Elektrisiert II

Der Besuch der Webcon 2014 (für alle Nicht-Öcher: Das ist so eine ganztägige Mischung aus Vortragsveranstaltung, Barcamp und Klassentreffen der Aachener Internetszene) vor drei Wochen hatte für mich noch einen ganz unerwarteten Aha-Effekt parat: Im Innenhof des Jugendgästehauses stand ich nämlich ganz unverhofft einem Auto aus Aachen gegenüber.

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Also nicht nur einem Auto mit AC-Kennzeichen, sondern einem in Aachen hergestellten: einem Streetscooter. Seit Juli stromern die ersten von 50 Vorserienfahrzeugen des an der RWTH entwickelten und bei Talbot in Aachen gebauten Elektroautos für die Deutsche Post durch die Lande.

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Was soll man sagen? Graues Armaturenbrett, Lenkrad, Ablagen. Sieht halt aus wie ein Auto. Kein BMW i3, eher kantig-nutzwertig. Aber immerhin. Und was kann er so, der Streetscooter? Zitat aus der Pressemitteilung:

Das speziell für die Deutsche Post konzipierte Fahrzeug fährt bis zu 85 km/h schnell und ist primär für die Zustellung auf dem Land ausgelegt. Das Fahrzeug verfügt über eine Leistung von 30/45 kW, die von einer Lithium-Ionen-Batterie und einem Asynchronmotor erzeugt wird. Die maximale Reichweite liegt bei 120 Kilometern.

Minutenlang schauen ich und einige Zufallszuschauer fasziniert dem Mobil zu, das offenbar im Hof eine Demonstrationsfahrt absolviert. Von der Elektromobilität als allgegenwärtigem Buzz(!)word immer nur in Zeitungen und Magazinen zu lesen, ist eine Sache. Sie tatsächlich mal live zu sehen, eine andere (zu hören ist da ja eher wenig). Das gelbe Quaderchen hier schnurrte jedenfalls sehr lebendig übers Pflaster.

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So ein Streetscooter ist vielleicht nicht so sexy wie der Tesla Roadster neulich an der Ampel. Aber er hat einen Vorteil: Die Chance scheint deutlich größer, dass irgendwann mal so ein Öcher Brummer vor meiner Haustür steht.

Auch wenn er dann gleich wieder wegfährt, nachdem sein Fahrer den üblichen Zettel („…heute jedoch nicht!“) in meinen Briefkasten gesteckt hat.

Update 18.11.2013: Passend zum Thema hat sich Spiegel Online mal mit dem Wirrwarr der unterschiedlichen Steckdosen- und Bezahlsysteme für Elektrofahrzeuge auseinandergesetzt.

Erschüttert

Hauptbahnhof Köln, Bahnsteig 8, 9.30 Uhr. Es ist Freitag, es ist bislang eine ziemlich überflüssige Woche gewesen (nein, nichts Dramatischeres als eine halbgare Erkältung und eine anstehende Autoreparatur) und der Schreiber dieser Zeilen wartet auf den Regionalexpress. Es soll nach Aachen gehen, und wer sich fragt, warum der Schreiber dieser Zeilen nicht wie üblich auf den bescheidenen Komfort seiner ollen C-Klasse zurückgreift, der fragt sich das zu Recht. Doch der brave Kilometerfresser steht seit einem Tag auf dem Firmenparkplatz. Sein Besitzer hat es am Donnerstag geschafft, auf dem Weg vom Parkplatz ins Büro den Autoschlüssel zu verlieren. Ja, auf den paar Metern über die Dresdener Straße und das Verlagsgelände. Vielleicht ist das Ding auch irgendwo im Verlag selbst aus der Hosentasche gehüpft, wer weiß das schon.

Das Erlebnis am Donnerstagnachmittag, auf dem Weg zu einem ziemlich wichtigen Termin vor dem Auto zu stehen und sich in wachsender Ungläubigkeit sämtliche Hosen- und Manteltaschen immer wieder aufs Neue zu durchwühlen, zählte zu den unangenehmsten Erlebnissen der vergangenen Tage. Irgendwo muss er doch sein! Doch Fehlanzeige. Also in Laufschritt und wachsender Nervosität zurück ins Büro, über Dresdener Straße und Verlagsgelände. Schreibtisch, Rollcontainer, der Kabelsalat auf dem Boden: Fehlanzeige. Konferenzräume, Kantine, Klo: Fehlanzeige. Der Schlüssel samt Ring – ich clipse ihn normalerweise während der Fahrt vom Rest des Schlüsselbunds ab, damit dessen Gewicht das Zündschloss nicht auf Dauer ausleiert – bleibt verschwunden.

