Neues von der Breslauer Straße

Es gibt Augenblicke, die können einem den ganzen Tag vergolden. Selbst wenn das Weckerklingeln genau im falschen Moment des Traums kam, man sich nur mit Mühe aus den Federn gequält hat, im Radio die falsche Musik lief und das Frühstück viel zu kurz ausfallen musste: Der Morgen kann trotzdem schön werden. Man braucht nur ein Eichhörnchen.

Hoernchen_243So wie heute gegen 9.50 Uhr auf der Breslauer Straße in Aachen-Ost. Zu der Zeit hatte der Morgen trotz des verkorksten Frühstücks schon seinen ersten Glanzpunkt bekommen: durch den strahlend blauen Himmel über der Stadt. Ein paar hundert Meter vor dem Grundstück meines Brötchengebers – rechts bereits am Bildrand zu erkennen – flitzte dann eine Art rotbrauner Strich unmittelbar vor den Lieferwagen, der vor mir fuhr. So etwas macht wach. Ein Eichhörnchen. (Nein, auf dem Foto ist es nicht zu sehen – das Bild zeigt nur die Stelle.)

Die Breslauer Straße hat vier ziemlich breite Spuren. Die dort geltende Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern wird von manch moderner Mittelklasselimousine schon einmal großzügig ausgelegt. Für so einen kleinen Nager schon eine lebensgefährliche Angelegenheit.

Um so mehr hat es meine Laune gehoben, dass es der rote Strich gerade noch vor dem großen weißen Transporter von JCDecaux über die Straße und direkt einen der Bäume hinauf geschafft hat.

Und das i-Tüpfelchen auf den Vormittag setzte der Lenker des Lieferwagens, der nämlich für das rasante Pelzträgerchen die Bremslichter aufleuchten ließ. Das macht nämlich auch nicht jeder.

Aus dem Tag kann also doch noch was werden. Schauen wir mal.

Braun ist das neue Weiß 7 / Parkplatzbegegnung 3

Nach Feierabend treffe ich mich mit Alex und Marlies aus Maastricht auf dem Parkplatz vom Real-Markt. Er fährt einen schicken 230CE, dessen M102 schon sagenhafte 380.000 Kilometer auf der Uhr hat. Bisher habe ich mich über den Satz vom „Immortal Horse“ ja immer lustig gemacht. Vielleicht muss ich mein Urteil über den Einspritzer revidieren.

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Wenn ich so einen blitzeblanken Motorraum sehe, werde ich immer ganz nostalgisch. So sah meiner auch mal aus. Vielleicht wäre es 1995 schlauer gewesen, den Wagen auf LPG umzurüsten…

Nach ausführlichen Benzin- bzw. Pölgesprächen werden die beiden Coupés relokalisiert und vor die Gaststätte „Alt Brand“ im gleichnamigen Öcher Stadtteil positioniert.

Alt-Brand_227

In deren Räumlichkeiten wird der gemütliche Teil des Abends eingeläutet: Ich hole meine historische Literatur heraus, Alex einen Schwung Autotests und Prospekte. Zum Beispiel eine „Motor Klassik“ von 1997 mit einer Kaufberatung für das W123-Coupé…

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…in der ich den bösartigen Satz entdecke:

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„Ein moorbraunes Vergaser-Coupé ohne Extras ist trotz Topzustands fast unverkäuflich.“

Woher kommt dieser Hass? Was haben wir der Fraktion der Leasingsilbernen und Weißgrundierten getan? Was, um alles in der Welt?

Lange nicht mehr gesehen

Begegnung auf dem Bürgersteig heute Morgen: Erinnert sich noch jemand an diesen eigenwilligen Gesellen?

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Citroën Visa. Gebaut 1978 bis 1988. Nachfolger des Ami8, in der Modellpalette angeordnet zwischen 2CV-Ente (deren Zweizylinder-Boxer er bekam) und GSA, dem er optisch angeglichen war. Mehr dazu auf dieser Fanseite.

