuhl. Zuvor war der 7,8 Kilometer lange Somport-Tunnel durch die Zentralpyrenäen fertig geworden. Mit den Geröllmengen, die bei seinem Bau anfielen, wurde das Plateau für den Bau des Bahnhofsaufgeschüttet.

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Endlich existierte eine komfortable Landverbindung mitten durch das trennende Gebirge zwischen beiden Staaten. „Es gibt keine Pyrenäen mehr“, jubelte der spanische König Alfonso XIII bei der Eröffnung 1928.

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Doch der Betrieb auf dem Riesenkomplex mit seinen 27 Gleisen kam nie wirklich in Gang. Das Umsteigen der Passagiere und Umladen des Gepäcks kosteten viel zu viel Zeit und Arbeit. Und das Verkehrsaufkommen hatten die Planer wohl gewaltig überschätzt.

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Die Weltwirtschaftskrise 1929 ließ den Verkehr weiter erlahmen. Acht Jahre nach der Eröffnung, von 1936 bis 39, wurde der Tunnel für die Dauer des Spanischen Bürgerkrieges geschlossen. Von 1940 bis 45 behinderte die deutsche Besetzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs den freien Verkehrsfluss, danach die jahrzehntelange internationale Isolation Spaniens während der Franco-Diktatur.

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Der Bahnhof, in seiner Größe etwa dem einer 100.000-Einwohner-Stadt entsprechend, verfiel erst in einen Dornröschenschlaf – und nach und nach denn auch wirklich.

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Einzig Fotografen und Eisenbahnfans schätzten die bizarre Schönheit dieses versunkenen Palastes.

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Ein verfallener Toilettenraum in einem Nebengebäude. Durch das eingestürzte Dach scheint das Sonnenlicht.

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Hinter dem Hauptgebäude liegen mehrere Wagenhallen, zwischen denen eine Reihe alter Reise- und Güterwagen aus den vergangenen Jahrzehnten vor sich hin rottet. Was für eine Stimmung mag hier an einem nebligen Novembernachmittag herrschen?

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Völlig zerfallen ist der Aufbau dieses zweiachsigen Fahrzeugs, auf dem noch Reste eines Schriftzuges stolz verkünden, dass es einmal ein dieselelektrischer Triebwagen war.

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Wohl noch aus den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammen diese Personenzugwagen.

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„Transformacion“ – Umwandlung…

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Im harten Licht der Gebirgssonne wirkt der abgeblätterte Lack des Oldtimerwagens wie ein Stilleben.

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Seinem stählernen Cousin geht es nicht besser. Im Wechsel von heißer spanischer Sonne und eisigen Bergwintern ist die Lackierung dieses vergleichsweise modernen Gerätewagens großflächig abgpeplatzt.

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Grafitti verzieren die rostigen Wände. Esperanza heißt Hoffnung. Für wen? Für was?

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Aber was für Farben! Über dem Rostrot dieses leuchtende Blau!

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Das ausgewaidete Innere eines Waggons.

In der Sonne ist es heiß, ich schwitze in meinen Motorradklamotten. Zurück zu Marit, die im Schatten vor dem Bahnhof auf mich wartet.

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Die französische Seite des Gebäudes. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung begann 2007 die Wiederauferstehung. Der Riesenbau wird in ein Hotel umgewandelt. Eifriges Hämmern und Bohren dringt unter dem Gerüst hervor, meine Bitte, ein Foto von innen machen zu dürfen, wird von einem Bauarbeiter abgelehnt.

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Heute fahren nur noch auf der spanischen Seite Nahverkehrzüge nach Saragossa. Die französische Hälfte der Strecke liegt brach, seit 1970 eine Brücke einstürzte. Gerüchten zufolge hat die französische Eisenbahn SNCF unmittelbar vor dem Einsturz ihre letzte Lokomotive aus Canfranc abgezogen. Hatten die Franzosen der ungeliebten und teuren Nebenstrecke so den Stecker gezogen?

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Das Gleis in Richtung Frankreich ist längst abgebaut. Abgerissene Oberleitungsseile baumeln trostlos von den Masten. Mit dem Motorrad fahre ich über den Schotter des alten Gleisbetts.

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Der Eingang zum Somport-Tunnel auf der Nordseite des Bahnhofsgeländes. In ihm ist heute ein Forschungslabor für Teilchenphysik untergebracht.

Im Zweiten Weltkrieg wurde hier geschmuggelt: Die Deutschen ließen sich über diese Strecke Wolframerz liefern. Dafür bezahlten sie die Spanier mit Gold, das den in die Konzentrationslager verschleppten Juden abgenommen worden war. Immerhin nutzten wohl auch Verfolgte des Naziregimes, darunter Marc Chagall und Max Ernst, diese Strecke für ihre Flucht.

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Was für ein bizarrer Ort. Immerhin ist jetzt nach Jahrzehnten des Verfalls wieder etwas in Bewegung gekommen.

