Neues vom Straßenrand (5)

Nach fast zwei Jahren in Aachen war es jetzt Zeit, sich eine neue und größere Wohnung zu suchen. Neue Wohnung heißt auch: neue Nachbarschaft. Ich finde es immer wieder spannend, sich in einer unbekannten Umgebung einzuleben. Was es da alles Großes und Kleines zu entdecken gibt…

Wie zum Beispiel an einem geparkten Auto am Straßenrand. Wochenlang bin ich an dem betagten Volvo vorbeigelaufen und habe das aufgeklebte gelbe Ferrari-Wappen am Kotflügel nur aus dem Augenwinkel registriert.

Heute Morgen habe ich dann zum ersten Mal richtig hingeguckt. Das ist ja gar kein Ferrari-Ross, was da klebt:

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In meiner neuen Nachbarschaft haben sie vielleicht hässliche Autos. Aber hübschen Humor.

Baskenblog: Carcassonne

Donnerstag, 2. Oktober 2008. Am nächsten Morgen scheint über Carcassonne – kein Kalauer – die Sonne. Es war gestern Nacht ein etwas komisches Gefühl, mit dem Motorrad direkt durchs Burgtor und durch die engen Gässchen der Mittelalterstadt zu knattern. Aber das Navi hatte mal wieder Recht: Die Jugendherberge liegt genau in der Mitte der mehr als zwei Jahrtausende alten Siedlung. Und Hotelgäste dürfen tatsächlich motorisiert bis vor die Herberge fahren. Marit darf sogar im Innenhof parken.

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Die befestigte Stadt – die historische Cité auf dem Berg bildet nur die Oberstadt – ist nicht allzu groß und gut an einem Tag zu Fuß zu erkunden.

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Die von Historiker und Architekten Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert restaurierten Burganlagen sind weltweit einzigartig. Die Türme der äußeren Stadtmauer sind oft als sogenannte Schalentürme gestaltet, also nach hinten hin offen. So boten sie einem eingedrungenen Feind keine Deckung zur inneren Stadtmauer hin.

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Ob die Restauration der historischen Bausubstanz eher geschadet oder eher genutzt hat, ist unter Fachleuten umstritten. Fakt ist jedenfalls, dass der Betrachter einen hervorragenden Eindruck davon bekommt, wie die Stadt zu ihrer größten Zeit im Hochmittelalter einmal ausgesehen hat. Wer Ruinen will, soll halt nach Schottland fahren und sich Urquhart Castle anschauen.

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Die ältesten Teile von Carcassonnes Außenmauern stammen noch aus gallo-römischer Zeit und sind rund zweitausend Jahre alt.

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Ab dem 12. Jahrhundert war die Stadt eine der Verbreitungsstätten der Katharerbewegung, die sich von der katholischen Kirche losgesagt hatte. Dies und diverse Eroberungen und Erbstreitigkeiten regionaler Adelsgeschlechter führten dazu, dass die Stadt immer weiter festungsartig ausgebaut wurde.

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Heute ist Carcassonne Unesco-Weltkulturerbe – in Deutschland ist der Name auch durch das gleichnamige Brettspiel bekannt, das 2001 zum Spiel des Jahres gewählt wurde.

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Im Inneren des Stadtkerns warten Mengen kleiner Läden auf Touristen…

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…und in den kleinen Läden warten Mengen kleiner leckerer Versuchungen. Ach ja. Manchmal hätte ich ja doch einen größeren Kofferraum. Oder zumindest einen, den sich etwaige Mitbringsel nicht mit den Ausdünstungen eines Zweiliterkanisters Benzin teilen müssen. Ich entscheide mich für eine kleine gelbe Tischdecke mit provençalischem Muster. Die lässt sich waschen.

Nach ein paar Stunden habe ich das Meiste gesehen. In den Motorradklamotten wird es mal wieder unerträglich warm. Also weiter! Am Atlantik war ich schon. Jetzt will ich noch ans Mittelmeer. See Europe in one week – bin ich wirklich erst vor acht Tagen aus Aachen aufgebrochen?

Link des Tages

Hübsche Geschichte bei Auto Motor Sport über den Golf I, der in Südafrika als Golf Citi seit über 30 Jahren immer noch gebaut wird. Grund: Der Nachfolger Golf II tat sich bei der Markteinführung so schwer, dass VW nichts übrig blieb, als die alten Bänder wieder anzuwerfen – und so laufen sie bis heute. Immerhin im Innenraum ist der kantige Oldie halbwegs modern: Teile von Armaturenbrett und Cockpit stammen von Polo und Lupo.

