Da steht er. Dass sie ihn als „People’s Car“ vermarkten, als Volkswagen, wird in Wolfsburg für säuerliches Lächeln gesorgt haben. Es gibt ihn also wirklich, den 100.000-Rupien-Wagen, das 1.700-Euro-Auto: den Tata Nano. Heckmotor, 33 PS, vier Türen, gut drei Meter lang und anderthalb Meter breit. Verbrauch zwischen vier und fünf Litern, Abgasklasse Euro IV. Ein Auto, das die Welt verändern wird.
Ein Volksauto ist er nämlich, dieser Nano, im ursprünglichen Sinne des Wortes. Denn was kostet hierzulande das, was sich Volkswagen nennt? Das Einsteigermodell VW Fox schlägt in der günstigsten Variante mit 40-KW-Motor (nur zweitürig zu haben) mit 9.475 Euro zu Buche. Plus Überführungskosten natürlich. Mit ein paar Extras liegt man da deutlich im fünfstelligen Bereich. Der Golf, Synonym für das deutsche Standardauto, beginnt bei 16.300 Euro. Wer will, kann für ihn auch ein bisschen mehr ausgeben. Wer bei der Wahl der Sonderausstattungen nicht auf so hübsche Extras verzichten mag wie den „RNS 510 Volkswagen Sound“ für nur 2.890 Euro (mit MP3-Wiedergabefunktion) oder die Leichtmetallräder „Charleston“ (2.200 Euro), kann den Preis auf bis zu 40.000 Euro hochkitzeln. Für einen VW Golf. War ein Auto nicht einmal etwas, das einfach nur vier erwachsene Menschen trocken von A nach B brachte? Und: Wieviel macht das in Nanos?
Auch wenn der jetzt in Delhi vorgestellte Winz-Inder hierzulande für Riesen-Wirbel sorgt, gemischt mit reichlich Spott und ein wenig Angst: Er ist kein Konkurrent für Smart, Polo und Co. Er ist Basismotorisierung für die indischen Massen. Denn die konnten bisher höchstens von einem Motorrad träumen. „Ich habe Familien beobachtet, die auf Zweirädern fahren – der Vater steuert den Roller, sein junges Kind steht vor ihm, seine Frau sitzt hinter ihm und hält das kleine Baby“, wird Tata-Chef Ratan N. Tata (der fast 140 Jahre alte Riesenkonzern ist erstaunlicherweise ein Familienunternehmen) in der Pressemitteilung zur Modellvorstellung zitiert. Recht hat er – komplette Familien auf zwei Rädern habe ich vor zwei Jahren auf einem Urlaub in Indiens Nachbarland Nepal auch überall gesehen. Die Einkaufstüten baumeln dann am verchromten Motorschutz.
Die Webseite des Nano unterscheidet sich deutlich von dem, was der westliche Auto-Fan gewohnt ist. Die Bildergalerie bescheidet sich mit ganzen drei Fotos, Videos sind für später angekündigt und der Konfigurator beschränkt sich auf eine Anklickliste. Einen Blick wert sind aber die Artikel unter „The Car“ und im Blog. Da ist zu lesen, dass sich der Nano als Nachfolger des Ford Model T, des VW Käfers und Minis sieht. Verglichen mit den 20 PS der „Tin Lizzy“ und den 24 des Ur-Käfers sehen die 33 des Nano denn auch gar nicht so schlecht aus. Außerdem ist der Inder das mit Abstand billigste Fahrzeug in der Galerie.
Ein anderer Beitrag befasst sich mit weiblichen Autofahrern in Indien, und ob sie eher Make-Up-Behälter hinterm Lenkrad wünschen oder Pedale, die sich auch in traditioneller indischer Kleidung leicht bedienen lassen. Andere Länder, andere Probleme. Frauen hinterm Steuer sind auch in Indiens Großstädten noch ein seltener Anblick.
Zurück zu uns. Gerade tönt der ADAC erwartungsgemäß, für deutsche Straßen sei der Nano nichts. Die erste wonnevolle Ausbreitung von Crash-Test-Ergebnissen wird nicht lange auf sich warten lassen. Dabei ist eine luxuriösere und aufgerüstete Variante für die westliche Welt nur noch eine Frage der Zeit. Sie wird uns daran erinnern, dass ein Auto einmal etwas war, das vier erwachsene Menschen trocken von A nach B brachte. Was tatsächlich auch ohne Klimaanlage, Xenonscheinwerfer und Soundsystem möglich ist.