Ein letzter Blick zurück, bevor ich mich wieder auf die Aufstieg mache. Hinten rechts der eingerüstete Bahnhof. Wenn ich je wieder herkomme: Wie wird es dann aussehen? Ob es hier wirklich einmal ein Luxus-Skiresort gibt? Und wird der Zugverkehr auf der französischen Seite je wieder aufgenommen?

[Wer sich für die Geschichte des Canfranc-Bahnhofs näher interessiert, wird auf der Seite www.canfranc.de der deutschen Fotografen Matthias Maas und Stefan Gregor mehr Informationen finden.]

Baskenblog: Navarra, Vitoria, Pamplona

Mittwoch, 1. Oktober 2008. Es ist etwas bewölkt, als ich am Morgen aus Vitoria aufbreche. In Pamplona habe ich ohnehin keinen CouchSurfer gefunden, also entscheide ich mich, die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes links liegen zu lassen.

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Ich will zurück nach Osten, ins Navarra, und von dort aus von Süden über die Pyrenäen. Dort wartet in einem Seitental der riesige Geisterbahnhof Canfranc, von dem Eberhard mir im W123-Forum erzählt hat.

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Kleiner Zwischenstopp an einer ziemlich trostlosen Tankstelle an der Landstraße. Die Grafitti an der Betonbrücke sprechen für sich – und sie sprechen Baskisch. „Independentzia“ erklärt sich von selbst, „Euskal Herria“ ist das Baskenland und Kalera heißt Stadt – vorausgesetzt, ich habe „kale“ richtig dekliniert (was nicht leicht ist bei 17 möglichen Kasus: Absolutiv, Ergativ, Dativ, Genitiv, Separativ [sic!], Benefaktiv, Komitativ, Motivativ, Inessiv, Ablativ, Allativ, Destinativ, Direktiv, Approximativ, Instrumental, Partitiv und Prolativ. Kalera wäre Allativ Singular. Eins ist mal sicher, Baskisch lerne ich in diesem Leben nicht.)

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Kurz vor Pamplona bietet sich dieser Anblick. Eine Puppe am Galgen, Plakate, ein Zelt, Stühle – dieser Betrieb wird offenbar bestreikt.

Zuerst versuche ich, direkt durch Pamplona durchzufahren, gebe aber nach der geschätzt 23. Ampel entnervt auf und biege ab auf die Stadtumgehung. Sie ermöglicht mir immerhin einen kurzen Blick auf die Neuwagenflotte vor dem Volkswagenwerk. In Pamplona werden im Jahr 240.000 Polos hergestellt.

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Das Land ist hier, abseits der Küste, schon weit weniger grün und bewaldet als noch zwischen San Sebastián und Bilbao. Trockenes Gras dominiert.

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Immer wieder stehen am Straßenrand die „Camino de Santiago“-Schilder, zu deutsch: Jakobsweg. Der Camino stellt sich mit zahlreichen Camions (Lastwagen) hier allerdings eher als vielbefahrene Landstraße dar. Will man hier pilgern?

Zum Glück befreit mich wieder mal das Navi aus dieser Situation. Ich verpasse eine Abfahrt der Autobahn, bin plötzlich auf dem Weg nach Süden Richtung Saragossa und muss wieder ein Stück über kleine Seitenstraßen fahren, um auf die ostwärts führende N 240 zurückzukommen.

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In Tiebas bildet die Ruine der Burg ein weithin sichtbares Landschaftsmerkmal.

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Die Aussicht ist oft grandios. Weit hinten, im Norden, sind schon die ersten Ausläufer der Pyrenäen zu erkennen.

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Hinter Yesa wird der Rio Aragón zum Embalse de Yesa aufgestaut. Ein Schwarm Zugvögel fliegt gerade über dem See – schnell angehalten und die Kamera rausgerissen! (An dieser Stelle nochmal der Hinweis, dass sich alle Bilder hier auch groß klicken lassen.)

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Das Ufergestein des Sees ist bizarr geformt. Das müssen die Bárdenas Reales sein, von denen ich im Reiseführer gelesen habe.

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Die Gegend ist einsam.

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Verdammt einsam. Selbst ein Dorf, das nördlich der Landstraße liegt, stellt sich bei näherem Hingucken als verlassene Ruine heraus. Es ist wohl noch nicht allzu lange her, dass die letzten Bewohner aufgegeben haben.

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Die Straße führt nach Norden, hoch ins Gebirge.

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Dann bin ich endlich in Canfranc. Ein abgelegenes Tal, ein paar Häuser, eine Kirchenruine. Und wo ist nun der berühmte Riesenbahnhof?

