Der Whow-Moment

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/60s, ISO 3200
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/60s, ISO 3200

Es gibt Momente, da klappt einem der Kiefer auf, da sagt man einfach nur „Whow“. Vielleicht ist es auch ein anderes Wort. Eins halt, das einem unwillkürlich entflutscht, wenn man eine Sekunde lang einfach nur geplättet ist. So einen Moment hatte ich heute. Es war nach dem achten diesjährigen TestessenAC im Lai Thai am Kehrmännchen, wie stets in wunderbarer Weise organisiert von Sabine.

Für das „Whow“ des Tages war allerdings nicht der Schärfegrad meiner Thai-Ente verantwortlich (auch wenn zwei von drei möglichen Chilischoten auf der Karte durchaus für den einen oder anderen heißen Moment sorgen können).

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200

Nein, ich hatte ein neues Objektiv an der Nex. Wobei „neu“ nicht ganz das passende Wort für eine Linse ist, die 1979 erstmals auf den Markt kam, also irgendwas um die 30 Jahre alt sein dürfte. Und die jetzt schon seit etwa anderthalb Jahren unbeachtet in meiner kleinen Sammlung vor sich hin staubfängert. Ein vollmechanisches Minolta MD 50mm 1:1.7 Standardobjektiv.

Nach den begeisterten Berichten in diversen Blogs und Foren über die Güte von mechanischen Objektive aus der vordigitalen Zeit und ihre leichte Kombinierbarkeit mit den heutigen Systemkameras wollte ich damals auch unbedingt eins ausprobieren. Und schoss mir, mangels Erfahrung und Kenntnis, statt des bekannt brillanten Minolta MD 50mm 1:1.4 oder des 50mm 1:2 deren mittleren Bruder 1:1.7 (die zweite Zahl, also 1.7, bezeichnet die maximal offene Blende – alles unter 2 ist schon mächtig lichtstark).

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200

Das 1:1.7 ist das Stiefkind des Trios. Bei Offenblende soll seine Schärfe vor allem in den Randbereichen nicht an die anderen heranreichen, wenn auch etwas abgeblendet allerdings kein Unterschied mehr feststellbar sein soll. Gekostet hatte mich das Schnäppchen ohne erkennbare Gebrauchsspuren denn auch nur irgendwas um die 25 bis 30 Euro – die begehrteren 1:1.4er-Modelle werden gerne für das Drei- bis Vierfache gehandelt.

Spaß machte der frisch ersteigerte Dinosaurier leider nicht. Die Schärfe war zwar tatsächlich brillant, der Tiefenschärfebereich dagegen so minimal, dass die ersten Probebilder kaum zu verwenden waren. Und da mir damals ISO-Werte und Belichtungszahlen böhmische Dörfer mit sieben Siegeln waren, kam auch nichts Gescheites bei den Experimenten heraus. Folglich dornröschenschlief der Mechaniker die letzten anderthalb Jahre im Köcher – bis jetzt.

Wenn man sich darauf einlässt, Blende, Belichtung und ISO-Zahl an Objektiv und Kamera selbst einzustellen und mit Hilfe von Displaylupe und Kantenanhebung zu fokussieren, dann entstehen plötzlich tatsächlich so etwas wie Fotos. Auch wenn das Fokussieren per Lupe nur bei sehr ruhiger Hand funktioniert.

Google LG  Nexus 5
Google LG Nexus 5

Doch es klappt: Trotz der um 50 Prozent verlängerten Brennweite – das 50-Millimeter-Standardobjektiv der Kleinbildkamera wird ja am kleineren APS-C-Sensor der Nex zu einem leichten 76-Millimeter-Teleobjektiv – und des verringerten Lichteinfalls durch den zusätzlichen Adapterring produziert die Alt-Neu-Kombination sogar im eher gedämpften Licht des Gastraums und trotz freihändigen Anvisierens der Thai-Ente brauchbare Bilder. Und was für welche. Bilder mit Farben. Bilder mit cremiger Hintergrundunschärfe.

Keine Frage, das hat was. Selbst bei so wenig günstigen äußeren Bedingungen und einem so wenig erfahrenen Fotografen zaubert dieser jahrzehntealte Oldie quasi aus dem Ärmel solche Schüsse hin. Und weil diese ersten Treffer so ermutigend ausfielen, habe ich auf dem Rückweg noch einmal an meinem bewährten Fotostandort am Klosterplatz angehalten und unter dem schützendenDach der Papeterie Clou auf die Domschatzkammer gepeilt. Das kleine Immerdabei-Teleskopstativ aus der Ortliebtasche geholt, 30 Sekunden Belichtung, ISO 100. Warten. Schauen: Und, wie ist es geworden?

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 30s, ISO 100
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 30s, ISO 100

Dann war er da. Nach dem Heranzoomen an die Mauersteine, an das regennasse Straßenpflaster, an den „Blütezeit“-Schriftzug des Blumenladens ganz hinten an der Straße: der Whow-Moment.

Was für eine kristallklare Schärfe. Der mechanische Ebay-Billigheimer mit seinen diversen Jahrzehnten auf dem Buckel spielt brandneue vollelektronische Komfortobjektive locker an die Wand. (Die Großbildansicht in der Galerie hier lässt sich über den X-Button oben rechts übrigens auf volle Bildschirmgröße bringen.) Man sieht mich begeistert. Und nachdenklich.

Und morgen: bei Ebay. Nach mechanischen Billigheimern gucken. Plötzlich sieht die schöne neue Fotowelt etwas anders aus. Wer braucht schon Elektronik, wenn er Brillianz haben kann?

3 Antworten auf „Der Whow-Moment“

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