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Dieses bestenstielblaue Kerlchen hier könnte tatsächlich genauso alt sein wie das Coupé mit é. Stammt aus der zweiten Baureihe ab 1981, hat Kunststoffbeplankung rundum, optisch konservativere Stoßfänger und ein „normalisiertes“ Armaturenbrett. Die früheren Versionen sahen da noch deutlich, öhm, individueller aus – vor allem mit diesem Multifunktions-Satelliten neben dem Lenkrad… (Fotos unter „identification„)

Weniger nostalgisch stimmt mich ein paar Schritte darauf der Blick auf die eigene Motorhaube. Jemand hat, wohl aus dem Wohnblock, vor dem ich geparkt hatte, eine halbe Mahlzeit auf den Benz geworfen oder gespuckt. Irgend etwas Frittiertes. Ich hoffe nur, es war noch nicht allzusehr angedaut.

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Ostviertel halt.

Neues aus Brüssel

Wer in eine neue Stadt zieht (zum Beispiel Aachen), erbt nebenbei auch ein neues Umland. Das zu entdecken ist mindestens so spannend wie die neue Heimatstadt selbst. Wollen wir doch mal gucken, was alles im näheren Umkreis für einen Tagesausflug liegt. Zum Beispiel Brüssel. Das sind ja nur 143 Kilometer. Kein Problem für das Coupé mit é

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Von Aachen aus führen gleich zwei ungefähr gleich lange Autobahnen nach Brüssel: die nördliche Route durch die Niederlande und die südliche, an Lüttich vorbei. Zu verfehlen ist die belgische Hauptstadt nicht…

Eine Millionenstadt wie Brüssel komplett zu erleben und zu beschreiben, dazu genügt natürlich weder ein Tag noch ein einziger Blogbeitrag. Darum versuchen wir es gar nicht erst, sondern bummeln einfach ein bisschen durch die Straßen der Metropole und lassen die Eindrücke auf uns wirken. Auf der Seite www.ilotsacre.be gibt es übrigens einen hübschen interaktiven Stadtplan mit ausführlichen Beschreibungen und wunderschönen 360-Grad-Panoramafotos.

Unseren Wagen stellen wir in das Parkhaus am Place Charles Rogier/Karel Rogierplein (in Brüssel hat alles zwei Namen) am nordwestlichen Rand der Innenstadt. Von da aus ist alles gut zu Fuß zu erreichen.

159_SheratonDas dahinterliegende Viertel ist mit seinen Glaspalästen und der rechtwinkligen Straßengestaltung beinahe schon amerikanisch. Wir aber wollen ja ein Stück altes Europa entdecken – ein Herzstück sogar – und marschieren über den Stadtring in die entgegengesetzte Richtung: in die Altstadt.

019_PrachtbauVor der Oper kann jeder selbst entscheiden, welcher Baustil harmonischer und zeitloser wirkt.

040_Grote-MarktDie Mitte Belgiens: der Grote Markt oder Grand Place. Links das Rathaus, rechts das Maison du Roi oder Broodhuis, heute Stadtmuseum…

140_Museum-Dach…auf dessen neogotischem Dach ein regelrechter Wald aus Stein wächst.

027_Grote_Markt1Nachdem wir die Atmosphäre des Platzes inhaliert haben, wollen wir doch mal gucken, was es in den Nachbarstraßen zu entdecken gibt.

053_BuergermeisterbartDa wäre zum Beispiel dieser Brunnen. Wie man sieht, wurde einst der Mann mit dem prächtigsten Schnurrbart automatisch Bürgermeister der Stadt. Kaiser Wilhelm der Zweite wäre trotz bekanntermaßen schneidiger Gesichtsfrisur nie in die Endrunde gekommen.

082_Tim-und-StruppiBrüssel gilt als Comic-Hauptstadt. Tim, Struppi und Kapitän Haddock sind nur eins von vielen überlebensgroßen Motiven auf den Hauswänden.

044_GassenDurch verwinkelte Straßen und Gässchen voller Restaurants und kleiner Läden geht es weiter.

088_Manneken-PIsUnd hier, tataa, ist es endlich: Manneken Pis, das Wahrzeichen der Stadt (das klitzekleine Dingsda oben in der Mitte – klicken Sie das Foto an). Nein, größer ist es nicht.