Baskenblog: Vitoria, nachts

Für die Fahrt nach Vitoria nehme ich natürlich nicht die gebührenpflichtige Autobahn A 804, sondern die kleine Landstraße, die sich neben, über und unter ihr langschlängelt. Hier kann man wenigstens mal ein Foto machen. Wieder bin ich überrascht, wie grün und waldig das Baskenland ist.

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Am frühen Abend erreiche ich die baskische Hautstadt, die offiziell Vitoria-Gasteiz (Gasteiz ist der baskische Name) heißt. Mit der 227.000-Einwohner-Stadt verbinde ich so gut wie nichts, so dass ich etwas überrascht bin, als ich durch Straßenschluchten mit siebenstöckigen, ziemlich mondänen Wohn- und Geschäftshäusern fahre. Die Jugendherberge liegt in einer Straße namens Escultor Isaac Diez, die mein Navi einfach nicht finden will. Immer und immer wieder kurve ich durch das in Frage kommende Viertel, finde das Straßenschild nicht, rufe in der Herberge an – doch die junge Dame an der Rezeption spricht kaum Englisch. Schließlich löst sich das Rätsel. Die Escultor Isaac Diez ist ein winziger Sackgassenstummel, kaum mehr als ein Wendehammer, an dessen Ende hinter einer Mauer das etwas zurückhaltend beschilderte Gebäude liegt.

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Genau, das ist das Jugendherbergs-Schild.

Aber das Zweibettzimmer (ich hab’s alleine) ist konkurrenzlos günstig und hat sogar ein komplettes Bad. Und das für 18 Euro oder so.

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Abends tigere ich noch ein wenig durch die Stadt. Hier der Plaza de la Virgen Blanca mit dem Denkmal für die Schlacht von Vitoria, in der 1813 Wellington die Truppen Napoleons besiegte. Im Hintergrund die Iglesia de San Miguel Arcángel, zu deutsch Kirche des Hl. Erzengels Michael.

Eine Kneipe und ein Internetcafé gegenüber machen mich zu einem glücklichen Menschen. Erst gönne ich mir ein fürstliches Geburtstagsmahl mit leckeren Pintxos und frischem kühlen Bier…

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…dann setze ich mich an den Rechner und blogge die nächsten Kapitel meiner Reise.

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Als man mich gegen 22 Uhr vor die Tür kehrt, ist es schon dunkel. Jetzt überrascht mich die Stadt mit diversen Lichteffekten wie den kleinen Springbrunnen auf dem Plaza de la Virgen Blanca, die ihren Farben wechseln…

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…und den futuristischen Straßenlampen dahinter.

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Auf dem Rathausplatz (?) überrascht mich dagegen wieder das „Eta-nein-danke“-Transparent. Ob es hier Demonstrationen gegeben hat? Vielleicht in Zusammenhang mit dem Bombenanschlag vor ein paar Tagen?

Neues aus Washington

Public Viewing, das wissen wir seit der Fußball-WM, bezeichnet das öffentliche Übertragen von Fernsehereignissen vor größeren Menschenansammlungen. So wie der Ansammlung im Pub „Papillon“ in Aachens Gastromeile Pontstraße, wo ich gerade sitze. Der ernst blickende Mann oben auf der Leinwand ist allerdings nicht Günther Netzer, sondern Wolf Blitzer, Nachrichtensprecher bei CNN. Es ist Dienstag, es ist 23 Uhr, es ist Wahlnacht in Amerika.

Die Frage, ob es sich in Aachen überhaupt jemand ansehen würde, wenn in einem doch recht weit entfernten Land ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, hat sich bereits beantwortet. Das Papillon ist gut gefüllt. Die größte Gruppe dürften die Aachener Jusos sein, die das Live-Event organisiert haben.

Mir sitzt noch ein wenig der Sport in den Knochen, von dem ich gerade komme, darum bin ich froh, dass mir meine Freunde noch einen Platz in der letzten Reihe des Geschehens frei gehalten haben. Jetzt ein kühles frisches Alster Radler (das mit Zitrone), und der Abend kann beginnen. Heute wird Geschichte geschrieben, so oder so.

23.30 Uhr. Tabellen, Statistiken, Prognosen. Die Kollegen vom Fernsehen sind nicht zu beneiden. Stundenlang reden zu müssen, während noch absolut nicht passiert, ist nicht leicht. An den Tischen wird genauso haltlos spekuliert wie da oben im Studio.

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23.55 Uhr. Ein Juso steht auf, begrüßt die Zuschauer und wünscht einen angenehmen Abend. Dass wir nicht gerade in einem Lager von McCain-Anhängern gelandet sind, davon zeugen die diversen Obama-Fanposter an den Wänden.

0.03 Uhr. Unglaublich, wieviele Statistiken man sich zu Wahlen ausdenken kann. Gerade erzählt man uns, dass für 9 Prozent der Wähler Gesundheit der wichtigste Faktor war. Dass Barack Obama, würde er denn gewählt, der 27. Jurist im Weißen Haus wäre. Dass Sarah Palin, würde McCain Präsident, die erste Vizepräsidentin aus Alaska sei. Und, und, und.