Link des Tages

Die Galerie der 50 Worst Cars des Time Magazine mit so schönen Modellen wie dem achträdigen OctoAuto von 1911, der Renault Dauphine von 1956 („The most ineffective bit of French engineering since the Maginot Line“), dem fliegenden Waterman Aerobile von 1957, natürlich dem notorischen Ford Edsel, dem „Zunndapp Janus“ (man schreibt es etwas anders, liebe Kollegen), dem heckgetriebenen Corvair („unsafe at any speed“), dem explosiven Ford Pinto, dem Trabi, dem Aston Martin Lagonda mit seinen Kathodenröhren-Instrumenten, dem Cadillac Fleetwood V-8-6-4 mit seinen abschaltbaren Zylindern, dem Cimarron „by Cadillac“, einem aufgeblasenen Opel Ascona, dem vieläugigen Fiat Multipla, dem monströsen Ford Excursion… und meinem persönlichen Allzeitfavoriten, dem unverzeihlichen Pontiac Aztec, dem abscheulichsten Wagen aller Zeiten („hätte nicht stärker gehasst werden können, wenn es ein Hakenkreuz-Tattoo auf der Stirn gehabt hätte“), zu dem ich eigens, weil er so greulich ist, hier nochmal ein Bild aus einer anderen Perspektive herausgesucht habe. Pilotblog-Leser kennen ihn noch aus Kanada.

(Wer jetzt noch nicht genug hat, darf sich noch durch die 100 hässlichsten Autos aller Zeiten des Daily Telegraph klicken. Ich sage nur: Leyland P76, Ford Consul, Tatra T 603 und Ford Anglia.)

Oha

Der 27.500. Besucher. Was beweist, dass trotz meiner Trödeligkeit weiter Leute aufs Moorblog klicken.

Ich bin in den letzten Wochen umgezogen. Kein Netz, kein Telefon, nur Kartons und Säcke mit Krimskrams.

Und ein Keller voller W123-Teile, der mir von meinen Umzugshelfern einige sarkastische Kommentare eingebracht hat. Okay, die Anlasser waren sicher etwas schwer zu tragen. Und die alte Mittelkonsole etwas sperrig.

Baskenblog: Back to France

Immer noch 1. Oktober, später am Nachmittag. Von Canfranc aus führt die Straße weiter nach Norden.

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Es ist ein wirklich schöner Tag hier oben. Das Gebirge selber ist auch nicht allzu anstrengend – die Alpen sind doch eine Nummer größer. So ähnlich sieht es ja schon im Schwarzwald aus…

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…und dann bin ich schon wieder im Nachbarland. Willkommen in Frankreich. Das ging ja schnell.

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Oh je. Ein Blick hinunter ins Tal verheißt nichts Gutes: Eine dichte Wolkendecke hängt zwischen den Bergen.

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Aber die Gegend ist gar lieblich anzuschauen, also heißt es: jeden Meter genießen.

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Plötzlich überragt in einer engen Schlucht eine Festung die Straße: das Fort du Portalet, eine alte französische Grenzbefestigung. Die 1842 gebaute Burg dürfte neben dem Bahnhof von Canfranc die zweite größere Investitionsruine in dieser entlegenen Gegend sein. (Eine sehr schöne Bildergalerie gibt es bei „Forbidden Places„.)

Da sich die größeren Kriege der jüngsten Vergangenheit eher an Frankreichs Nordgrenze abspielten, dürfte die Inhaftierung politischer Gegner zur Zeit des Vichy-Regimes die einzige erfolgreiche bedeutende militärische Aufgabe der Anlage gewesen sein.

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Ein paar Kilometer weiter nördlich blockiert ein ganz anderes Hindernis die Straße. Im Hintergrund ist übrigens einer der unzähligen Tunnel auf der Bahnstrecke Canfranc-Pau zu sehen. Die alte Trasse verläuft meist parallel zur Straße, und man kann die vielen Viadukte, Brücken, Bahndämme und sonstigen Kunstbauten bewundern, mit denen die Konstrukteure vor fast einem Jahrhundert die Pyrenäen bezwungen haben. Auf dem südlichen Abschnitt sind die Gleise abgebaut und die Bahnhöfe leer, die Züge fahren nur noch bis Oloron-Sainte-Marie.

