Mein erstes Mal

Nebel ist das erste, was ich sehe, als ich an diesem Morgen um kurz nach 6 Uhr die Küchenvorhänge zur Seite schiebe. Draußen ist es noch halb dunkel, Dunst hat Aachen in trübes Grau gehüllt. Wann bin ich Morgenmuffel zum letzten Mal an einem Samstag so früh aufgestanden? Aber es hilft nichts: Um 7.30 Uhr beginnt die Essensausgabe an der Turnhalle der Grundschule Barbarastraße, einer der Notunterkünfte für Flüchtlinge in der Stadt. Vor fast zwei Wochen habe mich auf Aachen.de per eingesandtem Fragebogen als Flüchtlingshelfer gemeldet, ein paar Tage darauf kam der Anruf einer Koordinatorin der Stadt, ob ich am heutigen Samstag und am Montag bei der morgendlichen Essensausgabe helfen könne. Ich konnte.

Ich erinnere mich nicht, dass mich in meinem Leben schon einmal etwas so mitgenommen und berührt hätte wie die aktuelle Flüchtlingskrise. Seit Wochen hämmern die Nachrichten, die Facebook-Posts und die Tweets dazu auf uns ein. Dramatische Szenen aus den Flüchtlingscamps in Südeuropa, schreckliche Bilder von Leichen im Mittelmeer, beschämende Nachrichten über pöbelnde und brandstiftende „Asylkritiker“ aus unserem Land, zwischen alledem der grauenvolle weiße Lastwagen mit den mehr als 70 erstickten Menschen auf der österreichischen Autobahn und der ertrunkene dreijährige Junge am Strand. Und in den sozialen Netzwerken gehen sich über alledem wildfremde Menschen an die Gurgel. Ein Krieg ist ausgebrochen im deutschsprachigen Internet, er tobt in den Kommentarspalten der Zeitungen und auf Facebookseiten, von Spiegel Online bis zur Bundesregierung. Es wird argumentiert und gehöhnt, gepöbelt und bedroht, es geht Nazis gegen Gutmenschen, Patrioten gegen Asylantenpuderer, Pack gegen Linksversiffte.

Beruflich kriege ich das voll mit – ich bin in vielen regionalen Facebookgruppen im Raum Aachen, Düren und Heinsberg Mitglied. Es scheint dort kaum noch ein anderes Thema zu geben. Seit die ersten Fotos, die ersten Videoclips von Flüchtlingen im Netz auftauchten, fluten Rechtsextreme diese Gruppen regelrecht mit Propaganda in unglaublicher Menge und unglaublicher Perfidität. Da wurden wilde Müllkippen in Slowenien verkauft als Hinterlassenschaften von Flüchtlingen in Euskirchen. Wehrmachtssoldaten in Bildmontagen gegenüber Flüchtlinge gepriesen als „Helden, die ihr Vaterland verteidigen“ anstelle der „feigen Schweine, die ihre Familien im Stich lassen“. Und vieles mehr, das einem die Nackenhaare zu Berge stehen lässt.

Dabei ist keine Lüge zu absurd, kein Gerücht zu haltlos und keine Fälschung zu offensichtlich, um nicht vom Heer der Ahnungslosen und Böswilligen blindlings weiterverbreitet zu werden. Vor allem unsere, ahem, etwas älteren Mitbürger, die noch nicht ganz so lange im Netz sind, legen oft die Medienkompetenz von Fünfjährigen an den Tag und glauben offensichtlich einfach jeden frei erfundenen Dreck, der in irgendeinem Youtube-Video ohne Ton, aber mit neu interpretierter Überschrift oder einem selbstgebastelten Blog ohne Impressum ins Netz, Verzeihung, gerotzt wird. Je mehr Schreibfehler im Text und Ausrufezeichen dahinter, desto wahrer die Botschaft.

Irgendwann müssen in diesem Trommelfeuer des Hasses nach und nach meine Selbstschutzmechanismen zerbröckelt sein. Immer öfter habe ich in den vergangenen Wochen die gebotene Zurückhaltung nicht mehr wahren können, habe mich eingemischt, Gegenkommentare geschrieben, habe Links auf meiner eigenen Pinnwand und in lokalen Gruppen gepostet. Fremdenhass gekontert, Lügen und Verzerrungen richtigzustellen versucht. Nicht immer höflich, das gebe ich zu, es war sogar hin und wieder auch mal ein Ausrufezeichen dabei. Etwa, wenn – die aktuell neueste Masche unserer „besorgten Bürger“ – Obdachlose in Stellung gegen die Flüchtlinge gebracht werden („Wohnraum für das eigene Volk! Nicht für Flüchtlinge!“). Ich habe in meiner Osnabrücker Zeit mal für das Straßenzeitungsprojekt „Abseits!?“ gearbeitet und weiß, dass Obdachlose von Rechtsextremen nicht mehr zu erwarten haben als Schläge und Stiefeltritte. Wenn sie Glück haben. Es sind auch reihenweise Wohnungslose zu Tode geprügelt und getreten worden in den vergangenen Jahren.

Kann man bei so etwas schweigend weiterklicken? Es ist, wie an einem Autounfall vorbeizufahren: Hält man an und hilft, oder tut man so, als hätte man nichts gesehen? 1938 haben wir weggeschaut, als eine Minderheit verleumdet wurde, als die Synagogen brannten, als Menschen zu Schmarotzern und Kriminellen erklärt wurden. Und heute?

