Neues aus Schweden

Socken sollen rein. Dazu die Unterwäsche natürlich, und sämtliche T-Shirts. Dafür hat meine neue Kommode drei Schubladen. Weil ich viele Socken und Shirts habe, ist es eine große, stabile Kommode. 65 Euro hat sie gekostet, was für ein Möbelstück von 80 Zentimeter Breite, fast ebensolcher Höhe und einem knappen halben Meter Tiefe nicht allzu viel ist. Die Sache hat nur einen Haken, und von dem kann meine rechte große Zeh ein Lied singen.

Denn wer die Produkte einer großen schwedischen Möbelhauskette kennt, der weiß, dass ihr Verkaufspreis daran gekoppelt ist, dass der Zusammenbau dem Kunden überlassen ist. Der darum vor dem Einrichten neuer Sockenkommoden erst einmal große Pappkartons in die eigenen vier Wände schleppen muss. Große Pappkartons, schwere Pappkartons. Auf dem, in dem meine Kommode war, steht „33 kg“, und ich will’s gerne glauben.

33 Kilo in einem glattwandigen, sehr kompakten Karton von 80 Zentimeter Kantenlänge sind nicht leicht unter den Arm zu klemmen. Nach dem Aufschließen der Haustür kam, was kommen musste – die Schwerkraft verlangte ihren Tribut.

Bonks.

Die gute Nachricht: Die Kommode fiel nicht auf die Fliesen. Die Schlechte: Sie fiel auf meinen rechten Zeh. Mit der Kante.

Ein paar Minuten lang konzentrierte ich mich nur auf’s Atmen, dann wurde das Bild vor meinen Augen wieder farbig und das Leben ging irgendwie weiter. Der Zeh nahm in den Tagen danach sehr interessante Farben an. Die Frage, ob der Zehennagel „dranbleiben“ würde, war am Samstagabend einige Zeit lang das Gesprächsthema in einer geselligen Runde (er blieb übrigens dran, zumindest bis heute).

Nun zur Pointe. Sie beweist, dass das Leben immer noch die schönsten Streiche spielt. Denn wie heißt das Möbel, das mir den Zeh zermalmte? Genau so:

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Aber wie meinte ein Bekannter so schön? „Sei froh, dass sie ‚Malm‘ hieß. Sie hätte auch ‚Trenn‘ heißen können.“

Neues vom Markt (4)

Verleger mögen es bestreiten, aber für mich steht felsenfest, dass der Erfolg eines Buches nicht von der Qualität des Textes abhängt. Oder dem Namen des Autors. Nicht einmal vom Verkaufspreis, mit dem der Schinken am Ende im Regal steht. Nein, der Erfolg hängt ab vom Einband. Goethe etwa hätte einen fulminanten Kassenschlager landen können, wenn er seine Geschichte vom Zauberlehrling mit dem Bild eines brilletragenden Jungen versehen hätte. Dass ich das Buch über die Fußball-WM 2006, das mir gestern in einem Aachener Supermarkt ins Auge sprang, nicht gekauft habe, lag jedenfalls nicht am Titel.

Der war nämlich schlicht grandios.

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(Für alle, die das Original von David Guterson nicht kennen, hier die Erklärung.)

Neues aus Washington

Public Viewing, das wissen wir seit der Fußball-WM, bezeichnet das öffentliche Übertragen von Fernsehereignissen vor größeren Menschenansammlungen. So wie der Ansammlung im Pub „Papillon“ in Aachens Gastromeile Pontstraße, wo ich gerade sitze. Der ernst blickende Mann oben auf der Leinwand ist allerdings nicht Günther Netzer, sondern Wolf Blitzer, Nachrichtensprecher bei CNN. Es ist Dienstag, es ist 23 Uhr, es ist Wahlnacht in Amerika.

Die Frage, ob es sich in Aachen überhaupt jemand ansehen würde, wenn in einem doch recht weit entfernten Land ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, hat sich bereits beantwortet. Das Papillon ist gut gefüllt. Die größte Gruppe dürften die Aachener Jusos sein, die das Live-Event organisiert haben.