Und mir nichts übrig, als mich für den wichtigen Termin das Auto einer netten Kollegin zu leihen. Und mich abends in den Zug nach Köln zu setzen, nach einem erfrischenden Fußweg zum Bahnhof Rothe Erde, durch Aachener Dauerregen. Unnötig zu sagen, dass nirgendwo im Büro ein Schirm greifbar liegt – erst auf den Stufen des Bahnhofs findet sich ein herrenloses, aber noch weitgehend intaktes Exemplar, das ich tatsächlich dankbar aufhebe und für den Rest des Nachhausewegs mitnehme. Es sind oft Kleinigkeiten, für die man am dankbarsten ist. Wie sehr man sich manchmal selbst über Weggeworfenes noch freuen kann.

Und wie sehr einen so ein Erlebnis erschüttern kann. Wie kann man nur seinen Autoschlüssel verschusseln? Die Dinger kosten beim Händler stolze 32 Euro (und fragt bitte nicht, woher ich das so genau weiß).

Seit geschlagenen zwanzig Minuten stehe ich also nun am Morgen danach auf Bahnsteig 8. Noch zehn Minuten bis zur Einfahrt des Zuges um 9.47 Uhr. Wenn das Smartphone nicht erfunden worden wäre, könnte man sich glatt in trüben Gedanken verlieren an diesem trüben Novembertag. Wie gut, dass das über drei Jahre alte iFon 4 noch halbwegs funktioniert. Nachrichtenportale, Twitter, Facebook; man so kann wunderbar eintauchen in die schöne bunte Netzwelt, wenn man etwas vergessen möchte, vor allem die eigene Vergesslichkeit. Ich lese Interessantes, ärgere mich über einen Twitterer, verpasse ein paar Beiträgen von Facebook-Freunden den Daumen, den es – auch das lese ich mit Interesse – demnächst nicht mehr geben soll. Dazu noch schnell eine Mail an die Redaktion.

Als ich wieder aufsehe, ist es 9.50 Uhr. Die Anzeigetafel für den nächsten Zug auf Gleis 8 kündigt statt meines RE9 einen Express aus Basel an. Und dem Schreiber dieser Zeilen fällt die Farbe aus dem Gesicht: Kann das sein? Kann es wirklich sein, dass hier gerade vor drei Minuten nur zwei Meter von mir entfernt mein Zug eingelaufen und wieder abgefahren ist – und ich nichts davon gemerkt habe? Kann man 300 Tonnen Regionalexpress einfach so übersehen? Hundertfünfzig Meter knallrote Doppelstockwagen samt vierachsiger Elektrolok? Bitte nicht! Erst der Autoschlüssel, jetzt das. So dämlich darf man doch nicht sein, wenn man noch frei und ohne Betreuer durch die Gegend laufen will!

Mühsam ringe ich um Fassung. Es muss an der Erkältung liegen. Am Zementschädel. Muss. Eine andere Erklärung gibt es nicht, jedenfalls keine angenehme. Die Erschütterung vom Vortag kommt mit Macht zurück, und sie ist tatsächlich noch zu steigern. Oh Mann! Ich gehöre ins Bett, am besten für den Rest der Woche. Oder gleich in ein Heim. Wie heißen noch diese Gedächtnistabletten für tüdelige Senioren, für die abends immer Werbung im ZDF läuft? Granustol? Sanofink?

Irgendwann beruhigt sich der Puls wieder etwas. Trotz allen Entsetzens, es hilft ja nichts: Ich muss nach Aachen, und zwar mangels Schlafwagen mit dem nächstmöglichen Regionalzug. Werde ich jetzt zur Strafe noch eine Stunde lang hier stehen müssen? Auf der Suche nach der günstigsten Verbindung streift der Blick über die Abfahrtspläne und Anzeigetafeln für die nächsten Zugläufe. Und bleibt auf einer solchen Anzeige schließlich hängen an einem Satz in kleiner Laufschrift: RE9 nach Aachen heute 35 Minuten später.