Doch man zahlt einen Preis, wenn man die Klappe aufmacht. Die Antworten kommen im Minutentakt, ob zustimmend oder ablehnend. Es ist schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, wenn das Smartphone auf der Schreibtischplatte ständig brummt. Wenn man auf der eigenen Facebook-Pinnwand von einer Frau als Arschloch und Verräter beschimpft wird, weil man den Leiter des Rewe-Marktes in Jüchen öffentlich gelobt hat, der für Busse mit völlig erschöpften Flüchtlingsfamilien spontan Babyartikel zur Verfügung gestellt hat. (Bild)

Primitives Arschloch

Buchstäblich bis unter die Bettdecke habe ich die Krise mitgenommen: Das Smartphone ist ein unerbittlicher Begleiter und Facebook ein nie endender Wasserfall von Informationen und Interaktionen – und gleichzeitig ein Mahlstrom, der Aufmerksamkeit und Lebenszeit verschlingt. Hinzu kommt die schiere Wucht dessen, was gerade geschieht: 40.000 Menschen wurden allein am vorletzten Wochenende am Münchener Hauptbahnhof erwartet, überall im Land schlafen Menschen in Turnhallen, werden Unterbringungsmöglichkeiten verzweifelt gesucht. Wo wird das alles enden? Es gab Nächte, da konnte ich stundenlang nicht einschlafen. Tagsüber war ich wie gerädert. Meiner Twitter-Bekannten Cornelia Melcher ging es ähnlich – in ihrem Blog Muckich.de beschreibt sie, wie sie damit umging.

Ich glaube, dieser Typ aus Berlin gab den Ausschlag, der auf Facebook den Tod des ertrunkenen kleinen Aylan „feierte“. Vielleicht auch der Widerling, der zu den erstickten 71 Menschen im Kühllaster einen unsäglich widerwärtigen Witz (Bild) machte. Gegen so viel Menschenverachtung in den Köpfen kann man nicht sachlich ankommentieren. Aber wie geht man dann damit um?

Der Entschluss reifte, etwas Konstruktives zu tun. Wenn da schon etwas Gewaltiges mit unserer Gesellschaft passiert, will ich zumindest nicht tatenlos zusehen. Ich schrieb für die Schwerpunktausgabe von Aachener Zeitung und Aachener Nachrichten einen Artikel über das Projekt „Blogger für Flüchtlinge“. Ich füllte den Flüchtlingshelfer-Meldebogen auf Aachen.de aus. Ich ging am Montag zur offiziellen Bürgerinformation im Einhardgymnasium und saß am Dienstag im Helfertreffen der Evangelischen Kirchengemeinde in der Löwenstein-Kaserne. Und fühlte mich danach wie gelöst: Endlich raus aus dem hassverseuchten Netz in die wirkliche Welt! Endlich umgeben von konstruktiven, optimistischen Menschen!

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Und nun dieser Samstagmorgen. Mein erster Einsatz. Der graue Dunst liegt immer noch über der Stadt, als ich die Stolberger Straße nach Rothe Erde hochradele. Als ich auf dem Pausenhof stehe, kommt mir eine Frau entgegen: „Wollen Sie auch zur Turnhalle?“ Ich nicke. Und erfahre, dass die Essensausgabe um eine Stunde nach hinten auf 8.30 Uhr verlegt worden ist. Das hätte man den Helferlein natürlich auch mal kommunizieren können. Die Dame und ich überbrücken die Wartzeit bei einem Kaffee in der Nobis-Bäckerei an der Von-Coels-Straße.

Um Viertel nach Acht dann der zweite Versuch. Die Szenerie strahlt Tristesse aus: In einer Ecke des Schulhofes steht ein Toilettencontainer mit Duschgelegenheiten, davor vertreten sich vier leicht fröstelnde Mitarbeiter eines Security-Unternehmens die Beine. Neben der Turnhalle ist ein Englisch-Klassenraum für die Essensausgabe hergerichtet worden. Die Klassentische stehen in langen Reihen, an der Rückwand bilden Biertische einen einfachen Tresen, zwei Kühlschränke stehen in der Ecke, dazu ein Tisch mit Wasserkocher und einige Schachteln mit Teebeuteln. An der Wand ein paar Zettel mit Erklärungen auf Englisch und Arabisch.

Essensraum1

Teetisch1

Arabisch1

Drei Helfer sind wir insgesamt, dazu die junge Pastoralassistentin der Kirchengemeinde. Der Leiter der Unterkunft, ein gut ebenso gut gelaunter wie tatkräftiger Mann vom Roten Kreuz, weist uns ein: Einweghandschuhe wegen der Hygiene anziehen, Tilsiter-Käsescheiben aus einer Großpackung auf einem Kuchenblech auslegen. Eine andere Käsesorte gibt es nicht, Wurst hat der Caterer mal wieder nicht geliefert, aber ein Dutzend Scheiben von gestern sind noch übrig. Ich schneide reihenweise Brötchen auf, während die anderen Helferinnen Einweg-Plastikbesteck in Servietten rollen. Kartons mit Kleinportionen an Marmelade, Butter und Nutella liegen bereit. Insgesamt ein karges Mahl in nüchternst möglicher Atmosphäre – man sollte all jene Bürger mal hereinführen, die so besorgt sind, die Asylbewerber würden mit Luxus überschüttet. Das hier ist schon nah an der unteren Grenze dessen, was ein Sozialstaat leisten kann. Nicht mehr und nicht weniger.

