Vom großen und vom kleinen Tod

Irgendwann ist der schmale Teerweg zu Ende. Dahinter geht es ein paar Meter über ein Feld, durch dessen zartgrüne Halme die Schatten der Rotorblätter eines Windrades flitzen an diesem sonnigen Herbstnachmittag. Ein paar Schritte die Böschung hinunter zu den Schienen. Den Einschnitt säumt auf jeder Seite ein Feld voll meterhoher Steinpyramiden. Schattig und still ist es hier unten. Doch so still war es nicht immer. Wir sind da, wo für Aachen der Zweite Weltkrieg endete.

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Der Schotter klickt unter den Schritten, Züge fahren hier nicht mehr. Ein Stück weiter, neben dem Gleis: der Bunker. Ein „Gruppenunterstand ohne Kampfraum“, Teil des Westwalls, Hitlers letzter Auffanglinie, auf deutschem Boden schon. Mit ein paar Kubikmetern Stahlbeton wollte das untergehende Dritte Reich die heranwalzenden alliierten Armeen aufhalten.

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Europa ist voll von solchen grauen Grüßen aus Deutschland. Dieser hatte die Aufgabe, die Bahnlinie nach Holland zu sichern. Doch allzu lange gekämpft wurde hier an der Westkante nicht: Schon im Oktober 1944 war für Aachen alles vorbei und der Alptraum vorüber. Im Rest des Reiches dagegen starben noch mehr als ein halbes Jahr lang die Menschen zu Hunderttausenden, weil der größte Führer aller Zeiten die Zeichen ebenjener nicht erkennen wollte.

Im Inneren ist es stockfinster. Nur ein, zwei Lichtstrahlen dringen durch Ritzen im geborstenen Beton.

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So unbedeutend dieses Überbleibsel der Geschichte heute auch wirken mag, es war offenbar wichtig genug, um nach Ende der Kampfhandlungen in die Unbrauchbarkeit gesprengt zu werden. Die Wucht der Explosion im Inneren hob die meterdicke Decke hoch und ließ die Außenwände auseinanderbrechen.

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Das Gewicht der herunterstürzenden Decke hat die Wände teilweise niedergerissen. Was noch an Innenraum geblieben ist, wird durch die Betontrümmer auf dem Boden zum niedrigen Höhlenlabyrinth. Die Füße ertasten sich einen Weg über die Geröllhügel, während der Kopf den Brocken ausweicht, die an den abgerissenen Stahlstangen von der Decke hängen. Deren leuchtendes Rostrot ist das einzig Farbige in all diesem Grau und Schwarz.

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Halt, es gibt doch noch ein paar andere bunte Tupfer. Vereinzelter Abfall der Moderne beweist, dass im Lauf der Jahrzehnte noch andere Neugierige den Weg in diese Kaverne gefunden haben. Hier eine Bierdose, da eine Tube – was ist das, Gleitcreme? Im Taschenlampenlicht entziffern die Augen mühsam Worte auf Niederländisch. Papierleim. Warum auch immer.

Keine Schautafel erklärt dem Besucher die Geschichte des Baus. Was hier passiert sein mag vor fast 70 Jahren, bleibt offen.

Der Verfall ist fast zu atmen. Für die Ewigkeit wurde nicht gebaut im Tausendjährigen Reich. Doch vom Grauen, von der Angst, die die hier ausharrenden Soldaten empfunden haben müssen, ist nichts mehr zu spüren. Der Bunker ist nur noch Baudenkmal. Der Lichtfleck der Taschenlampe gleitet über unzählige Schnaken, die sich an den Wänden niedergelassen haben. Was die Nazis errichtet haben, erobert nun die Natur.

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Das große Morden, mit dem der Bau dieses militärischen Objekts verbunden war, ist zur Geschichte eines anderen Jahrhunderts geworden. Heute geistert nur noch ein kleiner Tod durch die Ruine.

Es ist kalt. Schaudernd klettert der Besucher aus der Gruft ans Freie. Doch das Frösteln vergeht schnell in der warmen Sonne. Der Schotter knirscht. Kein Blick zurück.

