Ich war am Zug

Es ist an der Zeit, euch etwas zu gestehen, ihr lieben und treuen Leserlein: Der Autor dieser Zeilen ist ein Morgenmuffel. Aufstehen ist ihm ein Graus, schlaftrunken stolpert er allmorgendlich die Treppenstufen hinunter, selbst die Dusche macht ihn kaum wacher. Bevor nicht am Frühstückstisch die erste Tasse Kaffee ihre Arbeit aufgenommen hat, ist er so munter wie eine Seepocke. Bei Ebbe.

Es kommt daher nicht jeden Tag vor, dass sich ihm schon beim Hören der ersten Lokalnachrichten im Radio die Nackenhaare aufstellen und der Puls beschleunigt. Nur zu oft hat er ja die Meldungen, die da verlesen werden, am Vortag selbst auf die Webseiten seines Arbeitgebers gewuppt.

Es kommt aber auch nicht jeden Tag vor, dass Aachens größter und wichtigster Verkehrsknotenpunkt stundenlang lahmgelegt ist – durch einen Zug. Genau das war aber passiert. Ein rund 40 Meter langer Schwertransporter, so war da zu hören, war in den Morgenstunden von der Autobahn 544 in den Europaplatz gefahren und in der engen S-Kurve zwischen den Leitplanken steckengeblieben. Geladen hatte er, so war zu erfahren, einen Eisenbahn-Reparaturzug.

Ein Zug blockiert den Europaplatz? Und es gab noch keine Fotos auf unseren Webseiten? Heckert, Sie sind am Zug! Wie zu seligen Lokalreporterzeiten griff der Autor dieser Zeilen – in seltener Heck-tik quasi – zur Kamera. Und zum Fahrradhelm, um sich auf den Weg zu strampeln. Denn – hier kommt ein Pro-Tipp, Leute – wer zu einem blockierten Kreisverkehr möchte, tut gut daran, das Auto stehen zu lassen.

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Um so mehr natürlich, wenn Ort des Dramas sowieso nur etwa 1100 Meter vom eigenen Zuhause entfernt liegt. Vor Ort hatten sich bereits reichlich Schaulustige und ein Kamerateam eingefunden. Letzteres visierte mich umgehend an, als ich meinerseits die Sony ansetzte. Erst als ich einen Polizeibeamten ansprach, erkannte mich der Kameramann offenbar als Kollegen und lies von mir ab.

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Wenige Stunden zuvor musste es sich gewaltig geknubbelt haben, eine Dreiviertelstunde lang ging auf der Autobahn in Richtung Innenstadt gar nichts mehr. Dann hatten Polizisten im Nachteinsatz den Koloss irgendwie aus der Engstelle herausgefädelt, ihn sicherheitshalber erst einmal auf der Außenspur im Kreisel geparkt und mit Warnbaken abgesichert. Auf der Autobahn dahinter – die A544 bis zum Europaplatz ist Aachens führende Anbindung in Richtung Düsseldorf und Köln – staute es sich zwar noch in erklecklicher Länge zurück, der Verkehr floss aber immerhin wieder. Wieviel Autopendler an diesem Morgen wohl verzweifelt ihren Vorgesetzten versucht haben zu erklären, dass die Bahn schuld an ihrer Verspätung war?

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Während ein genervter Autofahrer nach dem anderen an dem so ungewohnt nahen Schienenfahrzeug vorbeimanövrierte, berieten die Einsatzkräfte nach Kräften, wie das Monstrum von Aachens fröhlich sprudelnder Begrüßungsfontäne aus weiter in Richtung seines Bestimmungsortes gelotst werden sollte.

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Denn, so sagte mir der Einsatzleiter in die laufende Kamera, auf seinem Weg ins Verhängnis hatte der Transporter mit seinem geschätzten Lebendgewicht von etwa 115 Tonnen auch die Haarbachtalbrücke an der Abfahrt Rothe Erde passiert, die für gerade mal 40 Tonnen zugelassen ist. Ein schlichter U-Turn rund um den Kreisel, eigentlich die naheliegendste Lösung, schied daher aus.

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Was übrigens nicht die Schuld von Fahrern und Navigatoren des gewichtigen Tatzelwurms war. Denen hatte nämlich die Straßenverkehrsbehörde des Landkreises Dithmarschen die Route so abgesegnet. Die Kollegen der Aachener Behörde hätten da wohl einiges zu ergänzen gehabt. Ziel des aus Polen kommenden Gefährts war der Hafen im belgischen Zeebrügge.