Er war also doch noch nicht da, mein Zug. So versunken ich auch war, einen ganzen Regionalexpress habe ich denn doch nicht übersehen. Oh Mann. Es dürfte eine ganze Weile her sein, dass sich ein Kunde des schienengebundenen Personnennahverkehrs so sehr über eine so saftige Verspätung gefreut hat. Ja, es sind manchmal Kleinigkeiten, für die man im Leben am dankbarsten ist. Etwa die Erkenntnis, doch noch nicht reif für diese Gedächtnispillen zu sein, diese… Dings, na, wie heißen sie noch…

Elektrisiert

Es sagt viel über die männliche Psyche aus, dass der allgemeine Kraftfahrer den Vorgang des Überholtwerdens nicht selten als eine Erniedrigung empfindet, als ein Gedemütigtwerden, eine öffentliche Herabsetzung durch ein ranghöheres Tier im PS-Rudel, als einen Akt der Kastration. Der Verfasser dieser Zeilen ist als bekennender Youngtimerfahrer natürlich immun gegen derlei urzeitliche Gefühlswallungen – was bleibt ihm angesichts der 72 Diesel-PS des Moorbraunen oder der gasbefeuerten 1,8-Liter-Basismotorisierung der Alltags-C-Klasse auch übrig als mildes Lächeln über die lächerlichen Beschleunigungs- und Ausbremsspielchen zeitgenössischer Turbodiesel oder V6-Boliden. Wie albern sich erwachsene Menschen doch aufführen können. Okay, völlig erhaben bin ich nicht über den einen oder anderen leichten Stich, den es mir versetzt, wenn mal wieder so ein gesichtsloser Kompaktwagen kurz vor der Ampel mal eben auf die andere Spur wechselt, an meinem gelassen dahingleitenden Sternenkreuzer vorbeizieht und sich respektlos noch schnell vor mich quetscht – OHNE BEIM EINSCHEREN ZU BLINKEN! Und das von so einer erbärmlichen Einkaufstüte auf Rädern! Hoppla, hab ich da unbewusst nochmal kurz beschleunigt oder hat sich der Kollege schlicht bei der Kalkulation von Restweg und -geschwindigkeit verrechnet? Jetzt steht er da auf seinem Linksabbiegerstreifen und findet nicht mehr zurück auf die rechte Bahn, weil man ihn nicht wieder reinlässt. Das nennt man wohl Turboloch, oder, mein Guter?

Ähm. Wo war ich? Sei’s drum. Es gibt ja auch durchaus Autos, da erkennt man neidlos die höhere Leistung an. Wer würde sich nicht gerne im Ampelduell einem aufröhrenden 300SL geschlagen geben? Oder mal in die Doppelauspuffrohre eines davonflitzenden Lamorghini Diablo gucken? Und es geht sogar noch besser. Ich hatte gestern das Vergnügen, auf dem Aachener Stadtring von einem Auto restlos abgeledert zu werden, das weder röhrte, noch einen Auspuff hatte.

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Einmal ist immer das erste Mal: ein Tesla Roadster. Garantiert 100 Prozent elektrisch und ebenso begehrenswert. So schnell ist sie da, die Zukunft des Autos.

Und wie schnell sie dann erst wieder weg war…

Schön, mein Freund. Die Runde geht an dich. Dafür krieg ich dich, wenn du an die Steckdose musst.

Wandern im Wein

4587_AhrblickFolgt man dem gewundenen Lauf der Ahr von Ahrweiler aus nach Osten, kommt man hinter Mayschoß in das schöne Winzerdorf Dernau. Ein guter Ort, um an diesem sonnigen Oktobersamstag der ebenso schönen wie seit Schülertagen vernachlässigten Tätigkeit des Wanderns nachzugehen. Also, Fahren zu Fuß. Quasi laufendes Reisen. Und den Motorradfahrern, die das unerwartet angenehme Wetter für eine Saisonausklangsspritztour nutzen, höchstens den einen oder anderen sehnsüchtigen Blick hinterherwerfend.