Dann reitet mich mal wieder der Teufel – beziehungsweise das Navi. Ich hatte mich entschlossen, unbedingt noch die berühmte Mittelalterstadt Carcassonne zu besuchen. Als das Navi dann eine ostwärts führende Seitenstraße als Route vorschlägt, verlasse ich die große N 134 lange vor Pau, und schlage mich rechts in die Berge. Wie üblich, bereue ich die Abkürzung sofort. Die Straße kringelt sich als schmaler einspuriger Teerweg durch menschenleere Seitentäler. Einzig die Namen von Radrennfahrern, die wohl anlässlich einer Tour de France auf den Asphalt gepinselt wurden, erinnern an die Anwesenheit von Menschen. Außerdem geht es wieder steil bergauf. Hoffentlich entschädigt wenigstens ein schönes Bergpanorama für das zeitraubende Serpentinengewurstel…

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Endlich oben! „Col de Marie Blanque“ heißt dieser Pass. Sagte ich Bergpanorama?

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Also wieder zu Tal. Nichts wie weg hier.

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Drob vom Berge komm ich her, ich kann euch sagen, es nebelt da schwer…

Wenn nur endlich eine Tankstelle auftauchen würde! Es wird langsam später Nachmittag, und in dieser einsamen Gegend machen bestimmt bald auch die letzten Läden zu.

Um die Chance auf Futter für Marit & mich (langsam kriege ich wirklich Hunger) zu erhöhen, lege ich die Reiseroute über die Pilgerstadt Lourdes. Die Entscheidung war zur Abwechslung mal richtig – bald erreiche ich ein Dorf mit (offener) Tankstelle. Mein rudimentäres Französisch reicht für eine Tankfüllung, eine Packung Kekse und ein undefinierbares Erfrischungsgetränk. Aaah – schon besser!

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Als ich Lourdes erreiche, wird es gerade dunkel. Die Zeit wird mal wieder knapp, also spare ich mir die berühmte Grotte für ein anderes Mal auf und beschränke mich auf einen Schnappschuss der Zitadelle aus größerer Entfernung.

Jetzt aber genug der Landstaße. Bis nach Carcassonne sind es noch 260 Kilometer, und man muss einen ärgerlichen Umweg über Toulouse fahren. Also schnell auf die Autobahn – zur Hölle mit der Maut.

Auch wenn wir in Südfrankreich sind: Anfang Oktober wird es hier nachts ganz schön kalt. Mit knapp über 130 Sachen knallen Marit und ich über A 64 und A 61 nach Osten. Ich krümme mich hinter das Windshield und wünsche mir wärmere Klamotten. Seit ich 2001 im Dunkeln auf der A1 mal fast einen abgerissenen Lkw-Frontspoiler überfahren hätte, fahre ich nachts nur sehr ungern Motorrad, Autobahn hin oder her. Hoffentlich lohnt Carcassonne die Mühe…

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Aber es lohnt sich! Und wie es sich lohnt!

Baskenblog: Canfranc, der Geisterbahnhof im Nirgendwo

Endlich geht’s weiter im Baskenblog. Seit mehr als zwei Monaten stottere ich hier mit den Beiträgen herum, das ist ja nicht mehr feierlich. Vielleicht muss ich davon abkommen, jeden einzelnen Kilometer der Reise fotografisch zu dokumentieren…

Aber zurück in ein abgelegenes Tal in den spanischen Pyrenäen in der Nähe des winzigen Örtchens Canfranc nahe der Grenze zu Frankreich. Es ist immer noch der Nachmittag des 1. Oktober 2008.

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Vor dem Eingangsportal des einstigen Prachtbahnhofs Canfranc parke ich Marit. Canfranc, das sollte ein riesigier Umsteigebahnhof für die Expressverbindung Madrid-Paris werden. Direkt hinter der französisch-spanischen Grenze sollten die Reisenden aus den normalspurigen französischen Waggons in die breitspurigen spanischen Züge umsteigen.

