Einer der (offiziellen) Gründe, das Coupé mit é anzuschaffen, war mein Auslandsjahr an der University of Strathclyde in Glasgow vom September 1993 bis Juni 1994. Dass man dafür ein komfortables Langstreckenfahrzeug mit großem Kofferraum benötigt, leuchtet natürlich jedem ein. Zumindest jedem, der noch nie versucht hatte, über den umgeklappten Vordersitz eines 123er-Coupés sperrige Gegenstände auf die Rückbank zu quetschen.
Am 19. September 1993 geht es dann von Oldenburg aus los. Im Kassettenschacht des alten Blaupunkt Hildesheim ein eigens aufgenommenes Band von Christine, im Rest des Wagens den gesamten studentischen Hausstand: Blaupunkt-Fernseher, Telefunken-Stereoanlage, B&O-Boxen, zwei bis drei Aldi-Papppaletten mit Büchern, säckeweise Bettwäsche und Klamotten, Töpfe, Besteck, Handtücher.
Auch das Auto ist präpariert: Mit einem eigenen Steckschlüssel gegen Diebstahl gesichert, mit sauteuren schwarzen Form-Klebestreifen auf den Scheinwerfern ist es für den Linksverkehr auf der Insel gerüstet.
Überhaupt, der Linksverkehr! Wider Erwarten zerschelle ich nicht gleich nach der Ankunft an entgegenkommenden Lastwagen. Doch das Fahren auf der Insel hat schon seine Tücken. Vor allem die allgegenwärtigen Kreisverkehre haben es in sich. Es sind teilweise hochkomplexe mehrspurige Gebilde aus mehreren ineinander verschachtelten Kreisen und Ovalen mit bis zu einem Dutzend Ausfahrten und Ampeln.
In Glasgow bestimmt allerdings blanke Furcht ums Blech den Alltag. Bei jeder Gelegenheit wird illegalerweise auf dem Campusgelände geparkt, der Steckschlüssel abgezogen und die Kralle ans Lenkrad geklemmt. Der Wagen fällt allerdings auch arg auf, die britischen Kommilitonen haben kaum Autos, und Mercedesse sind im schottischen Straßenbild ohnehin Mangelware.
Folglich muss der arme Benz manche Missfallenskundgebung über sich ertragen lassen, mal liegt Müll auf ihm, mal malt jemand mit dem Finger „rich cunt“ (etwa: „reiche Sau“) auf das Blech. Auch der Stern muss gegen Ende des Jahres einmal dran glauben, umgehend besorge ich Nachschub.
Zum Trost darf sich der Moorbraune auf den langen, einsamen Single-Track-Roads der westlichen Highlands austoben. Schon Anfang Oktober mache ich mit meinem Mitwohner Ralf und zweien seiner Freunde von der Uni Rostock eine Tour über die Isle of Skye. Anderthalbtausend Kilometer dürften es gewesen sein. Wir übernachten gemütlich in Uig und lassen uns abends im Pub von einigen Eingeborenen vom Billardtisch vertreiben, die das F-Wort mit erstaunlicher Häufigkeit in ihren Sätzen verwenden. Kein Streit mit Schotten, denen fehlen immer schon Zähne. In Portree gibt es Fis, Chips und Gherkins – Gürkchen. Das ständige Rein- und Rausklettern aus dem Wagen beim Fotohalt alle paar Kilometer ist allerdings überaus nervig. Ein Coupé ist halt doch nur ein 2+2-Sitzer.
Auf der Rückfahrt spricht der Motor irgendwie verzögert an. In Glasgow messe ich dann mal Öl: Der Stab ist komplett trocken. Upps! Woher bekomme ich Valvoline 10W40, oder was ich an Weltraumöl drin habe?
Anfang November eine weitere größere Reise. Christine ist zu Besuch. Mit ihr fahre ich nach Irland (in die Republic of), weil es in einer Zeitung billige Fähr-Überfahrten gab. Donegal, Cliffs of Moher, Brian’s Tower, Galway, Clifden, Connemara National Park. Eine erste Verbrauchsauswertung ergibt: 10,05 Liter Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer. Nicht schlecht für einen 136-PS-Benziner aus den frühen Achtzigern, oder?
Am 17. Dezember, der Wagen hat den schönen Kilometerstand 188.188, geht es erst einmal wieder Richtung Süden. Über Weihnachten fliege ich nach Hause. Da ich den Wagen nicht in Glasgow lassen will, fahre ich zu Andy und Pauline nach Preston Bisset und lasse ihn da stehen.
An einer Raststätte habe ich dann das Vinegar-Experience. Viel zu spät unterwegs, todmüde vom stundenlangen angestrengten Schnellfahren hinter den Gischtwolken der Lastwagen auf der regenübersprühten Autobahn, mache ich eine Pause. Als einzigen Snack gibt es Chips. Als ich das Päckchen Mayonnaise über sie ausquetschen will, vergesse ich, in welchem Land ich bin: In dem Tütchen ist natürlich Essig, den ich mir über Hände und Pullover spritze. Immerhin, so hat man was zu erzählen.