0.17 Uhr. Endlich Statistiken, wie wir sie kennen und lieben. Während auf den Diskussionstisch im Studio ein 3-D-Modell des Kongressgebäudes in Washington eingeblendet wird (was auch genau so lange überzeugend aussieht, wie die Kameras stillstehen, danach wirkt das ganze leider wie eine verwackelte Bildmontage), werden erste Hochrechnungen eingeblendet. Kentucky: McCain 59 Prozent, Obama 40 Prozent. Es folgt Indiana, wo es für Obama besser aussieht: 56 Prozent für ihn, 43 für McCain.

Wie es sich für Nachrichtensender gehört, verabschieden sich die Moderatoren alle paar Minuten für einen ultrakurzen Werbeblock. Und wer mag jetzt wohl werben, wenn der halbe Globus zuguckt und die Werbesekunde ein Vermögen kostet? Turkish Airlines zum Beispiel. Das Emirat Dubai. „India means business“ heißt es in einem eher schlicht gemachten Wirtschafts-Spot mit Mähdreschern und Bauarbeitern, in dem der Subkontinent in einer Bildergalerie vorgestellt wird.

Anschließend läuft CNN-Anchorman (was LEO mit „Hauptnachrichtenmoderator“ übersetzt) durch einen Urwald Zentralamerikas, um irgendwie für die Umwelt zu trommeln.

0.43 Uhr. Cooper steht wieder im Studio, gescheitelt und geschniegelt. Vor einem Riesenbildschirm, den Medienjournalist Stefan Niggemeier kürzlich „den feuchten Traum aller iPhone-Besitzer“ genannt hat. Auf ihm wedelt er virtuos Landkarten herbei, zoomt sie mit den Fingern groß, malt gelbe Linien darauf, schiebt sie hin und her und piekt einzelne Städte und rot oder blau. Wahlweise Wahlkreise. Was es alles gibt.

1.16 Uhr. Doch es kommt noch besser. Heute kriegt der Zuschauer alles geboten, was die CNN-Techies in der Trickkiste haben. CNN-Korrespondentin Jessica Yellin wird als Hologramm ins Studio gebeamt. Da steht sie nun etwas unterlebensgroß (es sei denn, sie ist kleinwüchsig) mit sanft leuchtendem blauem Rand vor Wolf Blitzer. Sieht aus wie der Auftritt des Imperator aus „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ von 1983, nur nicht so überzeugend.

1.20 Uhr. Hungergefühl kommt auf. Ein Teller Pommes Frittes Fritten schafft Abhilfe.

1.28 Uhr. Vom Nachbartisch fragt jemand rüber: „Ihr seid doch gut informierte Leute, oder? Wie ist denn das jetzt eigentlich mit dem Senat und dem Repräsentantenhaus und dem Kongress?“ Oh je. Ich krame mein Restwissen über das parlamentarisches System der USA zusammen, das noch aus Zeiten eines Schüleraustauschs stammt. Also: Der Kongress besteht aus zwei Kammern, Senat und Repräsentantenhaus. Im Repräsentantenhaus sitzen 435 Abgeordneten, die für jeweils einen US-Wahlkreis stehen. Im Senat sitzen dagegen pro Bundesstaat zwei Senatoren.

Für die Präsidentenwahl wiederum ist wichtig, dass jeder Bundesstaat eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern hat. Der Kandidat, der in einem Staat die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommt, schickt sämtliche dieser Wahlmänner in die Wahlversammlung. 270 Wahlmänner muss man so zusammenkriegen, damit man die Mehrheit hat.

1.45 Uhr. Neue Zahlen. Indiana: McCain 50, Obama 49 Prozent. Virginia: McCain 56, Obama 44 Prozent, Georgia McCain 60, Obama 39 Prozent.

Wie ein Erdrutschsieg für Obama sieht das nicht gerade aus. Entsprechend lautstark wird an den Tischen debattiert, über dem Lärm ist gerade noch zu verstehen, dass die Experten im Studio den „Bradley-Effekt“ diskutieren. Das ist das Phänomen, wonach Wähler in Umfragen angeben, für einen farbigen Kandidaten zu stimmen, an der Wahlurne dann aber den weißen Konkurrenten wählen. Passend dazu wird wieder mal eine Statistik serviert, wonach 84 Prozent aller Evangelikalen und/oder Wiedergeborenen Christen (das sind die Ultra-Religiösen) für McCain gestimmt haben. Ist die Obamania schon zu Ende?

In North Carolina liegt Obama dagegen mit 51:48 vorne, auch im heftig umkämpften „Battleground“-Staat Florida führt er.