Haben Sie etwa einen zwei Meter großen Riesen erwartet? Ein Tipp: Wenn es Sie mal nach Kopenhagen verschlägt, sparen Sie sich den Besuch bei der kleinen Meerjungfrau…

119_ApothekeSelbst Apotheken sind in Brüssel opulent verzierte Prachtbauten. Aber wir sind ja nicht nur zum Gucken hier. Stimmt es eigentlich, was man sich über die belgische Küche erzählt?

022_EisladenAllmächtiger – es war sogar noch untertrieben…

066_PralinenAllein die Kalorien auf diesem Foto hier haben genug Brennwert, um die Autobahnen des Landes eine Nacht lang zu beleuchten. Diese Bilder sollten Sie nur anklicken, wenn Sie über eiserne Willenskraft verfügen.

060_TablettDa bleibt dem rohen Germanen nichts, als in staunender Ergriffenheit mit offenem Mund vor dem Schaufenster zu stehen. Und dabei möglichst nicht auf’s Pflaster zu tropfen.

Na, standhaft geblieben? Sehr gut, selbst wenn es nur an der, ähm, selbstbewussten Preisgestaltung der hiesigen Chocolatiers lag.

047_PommesDafür haben wir es verdient, uns mit einem anderen Küchenklischee ein wenig zu stärken. In diesem Fall mit Tartar-Sauce drauf. Und ja, die Dinger sind wirklich hervorragend: außen ein wenig kross, innen saftig, aber nicht pappig. Deliziös. Also genau die Sorte Imbiss, wie es ihn in deutschen Fußballstadien niemals geben wird.

107_EiswagenKulinarisch gibt es in Brüssel also alles, was das Herz begehrt. Nur eines gab es so gut wie gar nicht: Youngtimer. Abgesehen von einigen übergebliebenen Golf II beschränkte sich das automobile Erlebnis auf derlei rollende Verkaufsstände…

122_Ford-Escort…diesen wohlgepflegten, wenn auch leicht getunten Ford Escort (natürlich mit Blattfedern an der Hinterachse), sowie insgesamt drei (3!) W123. Eine jämmerliche Quote für eine mit Autos vollgestopfte Metropole.

151_HochhausEs wird Abend. Entsprechend schwer sind die Füße. Also zurück durch die Innenstadt in Richtung Parkhaus.

176_Nachtfahrt

Ein wunderschöner Tag. Eine wunderschöne Stadt. Und eine wunderschöne Rückfahrt, dank der Großzügigkeit unserer Nachbarn in Sachen Autobahnbeleuchtung. Fast ist man stolz, diese stolze Pracht mit den ebenfalls stolzen Preisen für Pommes & Praline mitfinanziert zu haben. Gut anderthalb Stunden später ist man wieder auf der (dunklen) deutschen A 44.

197_BierchenUnd noch etwas später wieder zu Hause. Zeit, den Tag angemessen zu beenden. Auf Brüssels Straßen liegt der Frieden der Nacht. Im Glas des Heimgekehrten herrscht: Kriek.

(Hinweis: Dieser ursprünglich für das AZ/AN-Blog geschriebene Beitrag wurde im Juni 2013 nachträglich mit Material aus einem Artikel auf Moorbraun.twoday.net ergänzt.)

Der englische Patient

Na gut, einen neuen Beitrag mach ich noch. Ihr wolltet doch alle bestimmt irgendwann schon mal einen Mini haben, oder? Mein Freund Christoph L. aus Uelzen hatte damals auch einen, 1993 in Glasgow, in Himbeermetallic. War ein schnuckeliges Autochen.

Dieser hier ist angeblich etwa sieben Jahre alt.

mini1Ist er nicht süß, der Minimini?

mini2Nein, ist er nicht. Er ist faul. Oberfaul.

mini3Der Lampentopf auf der Fahrerseite, bereits abgeschliffen…

mini4…und der auf der Beifahrerseite, bereits durchgefault.

mini5Der Radlauf steht nicht nach…

mini6…und der Rest der Karost Karosse hält locker mit.