Mir sitzt noch ein wenig der Sport in den Knochen, von dem ich gerade komme, darum bin ich froh, dass mir meine Freunde noch einen Platz in der letzten Reihe des Geschehens frei gehalten haben. Jetzt ein kühles frisches Alster Radler (das mit Zitrone), und der Abend kann beginnen. Heute wird Geschichte geschrieben, so oder so.

23.30 Uhr. Tabellen, Statistiken, Prognosen. Die Kollegen vom Fernsehen sind nicht zu beneiden. Stundenlang reden zu müssen, während noch absolut nicht passiert, ist nicht leicht. An den Tischen wird genauso haltlos spekuliert wie da oben im Studio.

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23.55 Uhr. Ein Juso steht auf, begrüßt die Zuschauer und wünscht einen angenehmen Abend. Dass wir nicht gerade in einem Lager von McCain-Anhängern gelandet sind, davon zeugen die diversen Obama-Fanposter an den Wänden.

0.03 Uhr. Unglaublich, wieviele Statistiken man sich zu Wahlen ausdenken kann. Gerade erzählt man uns, dass für 9 Prozent der Wähler Gesundheit der wichtigste Faktor war. Dass Barack Obama, würde er denn gewählt, der 27. Jurist im Weißen Haus wäre. Dass Sarah Palin, würde McCain Präsident, die erste Vizepräsidentin aus Alaska sei. Und, und, und.

0.17 Uhr. Endlich Statistiken, wie wir sie kennen und lieben. Während auf den Diskussionstisch im Studio ein 3-D-Modell des Kongressgebäudes in Washington eingeblendet wird (was auch genau so lange überzeugend aussieht, wie die Kameras stillstehen, danach wirkt das ganze leider wie eine verwackelte Bildmontage), werden erste Hochrechnungen eingeblendet. Kentucky: McCain 59 Prozent, Obama 40 Prozent. Es folgt Indiana, wo es für Obama besser aussieht: 56 Prozent für ihn, 43 für McCain.

Wie es sich für Nachrichtensender gehört, verabschieden sich die Moderatoren alle paar Minuten für einen ultrakurzen Werbeblock. Und wer mag jetzt wohl werben, wenn der halbe Globus zuguckt und die Werbesekunde ein Vermögen kostet? Turkish Airlines zum Beispiel. Das Emirat Dubai. „India means business“ heißt es in einem eher schlicht gemachten Wirtschafts-Spot mit Mähdreschern und Bauarbeitern, in dem der Subkontinent in einer Bildergalerie vorgestellt wird.

Anschließend läuft CNN-Anchorman (was LEO mit „Hauptnachrichtenmoderator“ übersetzt) durch einen Urwald Zentralamerikas, um irgendwie für die Umwelt zu trommeln.

0.43 Uhr. Cooper steht wieder im Studio, gescheitelt und geschniegelt. Vor einem Riesenbildschirm, den Medienjournalist Stefan Niggemeier kürzlich „den feuchten Traum aller iPhone-Besitzer“ genannt hat. Auf ihm wedelt er virtuos Landkarten herbei, zoomt sie mit den Fingern groß, malt gelbe Linien darauf, schiebt sie hin und her und piekt einzelne Städte und rot oder blau. Wahlweise Wahlkreise. Was es alles gibt.

1.16 Uhr. Doch es kommt noch besser. Heute kriegt der Zuschauer alles geboten, was die CNN-Techies in der Trickkiste haben. CNN-Korrespondentin Jessica Yellin wird als Hologramm ins Studio gebeamt. Da steht sie nun etwas unterlebensgroß (es sei denn, sie ist kleinwüchsig) mit sanft leuchtendem blauem Rand vor Wolf Blitzer. Sieht aus wie der Auftritt des Imperator aus „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ von 1983, nur nicht so überzeugend.