(Der „Reparaturzug“ entpuppte sich vor Ort als ältere Gleisstopfmaschine des Schweizer Herstellers Matisa in der Lackierung des spanischen Bahnnetzbetreibers AZVI. Möglicherweise handelte es sich um den ausgemusterten Vorgänger dieses 2011 neu erworbenen Fahrzeugs.)

Noch während ich um die stehende Kolonne herumkrebste, um kleine Videoschnipsel einzufangen, brach plötzlich Geschäftigkeit aus: Eine neue Route hatte offensichtlich den Segen der Verantwortlichen gefunden – über die Lütticher Straße sollte es jetzt weitergehen. Dieselmotoren wurden angelassen, Blinker gesetzt, die Polizeibusse riegelten den Verkehr auf beiden Spuren ab. Vorsicht bei der Abfahrt des Zuges. Sachte setzte sich der polnisch-spanisch-schweizerische Riese mit dem belgischem Ziel in Bewegung.

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Während sich die Stopfmaschine, die so wirkungsvoll das wichtigste Verkehrsnadelör einer Großstadt verstopft hatte, unter dem Abschiedsgeflatter der CHIO-Fahnen auf ihre Weiterreise machte, machte sich der selbsternannte Bild- und Videoreporter auf die seinige in die Redaktion. Wo ihm die mit solchen Dingen beruflich beschäftigten Kollegen zartfühlend erklärten, dass der so stolz angeschleppte O-Ton des Einsatzleiters aufgrund des im Hintergrund leerlaufenden Dieselmotors der Zugmaschine leider nicht verwendbar war. Nächstes Mal bitte ein paar Schritte weiter weg aufstellen, ja?

Immerhin, die Fotos waren zu gebrauchen, ein paar der Filmschnipsel auch. Wer mag, kann sich das Resultat des so bewegungslosen wie bewegten Morgens in Text, Bild und Bewegtbild hier bei der AZ ansehen (die AN hat eine eigene Textversion). Sich die teils unerträgliche Besserwisserei und Häme in den Leserkommentaren unten auf der Seite anzutun, ist aber auf nüchternen Magen nicht zu empfehlen – da sollte man zumindest den ersten Kaffee intus haben.

Für den Schreiber dieser Zeilen, mittlerweile am eigenen Schreibtisch angekommen, war es denn erstmal Zeit für Tasse Nummer Zwei – und einen dem Ereignis angemessen langen Zug.

Im Venn am Ende

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Wolken stehen am Himmel über dem Venn, als ich hinter Andreas über die schmalen Wege und wippenden Holzstege herbalanciere. Auf meinem Rücken der Fotorucksack, im Anschlag die Sony Nex-6, denn dies ist so etwas wie eine Fotosafari. Andreas ist einer der besten Fotografen, die ich kenne, und er hat netterweise angeboten, mit mir auf Motivpirsch in seine heimatliche Eifel zu gehen. Also habe ich an Ausrüstung eingepackt, was ich an Wechselobjektiven (3) und Stativen (1) im Schrank habe und mich auf den Weg nach Imgenbroich gemacht. Das nahegelegene Steinley-Venn bei Konzen soll als Übungsgelände herhalten – und dass das belgische Militär gelegentlich Ähnliches vorhat, kann uns nicht von unseren Plänen abbringen.

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The spirits are high, sagt man auf Englisch so schön, während wir uns immer weiter von der Zivilisation entfernen. Nur die Sonne tut uns leider nicht den Gefallen, die Szenerie in güldene Strahlen zu tauchen. Der Himmel ist durchgängig bewolkendeckt, das Licht schwammig und indifferent. Macht eigentlich nichts – das Venn ist bei jedem Wetter malerisch, je nach Sonne und Jahreszeit sieht die Landschaft an keinen zwei Tagen gleich aus. Hier müssen sich doch Motive ohne Ende bieten!

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Doch je öfter ich aufs Display der Nex gucke, desto mehr wird mir klar, dass ich nichts sehe. Es liegt nicht an der Kamera: Das 30-mm-Objektiv von Sigma produziert bekanntlich knackscharfe Fotos, das 16-50-mm-Kitobjektiv sollte vom Weitwinkel bis zum Porträt brauchbare Bilder hinkriegen und als Geheimwaffe habe ich noch ein altes analoges 50-mm-Rokkor im Köcher, das mit seinem Adapter umgerechnet etwa 75 Millimeter Kleinbildäquivalent produziert. Dass bei alledem nichts Begeisterndes oder auch nur Befriedigendes rauskommt, liegt am Auge des Menschen, der durchguckt.