Vielleicht ist er gar nicht sieben Jahre alt, sondern schon viel, viel älter. Keine Ahnung. Vielleicht ist ja er auch auf dem Weg nach Deutschland selbst durch den Ärmelkanal geschwommen.

Aber der von Christoph war auch noch ganz neu und rostete schon überall.

Anderswo

Klick des Tages: Das Spiegel-Online-Video über ein cooles Einspurauto mit bionischer Konstruktion (ich gucke bei Gelegnheit mal in die Wikipedia, was das genau heißt). Eine Art Düsenjet auf Rädern.

Autofahrer des Tages: Dieser Mann aus Münster, der gegen drei Uhr nachts die Polizei wegen lauter Partymusik in der Nachbarschaft anrief. Die herbeigeeilten Beamten hörten zunächst nichts, dann genauer hin und entdecken schließlich ein vor sich hindudelndes Autoradio. Nach Ermittlung des Autohalters klingelten die Polizisten an dessen Wohnungstür: Es war der Mann, der die Polizei gerufen hatte.
[via AMS]

Zahl des Tages:
„Der Minimalismus führt auch zu weniger Gewicht, denn der C-Cactus wiegt gerade mal 1306 Kilogramm“ jubelt Spiegel Online über die Citroen-Studie C-Cactus (hier Bilder). Ja, Mensch. Eberhard W. weist im W123-Forum lakonisch darauf hin, dass eine Mercedes-Heckflosse mit Dieselmotor leichter ist.

Neues von der Isle of Man

„Was meinst du damit, du verlässt Europa?“ Fassungslos gucke ich meinen Onkel Andy an. Andy, ein Engländer, der seit mehreren Jahren in München lebte, ist auf Abschiedsbesuch in Aachen. Er wechselt Job, Stadt, Land und gleich auch noch Staatsangehörigkeit, um auf der Isle of Man zu arbeiten. Der britischen, aber nicht englischen Isle of Man: Die Insel in der irischen See ist nämlich ein ganz besonderes Fleckchen Erde. Das sogar etwas mit Aachen zu tun hat.

Über die nur 572 Quadratkilometer große Insel weiß man hierzulande eigentlich nur, dass dort die Katzen keine Schwänze haben und auf ihren Straßen alljährlich ein ziemlich mörderliches Motorradrennen namens Tourist Trophy stattfindet.

Was allerdings bei weitem nicht alles ist, was das Eiland an Skurrilitäten zu bieten hat. Die Isle of Man, im dortigen Gälisch-Dialekt Ellan Vannin genannt, gehört nämlich weder zur Europäischen Union, noch zu England. Sie ist direkt der britischen Krone unterstellt, und damit auch kein Teil des United Kingdom oder des Commonwealth. Wer dort einreist, verlässt die EU.

Logischerweise legen die von Wikingern abstammenden rund 76.000 Einwohner – gegenüber ihren 170.000 Schafen in beängstigender Unterzahl – auch Wert auf eine eigene Währung. Die ist zwar 1:1 an das britische Pfund gekoppelt, sieht aber anders aus. Immerhin besteht das dortige Pfund heute nicht mehr aus 280 Pence, von denen 14 einen Shilling bilden. Auf dem 20-Pfund-Schein ist das Laxey Wheel abgebildet, das größte Wasserrad der Welt.

Foto: Wikipedia/Public Domain
Foto: Wikipedia/Public Domain

Dem längsten Drehstromkabel der Welt, das die Insel mit Elektrizität versorgt, ist dagegen unfairerweise keine Banknote gewidmet.

In der Hauptstadt Douglas, malerisch in eine Bucht geschmiegt, tagt das Tynwald, mit mehr als 1.000 Jahren Tätigkeit das älteste ununterbrochen tätige Parlament der Welt. Es verkündet seine Gesetze auf dem Tynwald-Hügel. Das Staatsoberhaupt ist der Lord of Mann und derzeit eine Frau, nämlich Königin Elisabeth II.

Während man auf den rund 500 Kilometer Inselstraßen mangels Tempolimit meist unbeschwert rasen darf, geht es auf den Eisenbahnen geruhsamer zu. Es gibt gleich fünf verschiedene Bahnsysteme: Von Dampf-, Elektro- oder Pferdekraft angetrieben, bewegen sich die Züge auf verschiedenen Spurweiten über die Gleise.