Neues aus Schweden

Socken sollen rein. Dazu die Unterwäsche natürlich, und sämtliche T-Shirts. Dafür hat meine neue Kommode drei Schubladen. Weil ich viele Socken und Shirts habe, ist es eine große, stabile Kommode. 65 Euro hat sie gekostet, was für ein Möbelstück von 80 Zentimeter Breite, fast ebensolcher Höhe und einem knappen halben Meter Tiefe nicht allzu viel ist. Die Sache hat nur einen Haken, und von dem kann meine rechte große Zeh ein Lied singen.

Denn wer die Produkte einer großen schwedischen Möbelhauskette kennt, der weiß, dass ihr Verkaufspreis daran gekoppelt ist, dass der Zusammenbau dem Kunden überlassen ist. Der darum vor dem Einrichten neuer Sockenkommoden erst einmal große Pappkartons in die eigenen vier Wände schleppen muss. Große Pappkartons, schwere Pappkartons. Auf dem, in dem meine Kommode war, steht „33 kg“, und ich will’s gerne glauben.

33 Kilo in einem glattwandigen, sehr kompakten Karton von 80 Zentimeter Kantenlänge sind nicht leicht unter den Arm zu klemmen. Nach dem Aufschließen der Haustür kam, was kommen musste – die Schwerkraft verlangte ihren Tribut.

Bonks.

Die gute Nachricht: Die Kommode fiel nicht auf die Fliesen. Die Schlechte: Sie fiel auf meinen rechten Zeh. Mit der Kante.

Ein paar Minuten lang konzentrierte ich mich nur auf’s Atmen, dann wurde das Bild vor meinen Augen wieder farbig und das Leben ging irgendwie weiter. Der Zeh nahm in den Tagen danach sehr interessante Farben an. Die Frage, ob der Zehennagel „dranbleiben“ würde, war am Samstagabend einige Zeit lang das Gesprächsthema in einer geselligen Runde (er blieb übrigens dran, zumindest bis heute).

Nun zur Pointe. Sie beweist, dass das Leben immer noch die schönsten Streiche spielt. Denn wie heißt das Möbel, das mir den Zeh zermalmte? Genau so:

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Aber wie meinte ein Bekannter so schön? „Sei froh, dass sie ‚Malm‘ hieß. Sie hätte auch ‚Trenn‘ heißen können.“

Neues vom Straßenrand (5)

Nach fast zwei Jahren in Aachen war es jetzt Zeit, sich eine neue und größere Wohnung zu suchen. Neue Wohnung heißt auch: neue Nachbarschaft. Ich finde es immer wieder spannend, sich in einer unbekannten Umgebung einzuleben. Was es da alles Großes und Kleines zu entdecken gibt…

Wie zum Beispiel an einem geparkten Auto am Straßenrand. Wochenlang bin ich an dem betagten Volvo vorbeigelaufen und habe das aufgeklebte gelbe Ferrari-Wappen am Kotflügel nur aus dem Augenwinkel registriert.

Heute Morgen habe ich dann zum ersten Mal richtig hingeguckt. Das ist ja gar kein Ferrari-Ross, was da klebt:

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In meiner neuen Nachbarschaft haben sie vielleicht hässliche Autos. Aber hübschen Humor.

Neues aus Washington

Public Viewing, das wissen wir seit der Fußball-WM, bezeichnet das öffentliche Übertragen von Fernsehereignissen vor größeren Menschenansammlungen. So wie der Ansammlung im Pub „Papillon“ in Aachens Gastromeile Pontstraße, wo ich gerade sitze. Der ernst blickende Mann oben auf der Leinwand ist allerdings nicht Günther Netzer, sondern Wolf Blitzer, Nachrichtensprecher bei CNN. Es ist Dienstag, es ist 23 Uhr, es ist Wahlnacht in Amerika.

Die Frage, ob es sich in Aachen überhaupt jemand ansehen würde, wenn in einem doch recht weit entfernten Land ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, hat sich bereits beantwortet. Das Papillon ist gut gefüllt. Die größte Gruppe dürften die Aachener Jusos sein, die das Live-Event organisiert haben.