80 Flüchtlinge sind seit Montag in der Turnhalle der Grundschule untergebracht – ausschließlich Männer, und diese Aufteilung ist auch verständlich: Feldbetten gibt es keine, Privatsphäre auch nicht, die Matratzen liegen dicht an dicht, für Frauen und Kinder wäre das nicht zumutbar. Mir ist schleierhaft, wie man unter solchen Umständen überhaupt schlafen kann. Dass die Leute später aufstehen möchten, leuchtet ein: Sie haben nichts zu tun, außer auf die Aufnahme ihrer regulären Asylverfahren zu warten. Und die 4,61 Euro Taschengeld, die sie pro Tag bekommen, reichen auch nur für einen Kaffee und ein Stück Kuchen am Nachmittag oder zwei kleine Getränke am Abend.

Wir warten. Schließlich kommt der erste Gast in den Raum. Mein erster Flüchtling – ich muss mich zwingen, den Mann nicht anzustarren, etwas absurd ist dieser Moment schon. Der erste Refugee, den ich in meinem Leben bewusst als solchen wahrnehme, ist ein älterer Mann von etwa 60 Jahren, mit kleiner Brille und müdem Blick. Wir Helfer erwachen aus unserer Reglosigkeit: „Ein Brötchen? Zwei? Käse? Wurst?“ Es wird genickt, gestikuliert, die verdammten Wurstscheiben kleben aneinander, ich reiche Brötchen an. Ein zweiter Mann kommt in den Raum, jünger, kräftig, frisch geduscht und gut gelaunt, mit erstaunlich akkurat gestutztem Dreitagebart. „Die legen viel Wert auf gepflegtes Äußeres“, erklärt der Einrichtungsleiter. In der Gruppe sei ein Friseur, der seinen Mitbewohnern für einen Euro Haare und Bärte schneide. „Wenn die dann so in die Stadt gehen, fallen die mit den gespendeten Klamotten in der Menge gar nicht mehr auf.“

Von Gedränge kann an diesem Samstagmorgen keine Rede sein. In den folgenden anderthalb Stunden sind es höchstens 20 bis 30 Gäste, die sich aus den Brötchen, Butterpäckchen, Tilsiter-Scheiben und den Portionsdöschen für Marmelade und Nutella ein Frühstück basteln, abgerundet durch einen Tee (schwarz, Fenchel oder Kamille) oder Instant-Kaffee im dünnwandigen Einwegbecher. Ein schwarzer Eriträer telefoniert auf französisch. Wir erfahren später, dass er fast verrückt ist vor Sorge um seine Frau und sein Kind – sie wurden auf der Flucht getrennt und er weiß nur, dass sie irgendwo in Deutschland sind. Wie hält ein Familienvater so etwas aus?

Dann ist es 10 Uhr – „Feierabend“, sagt der Einrichtungsleiter fröhlich. Auch wenn er mit den Gästen scherzt und für jeden ein freundliches Wort hat: Die Essenszeiten werden hier absolut strikt eingehalten. Wer jetzt noch kommt, muss bis zum Mittag warten. Der junge Mann, der noch einmal in den Brötchenkorb greifen will, hat Pech: „Finished!“ Er akzeptiert wortlos.

Probleme mit der Sauberkeit gäbe es auch nicht, sagt der Leiter. „Die wischen hier selbständig durch und kehren auch schon mal den Schulhof.“ Der Mann hat die Truppe offenbar im Griff – „das sind ja alles gestandene Leute“. Seine gute Laune und seine Zuversicht stecken an. „Alles gut?“ fragt er einen der Gäste. „Alles gut!“ kommt es grinsend zurück. Der Leiter lacht. „Cool, der Typ.“

Dann wird der Klassenraum, der zum Essensraum wurde, abgeschlossen. Einige Gäste haben sich unter ein offenes Zeltdach in einer Ecke des Schulhofs gesetzt, andere spazieren herum, einige telefonieren. In den nächsten Tagen wollen die Ehrenamtlichen von Freifunk Aachen einen WLAN-Router installieren. Dann können die Männer mit ihren Familien über Internet-Messenger wie Whatsapp oder Facebook telefonieren und das Geld für die teuren Prepaid-Karten sparen.

Wir Helfer plaudern noch etwas, dann ist unser Einsatz beendet. Nüchtern betrachtet habe ich heute im wesentlichen einige Scheiben Käse über eine Theke gereicht. Trotzdem ist seit heute Morgen für mich alles anders: Der Knoten ist geplatzt, endlich habe ich etwas Sinnvolles getan. Und „die Flüchtlinge“ sind für mich von einer namenlosen, fremden und vielleicht bedrohlichen Masse zu Menschen mit Gesichtern geworden. Die lachen, sich rasieren und morgens müde über ihrem Becher Tee hängen.