Doch selbst wenn nie ein Tata über Aachens Straßen fährt, wird die erwartete Flut an Billig-Autochen in Fernost Auswirkungen für uns Europäer haben. Zwar schluckt ein Nano nur ein Viertel oder Fünftel soviel Sprit wie ein Porsche Cayenne. Doch die zunächst jährlich angepeilte Viertelmillion Kleinstwagen wird ihren Anteil an den Mineralölvorräten dieses Planeten wegzutzeln. Wie Ratan Tata im Interview sagt, zielt er nicht nur auf den Markt der indischen Pkw von derzeit 1,7 Millionen Fahrzeugen pro Jahr, sondern auch auf den der Zwei- und Dreiräder – sechs Millionen Fahrzeuge jährlich. Seine Kundengruppe ist die indische Mittelklasse, 250 Millionen Menschen. Auch sie kommen gerne trocken von A nach B.
Ohne den Propheten spielen zu wollen: Große Dinge stehen uns bevor. Manchmal kommen sie auf kleinen Rädern.
Ich würde eher sagen, große Dinge stehen den armen Ländern dieser Erde bevor. In den Industrienationen wird sich die Autolobby zu wehren wissen gegen diesen „Schmarotzer“, der Vermutlich nach erfolgreicher Markteinführung in Rekordzeit einen wichtigen Teil des heimischen Automobilabsatzes (nämlich der Kleinstwagen) wegbrechen lassen würde. Mittel und Wege, um die Marktchancen zu schwächen, dürfte es in einer Wirtschaftsdiktatur wie Deutschland wohl genügend geben. Ich jedenfalls prophezeie diesem Wägelchen einen hinteren Platz in der Zulassungsstatistik.
Womit ich natürlich nichts über die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines verbrauchsarmen, kostengünstigen Fortbewegungsmittels gesagt haben will.
Hallo Mike,
ich stimme dir völlig zu (wobei sich höchstens über den Begriff Wirtschaftsdiktatur streiten ließe). Der Tata ist in seiner vorgestellten Konfiguration genau auf den Markt in Schwellenländern zugeschnitten. Dort wird er logischerweise auch die stärksten Auswirkungen haben. Trotzdem werden auch wir es deutlich spüren, wenn innerhalb kurzer Zeit (wenige Jahre) größere Teile der Bevölkerung Indiens (oder Chinas oder Afrikas) dasselbe Recht auf Fortbewegung in Anspruch nehmen, das wir im Westen so selbstverständlich seit Jahrzehnten ausüben. Und ich wage zu prophezeien, dass auch bei uns dann plötzlich einige Dinge anders werden. Preisexplosion herkömmlicher Treibstoffe, Einführung komplett neuer Antriebstechnologien, neue Fahrzeugkonzepte – es wird mit Sicherheit interessant. Wenn auch nicht billig.
Hallo Marc,
sicherlich wird sich dieses Auto in Schwellen- und Ankerländern seinen Markt erkämpfen, und dadurch vielen Menschen die Mobilität überhaupt erst ermöglichen, aber dennoch denke ich, dass wir in Deutschland davon nicht allzuviel merken werden. Allerhöchstens vielleicht in steigenden Mineralölpreisen, wobei die wahrscheinlich auch ohne den Tata Nano in nächster Zeit nicht unerheblich anziehen werden…..
Neue Antriebskonzepte werden meiner Meinung nach als Reaktion (direkt oder indirekt) auf diesen Wagen nicht folgen, denn wenn die Industrie wirklich für neue Technologien bereit wäre, dann könnten diese schon seit Jahrzehnten ihre Anwendung finden. Ich denke da nur mal an den Stelzermotor, der schon in den 70er Jahren entwickelt wurde. Dessen Erfinder Frank Stelzer, der im letzten Jahr leider gestorben ist, wurde zeitlebens bekämpft und verklagt, mit dem Ziel, die Vermarktung dieses revolutionären Motors zu verhindern. Dabei hat er gegenüber dem Ottomotor eine höhere Haltbarkeit, einen geringeren Verbrauch, einen höheren Wirkungsgrad, und noch einige Vorteile mehr, was vom Institut für Verbrennungskraftmaschinen an der TU Braunschweig erwisen wurde.
Und zum Thema Wirtschaftsdiktatur: Sind wir doch mal ehrlich, die Politik wird von Politikern gemacht, welche drei bis fünf „Nebentätigkeiten“ in irgendwelchen Aufsichtsräten großer Konzerne haben. Lobbyismus gehört zum ständigen Hintergrund politischer Entscheidungen, wird aber von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Ich finde daher den Begriff Wirtschaftsdiktatur sehr passend, aber darüber kann man wohl wirklich streiten… 🙂
Grüße
Mike