Mir sitzt noch ein wenig der Sport in den Knochen, von dem ich gerade komme, darum bin ich froh, dass mir meine Freunde noch einen Platz in der letzten Reihe des Geschehens frei gehalten haben. Jetzt ein kühles frisches Alster Radler (das mit Zitrone), und der Abend kann beginnen. Heute wird Geschichte geschrieben, so oder so.

23.30 Uhr. Tabellen, Statistiken, Prognosen. Die Kollegen vom Fernsehen sind nicht zu beneiden. Stundenlang reden zu müssen, während noch absolut nicht passiert, ist nicht leicht. An den Tischen wird genauso haltlos spekuliert wie da oben im Studio.

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23.55 Uhr. Ein Juso steht auf, begrüßt die Zuschauer und wünscht einen angenehmen Abend. Dass wir nicht gerade in einem Lager von McCain-Anhängern gelandet sind, davon zeugen die diversen Obama-Fanposter an den Wänden.

0.03 Uhr. Unglaublich, wieviele Statistiken man sich zu Wahlen ausdenken kann. Gerade erzählt man uns, dass für 9 Prozent der Wähler Gesundheit der wichtigste Faktor war. Dass Barack Obama, würde er denn gewählt, der 27. Jurist im Weißen Haus wäre. Dass Sarah Palin, würde McCain Präsident, die erste Vizepräsidentin aus Alaska sei. Und, und, und.

0.17 Uhr. Endlich Statistiken, wie wir sie kennen und lieben. Während auf den Diskussionstisch im Studio ein 3-D-Modell des Kongressgebäudes in Washington eingeblendet wird (was auch genau so lange überzeugend aussieht, wie die Kameras stillstehen, danach wirkt das ganze leider wie eine verwackelte Bildmontage), werden erste Hochrechnungen eingeblendet. Kentucky: McCain 59 Prozent, Obama 40 Prozent. Es folgt Indiana, wo es für Obama besser aussieht: 56 Prozent für ihn, 43 für McCain.

Wie es sich für Nachrichtensender gehört, verabschieden sich die Moderatoren alle paar Minuten für einen ultrakurzen Werbeblock. Und wer mag jetzt wohl werben, wenn der halbe Globus zuguckt und die Werbesekunde ein Vermögen kostet? Turkish Airlines zum Beispiel. Das Emirat Dubai. „India means business“ heißt es in einem eher schlicht gemachten Wirtschafts-Spot mit Mähdreschern und Bauarbeitern, in dem der Subkontinent in einer Bildergalerie vorgestellt wird.

Anschließend läuft CNN-Anchorman (was LEO mit „Hauptnachrichtenmoderator“ übersetzt) durch einen Urwald Zentralamerikas, um irgendwie für die Umwelt zu trommeln.

0.43 Uhr. Cooper steht wieder im Studio, gescheitelt und geschniegelt. Vor einem Riesenbildschirm, den Medienjournalist Stefan Niggemeier kürzlich „den feuchten Traum aller iPhone-Besitzer“ genannt hat. Auf ihm wedelt er virtuos Landkarten herbei, zoomt sie mit den Fingern groß, malt gelbe Linien darauf, schiebt sie hin und her und piekt einzelne Städte und rot oder blau. Wahlweise Wahlkreise. Was es alles gibt.

1.16 Uhr. Doch es kommt noch besser. Heute kriegt der Zuschauer alles geboten, was die CNN-Techies in der Trickkiste haben. CNN-Korrespondentin Jessica Yellin wird als Hologramm ins Studio gebeamt. Da steht sie nun etwas unterlebensgroß (es sei denn, sie ist kleinwüchsig) mit sanft leuchtendem blauem Rand vor Wolf Blitzer. Sieht aus wie der Auftritt des Imperator aus „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ von 1983, nur nicht so überzeugend.

1.20 Uhr. Hungergefühl kommt auf. Ein Teller Pommes Frittes Fritten schafft Abhilfe.

1.28 Uhr. Vom Nachbartisch fragt jemand rüber: „Ihr seid doch gut informierte Leute, oder? Wie ist denn das jetzt eigentlich mit dem Senat und dem Repräsentantenhaus und dem Kongress?“ Oh je. Ich krame mein Restwissen über das parlamentarisches System der USA zusammen, das noch aus Zeiten eines Schüleraustauschs stammt. Also: Der Kongress besteht aus zwei Kammern, Senat und Repräsentantenhaus. Im Repräsentantenhaus sitzen 435 Abgeordneten, die für jeweils einen US-Wahlkreis stehen. Im Senat sitzen dagegen pro Bundesstaat zwei Senatoren.