Ich weiß nicht, wie das ausgehen wird, was gerade über unser Land und unsere Gesellschaft hereingebrochen ist. Ob die schönen Hoffnungen auf Hunderttausende motivierte und engagierte neue Mitbürger wahr werden? Oder ob neue Parallelgesellschaften entstehen, Ghettos voller Gewalt und religiösem Fanatismus einerseits, „national befreite Zonen“ im Osten andererseits? Keine Ahnung. Aber ich weiß, dass wir eine Chance haben, diesen Prozess mitzugestalten. Jeder für sich, im Kleinen, wenn wir uns einbringen. Wenn wir mit den neuen Nachbarn reden, sie als Menschen behandeln und versuchen, ihnen unsere Welt und unsere Werte nahezubringen. Ob das gelingt, weiß heute niemand. Ich habe meine Seite jedenfalls gewählt.

Ich radele nach Hause. Der Nebel hat sich verzogen. Der Himmel ist leuchtend blau. Über Aachen scheint die Sonne.

*

Wer sich selbst einbringen möchte, hat viele Möglichkeiten: Meldet euch bei der Stadt, dem Roten Kreuz, vielen Sozialen Diensten und Kirchengemeinden. Ehrenamtliche Helfer werden überall gesucht: für Essensausgabe, Alltagsbegleitung, einfachen Sprachunterricht, Sport- und Freizeitangebote.

Hier eine kleine Auswahl (weitere Links willkommen!):
Rotes Kreuz Aachen
Bürgerstiftung Aachen
Aachener Hände
Stadt Aachen
UnserAC
Evangelische Kirchengemeinde
Save Me Aachen

Und natürlich: Blogger für Flüchtlinge, das in den vergangenen vier Wochen schon mehr als 120.000 Euro für verschiedene Flüchtlingsprojekte gesammelt hat. Spenden willkommen!

Sternenhimmel

Sony Nex-6 mit Canon nFD 50mm 1:1.4, f1.4, 5s, ISO 100
Sony Nex-6 mit Canon nFD 50mm 1:1.4, f1.4, 5s, ISO 100

Man kann nicht dasselbe Foto zweimal machen, bloggerte ich neulich. Aber man kann versuchen, dasselbe Motiv noch einmal besser hinzukriegen. Beziehungsweise mit einem besseren Objektiv.

So sah der Abenstern vor einigen Wochen aus – mit der High-Tech-Festbrennweite Sony SEL 20f28. Regulärer Neupreis: 349 Euro.

Das heute war ein gut 30 Jahre altes, garantiert elektronikfreies Canon FD 50mm 1:1.4 für 40 Euro. Finde den Unterschied.

Umgekrempelt

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Wie Granaten in der Waffenkammer liegen sie da aufgetürmt in ihrem Regal, die metallenen Spitzen nach vorne gerichtet, die Weberschiffchen. Ihnen gegenüber ragen, drohend wie Kanonenrohre eines Schlachtschiffs, die Achsen aus der dreifach gewaltigen Maschine, die fast eine komplette Seitenwand der Maschinenhalle beherrscht.

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Es ist ein faszinierend düsterer und gleichzeitig leuchtender Ort, so rostig wie farbenfroh, so alt wie neu: das Depot des Textilmuseums Tuchwerks Aachen in der alten Stockheider Mühle am Strüverweg in der Soers. Ein Ort irgendwo zwischen Vergangenheit und Aufbruch, noch an allen Ecken unfertig und doch mit einem Ziel.

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Die lange Geschichte der alten Tuchmacherstadt Aachen soll in dieser ehemaligen Textilfabrik dokumentiert werden. Im Jahr 2003 hat sich ein Verein gegründet, um dieses von Vergessenheit bedrohte Erbe der Kaiserstadt zu retten.

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Keine leichte Arbeit, denn die Ausstellungsstücke sind etwas, nun ja, unhandlich. Aber: Wer alte Maschinen mag, ölig glänzende Zahnräder, Handkurbeln und Antriebsbänder, dem werden die Augen glänzen beim Anblick der Schätze in der von außen so unscheinbaren Halle.

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Das übermannshohe Monstrum auf der rechten Seite des Raumes, das den Blick des Besuchers sofort an sich zieht, nennt sich Krempelsatz. Mit ihm wird die ungekämmte Wolle in einzelne Fasern aufgelöst. Der Verein hat ihn 2010 von der Firma Astonjohnson aus dem belgischen Kettenis überlassen bekommen.

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Schon das Trumm aus seiner Halle heraus- und nach Aachen hereinzutransportieren, erwies sich – im wahrsten Sinne des Wortes – als Mammutaufgabe.

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Doch nun ist er in voller Länge aufgebaut – und nicht die einzige Maschine im Raum. Der Besucher lernt hier so schöne Worte wie Selfaktor und Kettschärmaschine, dazu gibt es Reißwölfe und Spulmaschinen, Hand- und mechanische Webstühle.

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„Die älteste Maschine ist ein Krempel aus der Werkstatt der Familie Cockerill in Verviers, aus der Zeit um 1810“, heißt es auf der Webseite des Vereins.

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Als Laie bleibt einem oft nur das Staunen über die geheimnisvollen Apparate – was ihre Funktion ist oder war, lässt sich nur raten…

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…sofern man nicht unter den vielen Ausstellungsstücken auch mal ein vertrautes Gerät entdeckt.

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Mein Freund Peter Behrens hatte mich eingeladen, zusammen mit dem Lions Club Aachen Aquisgranum an einer Sonderführung durch das neue Zuhause des Museums teilzunehmen.

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Los ging es um 19.30 Uhr. Die Stockheider Mühle präsentierte sich an diesem Sommerabend als halb triste, halb charmante Industrieruine, noch nicht ganz aufgewacht aus dem Dornröschenschlummer.