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Denn mal abgesehen von einigen wenigen offensichtlichen Eyecatchern wie diesem zerfratzten Balken an einem ausgemusterten Holzsteg springt mir nichts Fotografierenswertes ins Auge. Und während sich Andreas über den moosigen Boden an seelenvoll aus dem Sumpf ragende Schachtelhalme heranrobbt, bleibt mein Kameramonitor leer. Ich sehe einfach nicht, was das Fotografenauge sieht. Als ich später Andreas‘ Ausbeute anschaue, wird mein Gefühl nur noch bestätigt. Klar, er hat Ausrüstung für viele tausend Euro dabei, aber das alleine kann es nicht sein.

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Es wird ein schöner Spaziergang durch eine tolle Landschaft. Aber er lässt einen ratlosen Marc mit nassen Schuhen zurück. Wie trainiert man sich ein fotografisches Auge an? Eins ist offensichtlich, das traditionelle Rezept der Digitalfotografie – „hundertmal leicht unterschiedlich draufhalten, ein Schönes wird am Ende dabeisein“ – funktioniert nicht, wenn man wirklich etwas Spezielles produzieren will. Ich habe das Gefühl, bei Null anfangen zu müssen: Bildbeschnitt, Winkel, Licht und natürlich Brennweite, Blende und ISO-Zahl, das alles will beherrscht werden.

Hier im Venn bin ich nicht nur am Ende dessen angekommen, was die so geliebte Programmautomatik der Kamera hergibt, sondern auch am Ende dessen, was ich bis jetzt fotografisch auf die Beine gestellt habe. Es war ein Tag, der mir die Augen öffnete – und sie sahen, dass sie nichts sahen.

Kölsches

Ich gebe zu: Ich fremdele immer noch etwas mit Köln, auch nach über anderthalb Jahren. Wahrscheinlich, weil mir Aachen in den Jahren davor so sehr ans Herz gewachsen ist, dass ich es unbewusst als Verrat empfinden würde, mich in Köln wohl zu fühlen. Dabei gibt es durchaus nette Ecken in der großen Stadt am Rhein. Eine davon ist der Rheinauhafen, Ende des 19. Jahrhunderts als innerstädtische Hafenanlage mit Lagerhäusern und Werften angelegt, seit 2000 aber nach und nach umgestaltet zu einem Büro- und Wohnareal. Einer der wenigen Orte in Köln mit wirklich großstädtischem Flair. Modern, mondän, edel, aber ohne Snobismus – doch, ich mag den Rheinauhafen.

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Zwischen dem Schokoladenmuseum an der Nordspitze der einstigen Insel, den drei futuristischen Kranhäusern südlich der Severinsbrücke, den modernen Büroblöcken am Anna-Schneider-Steig und schließlich dem spitzgiebeligen „Siebengebirge“ am Agrippinaufer, einem 170 Meter langen einstigen Lagerhaus und heutigen Wohn- und Geschäftsgebäude, bummeln inzwischen die Spaziergänger, flitzen Inlineskater, fahren Radler und summt gelegentlich eine Gruppe Touristen auf Segway-Rollern umher.

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An einem warmen Spätsommerabend kann man hier wunderbar stundenlang auf den Sofas vor dem Limani sitzen, ein Kaltgetränk in der Hand, die Blicke schweifen lassen und Leute gucken.

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Auch wenn es manchmal gar nicht die Zweibeiner sind, bei denen das Beobachten am meisten Spaß macht.

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Wenn es dann langsam Nacht wird am Rheinauhafen, nimmt man sich die Kamera zur Hand, schlendert eine Runde um den Block und probiert, ob die neue 30-Millimeter-Festbrennweite, die der Briefträger am Morgen gebracht hat, wirklich so viel besser ist als das originale 16-50mm-Kitobjektiv der Nex.

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Ja, sie ist. Das Sigma holt selbst aus einem freihändigen Schnappschuss im Dunkeln mehr heraus als das Zoomobjektiv. Whow!