Womit wir bei der Beziehung zu Aachen wären, denn die beschränkt sich nicht auf das rituelle Streuselbrötchen, das Andy zum Frühstück vorgesetzt bekam. Als nämlich Anfang der Siebziger Jahre die ASEAG ihr Straßenbahnnetz auflöste, verkaufte sie die Fahrzeuge in aller Herren Länder (was eine weitaus bessere Verwertungsmethode war, als sie, wie 1944 geschehen, als fahrende Bomben auf feindliche Truppen rollen zu lassen). So erwarb auch die Isle of Man Transport Motoren und Fahrzeugtechnik aus Aachen.

Das hierzulande erstandene Material bauten die sparsamen Insulaner in ihre vorhandenen, bereits damals rund 70 Jahre alten Wagen ein. Spätestens daraus wird deutlich, dass die Insel genauso nah an Schottland wie an England liegt.

Foto: Wikipedia/Public Domain
Foto: Wikipedia/Public Domain

Heute sind die hundertjährigen Manx-Triebwagen die ältesten noch fahrenden Straßenbahnen der Welt. Wer mit ihnen auf den 621 Meter hohen Snaefell-Berg fährt, verdankt es auch Technik aus Aachen.

Komischer Ort, diese Isle of Man. Gestern wusste ich praktisch nichts von ihr. Heute will ich unbedingt mal hin.

Neues aus Hessen

„Willste am Sonntag mit zum Fuppes?“ Wieder so eine Frage, die sich dem Neu-Aachener nicht sofort erschließt. Wer ist Fuppes? Jupp heißt Josef, soviel ist klar, und Tuppes ist man auch schon mal genannt worden. Egal, bloß nichts anmerken lassen. „Klar, warum nicht.“ Später klärt eine wohlmeinende und mit der hiesigen Mundart vertraute Person den Schreiber dieser Zeilen auf, dass Fuppes Fußball heißt und er für eine Fahrt zum Auswärtsspiel der Alemannia shanghait wurde.

Und darum fährt der Tuppes
am Sonntag mit zum Fuppes.

Es ist ja nicht so, dass ich das Treten nach Lederbällen generell verabscheuen würde. In meiner letzten Wahlheimat Bielefeld wurde ich schon mehrmals auf die Alm in die SchücoArena gelockt – originellerweise stets in den Aachener Gästeblock. Beim letzten Mal, es war im Oktober vergangenen Jahres, verließen die angereisten Freunde aus der Kaiserstadt das Spiel allerdings bereits vorzeitig beim Stand von 4:1 für die Gastgeber. Leider nicht vorzeitig genug. Noch in Rufweite des Stadions brandete der Jubel der Westfalen ein fünftes Mal auf. Naja, Schwamm drüber, zweite Liga ist auch was feines.

Nun ist „Wehen“ der Gegner des Tages. Witze über diesen Namen verbietet der Anstand. Was es mit dem Club auf sich hat, ist etwas schwerer zu verstehen als die Bedeutung des Wortes Fuppes. Der SV Wehen ist eigentlich gar nicht Wehen, sondern eher Wiesbaden, spielt aber weder da noch dort, sondern in BankFrankfurt. Verstanden? Macht nichts, ich auch nicht. Wichtig zu wissen ist nur, dass hinter Wehen ein Hersteller von Wasserfiltern steckt. Um den Gegner nicht zu unterstützen, bereite ich am Sonntagmorgen meinen Frühstückskaffee eigens mit ungefiltertem Wasser zu. Schnell noch die kleine Pocketknipse eingesteckt (deshalb die etwas pixelige Bildqualität im folgenden), schon klingelt es an der Tür – auf geht’s!

Navi_084Die Koordinaten des Großraums Frankfurt werden ins Navigationssystem gegeben – sind das viele Autobahnen! – und der Audi dahinter auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. Knapp zwei fröhliche Autostunden später rollt ein ebenso fröhliches Quartett auf dem Parkplatz aus.