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Der Standort selbst hat allerdings Potenzial – und die Lage in Aachens grüner Lunge Soers ist traumhaft.

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Wer sich von dem etwas – ahem – spröden Äußeren der Anlage nicht abschrecken lässt – oder sogar vielleicht von einem Blick durchs Fenster der ehemaligen Pförtnerloge auf die dahinter ausgestellte Spinnmaschine angelockt wurde…

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…der entdeckt ein paar Schritte weiter, hinter den Türen der Lagerhalle das, was der Verein in den letzten zwölf Jahren zusammengetragen hat.

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Was für ein Kontrast: Strahlend weiße Wolle wartet auf die Verarbeitung.

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Jochen Buhren, der Vorsitzende des Vereins Tuchswerk Aachen e.V., hatte angeboten, den Verein und seine Arbeit vorzustellen.

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Eine kleine Ausstellung im vorderen Teil der Halle verschaffte uns zunächst den nötigen theoretischen Background…

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…während gleich daneben die Welt der Textilherstellung greif- und sogar streichelbar wurde.

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Als Gäste durften wir selbst versuchen, Wolle zu kämmen. Danach versteht man besser, warum der Mensch diese Aufgabe einer nicht allzu filigranen Maschine anvertraute.

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Die Herbstkollektion 2015 besticht durch farbenfrohes Schottenkaro.

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Während die Führung unter den kundigen Worten von Herrn Buhren von Maschine zu Maschine zog, stellte sich für den Verfasser dieser Zeilen – und nebenbei auch Fotografen dieser Bilder – das Schummerlicht im Saal als gewisses Problem dar.

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Denn das mitgenommene Teleobjektiv Sony SEL 18200LE – ein sogenanntes „Immerdran“ – ist zwar im Sonnenlicht Teneriffas zu vielem zu gebrauchen, lässt aber bei schwacher Beleuchtung doch arg wenig Licht an den Sensor der Kamera. Das Super-Zoom wurde zum Suppen-Zoom. Nachdem ich daran gescheitert war, das Fabrikschild der Krempelmaschine scharf an den Rand einer geplanten Weitwinkelaufnahme zu stellen war, geschah etwas, was mir noch nie passiert ist –

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Ich schraubte nämlich freiwillig die teure High-Tech-Computerlinse von der Nex und klipste das ebenfalls mitgebrachte Steinzeitobjektiv dran. Nicht aus Spaß, sondern aus Notwendigkeit. Das erst vor ein paar Tagen in Betrieb genommen manuelle Minolta MD 50mm 1:1.7 (hier vorgestellt) würde auch bei diesen Lichtverhältnissen brauchbare Bilder abliefern, das war klar.

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Was es dann auch tat. Mechanik schlägt Elektronik. Gut, man könnte auch sagen: Lichtstärke schlägt Ofenrohr. Auch Sony bietet ein nagelneues 50-Millimeter-Objektiv für die Nex an, komplett mit Autofokus, Bildstabilisierung und allem Pipapo.

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Aber das hatte ich halt nicht da – und das manuelle Fokussieren macht mir inzwischen so viel Spaß, dass ich gar nicht mehr darauf verzichten möchte.

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Wenn man doch nur etwas mehr hätte abblenden können! Tiefenschärfe gegen ISO-Wert aufzurechnen, kann ja so unbefriedigend sein.

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Bereut habe ich es jedenfalls nicht, das Altobjektiv statt etwa des neuen 20-mm-Weitwinkels einzustecken.

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Ich mag die Schärfe im Vordergrund des alten Minolta, ich mag den cremigen Hintergrund…

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…und ich mag die Farben, die das Ding produziert. Zum ersten Mal kam mir heute der bizarre Gedanke, die frisch zusammengestellte Sammlung digitaler Objektive wieder aufzulösen und dafür eine Handvoll Steinzeitlinsen anzuschaffen – das legendäre Minolta Rokkor 1:1.2 50 mm aus den 70er Jahren soll ja so ziemlich das schönste Bokeh der Fotogeschichte produzieren…

Wo war ich? Zurück zum Thema, zurück in die Soers, wo inzwischen der Lärm der Spinnmaschinen verstummt ist und dafür Gulaschsupppe Chili con Carne und Baguette ihrer Bestimmung entgegengehen.

Es war ein spinnender, äh, spannender Abend in diesen bröckeligen alten Mauern. Und wir haben etwas gelernt: Alter Krempel kann etwas ganz Wunderbares sein.

Der Whow-Moment

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/60s, ISO 3200
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/60s, ISO 3200

Es gibt Momente, da klappt einem der Kiefer auf, da sagt man einfach nur „Whow“. Vielleicht ist es auch ein anderes Wort. Eins halt, das einem unwillkürlich entflutscht, wenn man eine Sekunde lang einfach nur geplättet ist. So einen Moment hatte ich heute. Es war nach dem achten diesjährigen TestessenAC im Lai Thai am Kehrmännchen, wie stets in wunderbarer Weise organisiert von Sabine.

Für das „Whow“ des Tages war allerdings nicht der Schärfegrad meiner Thai-Ente verantwortlich (auch wenn zwei von drei möglichen Chilischoten auf der Karte durchaus für den einen oder anderen heißen Moment sorgen können).