2.10 Uhr. Neue Hochrechnungen. Im Senat führen die Demokraten inzwischen mit 27 : 41 Sitzen, 51 brauchen sie für die Mehrheit. „Everywhere we look, McCain is underperforming Bush, and that’s a problem“, erklärt Cooper mit Blick auf die vorangegangene Wahl 2004, als George W. Bush den Demokraten John Kerry geschlagen hat. Überall, wo wir hinschauen, schneidet McCain schlechter ab als Bush, und das ist ein Problem.

2.27 Uhr. Ein Blick auf’s Handy. Das Angebot von Spiegel Online – die abgespeckte Version für Handybrowser – ist ziemlich unaktuell und liegt deutlich zurück. Bei der New York Times dagegen ist sogar schon Texas hellblau markiert, also zu den Demokraten neigend. Texas? Demokratisch? Da wissen sie mehr als CNN.

2.43 Uhr. Für einen weiteren Battleground-State liegen jetzt Hochrechnungen vor: Pennsylvania. Wegen des knappen Ergebnisses wollten die Statistiker erst warten, bis gesicherte Ergebnisse vorlagen. Jetzt prophezeit CNN: „Obama wins Pennsylvania“.

2.55 Uhr. Mir tut der Hintern weh. Seit vier Stunden sitze ich schon auf diesem Holzstuhl. Gut, dass jetzt der Barkeeper gerade die Sitzkissen von draußen hereinholt. Darf ich…? Aaah, das ist besser. Und einen Kaffee, bitte.

2.59. Kaffee.

3.05 Uhr. Die nächsten Prognosen. Obama führt jetzt schon mit 174 zu 49 Wahlmännern. Im Senat haben die Demokraten bereits die Mehrheit – 51 zu 27 Senatoren.

3.10 Uhr. Das Ergebnis gewinnt Konturen. Es wird Obama. Die Spannung lässt entsprechend nach. Der Raum hat sich bereits sichtlich geleert. Auch die Jusos haben jetzt genug, rollen ihre Fahnen ein und kleben die Plakate ab. Von den wenigen übrigbleibenden Gästen ruft ihnen jemand spöttisch zu, ob ihr politisches Interesse denn nun erloschen sei. Es gibt eine längere, etwas hitzige Diskussion. Ich bin schon zu müde, um genau hinzuhören. Aber ich gehe hier nicht weg, bevor die Entscheidung sicher ist. Als ich mich 2004 schlafen legte, war John Kerry Präsident und als ich am Morgen aufwachte, war es George W. Bush. Ein paar Stimmen in Florida hatten den Ausschlag gegeben.

3.45 Uhr. Nachdem Anderson Cooper auf seinem Wunderschirm sämtliche noch nicht ausgezählten Staaten außer den todsicheren Obama-Hochburgen an der Westküste mal probeweise rot gepiekt hat und es für McCain trotzdem nicht mehr reichen würde, ist die Sache so gut wie klar. Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten hat einen Vater aus Kenia, ist auf Hawaii und in Indonesien aufgewachsen und heißt mit zweitem Vornamen Hussein. Kann man anders als die Amerikaner dafür bewundern, dass so viele von ihnen sich frei machen konnten von Vorbehalten, Vorurteilen und Rassismus? Würden wir Deutsche einen gebürtigen Halb-Kenianer, und sei er noch so intelligent und integer, zum Bundeskanzler wählen?

3.47 Uhr. Feierabend. Das letzte Häuflein Wahlbeobachter steht frierend und mit verquollenen Augen in der Pontstraße. Kalter Nebel liegt über Aachen. Für die Jahreszeit ganz normal. Trotzdem: Die Welt ist plötzlich nicht mehr dieselbe wie noch vor vier Stunden.

Mal sehen, ob in der Nacht, in der Geschichte geschrieben wurde, auch noch ein kleines bisschen Schlaf zu bekommen ist.

Baskenblog: Bilbao, Museo Guggenheim

Dienstag, 30. September. Mein Geburtstag. Für heute habe ich mir etwas Besonderes vorgenommen: einen Besuch im Guggenheim-Museum.

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Das 1997 vom amerikanischen Stararchitekten Frank Gehry gebaute Museum ist das Highlight der Stadt.

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Wie eine Mischung aus Ozeandampfer und Zeppelin liegt es am Ufer des Nevión.

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Die große Straßenbrücke über den Fluss in das Gebäude zu integrieren, war für Gehry eine echte Herausforderung.

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Die Rückseite. Neben Titan bestehen die Wände aus Kalksandstein.

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Dieser blühende Blumenwelpe auf dem Platz vor dem Eingang heißt Puppy (ja, das ist das englische Wort für „Welpe“) und ist in seiner bunten Harmlosigkeit ein typisches Werk des amerikanischen Kitschkünstlers Jeff Koons. Eigentlich war er nur für die Eröffnungsausstellung gedacht, doch weil ihn die Bewohner der Stadt sofort ins Herz geschlossen hatten, steht er heute noch da. Was viel über die Anfälligkeit des modernen Menschen für Kitschkunst aussagt. Aber ist er nicht soooo süß, wie er so sitzt und guckt?