Für die Präsidentenwahl wiederum ist wichtig, dass jeder Bundesstaat eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern hat. Der Kandidat, der in einem Staat die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommt, schickt sämtliche dieser Wahlmänner in die Wahlversammlung. 270 Wahlmänner muss man so zusammenkriegen, damit man die Mehrheit hat.

1.45 Uhr. Neue Zahlen. Indiana: McCain 50, Obama 49 Prozent. Virginia: McCain 56, Obama 44 Prozent, Georgia McCain 60, Obama 39 Prozent.

Wie ein Erdrutschsieg für Obama sieht das nicht gerade aus. Entsprechend lautstark wird an den Tischen debattiert, über dem Lärm ist gerade noch zu verstehen, dass die Experten im Studio den „Bradley-Effekt“ diskutieren. Das ist das Phänomen, wonach Wähler in Umfragen angeben, für einen farbigen Kandidaten zu stimmen, an der Wahlurne dann aber den weißen Konkurrenten wählen. Passend dazu wird wieder mal eine Statistik serviert, wonach 84 Prozent aller Evangelikalen und/oder Wiedergeborenen Christen (das sind die Ultra-Religiösen) für McCain gestimmt haben. Ist die Obamania schon zu Ende?

In North Carolina liegt Obama dagegen mit 51:48 vorne, auch im heftig umkämpften „Battleground“-Staat Florida führt er.

2.10 Uhr. Neue Hochrechnungen. Im Senat führen die Demokraten inzwischen mit 27 : 41 Sitzen, 51 brauchen sie für die Mehrheit. „Everywhere we look, McCain is underperforming Bush, and that’s a problem“, erklärt Cooper mit Blick auf die vorangegangene Wahl 2004, als George W. Bush den Demokraten John Kerry geschlagen hat. Überall, wo wir hinschauen, schneidet McCain schlechter ab als Bush, und das ist ein Problem.

2.27 Uhr. Ein Blick auf’s Handy. Das Angebot von Spiegel Online – die abgespeckte Version für Handybrowser – ist ziemlich unaktuell und liegt deutlich zurück. Bei der New York Times dagegen ist sogar schon Texas hellblau markiert, also zu den Demokraten neigend. Texas? Demokratisch? Da wissen sie mehr als CNN.

2.43 Uhr. Für einen weiteren Battleground-State liegen jetzt Hochrechnungen vor: Pennsylvania. Wegen des knappen Ergebnisses wollten die Statistiker erst warten, bis gesicherte Ergebnisse vorlagen. Jetzt prophezeit CNN: „Obama wins Pennsylvania“.

2.55 Uhr. Mir tut der Hintern weh. Seit vier Stunden sitze ich schon auf diesem Holzstuhl. Gut, dass jetzt der Barkeeper gerade die Sitzkissen von draußen hereinholt. Darf ich…? Aaah, das ist besser. Und einen Kaffee, bitte.

2.59. Kaffee.

3.05 Uhr. Die nächsten Prognosen. Obama führt jetzt schon mit 174 zu 49 Wahlmännern. Im Senat haben die Demokraten bereits die Mehrheit – 51 zu 27 Senatoren.

3.10 Uhr. Das Ergebnis gewinnt Konturen. Es wird Obama. Die Spannung lässt entsprechend nach. Der Raum hat sich bereits sichtlich geleert. Auch die Jusos haben jetzt genug, rollen ihre Fahnen ein und kleben die Plakate ab. Von den wenigen übrigbleibenden Gästen ruft ihnen jemand spöttisch zu, ob ihr politisches Interesse denn nun erloschen sei. Es gibt eine längere, etwas hitzige Diskussion. Ich bin schon zu müde, um genau hinzuhören. Aber ich gehe hier nicht weg, bevor die Entscheidung sicher ist. Als ich mich 2004 schlafen legte, war John Kerry Präsident und als ich am Morgen aufwachte, war es George W. Bush. Ein paar Stimmen in Florida hatten den Ausschlag gegeben.