1.20 Uhr. Hungergefühl kommt auf. Ein Teller Pommes Frittes Fritten schafft Abhilfe.

1.28 Uhr. Vom Nachbartisch fragt jemand rüber: „Ihr seid doch gut informierte Leute, oder? Wie ist denn das jetzt eigentlich mit dem Senat und dem Repräsentantenhaus und dem Kongress?“ Oh je. Ich krame mein Restwissen über das parlamentarisches System der USA zusammen, das noch aus Zeiten eines Schüleraustauschs stammt. Also: Der Kongress besteht aus zwei Kammern, Senat und Repräsentantenhaus. Im Repräsentantenhaus sitzen 435 Abgeordneten, die für jeweils einen US-Wahlkreis stehen. Im Senat sitzen dagegen pro Bundesstaat zwei Senatoren.

Für die Präsidentenwahl wiederum ist wichtig, dass jeder Bundesstaat eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern hat. Der Kandidat, der in einem Staat die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommt, schickt sämtliche dieser Wahlmänner in die Wahlversammlung. 270 Wahlmänner muss man so zusammenkriegen, damit man die Mehrheit hat.

1.45 Uhr. Neue Zahlen. Indiana: McCain 50, Obama 49 Prozent. Virginia: McCain 56, Obama 44 Prozent, Georgia McCain 60, Obama 39 Prozent.

Wie ein Erdrutschsieg für Obama sieht das nicht gerade aus. Entsprechend lautstark wird an den Tischen debattiert, über dem Lärm ist gerade noch zu verstehen, dass die Experten im Studio den „Bradley-Effekt“ diskutieren. Das ist das Phänomen, wonach Wähler in Umfragen angeben, für einen farbigen Kandidaten zu stimmen, an der Wahlurne dann aber den weißen Konkurrenten wählen. Passend dazu wird wieder mal eine Statistik serviert, wonach 84 Prozent aller Evangelikalen und/oder Wiedergeborenen Christen (das sind die Ultra-Religiösen) für McCain gestimmt haben. Ist die Obamania schon zu Ende?

In North Carolina liegt Obama dagegen mit 51:48 vorne, auch im heftig umkämpften „Battleground“-Staat Florida führt er.

2.10 Uhr. Neue Hochrechnungen. Im Senat führen die Demokraten inzwischen mit 27 : 41 Sitzen, 51 brauchen sie für die Mehrheit. „Everywhere we look, McCain is underperforming Bush, and that’s a problem“, erklärt Cooper mit Blick auf die vorangegangene Wahl 2004, als George W. Bush den Demokraten John Kerry geschlagen hat. Überall, wo wir hinschauen, schneidet McCain schlechter ab als Bush, und das ist ein Problem.

2.27 Uhr. Ein Blick auf’s Handy. Das Angebot von Spiegel Online – die abgespeckte Version für Handybrowser – ist ziemlich unaktuell und liegt deutlich zurück. Bei der New York Times dagegen ist sogar schon Texas hellblau markiert, also zu den Demokraten neigend. Texas? Demokratisch? Da wissen sie mehr als CNN.

2.43 Uhr. Für einen weiteren Battleground-State liegen jetzt Hochrechnungen vor: Pennsylvania. Wegen des knappen Ergebnisses wollten die Statistiker erst warten, bis gesicherte Ergebnisse vorlagen. Jetzt prophezeit CNN: „Obama wins Pennsylvania“.

2.55 Uhr. Mir tut der Hintern weh. Seit vier Stunden sitze ich schon auf diesem Holzstuhl. Gut, dass jetzt der Barkeeper gerade die Sitzkissen von draußen hereinholt. Darf ich…? Aaah, das ist besser. Und einen Kaffee, bitte.

2.59. Kaffee.

3.05 Uhr. Die nächsten Prognosen. Obama führt jetzt schon mit 174 zu 49 Wahlmännern. Im Senat haben die Demokraten bereits die Mehrheit – 51 zu 27 Senatoren.