Dort schwelgen bereits Fans in kühnen Visionen. „Wenn wir 4:0 gewinnen, sind wir Tabellenführer“, hat ein gelbschwarz gekleideter Aachener ausgerechnet. Düsenlärm reißt ihn aus seinen Aufstiegsträumen.

Jet_087In der Nähe scheint ein Flugplatz zu sein. Prima, um so leichter sollte sich nach dem Spiel das Auto wiederfinden lassen: Wir müssen nur nach dieser DC-10 Ausschau halten.

Eingang_089So winzig der gegnerische Verein ist, so imposant ist sein Stadion. Der Name des Hauptsponsors ist mir leider entfallen – vermutlich eine Versicherung.

Langnese_093Der „Langnese Familienblock“. Geschlossen. Was ist trauriger: Dass es in Frankfurt keine Familien oder kein Eis gibt?

Was es dagegen gibt, ist eine kleine Imbussbude. Umgehend wird die lokale Stadionwurst verkostet. Ihre Soßenreste putze ich mir minutenlang mit immer verheerenderem Ergebnis aus dem Gesicht, bis ich merke, dass die untere Spitze der Serviette im Ketchup gehangen hat. Der knorpelige Phosphatschlauch legt nach dem Verzehr den Kreislauf seines Wirtes für längere Zeit weitgehend lahm.

Stadion_103Genauso prall gefüllt ist der Öcher Stehblock. Das Auge des aufmerksamen Betrachters registriert die Bandenwerbung eines Anbieters von „Abrechnungssystemen und Marketingkonzepten für das Taxi-Gewerbe“. Offenbar hofft das Unternehmen auf zahlreiche Taxifahrer unter den Gästen. Wenn das mal nicht trügt, hin und zurück sind es schließich gut 500 Kilometer.

Sodann plärrt aus den Lautsprechern die gegnerische Mannschaftshymne. Der holprige Refrain „Wir sind ein Team! / Esvau Wéhn! Wiesba-déhn!“ klingt dermaßen nach Schülerband, dass die zunächst fassungslos-mitleidig blickenden Nordrhein-Westfalen schnell beginnen, die Pausen im Text hilfreich mit „Aachen! Aachen!“ aufzufüllen.

Doch wo sind die Gastgeber? Blick nach rechts aus dem Fanblock…

Baerchen_100Da tobt der Bär. Ausverkauft geht anders. Später erfahren wir, dass es genau 6.934 Besucher waren. Ohne uns wären es 6.930 gewesen, das ist schon ein Unterschied.

Anpfiff! Mit „Toben“ lässt sich leider auch nicht beschreiben, was in den folgenden 90 Spielminuten auf dem Grün passiert. Die Jungs da unten scheinen ebenfalls bei den Stadionwürstchen zugelangt zu haben. Zum Spiel selbst schreibe ich nichts, das können andere besser.

Anzeige_105Schon 2:0. So war das nicht geplant. Wir verlassen kurz das traurige Geschehen, um uns zu stärken – nein, keine Currywürste mehr, jetzt müssen harte Getränke her. Kaum am Stand angekommen, erzeugt der Jubel der Gastgeber zum 3:0 ein gespenstisches Déjà-vu-Gefühl: Genau so war es letztes Jahr in Bielefeld auch. Was nun: Draußen bleiben? Zurückgehen? Der in dieser Sekunde ertönende Abpfiff gibt die Antwort.

Schild_114Rückfahrt. Der Audi wirft sich mit einer Kraft auf der A3 voran, die der Aachener Sturm so sehr hat vermissen lassen. Schweigen bei den Herren im Wagen, spitze Bemerkungen beim weiblichen Teil der Mitfahrerschaft. „Weißt du eigentlich, gegen wen die Alemannia heute gespielt hat?“ – „Irgend so eine Kartoffelmannschaft, glaub ich.“ – „Die haben sie sicher ordentlich geputzt.“ – „Na klar! Was meinst du, wie sich sonst die ganzen Fans ärgern würden, die da extra mit dem Auto hingefahren sind.“

In zwei Wochen geht es gegen 1860 München. Immerhin kann ich dann vorher wieder mein Kaffeewasser filtern. Aber Currywurst ist tabu.