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Schon etwas schwerer zu verstehen sind die Skulpturen von Juan Muñoz auf der Eingangstreppe heißen „Thirteen Laughing at Each Other“.

Im Museum selber gibt’s dann leider eine kleine Enttäuschung, weil man im Gebäude nicht fotografieren darf. Meine Canon wird eigens in eine Plastiktüte eingesiegelt. Was das Innenleben und die Dauerausstellung angeht, kann ich darum nur auf die Wikipedia-Bildergalerie und Seiten wie Fernweh.de verweisen, wo mehr zu lesen und zu sehen steht. Etwa über die begehbaren rostigen Stahlellipsen von Richard Serra. Mit Muñoz dagegen, dessen Lebenswerk gerade im ersten Stock gewürdigt wird, kann ich dagegen nicht soviel anfangen. Ein leerer Raum mit schmiedeeisernen Balkonen an den Wänden – äh…?

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Geht man durch das zentrale Atrium des Museums, das ähnlich wie ein Herz gestaltet ist, gelangt man auf die hintere Besucherplattform. Hier ist Fotografieren wieder erlaubt. Gut, dass die Plastiktüte Grifföffnungen hat, durch die eine Powershot A 2000 IS gerade durchpasst. Die spinnen, die Spanier.

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Moderne Kunst: die tägliche Nebelinstallation von Fujiko Nakaya.

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„Maman“ von Louise Bourgois, eine fast zehn Meter hohe Bronzefigur in Spinnenform. Erstaunlicherweise wollte die Künstlerin ihrer Mutter mit diesem Werk ein liebevolles Denkmal setzen: Die Spinne ist für sie Symbol für das weise, hegende und webende Wesen der Mutter. Man darf halt nicht immer gleich an Tarantula denken.

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Mutter Natur hat’s lieber eine Nummer kleiner. Freifliegende Installation aus Chitin an der Außenwand. Deren Platten aus gewalztem Titan übrigens nur hauchdünn sind.

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Es ist quietschbunt, es ist irgendwie appetitlich… es ist natürlich ebenfalls von Jeff Koons.

Für das Museum sollte man sich ein paar Stunden Zeit nehmen – und einen Audioguide. Der ist nämlich sehr hilfreich beim Verständnis der Werke. Moderne Kunst, sage ich nur.

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Soviel Kreativität weckt den Wunsch des Betrachters, selbst zu schaffen, zu bauen und zum Leben zu erwecken. Hier seht Ihr die Installation „Freier Wind“ von Marc Heckert, September 2008, Material: Suzuki vor Titan.

Es ist Nachmittag und damit Zeit, Bilbao den Rücken zu kehren. Aber wohin? Weiter nach Westen, die Küste runter in Richtung Galizien? Vielleicht sogar nach Santiago de Compostela? Aber irgendwie habe ich keine Lust mehr, mich noch weiter von zu Hause zu entfernen. Schließlich muss ich die ganze Strecke auch wieder zurück. Also entscheide ich mich, wieder zurück nach Osten zu fahren, dafür aber weiter ins Landesinnere. In Vitoria, der Hauptstadt der autonomen Region Baskenland, gibt es eine Jugendherberge. Und sie hat ein Zimmer für mich.

Baskenblog: Marit geht in die Luft

Montag, 29. September. Der nächste Tag beginnt nicht gut. Ich wache gegen halb sieben auf, viel zu früh fürs Frühstück, das zwischen acht und neun Uhr serviert wird. Weil der Lärm der Schnellstraße vor dem Fenster mich nicht mehr einschlafen lässt, stecke ich mir die Stöpsel in die Ohren. Mit dem Resultat, dass ich erst um drei Minuten nach 9 Uhr wieder wach werde. Da sind die Rollläden der Frühstückstheke im Speisesaal tatsächlich schon wieder heruntergelassen. Gnadenlos. Mist!

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Doch die Lage bessert sich. Die nette und fließend Deutsch sprechende Dame am Empfang hat nicht nur einen Stadtplan für mich, sondern auch noch ein Breakfast-Bag, eine Frühstückstüte zum Mitnehmen. Als ich damit gemütlich vor der Jugendherberge sitze und das süße Buttersandwich futtere, komme ich mit einer deutschen Touristin ins Gespräch, die dort ihren Rucksack packt. Sie ist auf dem Jakobsweg – und das mit bestimmt 60 Jahren, Respekt. Sie gibt mir den Tipp, den Nevión hoch bis Portugalete zu fahren. Dort stünde eine einzigartige historische Hängebrücke aus Stahl, ein Unesco-Weltkulturerbe. Manchmal ist es auch ganz gut, nicht nur nach dem Reiseführer zu gehen. Solche Gespräche sind übrigens der Grund, weshalb ich Jugendherbergen mag: Man trifft immer interessante Leute und erfährt eine Menge.