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200

Nein, ich hatte ein neues Objektiv an der Nex. Wobei „neu“ nicht ganz das passende Wort für eine Linse ist, die 1979 erstmals auf den Markt kam, also irgendwas um die 30 Jahre alt sein dürfte. Und die jetzt schon seit etwa anderthalb Jahren unbeachtet in meiner kleinen Sammlung vor sich hin staubfängert. Ein vollmechanisches Minolta MD 50mm 1:1.7 Standardobjektiv.

Nach den begeisterten Berichten in diversen Blogs und Foren über die Güte von mechanischen Objektive aus der vordigitalen Zeit und ihre leichte Kombinierbarkeit mit den heutigen Systemkameras wollte ich damals auch unbedingt eins ausprobieren. Und schoss mir, mangels Erfahrung und Kenntnis, statt des bekannt brillanten Minolta MD 50mm 1:1.4 oder des 50mm 1:2 deren mittleren Bruder 1:1.7 (die zweite Zahl, also 1.7, bezeichnet die maximal offene Blende – alles unter 2 ist schon mächtig lichtstark).

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 1/40s, ISO 3200

Das 1:1.7 ist das Stiefkind des Trios. Bei Offenblende soll seine Schärfe vor allem in den Randbereichen nicht an die anderen heranreichen, wenn auch etwas abgeblendet allerdings kein Unterschied mehr feststellbar sein soll. Gekostet hatte mich das Schnäppchen ohne erkennbare Gebrauchsspuren denn auch nur irgendwas um die 25 bis 30 Euro – die begehrteren 1:1.4er-Modelle werden gerne für das Drei- bis Vierfache gehandelt.

Spaß machte der frisch ersteigerte Dinosaurier leider nicht. Die Schärfe war zwar tatsächlich brillant, der Tiefenschärfebereich dagegen so minimal, dass die ersten Probebilder kaum zu verwenden waren. Und da mir damals ISO-Werte und Belichtungszahlen böhmische Dörfer mit sieben Siegeln waren, kam auch nichts Gescheites bei den Experimenten heraus. Folglich dornröschenschlief der Mechaniker die letzten anderthalb Jahre im Köcher – bis jetzt.

Wenn man sich darauf einlässt, Blende, Belichtung und ISO-Zahl an Objektiv und Kamera selbst einzustellen und mit Hilfe von Displaylupe und Kantenanhebung zu fokussieren, dann entstehen plötzlich tatsächlich so etwas wie Fotos. Auch wenn das Fokussieren per Lupe nur bei sehr ruhiger Hand funktioniert.

Google LG  Nexus 5
Google LG Nexus 5

Doch es klappt: Trotz der um 50 Prozent verlängerten Brennweite – das 50-Millimeter-Standardobjektiv der Kleinbildkamera wird ja am kleineren APS-C-Sensor der Nex zu einem leichten 76-Millimeter-Teleobjektiv – und des verringerten Lichteinfalls durch den zusätzlichen Adapterring produziert die Alt-Neu-Kombination sogar im eher gedämpften Licht des Gastraums und trotz freihändigen Anvisierens der Thai-Ente brauchbare Bilder. Und was für welche. Bilder mit Farben. Bilder mit cremiger Hintergrundunschärfe.

Keine Frage, das hat was. Selbst bei so wenig günstigen äußeren Bedingungen und einem so wenig erfahrenen Fotografen zaubert dieser jahrzehntealte Oldie quasi aus dem Ärmel solche Schüsse hin. Und weil diese ersten Treffer so ermutigend ausfielen, habe ich auf dem Rückweg noch einmal an meinem bewährten Fotostandort am Klosterplatz angehalten und unter dem schützendenDach der Papeterie Clou auf die Domschatzkammer gepeilt. Das kleine Immerdabei-Teleskopstativ aus der Ortliebtasche geholt, 30 Sekunden Belichtung, ISO 100. Warten. Schauen: Und, wie ist es geworden?

Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 30s, ISO 100
Sony Nex-6 mit Minolta MD 50mm 1:1.7, 30s, ISO 100

Dann war er da. Nach dem Heranzoomen an die Mauersteine, an das regennasse Straßenpflaster, an den „Blütezeit“-Schriftzug des Blumenladens ganz hinten an der Straße: der Whow-Moment.

Was für eine kristallklare Schärfe. Der mechanische Ebay-Billigheimer mit seinen diversen Jahrzehnten auf dem Buckel spielt brandneue vollelektronische Komfortobjektive locker an die Wand. (Die Großbildansicht in der Galerie hier lässt sich über den X-Button oben rechts übrigens auf volle Bildschirmgröße bringen.) Man sieht mich begeistert. Und nachdenklich.

Und morgen: bei Ebay. Nach mechanischen Billigheimern gucken. Plötzlich sieht die schöne neue Fotowelt etwas anders aus. Wer braucht schon Elektronik, wenn er Brillianz haben kann?

Lichtdistel

Sony Nex-6 mit Sony SEL20f28, f6.3, 1/80s, ISO 800, 20 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL20f28, f6.3, 1/80s, ISO 800, 20 mm

Und wenn ich noch tausendmal meine geliebte Laufstrecke durch den Öcher Bösch entlangstapfen sollte, irgendein neues Motiv bietet sich immer. Und sei es in den letzten Sekunden des Abendlichts, das schon hinter der Hügelkuppe verdämmert, während ich am Wegesrand vor der Distel kauert.