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Bummeln macht hungrig. Im Bona’me unten im Luther-Gebäude gibt es feine türkische Küche, sanftes Hintergrundlicht und warmen Feuerschein von den Terrassenfackeln. Der Rotwein ist milde beerig, die Flamme neben dem Tisch angenehm warm und der Biergarten voller gut gelaunter Nachtschwärmer. Ja, man kann es ein Weilchen aushalten, so am Rheinauhafen.

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Und kaum dass man sich’s versieht, sind fünf Stunden vergangen – da wird es schließlich doch irgendwann Zeit für den Rückweg, den nächtlichen Rhein entlang. Das Siebengebirge mit seiner Kranbrücke entlang, vorbei am „Bratort“, einer Wurstbude, an der sich die Kölner Tatortkommissare so gerne stärken, dann durch die Uferwiesen. Die Südbrücke zwingt förmlich dazu, vom Rad zu steigen und die Kamera noch einmal auf der gemauerten Uferböschung in Position zu bringen. Das neue Objektiv pult noch einmal jede Niete aus den Stahlbögen heraus.

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Kurz dahinter bietet der Heimweg noch ein weiteres Fotomotiv, aber ein deutlich moderneres: das quaderförmigen Hochwasserpumpwerk an der Schönhauser Straße – das dank seiner dezenten Beleuchtung offenbar auch für ein Mitternachtspicknick gut geeignet ist. Der Fotograf auf der dunklen Rheinwiese davor wünscht sich einmal mehr, ein Stativ mitgenommen zu haben.

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Am Bayenthalgürtel schließlich, schon kurz vor dem Ziel, wartet in einer Seitenstraße noch ein ganz besonderes Zuckerl unter einer Laterne: ein Jaguar E-Type, offenbar einer der ersten Serie von 1961 bis 68 in einer gecleanten Rennversion ohne Stoßfänger. Auch wenn nicht ganz klar ist, wie original die so erotisch gerundeten Kotflügel mit dem offenen Kühlermaul sind – die gefühlt längste Motorhaube der Autogeschichte ist einfach zu schön, um nicht ein letztes Mal für diesen Abend die Kameratasche zu öffnen.

Dann ist ein Abend zu Ende, der selbst einem eingefleischten Skeptiker gezeigt hat, dass auch Köln nicht ganz ohne Reize ist. Es könnte am Rotwein gelegen haben, dem beerig milden – der stimmt anscheinend auch einen Bären mild.

Alea iacta est

Ich kann mich nicht erinnern, mich in meinem Leben mit einer Entscheidung – also: Kaufentscheidung – schon einmal so schwer getan zu haben, wie jetzt mit der Wahl der neuen Kamera. Was ich in den langen Nächten der vergangenen Wochen gelernt habe: Die Recherchemöglichkeiten im Netz sind mittlerweile schlicht umwerfend. Klar, ausführliche Tests, Erfahrungsberichte und Youtube-Videos gibt es zu jedem Modell en gros. Was ich dagegen bis dato noch nicht kannte, sind interaktive Vergleiche, etwa bei DPReview, wo man die Leistungen seiner Wunschkamera im Vergleich zu anderen Modellen in übersichtlichen Balkengrafiken präsentiert bekommt.

2013_07_28_DPReview Screenshot

Oder die Snapsort-Datenbank, wo die Vor- und Nachteile fast jeder aktuellen Kamera stichwortartig mit denen jeder anderen verglichen werden kann.

2013_07_28_Snapsort Screenshot

Und wenn es um die Jackentaschentauglichkeit geht, hilft Camerasize, wo alle Modelle aus jeder Perspektive nebeneinander gestellt werden können. Natürlich jeweils mit einer ganzen Palette passender Objektive, man will ja objektiv sein und nicht ein Tele mit einem Pancake vergleichen.

2013_07_28_Camerasize Screenshot

Es gibt also wirklich keine, aber auch gar keine Notwendigkeit mehr, sich vom heimischen Schreibtischstuhl zu erheben, um sich für eine Kamera zu entscheiden. Fehlt eigentlich nur noch ein Fotografiersimulator, mit dem man seine Wunschmotive in einem ausgesuchten Kameramodell künstlich erzeugen kann – dann bräuchte man seine Wohnung nicht mal mehr zum Knipsen zu verlassen.

Okay. Durchatmen. Also. Ich habe mich entschieden.

Earlier this year, I made a pretty drastic change in my camera set up. I left behind my trusty Canon DSLR, and the lenses and accessories that had served me well for six years, and I picked up a Sony NEX-5N mirrorless camera. (Dan Seifert, auf The Verge)

Zuerst mal: Es wird keine Spiegelreflexkamera.