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Nach fast siebzigjähriger (!) Vorbereitung wurde die Bahnstrecke nach dem ersten Weltkrieg fertiggestellt. Von 1921 bis 25 entstand vier Kilometer nördlich des Dörfchens Canfranc ein luxuriöses, rund 250 Meter langes Bahnhofsgebäude, komplett eingerichtet mit Fahrkartenschaltern, Wartehallen, Zollbüros, Hotel und Restaurant, bis hin zur Krankenstation mit Gynäkologenstuhl. Zuvor war der 7,8 Kilometer lange Somport-Tunnel durch die Zentralpyrenäen fertig geworden. Mit den Geröllmengen, die bei seinem Bau anfielen, wurde das Plateau für den Bau des Bahnhofsaufgeschüttet.

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Endlich existierte eine komfortable Landverbindung mitten durch das trennende Gebirge zwischen beiden Staaten. „Es gibt keine Pyrenäen mehr“, jubelte der spanische König Alfonso XIII bei der Eröffnung 1928.

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Doch der Betrieb auf dem Riesenkomplex mit seinen 27 Gleisen kam nie wirklich in Gang. Das Umsteigen der Passagiere und Umladen des Gepäcks kosteten viel zu viel Zeit und Arbeit. Und das Verkehrsaufkommen hatten die Planer wohl gewaltig überschätzt.

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Die Weltwirtschaftskrise 1929 ließ den Verkehr weiter erlahmen. Acht Jahre nach der Eröffnung, von 1936 bis 39, wurde der Tunnel für die Dauer des Spanischen Bürgerkrieges geschlossen. Von 1940 bis 45 behinderte die deutsche Besetzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs den freien Verkehrsfluss, danach die jahrzehntelange internationale Isolation Spaniens während der Franco-Diktatur.

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Der Bahnhof, in seiner Größe etwa dem einer 100.000-Einwohner-Stadt entsprechend, verfiel erst in einen Dornröschenschlaf – und nach und nach denn auch wirklich.

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Einzig Fotografen und Eisenbahnfans schätzten die bizarre Schönheit dieses versunkenen Palastes.

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Ein verfallener Toilettenraum in einem Nebengebäude. Durch das eingestürzte Dach scheint das Sonnenlicht.

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Hinter dem Hauptgebäude liegen mehrere Wagenhallen, zwischen denen eine Reihe alter Reise- und Güterwagen aus den vergangenen Jahrzehnten vor sich hin rottet. Was für eine Stimmung mag hier an einem nebligen Novembernachmittag herrschen?

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Völlig zerfallen ist der Aufbau dieses zweiachsigen Fahrzeugs, auf dem noch Reste eines Schriftzuges stolz verkünden, dass es einmal ein dieselelektrischer Triebwagen war.

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Wohl noch aus den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammen diese Personenzugwagen.

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„Transformacion“ – Umwandlung…

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Im harten Licht der Gebirgssonne wirkt der abgeblätterte Lack des Oldtimerwagens wie ein Stilleben.

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Seinem stählernen Cousin geht es nicht besser. Im Wechsel von heißer spanischer Sonne und eisigen Bergwintern ist die Lackierung dieses vergleichsweise modernen Gerätewagens großflächig abgpeplatzt.

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Grafitti verzieren die rostigen Wände. Esperanza heißt Hoffnung. Für wen? Für was?

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Aber was für Farben! Über dem Rostrot dieses leuchtende Blau!

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Das ausgewaidete Innere eines Waggons.

In der Sonne ist es heiß, ich schwitze in meinen Motorradklamotten. Zurück zu Marit, die im Schatten vor dem Bahnhof auf mich wartet.

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Die französische Seite des Gebäudes. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung begann 2007 die Wiederauferstehung. Der Riesenbau wird in ein Hotel umgewandelt. Eifriges Hämmern und Bohren dringt unter dem Gerüst hervor, meine Bitte, ein Foto von innen machen zu dürfen, wird von einem Bauarbeiter abgelehnt.

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Heute fahren nur noch auf der spanischen Seite Nahverkehrzüge nach Saragossa. Die französische Hälfte der Strecke liegt brach, seit 1970 eine Brücke einstürzte. Gerüchten zufolge hat die französische Eisenbahn SNCF unmittelbar vor dem Einsturz ihre letzte Lokomotive aus Canfranc abgezogen. Hatten die Franzosen der ungeliebten und teuren Nebenstrecke so den Stecker gezogen?

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Das Gleis in Richtung Frankreich ist längst abgebaut. Abgerissene Oberleitungsseile baumeln trostlos von den Masten. Mit dem Motorrad fahre ich über den Schotter des alten Gleisbetts.