3.45 Uhr. Nachdem Anderson Cooper auf seinem Wunderschirm sämtliche noch nicht ausgezählten Staaten außer den todsicheren Obama-Hochburgen an der Westküste mal probeweise rot gepiekt hat und es für McCain trotzdem nicht mehr reichen würde, ist die Sache so gut wie klar. Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten hat einen Vater aus Kenia, ist auf Hawaii und in Indonesien aufgewachsen und heißt mit zweitem Vornamen Hussein. Kann man anders als die Amerikaner dafür bewundern, dass so viele von ihnen sich frei machen konnten von Vorbehalten, Vorurteilen und Rassismus? Würden wir Deutsche einen gebürtigen Halb-Kenianer, und sei er noch so intelligent und integer, zum Bundeskanzler wählen?

3.47 Uhr. Feierabend. Das letzte Häuflein Wahlbeobachter steht frierend und mit verquollenen Augen in der Pontstraße. Kalter Nebel liegt über Aachen. Für die Jahreszeit ganz normal. Trotzdem: Die Welt ist plötzlich nicht mehr dieselbe wie noch vor vier Stunden.

Mal sehen, ob in der Nacht, in der Geschichte geschrieben wurde, auch noch ein kleines bisschen Schlaf zu bekommen ist.

Zwischendurch: Neues vom Straßenrand (4)

Wir unterbrechen das Baskenblog für eine aktuelle Meldung.

Sport! Sport ist ja das Nonplusultra überhaupt. Wer Sport treibt, tut nicht nur seinen Muskeln Gutes, sondern labt Körper wie Geist. Sport ist Balsam für die Seele, Sport fördert Durchblutung, reinigt die Gefäße, steigert das Wohlbefinden. Und kann auch gut sein für’s Portemonnaie, aber das weiß ich erst seit heute Morgen.

Wäre ich gestern nämlich noch nach der Arbeit zum Joggen gegangen, wie ich es mir vor dem Feierabend fest vorgenommen hatte, dann wäre ich heute Nachmittag noch um rund 200 Euro reicher. Weil ich noch ein paar Runden auf der Uni-Finnbahn drehen wollte, parkte ich mein treues Gefährt nach Dienstschluss schräg gegenüber der Wohnung, vor einem Altenheim einer Seniorenresidenz. Dort ist zwar Halteverbot, aber nur vormittags von 7 bis 14 Uhr. Dann ging ich kurz ins Haus, um mich umzuziehen.

Hätt ich nur, wär ich doch.

Aber irgendwie bin ich hängengeblieben, anderes war zu erledigen, dann war der Hunger doch zu groß – und da voller Bauch nicht gerne joggt, blieb es am Ende beim festen Vorsatz „morgen aber wirklich“.

Das dicke Ende kam heute früh. Vor dem Seniorendings ist nämlich eine Ladezone, und die wollte man am Vormittag bestimmungsgemäß nutzen. So kam es, dass ich zum ersten Mal in 15 Jahren, die sich das moorbraune Mobil in meinem Besitz befindet, vor einem leeren Parkplatz stand.

Abgeschleppt.

abgeschleppt

Ein netter Kollege brachte mich zum Gelände, wo die verhafteten Fahrzeuge aus Aachen in Sicherungsverwahrung hinter Gittern festgehalten werden. 129 Euro durfte ich beim freundlichen Abschleppunternehmen löhnen, und das Autochen war wieder mein. Die Stadt wird, so kündigte man es an, wohl nochmal 70 Euro von mir haben wollen. Viel Geld für einmal Nichtjoggen. Das Demütigendste an so einem Erlebnis ist, dass man sich über niemanden wirklich ärgern kann als über sich selbst.