Da ich die Sony NEX-6 zu meiner Hauptdigitalkamera zu adeln gedenke, (…) (Stephan Spiegelberg, in Nach einer Woche mit der Sony NEX-6)

Was mir bei der Entscheidung half, waren die diversen Statements von teils sehr bekannten Fotografen, die ihre Mittelklasse-DSLRS für Systemkameras aufgegeben haben. Gut, die High-End-Modelle mit Vollformatsensor bleiben eine Klasse für sich. Jedenfalls noch für eine Weile.

Is the Sony NEX-7 WAY better than the my previous camera, the Nikon D800? No. Is it better enough to switch? Definitely. (Trey Ratcliff, in Hello Sony. Goodbye Nikon. The story of why I am switching from Nikon to Sony.)

Aber dem Argument „die besten Fotos macht man mit der Kamera, die man mit hat“ können sich auch die besten Fotografen offenbar nicht verschließen.

„(…) the NEX-6 might be my favorite mirrorless camera yet. It’s certainly the first one I’ve tried that feels like it could replace my DSLR (…)“ (David Pierce, auf The Verge)

Vielleicht werde ich mir dann irgendwann auch noch eine Spiegelreflex zulegen. Wenn die NEX einmal meine Ansprüche nicht mehr erfüllt.

Die Nex hat auch mein fotografisches Leben total umgekrempelt. (…) Also 5N im Kit gekauft (…) Kurze Zeit später war alles Nikonequipment im Biete-Bereich zu finden. Das war zwar ein ziemlich harter Cut, aber ich würde es jederzeit wieder so machen. (User cp995 im DSLR-Forum)

Und wenn es dann noch Spiegelreflexkameras gibt. Wer weiß. Vor zehn Jahren haben ja auch die meisten von uns noch mit Rollenfilm fotografiert.

Mit anderen Augen

Es ist Samstag, es ist früher Nachmittag, ich sitze wieder vor dem Bildschirm. Mal wieder. Seit geschätzten zwei Wochen schlage ich mich Tag für Tag, Nacht für Nacht mit einem der beliebtesten Luxusprobleme des frühen 21. Jahrhunderts herum: Was für eine neue Kamera soll ich mir nur kaufen?

Für einen mit der Bedienung des Internets vertrauten Menschen ist die Anschaffung eines neuen technischen Produkts normalerweise eine Sache von höchstens zwei, drei mehr oder weniger vergnüglichen Abenden am Rechner. In erster, grober Vorauswahl legt man sich auf eine Produktkategorie fest, definiert ein paar der wichtigsten Anforderungen und Must-Haves auf einer Stichpunktliste und stürzt sich alsdann mit Wonne in die schöne bunte Welt der Fachseiten, Testberichte und Amazon-Rezensionen. Schnell kristallisieren sich die ersten Favoriten heraus, die dann noch einmal einer genaueren Gegenüberstellung mit Hilfe einer Pro-und-Contra-Aufstellung unterzogen werden. Hat sich schließlich der Sieger herausgeschält, wirft man Idealo & Co an, um den günstigsten Preis herauszufinden und bestellt zuletzt beim Onlineversand seines Vertrauens oder schaut – wenn der örtliche Einzelhandel preislich halbwegs mithalten kann, was zu hoffen ist – im Fachgeschäft vorbei. Am Ende kommt der DHL-Mann, Zettel im Briefkasten („heute jedoch nicht!“), Abholakt auf dem Amt, fertig.

Nicht so ich, nicht so in puncto Kamera. Anlass der Kaufblockade ist eine bevorstehende Indonesienreise im Herbst, die ich zum Anlass genommen habe, meine bildtechnische Ausstattung einmal einer Revision zu unterziehen. Es folgt der Aufmarsch der Gladiatoren, symbolisiert durch Testbilder vom abendlichen Balkon:

Fotografiert mit Fuji Finepix S9500
Fotografiert mit Fuji Finepix S9500

Da wäre zum ersten die treue Bridgekamera Fuji S9500 von 2006. Jahrelang hat sie mir treu Tausende von Fotos für Zeitungen und mein Blog produziert. Ihr 10-Megapixel-Festobjektiv zoomt mit beeindruckenden 28 bis 300 Millimetern. Dank ihres ausklappbaren Displays habe ich als frischgebackener Jungredakteur zum ersten Mal Fotos aus ungewohnter Perspektive schießen können und die angenehme neue Erfahrung machen dürfen, statt „Herr Heckert hat ja manchmal ein bisschen Probleme mit dem Fotografieren“ hören zu dürfen: „hey, schönes Bild“. Aber die Bildqualität selbst hat mich noch nie wirklich umgehauen – ich fand die Fotos grundsätzlich zu verrauscht. Zehn Zentimeter weniger Zoom, dafür etwas mehr Lichtstärke wären fein gewesen.