4588_Weinschach1024Schachbrettartig ziehen sich die Parzellen der Winzer über die Hänge. Durch die Weinberge führt der Rotweinwanderweg rund 35 Kilometer weit von Altenahr bis Bad Bodendorf. Die Gegend bei Mayschoß und Dernau gilt als eines der hübschesten Fleckchen der Route. Mitten durch die Landschaft ziehen sich die Reste des Strategischen Bahndamms, einer nie fertiggebauten Eisenbahnstrecke, an die unter anderem der Silberbergtunnel und die Pfeilerstümpfe eines Viadukts über das Adenbachtal erinnern.

4579_Weintrauben1024Jetzt, kurz vor der Ernte, sind die Trauben prall und süß – und überall vom Weg aus mit der Hand zu greifen. In der Luft liegt der schwere Duft von Trester, der gelegentlich als Häufchen am Wegesrand an die Vor-Ort-Verarbeitung der abgeernteten Trauben erinnert.

4603_WeingeometrieDer Weg wartet mit der einen oder anderen Steigung auf. Auf der Plusseite bietet er hinter jeder Biegung einen neuen spektakulären Ausblick ins Ahrtal. Und ist angenehmerweise weitgehend asphaltiert – statt grobstolliger Wanderstiefel genügen also ein paar bequeme Laufschuhe. Dementsprechend ist auch noch gut was los auf dieser ziemlich beliebten Ausflugsstrecke, wo der Weg tatsächlich das Ziel ist: An jeder Gabelung stehen verpustende oder wegsuchende Wandersleut, wahlweise auf Faltkarte oder Smartphone-Display starrend und schließlich doch die entgegenommenden Kollegen fragend: Geht’s da weiter auf dem Rotweinwanderweg?

4617_Katjaglas1024Zum Glück wartet in schöner Regelmäßig alle paar Kilometer eine kleine Straußwirtschaft, der private Ausschank eines Winzers. Laut Gesetz brauchen die Weinbauern keine Schanklizenz, um an höchstens vier Monaten im Jahr eine eigene Gastronomie zu betreiben. Bier darf’s dafür nicht geben, einfache Speisen schon, dazu muss mindestens ein alkoholfreies Getränk auf der Karte stehen. Mancher Winzer stellt einfach einen Tisch an den Weg, dazu eine Waschgelegenheit für Gläser, dazu Sonnenschirm und eine Preistafel – fertig ist die Unterwegserfrischung. Bleibt dem Laufmenschen nur die Entscheidung zwischen weiß oder rot, Wein oder Sauser?

4638_Marcglas1024Einen Federroten bitteschön. Wandern macht wahrlich durstig. Cheers – äh, Prosit!

4639_WeinfriedhofUnd schon geht’s beschwingt weiter. Erinnern sie nicht ein bisschen an einen Soldatenfriedhof, die kleinen Rebstocksetzlinge mit ihren Stützhüllen, wie sie so brav in Reih und Glied den Hang hinaufwachsen?

4641_MarienthalEin Stück hinter Dernau liegt in einer Falte des Tals das ehemalige Augustinerinnenkloster Marienthal, heute ein von den lokalen Winzern betriebenes Ausflugslokal. Die Ruine der Kirche des Klosters, das auf das Jahr 1137 zurückgeht, bietet einen malerischen Rahmen für das lautstarke Treiben da unten. Da hat sich der eine oder andere den Anmarsch etwas verkürzt und ist stilloserweise statt zwei Füßen auf vier Rädern angereist.

4651_Gelbwein1024Doch für die beiden ungeübten Wanderer oben auf dem Weg heißt es brav weitermarschieren. Sie wollen nämlich noch eine Ortschaft weiter, nach Ahrweiler. Der ehemalige Regierungsbunker, einst das teuerste Bauwerk der Bundesrepublik, heute eine Dokumentationsstätte, ist leider schon geschlossen.

So nehmen die müden Füße die letzten Kilometer in Angriff, während die allmählich untergehende Sonne das Gelb, Grün oder Rot der Weinblätter noch einmal richtig aufflammen lässt. Der Weg führt hinunter ins Tal, an der Römervilla vorbei und schließlich durch die alte Stadtmauer ins fachwerkerne Herz von Ahrweiler.

