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Da steht er, mein Wintergolf. Und zum ersten Mal, seit ich ihn vor fast drei Jahren für einen Hunderter gekauft habe, finde ich den Gedanken an einen Neuwagen verführerisch, die Irrsinnspreise der Autoindustrie hin und jahrelanges Abstottern absurd hoher Monatsraten her. Es ist 22.45 Uhr, es ist an der Total-Tankstelle in Eynatten, Belgien, die gerade geschlossen hat, es ist schweinekalt und ich habe mich ausgesperrt und kann nicht mehr weg.

Vor ein paar Wochen ist mir beim Einsteigen der Griff der Fahrertür abgebrochen. Vielleicht ist bei der starken Kälte zu der Zeit – es war minus 15 Grad – das Material spröde geworden. Andererseits ist bei einem Kilometerstand von über 290.000 halt mit dem einen oder anderen Schwund zu rechnen (ich hätte mir natürlich statt des Golfs auch ein Auto für 200 Euro kaufen können).

Da ich im Januar umgezogen bin und für lange Abende in der Werkstatt weder Zeit noch Lust hatte, musste ich unzählige Male durch die Beifahrertür reinklettern, die linke Tür von innen aufmachen und dann um den Wagen herumgehen, um endlich einsteigen zu können. Unzählige Male ging das auch gut. Bis jetzt, an der Gas-Zapfsäule in Eynatten nach dem VdH-Stammtisch. Da habe ich den Schlüssel im Zündschloss stecken und die Fahrertür zufallen lassen – bei abgeschlossener Beifahrertür.

Da steht er nun, mit kaputter Tür, mit rostfleckigem Kotflügel vorne rechts, mit Hinterradbremsen, die fiese Scheuergeräusche von sich geben, mit einem gerade geschweißten und trotzdem wieder röhrendem Auspuff. Ein Wort drängt sich in so einer Situation in den Kopf.

ABWRACKPRÄMIE.

Aber natürlich ist es Schwachsinn, um an einen Nachlass von zweieinhalbtausend Euro zu kommen, weitere tausende von Euros auszugeben. Und dafür völlig fahrtüchtige Autos reihenweise zu schreddern und so Werte in Millionenhöhe zu vernichten. Staatliche Hilfe scheidet also aus. Die Antwort auf die Tankstellenkrise von Eynatten kann also nur ein massives privates Investitionsprogramm sein. Gestreckt über mehrere Wochen.

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Da wäre zunächst, quasi als – haha – Einstieg, der zerbröselte Türgriff, vorne im Bild. Siggi hat noch ein paar Neugriffe in seinem Kabinett der Köstlichkeiten. Mehr noch: Er ist sogar in der Lage, den Schließzylinder so umzufruckeln, dass mein alter Schlüssel weiterhin passt. Fragt nicht, was so etwas bei VW gekostet hätte.

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Zweitens: Der rostige Kotflügel. Der linke kam ja schon gleich zu Anfang neu, da ist es nur logisch, dass es den anderen jetzt auch erwischt hat. Das Ding hat bei Ebay lächerliche 28 Euro inklusive Versand (!) gekostet, das Lackieren schlägt dagegen mit 180 Euronen zu Buche.

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Aber es hat sich gelohnt.

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Drittens: Das komische Geräusch von hinten. Weil Reinigen der Bremsen vor einigen Wochen nichts gebracht hat, kommt jetzt das ganz große Konjunkturpaket zum Tragen. Erstmal runter mit den rostigen Trommeln…

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…und raus mit dem alten Innenleben. Bremszylinder und Beläge kommen neu, das Innenleben der Trommel wird gründlich gereinigt, ausgebrannt und überlackiert – weil auf der so geglätteten Oberfläche der Bremsstaub nicht mehr so gut haftet.

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Verhüllt wird die glänzende Pracht von nicht minder glänzenden neuen Bremstrommeln, frisch mit silbernem Zinkspray lackiert, damit sie auch so bleiben. Samt neuer Radlager.

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Das ganze achtteilige Reparaturset hat übrigens bei Ebay gerade einmal läppische 74 Euro gekostet – inklusive Versand. Trotz Trommeln made in Germany by Herzog. Für das Geld hätte ich im Teilehandel nicht einmal diese Trommeln bekommen. Ein Osnabrücker Teilefritze wollte über 120 Euro für einen Satz haben, mit Radlagern 160.

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Neu kommt auch der Auspuff. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ein Endtopf an so vielen Stellen gleichzeitig durchrosten kann. Daher also das Wort Aus-puff.

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Fünftens: Was fürs Auge. Die Abwrackprämie hat nämlich durchaus auch ihr Gutes. Der Hof beim Verwerter Hüllsiek steht voller Autos. So voller Autos, dass die armen Leute nicht mehr wissen, wohin mit den ganzen Todeskandidaten. Wer nach Altteilen sucht, hat Auswahl ohne Ende. Ich entscheide mich für das Innenleben eines weinroten Golf III mit ganzen 108.000 Kilometern. Er ist innen und außen wie neu. 150 Euro für Sitze und Innenverkleidungen, fertig ausgebaut. 5 Euro für eine Hutablage, die aussieht wie frisch gepresst. Dazu ein paar Kleinteile vom Spiegelglas (2 Euro – das alte war angelaufen) bis zur Innenverkleidung der Heckklappe (3 Euro).

Da ich hier ohnehin die nächsten Jahre in dieser Umgebung verbringen werde, bis sich die Gasanlage rentiert hat, kann ich es mir wenigstens etwas wohnlich einrichten. Der Fahrersitz des Weinroten war ganz nach oben gekurbelt – ich tippe auf eine zierliche Fahrerin älteren Baujahrs, so unverbraucht, wie der Wagen aussah. Schade drum. Die Karosserie war nach dem Hängetransport mit dem Gabelstapler eh nicht mehr zu retten.

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Zuletzt: Neue Schuhe. Eine Woche später fallen mir an einem anderen Neuankömmling auf dem Hüllsiekschen Firmengelände die fast makellosen Originalfelgen auf. Es ist 12.50 Uhr, zehn Minuten vor Feierabend. Weil die Schrottis pünktlich Feierabend machen wollen, vergessen sie ganz, die Reifen von den Felgen zu ziehen. Zwei haben noch prima Profil – das alles für 120 Euro. Dafür hätte ich beim Reifenhändler gerade zwei neue Uniroyal-Sommerschlappen gekriegt.

So. Immer noch kein Neuwagen. Aber der Frust ist wieder weg für eine Weile. Und das Thema Vernichtungsprämie ist vom Tisch. Jetzt kann der Sommer kommen.

PS: In Eynatten rettete mich übrigens am Ende der Thomas K. vom VdH.

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