Professionell sind die Jungs schon, das muss man zugeben (wenn sie die Karre auch wenigstens mal durch die Waschanlage hätten ziehen können für das Geld). Während ich den Braunen vom Hof bugsierte, kam der Schleppi schon mit dem nächsten Opfer am Haken: Honda Civic, rückwärts gezogen, mit den Hinterrädern auf einer Art Hubgabel. Beeindruckt hat mich, wie der Fahrer die Fuhre rückwärts, die ungelenkten Vorderräder voran, in eine Parklücke geschoben hat.

In New York war ich dagegen mal Zeuge, wie ein vollverspoilerter Mazda-Sportwagen abgeschleppt wurde. Da haben sie ganz stumpf zwei Haken unten an der Front befestigt, und als sie die Kiste angehoben haben, ging der Frontspoiler an den entsprechenden Stellen zu Bruch.

Das war also der zweite Akt meines Einbürgerungsverfahrens. Teil 1 war mit 15 Euro deutlich billiger.

Vorsatz für den Herbst: Mehr Sport treiben. Unbedingt. Schon aus finanziellem Interesse. Denn merke: Ein volles Konto ist für das seelische Wohlbefinden mindestens doppelt so gut wie für den Körper ein ganzer Tag auf dem Sportplatz.

Nachtgedanken

Zugegeben. Es war wirklich ein 1 a Sonnenuntergang. Gleißendes Licht und hochrot funkelnde Lohe, um es mit den Worten des Adson von Melk im Namen der Rose zu sagen. Siehe, Dämmerung fiel über den Lousberg, und ehe die Nacht gänzlich hereinbrach, ward Aachen ins goldene Licht der sterbenden Sonne getaucht. Sei’s drum. Für mich war es trotzdem ein lausiger Tag.

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Und das lag nicht an der ersten Hälfte, denn die war produktiv – unsere Internetrallye Netrace geht in die nächste Runde, und das Meeting am Mittag war wie erwartet konstruktiv und angenehm.

Es lag auch nicht an der zweiten Hälfte, denn die bestand im wesentlichen aus zeitintensivem, aber im ganzen doch recht befriedigendem Basteln einer Sonderseite zu eben jenem Netrace. Das Ergebnis ist übrigens in der Donnerstagsausgabe zu bewundern, Seite 16.

Nein, was mir den Tag restlos versauert und die zweite Hälfte in weniger güldenes denn dunkelgraues Licht getaucht hat, war ein heftiger Windstoß gegen 13 Uhr. Noch heftiger als die anderen, die den ganzen Nachmittag lang durch die Stadt fegten.

Dieser eine aber war so stark, dass er es schaffte, im Ostviertel eine geparkte Suzuki XF 650 Freewind umzukippen. Die fiel dann ihrerseits auf die daneben stehende Yamaha XT 600, deren Seitenständer sich wie ein Dolch… ach, seht selbst.

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So. Jetzt darf ich mich mit der bekanntermaßen serviceorientierten deutschen Versicherungsbürokratie und den ebenso bekanntermaßen selbstbewussten Ersatzteilpreisen japanischer Zweiradhersteller herumschlagen.

Wie gesagt, der Rest des Tages war in Ordnung. Anscheinend hatte das Wetter zumindest zum Feierabend ein richtig schlechtes Gewissen mir gegenüber, angesichts des Anblicks, mit dem sich dieser Mittwoch aus meinem Leben verabschiedete.

Klickt das Bild (das obere!) ruhig mal an, damit wenigstens Eure Laune sich etwas hebt. Und damit gute Nacht.

Tagesbester

Bin ich ein reaktionäres Schwein, wenn ich finde, dass für knappe 180 Stundenkilometer innerorts 375 Euro Strafe nicht übermäßig viel sind? Vor ein paar Stunden in Jülich passiert:

33-Jähriger rast mit 177 km/h durch die Ortschaft

In Norwegen hätten sie ihn für sowas wahrscheinlich in den nächsten Fjord geworfen. Und womit? Mit Recht.

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Wo wir grad schon bei Nachrichten sind – hier noch ein paar Meldungen aus der Region:

Neues von der Dauerbaustelle A4-Eschweiler: Gewitter zerstört 50 Meter Autobahn – Fünf Zentimeter Regen in Monschau. Das Gewitter vom Samstag firmiert inzwischen unter „Jahrhundertregen„.