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Der Eingang zum Somport-Tunnel auf der Nordseite des Bahnhofsgeländes. In ihm ist heute ein Forschungslabor für Teilchenphysik untergebracht.

Im Zweiten Weltkrieg wurde hier geschmuggelt: Die Deutschen ließen sich über diese Strecke Wolframerz liefern. Dafür bezahlten sie die Spanier mit Gold, das den in die Konzentrationslager verschleppten Juden abgenommen worden war. Immerhin nutzten wohl auch Verfolgte des Naziregimes, darunter Marc Chagall und Max Ernst, diese Strecke für ihre Flucht.

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Was für ein bizarrer Ort. Immerhin ist jetzt nach Jahrzehnten des Verfalls wieder etwas in Bewegung gekommen.

Ein letzter Blick zurück, bevor ich mich wieder auf die Aufstieg mache. Hinten rechts der eingerüstete Bahnhof. Wenn ich je wieder herkomme: Wie wird es dann aussehen? Ob es hier wirklich einmal ein Luxus-Skiresort gibt? Und wird der Zugverkehr auf der französischen Seite je wieder aufgenommen?

[Wer sich für die Geschichte des Canfranc-Bahnhofs näher interessiert, wird auf der Seite www.canfranc.de der deutschen Fotografen Matthias Maas und Stefan Gregor mehr Informationen finden.]

Tankenfoto

Wir unterbrechen das Baskenblog mal wieder kurz. Heute wurde ich vor die Tür gejagt, um ein Aufmacherbild für den Webauftritt der Aachener Zeitung zu schießen:

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Also wirklich. Da fällt der Benzinpreis mal um zwei Cent, schon wird gehamstert wie im Winter 1948/49. Mich interessiert das nicht ganz so. Autogas kostet in Belgien 349 Cent, und an Benzin hab ich nur etwa fünf bis zehn Liter Starthilfeschluck im Tank.

Baskenblog: Navarra, Vitoria, Pamplona

Mittwoch, 1. Oktober 2008. Es ist etwas bewölkt, als ich am Morgen aus Vitoria aufbreche. In Pamplona habe ich ohnehin keinen CouchSurfer gefunden, also entscheide ich mich, die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes links liegen zu lassen.

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Ich will zurück nach Osten, ins Navarra, und von dort aus von Süden über die Pyrenäen. Dort wartet in einem Seitental der riesige Geisterbahnhof Canfranc, von dem Eberhard mir im W123-Forum erzählt hat.

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Kleiner Zwischenstopp an einer ziemlich trostlosen Tankstelle an der Landstraße. Die Grafitti an der Betonbrücke sprechen für sich – und sie sprechen Baskisch. „Independentzia“ erklärt sich von selbst, „Euskal Herria“ ist das Baskenland und Kalera heißt Stadt – vorausgesetzt, ich habe „kale“ richtig dekliniert (was nicht leicht ist bei 17 möglichen Kasus: Absolutiv, Ergativ, Dativ, Genitiv, Separativ [sic!], Benefaktiv, Komitativ, Motivativ, Inessiv, Ablativ, Allativ, Destinativ, Direktiv, Approximativ, Instrumental, Partitiv und Prolativ. Kalera wäre Allativ Singular. Eins ist mal sicher, Baskisch lerne ich in diesem Leben nicht.)

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Kurz vor Pamplona bietet sich dieser Anblick. Eine Puppe am Galgen, Plakate, ein Zelt, Stühle – dieser Betrieb wird offenbar bestreikt.

Zuerst versuche ich, direkt durch Pamplona durchzufahren, gebe aber nach der geschätzt 23. Ampel entnervt auf und biege ab auf die Stadtumgehung. Sie ermöglicht mir immerhin einen kurzen Blick auf die Neuwagenflotte vor dem Volkswagenwerk. In Pamplona werden im Jahr 240.000 Polos hergestellt.

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Das Land ist hier, abseits der Küste, schon weit weniger grün und bewaldet als noch zwischen San Sebastián und Bilbao. Trockenes Gras dominiert.

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Immer wieder stehen am Straßenrand die „Camino de Santiago“-Schilder, zu deutsch: Jakobsweg. Der Camino stellt sich mit zahlreichen Camions (Lastwagen) hier allerdings eher als vielbefahrene Landstraße dar. Will man hier pilgern?