Wiederholungstäter

Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f5, 30s, ISO 100, 20 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f5, 30s, ISO 100, 20 mm

So richtig wahnsinnig ist man ja erst, wenn man zwei Abende hintereinander am selben Brückengeländer kauert. Immerhin: Die Kameraeinstellungen hatte ich diesmal noch drin – so wurden es heute nur anderthalb Stunden.

Macht innerhalb der vergangenen 24 Stunden etwa dreieinhalb, die ich über der A544 verbrachte. Das darf man wohl, um einen Kommentar meines Freundes Peter Behrens aufzugreifen, einen Brückentag nennen.

Brückenglück

Sony Nex-6 mit Sony SEL 18200LE, f4, 30s, ISO 100, 18 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL 18200LE, f4, 30s, ISO 100, 18 mm

Ein stetiger leichter Wind weht über die Hochbrücke, doch obwohl ich in Shorts und T-Shirt rund 13 Meter über dem Asphalt am Geländer stehe, ist mir nicht kalt. Es ist eine Eigenart dieses seltsamen Sommers, dass sich feuchtkalte und schwülwarme Nächte seit Wochen abwechseln. Heute ist Variante zwei dran.

Es ist spät am Abend, in einer halben Stunde ist Mitternacht. Seit fast zwei Stunden ragt das Teleobjektiv der Sony hier in luftiger Höhe über der Autobahn 544 an der Abfahrt Verlautenheide/Würselen in Blickrichtung Aachener Kreuz durch die Streben des Geländers.

Der Verkehr sorgt für ein beständiges Hintergrundrauschen. Wenn ein schweres Fahrzeug unter mir entlangdonnert, geht ein leicht singendes Zischen durch die Konstruktion. Doch mit der Zeit sind die Momente immer öfter und länger geworden, in denen es schon fast still ist und kein Auto weiße oder rote Streifen durch die Fotos zieht, die meine Kamera geduldig eins nach dem anderen auf ihre Speicherkarte sichert. Eine halbe Minute Belichtung, eine halbe Minute Bearbeitung, dann: Betrachtung. Dann der nächste Versuch, mit etwas anderer Perspektive, einer anderen Blende oder einem nachjustierten Fokus. Man muss schon reichlich Geduld mitbringen, um zu dieser Zeit noch mit der Kamera loszuziehen.

Aber es hat auch seinen ganz eigenen Reiz. Keine Seele ist außer mir hier an diesem einsamen Ort – außer den Menschen in den Autos da unten in der Tiefe. Und die Fotografie bei Nacht ist eine Welt für sich. In fast völliger Dunkelheit auf ein Autobahnschild zu fokussieren, ist viel schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. Und dann hätte ich natürlich auch gerne einen Moment im Bild, in dem auf allen vier Blättern des Kleeblattes Fahrzeuge fahren.

Doch das Glück lässt sich nicht zwingen. Die perfekte Halbminute – ein wenig, aber nicht zu viel Verkehr auf sämtlichen sichtbaren Fahrbahnen – gibt es heute nicht. Dann ist es irgendwann Mitternacht; die Autos fahren jetzt nur noch vereinzelt in immer größer werdenden Abständen. Zeit, das Stativ zusammenzuklappen und nach dem Moorbraunen zu suchen, der dort irgendwo in den Schatten auf mich wartet.

Was an Bildern an diesem Abend entsteht, ist – wie könnte es anders sein – nicht perfekt. Macht nichts, der Sommer ist es auch nicht, und er birgt trotzdem Momente echten Glücksgefühls. Manche finden an einem windigen Brückengeländer hoch über der Autobahn 544 statt. Und ein paar weitere warten bestimmt noch darauf, erlebt zu werden.

Von Wanzen und Yetis

Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f6.3, 1/60s, ISO 1600
Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f6.3, 1/60s, ISO 1600

Ich kann’s einfach nicht lassen, die Kamera zum Laufen mitzunehmen. Sie liegt einfach so gut in der rechten Hand und wiegt so wenig, jedenfalls mit dem 20-Millimeter-Pancake. Selbst, wenn es schon abenddämmert, irgendein neues Motiv findet sich jedes Mal. Und ich entwickele ich mich langsam zum König der freihändigen Lowlight-Fotografie. Lieber die ISO-Zahl auf 6400 raufdrehen und Rauschen riskieren oder eine Blende weiter aufmachen und Tiefenschärfe verlieren? Hach, das sind alles Entscheidungen.

Und wenn selbst wenn kein neues Motiv über den Weg hüpft, kriecht oder cruised, kann man wenigstens mit einem bekannten nochmal rumexperimentieren.

Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f2.8, 1/80s, ISO 3200
Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f2.8, 1/80s, ISO 3200

Mit dem Nachführ-Autofokus zum Beispiel und unterschiedlichen Belichtungszeiten. Wobei ich zugeben muss: So richtig umhauen tut mich das alles nicht, der Skoda Yeti hier gehörte noch zum Besten. Vielleicht klappt es ja besser bei hellerem Licht. Der Autofokus der Nex-6 gilt halt generell als nicht rasend schnell, der Nachfolger Sony Alpha 6000 soll da deutlich Tempo zugelegt haben.