Unten angekommen, am Marktplatz im Schatten der Laurentiuskirche, lässt’s sich nett erholen. Natürlich bei einem Gläschen Federweißen und einem Stück Zwiebelkuchen. Ersteres frisch abgefüllt, das zweite frisch gebacken. Schon erstaunlich, wie weit man ohne Rad und Motor in ein paar Stunden kommen kann.

Dann geht es zurück nach Dernau. Mit der Regionalbahn. Man muss das mit dem Reisen zu Fuß ja auch nicht übertreiben.

Kraftdroschke

Wer in Köln von A nach B gelangen möchte und dafür weder auf öffentliche Verkehrsmittel, noch eigenes Gefährt zurückgreifen möchte, der tut nicht schlecht daran, zum Telefon zu greifen und die Nummer 0157-89198003 anzurufen. Es meldet sich dann Wolfgang Schlimm, der für das Transportproblem eine ebenso individuelle wie exklusive Lösung bereithält, die ich gestern an der Tankstelle meines Vertrauens kennenlernen durfte.

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Ein 1985er Siebener-BMW in Taxiausstattung – so etwas herrlich Unvernünftiges habe ich nicht mehr gesehen seit jenem Mercedes 280 (Vergaser! Sechszylinder!), dem ich gegen 2006 mal an einer Aachener Tankstelle über den Weg gefahren bin. Das bajuwarische Premium-Geschoss glänzt außen in makellosem Hellelfenbein, innen mit Wurzelholz und Lederausstattung in Taurusrot. Selbst ich als eingefleischter Daimlerpassagier gebe gerne zu, dass es auch Taxen ohne Stern, aber mit Stil gibt.

Es handelt sich übrigens nicht um das erste Siebener-Taxi in der Domstadt, genauer gesagt ist es das zweite. Und hier ist nachzulesen, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, so einen Umbau in Angriff zu nehmen (Hintergrund ist natürlich die unselige Umweltzone).

Kölsches

Ich gebe zu: Ich fremdele immer noch etwas mit Köln, auch nach über anderthalb Jahren. Wahrscheinlich, weil mir Aachen in den Jahren davor so sehr ans Herz gewachsen ist, dass ich es unbewusst als Verrat empfinden würde, mich in Köln wohl zu fühlen. Dabei gibt es durchaus nette Ecken in der großen Stadt am Rhein. Eine davon ist der Rheinauhafen, Ende des 19. Jahrhunderts als innerstädtische Hafenanlage mit Lagerhäusern und Werften angelegt, seit 2000 aber nach und nach umgestaltet zu einem Büro- und Wohnareal. Einer der wenigen Orte in Köln mit wirklich großstädtischem Flair. Modern, mondän, edel, aber ohne Snobismus – doch, ich mag den Rheinauhafen.

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Zwischen dem Schokoladenmuseum an der Nordspitze der einstigen Insel, den drei futuristischen Kranhäusern südlich der Severinsbrücke, den modernen Büroblöcken am Anna-Schneider-Steig und schließlich dem spitzgiebeligen „Siebengebirge“ am Agrippinaufer, einem 170 Meter langen einstigen Lagerhaus und heutigen Wohn- und Geschäftsgebäude, bummeln inzwischen die Spaziergänger, flitzen Inlineskater, fahren Radler und summt gelegentlich eine Gruppe Touristen auf Segway-Rollern umher.

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An einem warmen Spätsommerabend kann man hier wunderbar stundenlang auf den Sofas vor dem Limani sitzen, ein Kaltgetränk in der Hand, die Blicke schweifen lassen und Leute gucken.

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Auch wenn es manchmal gar nicht die Zweibeiner sind, bei denen das Beobachten am meisten Spaß macht.

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Wenn es dann langsam Nacht wird am Rheinauhafen, nimmt man sich die Kamera zur Hand, schlendert eine Runde um den Block und probiert, ob die neue 30-Millimeter-Festbrennweite, die der Briefträger am Morgen gebracht hat, wirklich so viel besser ist als das originale 16-50mm-Kitobjektiv der Nex.

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Ja, sie ist. Das Sigma holt selbst aus einem freihändigen Schnappschuss im Dunkeln mehr heraus als das Zoomobjektiv. Whow!

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Bummeln macht hungrig. Im Bona’me unten im Luther-Gebäude gibt es feine türkische Küche, sanftes Hintergrundlicht und warmen Feuerschein von den Terrassenfackeln. Der Rotwein ist milde beerig, die Flamme neben dem Tisch angenehm warm und der Biergarten voller gut gelaunter Nachtschwärmer. Ja, man kann es ein Weilchen aushalten, so am Rheinauhafen.