Nach dem Frühstück fahre ich erst einmal durch die Stadt. Bilbao hat zwar den Ruf weg, eine gesichtslose und eher hässliche Hafenstadt zu sein, es gibt aber doch viele reizvolle und interessante Ecken. Das Highlight ist natürlich das Guggenheim-Museum, aber das spare ich mir absichtlich für morgen auf – meinen Geburtstag.

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Am Ufer des Nevión, der durch die Stadt fließt.

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Das Theater Arriaga am Rand der Innenstadt. Hier gönne ich mir in einem Straßencafé noch einen Kaffee und ein Sandwich und schmökere in meinem Vis-a-vis-Reiseführer. Über die Hängebrücke von Portugalete steht allerdings wirklich kaum etwas drin.

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Ein paar Schritte weiter leuchtet die buntbemalte Prachtfassade des alten Hauptbahnhofs.

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Die Hängebrücke möchte ich unbedingt sehen. Auf dem Weg das Nordufer des Nevión hinauf erinnern Fabrikruinen daran, dass Bilbao in den vergangenen Jahren einen Wandel weg von einer Schwerindustriestadt in der Strukturkrise zu einer modernen Metropole genommen hat.

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Und da ist sie: Die Puente de Vizcaya, Verzeihung: die Bizkaiko Zubia. Das 1893 fertiggestellte Bauwerk ist die älteste Schwebefähre der Welt und noch voll in Betrieb.

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Für 30 Cent werden wir übergesetzt – zum ersten Mal geht Marit buchstäblich in die Luft.

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Dann entschwebe ich alleine gen Himmel. Zu Fuß selber über die 160 Meter lange Hochbrücke zu laufen ist erstaunlicherweise teurer, als bequem mit der Gondel auf Straßenlevel über den Fluß zu schweben. Fünf Euro kostet das Vergnügen, sich von einem Fahrstuhlführer auf einen der 45 Meter hohen Stahltürme fahren zu lassen.

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Aber es ist das Geld wert. Whow, was für ein Bauwerk…

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…man darf nur nicht nach unten gucken, wo gerade die Gondel vorbeirauscht.

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Kein Problem eigentlich. Den Fluss hochzugucken ist ja auch viel schöner…

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…oder hinunter, in Richtung Stadt. Währenddessen schwärmt über die Lautsprecher ein euphorischer Kommentator auf Englisch in einer Art Hörspiel von der Geschichte dieses „großartigen Bauwerks“. Untermalt von Pferdegewieher und Kanonendonner.

Und so sieht die Brücke in Aktion aus.

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Zurück in die Stadt. Während es langsam dunkel wird, bummele ich durch die Gassen der Casco Viejo, der Altstadt.

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Hübsch: Einige der Straßen sind nach alten Sportarten benannt, wie hier nach dem Pelota-Ballspiel.

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Typisch für die Häuser hier sind die vorgesetzten verglasten Balkone an jeder Fassade.

Als es Nacht geworden ist, kaufe ich mir noch ein improvisiertes Abendbrot (noch einmal bei Lidl, wie schon auf dem Hinweg in Frankreich – da weiß man wenigstens, was man hat) und fahre zurück in die Herberge, wo ich in dieser Nacht leider das Zimmer mit einem Mitbewohner teilen muss. Da erwartet mich allerdings eine unangenehme Überraschung. Eine Riesenladung französischer Teenager tobt durch die Flure. Angeblich sind es mehr als hundert. An Schlaf ist nicht zu denken, die Kids johlen, knallen Türen, verschieben Möbelstücke. Bis halb drei liege ich wach, trotz Ohrenstöpseln. Verdammte Blagen.

Baskenblog: San Sebastián (4). Von oben.

Sonntag, 28. September. Mein letzter Tag in der Stadt bricht an, abends möchte ich schon in Bilbao sein. Vorher aber will ich noch einmal auf den Monte Igueldo. Ich treffe mich mit Stefan, einem deutschen Studenten, den ich – natürlich – über Couchsurfing kennengelernt habe. Er ist gerade in die Stadt gezogen. Wir fahren zusammen mit der Funicula-Standseilbahn auf den Berg.

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Die Aussicht vom Palastturm ist, wenn möglich, noch grandioser als vom gegenüberliegenden Monte Urgull. Von hier aus sieht man auch besonders gut, warum die kleine Insel Santa Clara „Schildkröte“ genannt wird.

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Für unsere Augen etwas befremdlich ist der Vergnügungspark auf dem Berg. Er wirkt neben den Mauern des Burgturms etwas bizarr, hat aber offenbar eine lange Tradition.

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Ja, es sind Espressotassen da auf dem Karussel. Nein, ich weiß nicht, warum. Daneben stehen überdimensionale Pilze mit etwas vergrumpften Gesichtern.