Sony Nex-6 mit Zeiss Touit 1.8/32, f9, 1/80s, ISO 100, 32 mm
Sony Nex-6 mit Zeiss Touit 1.8/32, f9, 1/80s, ISO 100, 32 mm

Und dann war da noch der Ausflug in den Elisengarten heute Nachmittag. Eigentlich wollte ich ja auf die rechte Blüte fokussieren. Doch dann fand meine Kamera ein besseres Motiv, als es nach dem vierten Schuss unbemerkt hinter dem obersten Blütenblatt hervorkrabbelte. Wieder was gelernt: Überraschungen bei der nachträglichen Bildbearbeitung am PC sind die schönsten.

Abendstern

Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f2.8, 1/4s, ISO 3200, 20 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f2.8, 1/4s, ISO 3200, 20 mm

„Ein gutes Foto muss wehtun“, zitierte mein Freund Andreas neulich einen Kollegen. Soll heißen: Es darf ruhig schon mal etwas unbequem werden für den Zweibeiner hinterm Dreibein. Muskelschmerzen und Mückenstiche, überlange Wartezeiten auf das geeignete Motiv und dann, wenn es da ist, spontane Panik, weil die Kamera plötzlich doch nicht tut, was sie soll: Gehört alles dazu.

Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f2.8, 1/60s, ISO 2500, 20 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f2.8, 1/60s, ISO 2500, 20 mm

Bei mir gab es heute Abend gleich das komplette Programm: das längliche Warten auf ein geeignetes Kraftfahrzeug, um die Objektverfolgung bewegter Motive auszuprobieren…

Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f7.1, 1/10s, ISO 3200, 20 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f7.1, 1/10s, ISO 3200, 20 mm

…den Mückenstich beim geduldigen bodennahen Begleiten meiner alten Freundin…

Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f5.6, 1/60s, ISO 1600, 20 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL 20f28, f5.6, 1/60s, ISO 1600, 20 mm

…und die Muskelschmerzen beim längeren Knien im Matsch, um den Untermieter dieses Sommerblühers (unteres Blatt rechts) ins Bild zu bekommen.

Und schließlich, als Belohnung beim abschließenden Fotoexperiment mit dem moorbraunen Stern im letzten spätabendlichen Dämmerlicht – siehe Bild ganz oben – noch einmal alles zusammen. Beziehungsweise auf eine gute halbe Stunde verteilt. So dass ich den eingangs zitierten Spruch jetzt ergänzen darf: Manchmal muss ein Foto auch ewig dauern, nervös machen – und jucken.

Nächtliches Wollen, Teil 2

Es hat mir keine Ruhe gelassen. Der wulstige Versuch an der Domschatzkammer in der vergangenen Woche, der am Ende doch nicht ganz befriedigte. Und das Foto vom Brunnen „Kreislauf des Geldes“ bei der Stadtführung für meinen Couchsurfer Fabian, das – obwohl für ein freihändig geschossenes Motiv gar nicht mal ganz schlecht – auch nicht hundertprozentig begeisterte. Und natürlich der Vergleich mit der bildgewaltigen Spitzenkamera Canon EOS 5D III von James, die mit ihrem Zoomobjektiv gezeigt hat, was in der Profiliga geht.

Was geht bei mir?

Weltenentrückt, wie ich derzeit bin, schwang ich mich also um 23.30 Uhr – mein Freund (und ebenfalls EOS-5D-Besitzer) Andreas hatte mir vorher noch einige gute Ratschläge gechattet – nochmal aufs Rad, die Nex, eine Objektivauswahl und das Stativ im Kamerarucksack.

Sony Nex-6 mit Zeiss Touit 1.8/32, f16, 30s, ISO 200, 32 mm
Sony Nex-6 mit Zeiss Touit 1.8/32, f16, 30s, ISO 200, 32 mm

Nachtfotografie ist etwas, das mich seit Teenagerzeiten fasziniert. Die herrlichen Dampflokfotos in Schwarz-Weiß des US-Fotografen O. Winston Link dürften dazu beigetragen haben.

Einer der Vorteile der Sony-Systemkameras ist, dass man sie per WLAN vom Smartphone aus fernsteuern kann. Das hat den Vorteil, dass man das Sucherbild auf dem viel größeren Display des Handys sehen, bewerten und viele Kameraeinstellungen gleich auch dort verändern kann. So lassen sich Fokuspunkt setzen, Blende oder ISO-Wert verändern und schließlich der Auslöser drücken. Angenehmer Nebeneffekt: Hat man das Stativ etwas tiefer eingestellt, ersparrt man sich Nackenstarre und schmerzende Kniegelenke, weil man das Fotografieren weitgehend im Stehen erledigen kann.

Sony Nex-6 mit Sony SEL 18200LE, f11, 30s, ISO 200, 64 mm
Sony Nex-6 mit Sony SEL 18200LE, f11, 30s, ISO 200, 64 mm

Hat die Kamera das Bild dann verarbeitet – was bei einer 30-sekündigen Belichtungszeit, so wie oben, schon mal eine weitere halbe Minute dauern kann, sieht man das fertige Ergebnis gleich auf dem Smartphone. Gefallen Bildausschnitt oder Lichteinfall nicht, oder ist gar ein Auto durchs Foto gefahren und hat Streiflichter quer durchs Motiv gezaubert, kann man es gleich noch ein zweites Mal versuchen.

Okay, von Kunst sind wir hier immer noch weit entfernt. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ich den Bettler am Brunnen im Moment nicht wirklich besser hinbekomme.