3.10 Uhr. Das Ergebnis gewinnt Konturen. Es wird Obama. Die Spannung lässt entsprechend nach. Der Raum hat sich bereits sichtlich geleert. Auch die Jusos haben jetzt genug, rollen ihre Fahnen ein und kleben die Plakate ab. Von den wenigen übrigbleibenden Gästen ruft ihnen jemand spöttisch zu, ob ihr politisches Interesse denn nun erloschen sei. Es gibt eine längere, etwas hitzige Diskussion. Ich bin schon zu müde, um genau hinzuhören. Aber ich gehe hier nicht weg, bevor die Entscheidung sicher ist. Als ich mich 2004 schlafen legte, war John Kerry Präsident und als ich am Morgen aufwachte, war es George W. Bush. Ein paar Stimmen in Florida hatten den Ausschlag gegeben.

3.45 Uhr. Nachdem Anderson Cooper auf seinem Wunderschirm sämtliche noch nicht ausgezählten Staaten außer den todsicheren Obama-Hochburgen an der Westküste mal probeweise rot gepiekt hat und es für McCain trotzdem nicht mehr reichen würde, ist die Sache so gut wie klar. Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten hat einen Vater aus Kenia, ist auf Hawaii und in Indonesien aufgewachsen und heißt mit zweitem Vornamen Hussein. Kann man anders als die Amerikaner dafür bewundern, dass so viele von ihnen sich frei machen konnten von Vorbehalten, Vorurteilen und Rassismus? Würden wir Deutsche einen gebürtigen Halb-Kenianer, und sei er noch so intelligent und integer, zum Bundeskanzler wählen?

3.47 Uhr. Feierabend. Das letzte Häuflein Wahlbeobachter steht frierend und mit verquollenen Augen in der Pontstraße. Kalter Nebel liegt über Aachen. Für die Jahreszeit ganz normal. Trotzdem: Die Welt ist plötzlich nicht mehr dieselbe wie noch vor vier Stunden.

Mal sehen, ob in der Nacht, in der Geschichte geschrieben wurde, auch noch ein kleines bisschen Schlaf zu bekommen ist.

Seitenblick über den großen Teich

„Meine Güte“, habe ich heute zweimal gedacht. Beide Male ging es um Videos, beide kamen aus den USA, beide drehten sich – natürlich – um die Präsidentenwahl. Eins war lang und bewegend, eins kurz und witzig. Aber seht selbst.

Dies ist der (Achtung!) 27-minütige Werbespot, den Barack Obama gestern Abend auf fast allen großen amerikanischen Fernsehkanälen laufen ließ. Zur besten Sendezeit. Für mehrere Millionen Dollar. So etwas gab es noch nie.

Ich hatte ein rot-weiß-blaues Füllhorn voll euphorischem Schwulst erwartet, jubelnde Mengen, Stars ’n‘ Stripes, einen strahlenden Kandidaten, das ganze garniert mit jeder Menge des üblichen God-bless-America sowie diversen Joe Sixpacks, die „we’re the greatest country in the world“ in diverse Kameras sagen.

Es ist aber ganz anders, und es lohnt die Mühe, sich ein halbes Stündchen Zeit für diesen Film zu nehmen, denn er hat bereits jetzt Mediengeschichte geschrieben. Da steht der Kandidat, eine professionelle Mischung aus Ruhe und Freundlichkeit ausstrahlend, und erklärt den Wählern, was er denn vorhat, wenn sie ihn im Januar ins Weiße Haus einziehen lassen.

Dann werden Geschichten erzählt, von ganz normalen Amerikanern. Wie dem Rentnerehepaar aus Ohio, das eine Hypothek auf ihr Haus aufnehmen muss, weil es die Rechnungen für Medikamente nicht mehr bezahlen kann. Die Frau öffnet mit sichtbar arthritischen Fingern die Pillendose, der Mann setzt sich die Dienstmütze auf und fährt wieder zur Arbeit im Wal-Mart. Mit 72 Jahren.

Oder der Mutter, die das Essen für ihre Kinder in getrennten Fächern im Kühlschrank aufbewahrt. Wenn dort nicht mehr viel liegt, weiß der Nachwuchs, dass er den Gürtel enger schnallen muss.