Fotografiert Canon Powershot A2000 IS
Fotografiert Canon Powershot A2000 IS

Die handliche Pocket Canon A2000 IS, angeschafft 2008, hat sich vor allem auf Touren und als tägliche Alltagsknipse gut bewährt. Bei ihr und der Fuji war die Kaufvoraussetzung, dass sie mit handelsüblichen 1,5-Volt-AA-Batterien laufen – die man zur Not selbst in Timbuktu in jedem Gemischtwarenladen nachkaufen kann. Ihr Display ist allerdings nicht schwenkbar, was Aufnahmen über Kopf und aus der Froschperspektive erschwert. Außerdem haben sich auf dem Sensor offenbar Staubkörner abgesetzt, was bei geblitzten Aufnahmen im Dunklen arg stört. Die Bilder sind okay und deutlich lichtstärker als die der Fuji, wobei die A2000 IS einen gewissen Hang zu romantischer Verklärung hat. Siehe oben.

Fotografiert mit Canon EOS 300D
Fotografiert mit Canon EOS 300D

Der Dritte im Bunde ist eine Canon EOS 300D von 2003, meine erste digitale Spiegelreflex. Wunderbar geeignet zum Üben von Belichtung, Blende und ISO-Werten. Besonders schweres, wertiges Gehäuse. Liegt von allen dreien am besten in der Hand. Ihre Nachteile: Die Auflösung ist mit 6 Megapixeln eher gering. Das relativ kleine Display bietet keine LiveView-Vorschau und lässt sich ebenfalls nicht herausklappen oder -schwenken. Dafür sind die Bilder am besten. Hier noch ein zweites – man beachte, wie schön das Rot der Blumen im Vordergrund noch leuchtet:

Fotografiert mit Canon EOS 300D
Fotografiert mit Canon EOS 300D

Soweit der Ist-Zustand. Eigentlich sollte es doch nicht schwer sein, im selbstgesteckten Preisrahmen von 500 bis 800 Euro einen halbwegs geeigneten aktuellen Nachfolger zu finden. Zumal viele Versandhändler und Elektronikmärkte 0%-Finanzierungen anbieten und die beiden größten Hersteller Nikon und Canon im Juli mit Cashback-Aktionen den Käufern zwischen 50 und 80 Euro per Scheck zurückerstatten.

Doch schon bei der ersten grundsätzlichen Entscheidung für den Kameratypen drehe ich mich jetzt seit zwei Wochen im Kreis. Dann so alternativlos wie noch vor drei, vier Jahren sind die Einsteiger-Spiegelreflexkameras von Nikon, Canon & Co. gar nicht mehr. Die neue Klasse der Systemkameras macht ihnen ganz schön Dampf unter den Bodys. Und auch die High-End-Pocketkameras von Canon und Nikon kratzen an der Tür zur Oberstufe. Drei ganz verschiedene Kameraklassen stehen also zur Debatte.

Fangen wir mit den klassischen Kompakten an. Sagte nicht schon Konfuzius: „Die beste Kamera ist die, die man dabei hat“? Darum wollte ich mir schon vor Jahren eine Canon Powershot G12 als Universalknipse zulegen. „Built like a tank“ hieß es über ihre Verarbeitungsqualität gerne in amerikanischen Vergleichstests; mittlerweile ist sie allerdings unter anderem von der G1X mit einem größeren Sensor überholt worden (der direkte Nachfolger G15 hat kein Schwenkdisplay mehr und scheidet daher aus). Nikon schickt die P7700 ins Rennen, die im Gegensatz zum Vorgänger P7100 nun endlich auch ein bewegliches Display hat.

Reizvolle Alternativen sind die günstigeren Samsung-Modelle EX1 und vor allem EX2F: Die beiden Koreaner sind noch kompakter, aber ähnlich wertig verarbeitet wie die Platzhirsche aus Japan. Die EX2F bietet 12 Megapixel und ist mit Bord-WLAN und NFC besonders gut vernetzt.