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Die Funicula auf dem Rückweg.

Stefan empfiehlt mir noch ein Internetcafé in der Nähe. Trotz des Tourismus in der Stadt sind solche Angebote überaus dünn gesät – er hat bis jetzt nur drei oder vier entdeckt. Insgesamt scheint Spanien kein Internetland zu sein, man erledigt die Dinge offenbar lieber im direkten Kontakt. Wieviel hier nachts noch auf den Straßen los ist, habe ich ja am Vorabend gesehen. Selbst um 22 Uhr spielten noch Kinder auf den Plätzen. Es herrschte ein Trubel wie bei uns, wenn Stadtfest ist.

Ich unterhalte mich mit dem Menschen hinter der Theke des Internetcafés. Er ist Südamerikaner und mag Deutschland. Freiburg hat es ihm besondes angetan. In San Sebastián ist er nicht allzu glücklich, er kommt mit den Menschen nicht zurecht. Und die Mieten sind hoch, sehr hoch: Er zeigt mir Wohnungsanzeigen für Zwei- bis Dreizimmerwohnungen, die fast alle mehr als 1000 Euro im Monat kosten. Soviel zu meinem heimlichen Plan, mir bei Eintritt späteren Reichtums in der Gegend ein Ferienhäuschen zuzulegen. Außerdem stellen wir fest, dass wir am selben Tag Geburtstag haben: am 30. September nämlich, übermorgen.

Als ich mich verabschiedet habe und vor dem Café meine Freewind aufschließe, bekomme ich eine SMS aus Deutschland aufs Handy: Alemannia Aachen hat den FC Freiburg besiegt. Was mag mir das Schicksal damit sagen wollen?

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Eine letzte Fahrt über die Uferpromenade, um das Gepäck abzuholen. Donostiarraks sonnen sich am Strand – ganz schön freizügig. Dann ist es Zeit, mich von der Stadt zu verabschieden, wegen der ich mehr als 1300 Kilometer weit gefahren bin.

Bis Zarautz nehme ich die Autobahn, das spart Zeit und Nerven. Von da an fahre ich aber über die kleine Küstenstraße N 634.

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Eine gute Wahl. Ich hätte nicht gedacht, dass die Gegend hier so schön ist.

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Getaria. Auch hier gibt es eine Bucht mit Sandstrand, natürlich in etwas kleinerem Maßstab.

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Kutter, Klippe, Kirche.

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Eine gute Gelegenheit, vor landschaftlich schönem Hintergrund einmal die treue Begleiterin abzulichten, die mich ohne zu Mucken bis hierher getragen hat: meine Suzuki, äh, Seewind.

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Im Nachbarort Zumaia begrüßt mich Politik. Baskisch ist eine der geheimnisvollsten Sprachen der Welt, mit keiner anderen Mundart verwandt. Doch das Wort rechts auf der Kaimauer verstehe sogar ich: Selbstbestimmung.

Und ein paar Kilometer weiter, die Straße windet sich inzwischen als GI 638 weiter nach Ondarroa, wird der Baskenkonflikt plötzlich sehr lebendig. Ich gerade in eine Polizeisperre der Guardia Civil. Schwerbewaffnete Soldaten mit Sturmgewehren prüfen jedes Fahrzeug, bevor sie es weiterfahren lassen.

Kriegsspiele, denke ich. Falsch: Vor wenigen Tagen, am 21. September, ist vor der Polizeiwache in Ondarroa eine Autobombe explodiert. Sieben Menschen wurden verletzt. Ganz so friedlich, wie es aussieht, ist das Baskenland nicht.

Im Dunkeln, gegen 20 Uhr, erreiche ich Bilbao. Dort erlebe ich es zum ersten Mal, dass mich das Navi komplett im Stich lässt. Ich habe die Adresse der Jugendherberge als Ziel eingegeben. Mitten auf einer Autobahnabfahrt behauptet das Gerät, ich sei am Ziel. Mutterseelenallein stehe ich in einem menschenleeren Industriegebiet. Ich spreche kein Spanisch, die Spanier kein Englisch, es ist zum Verzweifeln. Und in der Herberge geht niemand mehr ans Telefon. Irgendwann wird die Rezeption schließen, dann habe ich ein mittleres Problem.

Fast eine Stunde lang gurke ich hilflos durch Vororte der nächtlichen Hafenstadt, bis mir jemand endlich den Weg zur Herberge zeigen kann. Sie ist höllisch schwer zu finden: Mitten in einer Baustelle, nur von einer Seite aus zu erreichen, zweigt eine schmale Straße ab, die einen Berg hinauf führt.

Gegen 21.10 Uhr betrete ich die Herberge und habe Riesenglück, dass noch jemand hinter der Theke sitzt. Kurze Zeit später ist nur noch ein Wachdienst da. Gottseidank habe ich ein Einzelzimmer.