Zum Glück befreit mich wieder mal das Navi aus dieser Situation. Ich verpasse eine Abfahrt der Autobahn, bin plötzlich auf dem Weg nach Süden Richtung Saragossa und muss wieder ein Stück über kleine Seitenstraßen fahren, um auf die ostwärts führende N 240 zurückzukommen.

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In Tiebas bildet die Ruine der Burg ein weithin sichtbares Landschaftsmerkmal.

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Die Aussicht ist oft grandios. Weit hinten, im Norden, sind schon die ersten Ausläufer der Pyrenäen zu erkennen.

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Hinter Yesa wird der Rio Aragón zum Embalse de Yesa aufgestaut. Ein Schwarm Zugvögel fliegt gerade über dem See – schnell angehalten und die Kamera rausgerissen! (An dieser Stelle nochmal der Hinweis, dass sich alle Bilder hier auch groß klicken lassen.)

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Das Ufergestein des Sees ist bizarr geformt. Das müssen die Bárdenas Reales sein, von denen ich im Reiseführer gelesen habe.

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Die Gegend ist einsam.

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Verdammt einsam. Selbst ein Dorf, das nördlich der Landstraße liegt, stellt sich bei näherem Hingucken als verlassene Ruine heraus. Es ist wohl noch nicht allzu lange her, dass die letzten Bewohner aufgegeben haben.

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Die Straße führt nach Norden, hoch ins Gebirge.

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Dann bin ich endlich in Canfranc. Ein abgelegenes Tal, ein paar Häuser, eine Kirchenruine. Und wo ist nun der berühmte Riesenbahnhof?

Baskenblog: Vitoria, nachts

Für die Fahrt nach Vitoria nehme ich natürlich nicht die gebührenpflichtige Autobahn A 804, sondern die kleine Landstraße, die sich neben, über und unter ihr langschlängelt. Hier kann man wenigstens mal ein Foto machen. Wieder bin ich überrascht, wie grün und waldig das Baskenland ist.

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Am frühen Abend erreiche ich die baskische Hautstadt, die offiziell Vitoria-Gasteiz (Gasteiz ist der baskische Name) heißt. Mit der 227.000-Einwohner-Stadt verbinde ich so gut wie nichts, so dass ich etwas überrascht bin, als ich durch Straßenschluchten mit siebenstöckigen, ziemlich mondänen Wohn- und Geschäftshäusern fahre. Die Jugendherberge liegt in einer Straße namens Escultor Isaac Diez, die mein Navi einfach nicht finden will. Immer und immer wieder kurve ich durch das in Frage kommende Viertel, finde das Straßenschild nicht, rufe in der Herberge an – doch die junge Dame an der Rezeption spricht kaum Englisch. Schließlich löst sich das Rätsel. Die Escultor Isaac Diez ist ein winziger Sackgassenstummel, kaum mehr als ein Wendehammer, an dessen Ende hinter einer Mauer das etwas zurückhaltend beschilderte Gebäude liegt.

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Genau, das ist das Jugendherbergs-Schild.

Aber das Zweibettzimmer (ich hab’s alleine) ist konkurrenzlos günstig und hat sogar ein komplettes Bad. Und das für 18 Euro oder so.

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Abends tigere ich noch ein wenig durch die Stadt. Hier der Plaza de la Virgen Blanca mit dem Denkmal für die Schlacht von Vitoria, in der 1813 Wellington die Truppen Napoleons besiegte. Im Hintergrund die Iglesia de San Miguel Arcángel, zu deutsch Kirche des Hl. Erzengels Michael.

Eine Kneipe und ein Internetcafé gegenüber machen mich zu einem glücklichen Menschen. Erst gönne ich mir ein fürstliches Geburtstagsmahl mit leckeren Pintxos und frischem kühlen Bier…

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…dann setze ich mich an den Rechner und blogge die nächsten Kapitel meiner Reise.

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Als man mich gegen 22 Uhr vor die Tür kehrt, ist es schon dunkel. Jetzt überrascht mich die Stadt mit diversen Lichteffekten wie den kleinen Springbrunnen auf dem Plaza de la Virgen Blanca, die ihren Farben wechseln…

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…und den futuristischen Straßenlampen dahinter.

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Auf dem Rathausplatz (?) überrascht mich dagegen wieder das „Eta-nein-danke“-Transparent. Ob es hier Demonstrationen gegeben hat? Vielleicht in Zusammenhang mit dem Bombenanschlag vor ein paar Tagen?