Auf der Trierer Straße in Aachen (direkt bei mir um die Ecke) musste ein Bus vollbremsen, weil eine Autofahrerin ihm die Vorfahrt nahm. Ein 82-jähriger Gast starb dabei. Jetzt ermittelt die Polizei gegen die Frau wegen Unfallflucht.

Und in Kaarst hat ein 70-Jähriger zusehen müssen, wie ein Zug sein neues 40.000-Euro-Auto zu Klump fuhr. Der Wagen war unter der Schranke durchgerollt. Bitter: Der Mann war auf dem Weg zum Verkehrstraining.

Sprachlich gecrasht

Denglisch, diese allgegenwärtigen Sprachbastarde aus deutscher Denke und englischem Übersetzungsfehler, sind ja eher ein Ärgernis. Manchmal möchte man aber den Verursacher eines solchen Zwitters einfach nur knuddeln, weil er es einfach nicht besser konnte. So wie vorhin auf dem Supermarktparkplatz in Würselen.

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Ich weiß nicht genau, was sie mit dem armen VW Polo vorhaben. Aber ich bin sicher, es macht ordentlich Crach.

Neues aus Baesweiler

Stufen. Viele Stufen. Irgendjemand meint, es wären vierhundertsoundso. Hilft jedenfalls nichts, wir müssen sie hoch. Alle. Oben wartet die Aussichtsplattform, hoch über dem Carl-Alexander-Park. Da wollen wir hin, Baesweiler von oben begucken. Das frisch eingeweihte Ausflugsziel im Nordkreis persönlich testen.

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Aber der Reihe nach. Vor den Stufen – Himmelstiege genannt – kommt nämlich erst einmal der Schwebesteg.

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Dann die Treppe. Wenn man beim Fotografieren etwas in die Knie geht, so wie der Fotograf dieser Bilder, ähnelt sie noch stärker der Nordwand des Karakorum 2. Sind es wirklich nur 80 Höhenmeter bis nach oben? Oder ist die Luft hier schon so dünn, dass sie uns so sehr nach ihr schnappen lässt?

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Der Weg führt entlang an alten Zeugnissen der 75-jährigen Bergbaugeschichte der Carl-Alexander-Zeche. Rostige Eisenträger, Schienenstücke, Überreste alter Loren…

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…und anderes Altmetall, von dem man als Besucher nicht recht weiß, ob es schon seit Jahrzehnten dort lag oder eigens zur Ablenkung der keuchenden Besucher neben die Treppe gekippt wurde.

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Einträchtig daneben: Schlacke- und Kohlereste auf dem Boden.

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Endlich oben! Über den Gratweg geht es quer über das Bergplateau…

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…an dessen Ende die Besucherplattform über die Klippe der Halde ragt…

Skywalk

…von wo aus sich ein spektakulärer Blick in das Wurmtal – halt, nein, falsches Foto.

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Hier haben wir die richtige Aussicht nach Süden, Richtung Aachen. Mindestens genauso beeindruckend, oder?

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Und so sieht es im Norden aus. An weniger diesigen Tagen ist die Aussicht noch schöner.

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Wer den Blick gezielter in die dunstige Ferne schweifen lassen will, der greift zum Fernglast – entweder dem mitgebrachten oder dem fest installierten.

Genug gestaunt, jetzt wäre ein Kaltgetränk genau das Richtige. Ein schickes Drehrestaurant fehlt hier noch. Gab es nicht Gastronomie unten am Bergfoyer?

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Das entscheidende Wort des vergangenen Satzes war „unten“. Also zurück zu den Stufen, den vielen…

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…bis uns die Erde wieder hat, wo das versprochene kühle Nass auf uns wartet.

Das war er also, der Carl-Alexander-Park. Nicht ganz der Grand Canyon, aber aus der tristen Industrieruine ist ein wirklich schöner Farbtupfer im Landschaftsbild des nördlichen Kreises Aachen geworden. Hübsche Anlage, hübsches Ausflugsziel. Vor allem: kostenlos. Kann man sich merken. Vor allem natürlich für weniger diesige Tage.

Foto Skywalk/Grand Canyon: Wikipedia/Purple