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Und kaum dass man sich’s versieht, sind fünf Stunden vergangen – da wird es schließlich doch irgendwann Zeit für den Rückweg, den nächtlichen Rhein entlang. Das Siebengebirge mit seiner Kranbrücke entlang, vorbei am „Bratort“, einer Wurstbude, an der sich die Kölner Tatortkommissare so gerne stärken, dann durch die Uferwiesen. Die Südbrücke zwingt förmlich dazu, vom Rad zu steigen und die Kamera noch einmal auf der gemauerten Uferböschung in Position zu bringen. Das neue Objektiv pult noch einmal jede Niete aus den Stahlbögen heraus.

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Kurz dahinter bietet der Heimweg noch ein weiteres Fotomotiv, aber ein deutlich moderneres: das quaderförmigen Hochwasserpumpwerk an der Schönhauser Straße – das dank seiner dezenten Beleuchtung offenbar auch für ein Mitternachtspicknick gut geeignet ist. Der Fotograf auf der dunklen Rheinwiese davor wünscht sich einmal mehr, ein Stativ mitgenommen zu haben.

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Am Bayenthalgürtel schließlich, schon kurz vor dem Ziel, wartet in einer Seitenstraße noch ein ganz besonderes Zuckerl unter einer Laterne: ein Jaguar E-Type, offenbar einer der ersten Serie von 1961 bis 68 in einer gecleanten Rennversion ohne Stoßfänger. Auch wenn nicht ganz klar ist, wie original die so erotisch gerundeten Kotflügel mit dem offenen Kühlermaul sind – die gefühlt längste Motorhaube der Autogeschichte ist einfach zu schön, um nicht ein letztes Mal für diesen Abend die Kameratasche zu öffnen.

Dann ist ein Abend zu Ende, der selbst einem eingefleischten Skeptiker gezeigt hat, dass auch Köln nicht ganz ohne Reize ist. Es könnte am Rotwein gelegen haben, dem beerig milden – der stimmt anscheinend auch einen Bären mild.

Sommergolf

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Zur Runde Minigolf vor dem Aachener Schnitzeltestessen im Gut Entenpfuhl war ich zu spät. Immerhin: Für einen letzten Schuss im Abendlicht war noch genug Golf da.

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Die heißesten Tage des Jahres 2013 sind vorbei, aber es ist immer noch Sommer. In Raderthal erkennt man das am frischen Grün am Straßenrand.

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Dieses froschfarbene Kerlchen ist mir schon letztes Jahr aufgefallen. Ein Renault 16, gebaut von 1965 bis 1980 und bis zum Erscheinen des Renault 30 im Jahr 1975 das Topmodell des französischen Herstellers. Die erste Limousine der oberen Mittelklasse, die der Welt ein Schrägheck mit großer Klappe entgegenstreckte, dahinter die siebenfach (!) verstellbare Rückbank, deren Lehne sogar am Dachhimmel befestigt werden konnte.

Der einzigartig variable Innenraum war nicht die einzige Besonderheit des eigensinnigen Franzosen, von dem der englische Rennfahrer Stirling Moss gesagt haben soll, er sei das am intelligentesten kontruierte Auto, das er je gesehen habe: Der Radstand ist links und rechts unterschiedlich lang, weil die Torsionsstäbe der Hinterachse hinter- statt wie üblich nebeneinander angeordnet sind. Die ungewöhnliche Bauweise ermöglicht längere Federwege und so eine besonders sanfte Federung.

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Dieser TL hier ist in den Jahren zwischen 1974 und 1980 vom Band gelaufen – und damit gerade noch ein Zeitgenosse meines 1981 gebauten Moorbraunen. Die meisten seiner über 1,8 Millionen Brüder sind nicht mehr auf der Straße. Um so schöner, dass dieser Exot mit seinem 1,6-Liter-Aluminiummotor mit 67 PS, dem vorne angeflanschtem Getriebe, der Lenkradschaltung und natürlich seiner herrlich satten Siebziger-Jahre-Lackfarbe alljährlich im Raderthaler Sommer blühen darf.