Eins aber können alle Kompakten nicht: den Spiegelreflex- und Systemkameras das Wasser reichen. Alle Tester sind sich einig: Ganz oben auf der Qualitätsskala spielen die Fotos der Festobjektivkameras nicht mit. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht. Wechselobjektive für verschiedene Motivanforderungen logischerweise auch nicht – one size fits all. Aber wenn wir schon 500 Euro und mehr ausgeben, sollte da nicht die Bildqualität eine der wichtigsten Anforderungen sein?

Was uns zur spannendsten der drei Geräteklassen bringt: den Systemkameras. Viele Vergleichsreihen bescheinigen etwa der NEX-Reihe von Sony deutlich bessere Bilder als mancher Mittelklasse-DSLR. Warum also noch einen voluminösen Klappspiegelmechanismus in einem noch voluminöseren Gehäuse mit sich herumschleppen, wenn am Ende das selbe 16 Megapixel-JPG herauskommt? Also überspringen einfach wir das Zeitalter der Dinosaurier mit ihren steinzeitlichen mechanischen Spiegeln! Denken wir in neuen Kategorien!

An der Spitze der Systemkamera-Bestenlisten stehen die Sonys NEX-Modelle. Die NEX-6 etwa war im Dezember 2012 „Editor’s Choice“ bei CNet. Die etwas günstigere NEX-5R ist mit ihrem 16-50er-Objektiv flach genug für jede Tasche und schon für knapp unter 600 Euro zu haben. Ihr Display ist wunschgemäß klappbar, sogar WLAN hat sie dabei. Bingo!

Bingo? Gegen die NEX-5 spricht, dass sie keinen eingebauten Blitz hat, nur einen zum Aufstecken. Die Kit-Objektive 18-55 und 16-50 mm bleiben, wie alle Kit-Scherben, hinter den Möglichkeiten der Kamera zurück. Wirklich viele Wechselobjektive gibt es für Sonys E-Bajonett auch noch nicht. Das Bedienmenü wird als arg unübersichtlich kritisiert.

Und noch ein Gedanke: Für die allermeisten Schnappschüsse ist doch eigentlich schon bei weitem ausreichend, was heute jedes moderne Smartphone an Bord hat. Braucht man da wirklich zwei Kameras in der Jackentasche? Schon beim vorletzten Segelfluglager in Feurs habe ich die Canon A2000 IS zu Hause gelassen und nur mit meinem iPhone 4 fotografiert. Die Fuji nehme ich schon seit Jahren nicht mehr auf Reisen mit: Der Qualitätsvorsprung gegenüber der kleinen Canon, soweit überhaupt vorhanden, rechtfertigt das Mehrgewicht und die störende große Kameratasche nicht.

Bleibt noch die gute, alte Königsklasse: die Spiegelreflexkamera. Angenehm schwer liegt sie in der Hand, das Gehäuse verträgt schon mal einen Schlag und leicht lassen sich mit so einem schwarzen Klotz in der Hand beim Pressetermin Bürgermeister, Geschäftsführer und Vereinsvorsitzender zum Klassenfoto herumscheuchen (was für einen Journalisten tatsächlich ein nicht von der Hand zu weisendes Kaufkriterium sein kann). Die Modelle der Marktführer sind um Dutzende von Objektiven und Blitzgeräten erweiterbar und erfreuen mit erwiesenermaßen hervorragender Bildqualität. DSLR: das ist zwar Technik aus dem 19. Jahrhundert, aber eben auch absolut ausgereift. Eine nachhaltige Entscheidung für viele Jahre – da weiß man, was man hat, guten Abend.

Oberhalb der absoluten Einsteigergeräte in diese Klasse liegen die beliebten EOS 700D von Canon und D5200 von Nikon. Die Nikon mit ihrem 24-Megapixel-Sensor liegt in allen Vergleichstests vorne, die Canon kann dafür als einzige DSLR mit einem Touch-Display beeindrucken – als Smartphone-Nutzer ahnt man, was das für den tatsächlichen Einsatz bedeutet. Ansonsten tun sich die beiden Standardkameras im unteren Preissegment im direkten Vergleich nicht viel. Zufriedenheit ist bei beiden quasi garantiert.

Aber: Nimmt man so ein schweres Teil denn auch wirklich noch mit auf Touren? Hat man nicht im Gedränge immer Angst um die Tasche mit ihrem teuren Inhalt? Olympus wirbt für seine PEN-Systemkameras mit der Aussage: „90,2% der Zeit bleiben DSLR-Kameras in der Schublade“.

Klares Patt also. Und dann waren da noch die Quereinsteiger im Spiel: Die Panasonic Lumix G6 etwa, eine neue Systemkamera mit hervorragender Bildqualität, WLAN und NFC. Kaum kleiner als eine Spiegelreflexkamera allerdings – dafür sicher gut zu handhaben. Oder die Spiegelreflex Sony Alpha SLT-A57, die mit ihrem halbtransparenten Spiegelsystem von der Bildqualität her ganz oben mitspielt.

Besuche im Elektronikmarkt sollten Klarheit bringen. Doch sie warfen nur alle Erkenntnisse wieder über den Haufen. Betrat ich das Gebäude mit der Nikon D5200 als Favoriten, verließ ich es mit der Canon EOS 700D im Kopf. Zu schlecht ließ sich das Nikon-Gehäuse mit der rechten Hand halten, vor allem die Auflagefläche für den Daumen ist viel zu klein. Die Systemkamera Sony NEX-5R wiederum, auf die ich besonders gespannt war, entpuppte sich als so zierlich und fragil, dass ich vor allem ihrem Klappdisplay jahrelangen härteren Einsatz nicht zutrauen mochte.

Dafür tauchten plötzlich völlig neue Sterne am Himmel auf: Die Canon EOS 60D zum Beispiel, eine schon etwas in die Jahre gekommene Mittelklasse-Spiegelreflex von 2010, deren 18-MP-Sensor aber noch bis in die aktuelle 700D hinein verbaut ist. Der Youngtimer kann mit einem spritzwassergeschützten Gehäuse aufwarten, das rechts auf der Oberseite über dem Handgriff eine klassische – und sogar beleuchtete – Digitalanzeige für die Kameraeinstellungen hat. WiFi, GPS, einen Touchscreen oder gar NFC sucht man dagegen vergebens.

Als ich sie in die Hand nahm, wusste ich: So muss sich eine Kamera anfühlen. Über den mit 799 Euro (inklusive 18-55er Kitobjektiv) erstaunlich günstigen Preis im Markt (die neue EOS 700D kostet dort, mit allerdings neuerem Objektiv, 719 Euro) wunderte ich mich nur so lange, bis Google mir zu Hause verriet, dass vor nicht einmal zwei Wochen der Nachfolger 70D vorgestellt worden ist. Worüber mich der freundliche Canon-Berater im Markt mit einem nebulösen „ein Nachfolgemodell wird natürlich in Vorbereitung sein, aber genaueres kann ich Ihnen auch nicht sagen“ klar im Unklaren gelassen hatte. Die 70D selbst fällt mit ihrem angekündigten Preis von 1200 bis 1500 Euro je nach Kit-Objektiv übrigens ebenso klar aus dem selbstgesteckten Preisrahmen heraus. Die 60D dagegen gibt’s im Zuge der aktuellen Cashback-Aktion schon ab 680 Euro mit dem 18-55er-Kit-Objektiv.

Und dann ist da noch die kleine Systemkamera Samsung NX300. Ein weiterer Überraschungsgast an der Spitze des Pelotons, der wie aus dem Nichts nach dem Gelben Trikot greift. Der Blick auf ein Samsung-Verkaufsdisplay im Laden mit mehreren Kameras und Tablet-PC war lohnend. Die NX300 besticht mit einem überaus edlen Gehäusefinish, liegt sehr angenehm in der Hand, hat ein durchaus solide wirkendes Klappdisplay und eine ganze Palette an Vernetzungsmöglichkeiten von WLAN über NFC bis zur direkten Anbindung von E-Mail- und Facebook-Account. Whow. Wenn Systemkamera, dann so, gerade wenn man gerne multimedial unterwegs ist.

Also immer noch keine Entscheidung, nicht einmal für die Kameraklasse. Wer weiß, welches Modell sich morgen in mein sehnendes Hirn schiebt? Die Panasonic Lumix G6? Die Olympus PEN E-PL5?

Geh mir weg mit deiner Lösung!
Sie wär der Tod für mein Problem.
Jetzt lass mich weiter drüber reden
– ist schließlich mein Problem
und nicht dein Problem. (Annett Louisan)

Es ist Sonntag, es ist drei Uhr nachts, ich sitze immer noch vor dem Bildschirm. Danke für Eure Aufmerksamkeit.