Oder dem Ford-Arbeiter, dessen Wochenarbeitszeit um die Hälfte reduziert und dessen Frau entlassen wurde. Der Lehrerin, die einen zweiten Job annehmen musste.

Es gäbe viel zu sagen über den Film. Wie geschickt die Betroffenen aus den Staaten ausgewählt wurden, in denen Obama und McCain Kopf an Kopf liegen. Dass viele Frauen zu Wort kommen, die offenbar als besonders spät entscheidende Wähler gelten. Über die Mischung aus persönlichen Bildern aus Obamas Biographie, von seiner (weißen) Mutter, die früh an Krebs starb bis zu seiner offiziellen Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten. Aber diese Dinge werden schon gerade von anderen Leuten analysiert – das Internet quillt geradezu über mit Artikeln über den Film. Googeln Sie einfach nach „Obama Fernsehen„.

Der Streifen unterscheidet sich fundamental von jedem Wahlwerbespot, den ich bis jetzt gesehen habe. Er ist sanft, gefühlvoll, geradezu melodisch. Der Gegner wird nicht attackiert, er wird im Gegenteil sogar ignoriert – was vielleicht sogar noch wirkungsvoller ist. Und er ist natürlich vor allem ein: perfekt inszeniert.

„Ich werde kein perfekter Präsident sein“, sagt Obama gegen Ende. Nun, wir werden sehen. Nach dem Film ist es jedenfalls ein bisschen wahrscheinlicher geworden.

Manchmal vergisst man als Europäer fast ein wenig, dass man mit dieser Wahl ja gar nichts zu tun hat. Wenn man denn doch beteiligt wäre, dann wäre das zweite Video des Tages wohl der ultimative Alptraum.

Ja, lieber Leser, ich war es, der die Wahl entschieden hat. Wegen mir ist John McCain am Ende doch noch Präsident geworden. Weil ich am Wahltag den Hintern nicht hochbekommen habe. Sehen Sie selbst:

Erstaunlich, was im Netz so alles möglich ist.

Wenn Sie auch das Gefühl haben möchten, einmal etwas von historischer Tragweite verbockt zu haben – hier ist der Link. Und: Gehen Sie wählen!

Was? Ach ja, ist bei uns erst 2009 soweit. Ob wir bis dahin auch so schöne Videos zustande kriegen? Eine emotionale halbe Stunde mit Frank-Walter Steinmeier, schluchzenden Rüsselsheimer Opel-Werkern und einem Rentnerehepaar aus Greifswald? Ja? Meine Güte.

Wenn der Postmann um Zwei mal klingelt

Als jemand, der beruflich was mit Internet zu tun hat, bin ich natürlich immer wieder fasziniert von dem, was im Netz passiert. Ob Ebay gerade seinen Mitgliederbereich auf Web 2.0 umbaut oder der SPD-Generalsekretär das Tool Twitter entdeckt – alles neu, alles aufregend. Trotzdem gibt es auch bei mir immer wieder Momente der Fassungslosigkeit: Was, sowas geht auch schon?

Kleiner Zeitsprung. Gestern, also in der Nacht zum Montag, saß der Verfasser dieser Zeilen – es war so zwischen 2 und 3 Uhr – wie so oft vor dem Monitor (er hat gerade Urlaub). Und klickte sich durch die Seiten diverser Testportale für Digitalkameras sowie ihrer Anbieter.

Bestellt habe ich am Ende eine Pocketknipse mittlerer Preisklasse bei einem Großversender, der mit A anfängt – weil der im Moment einen Express-Lieferservice zum Gratis-Testen anbietet, der ansonsten Geld kostet. Ich möchte nämlich, dass die Kamera noch bei mir ankommt, bevor ich mich auf die Reise nach Süden mache. Dann fuhr ich den Rechner herunter und legte mich schlafen.

Es war nicht so, dass mich der Paketbote geweckt hätte. Aber das Frühstück stand noch auf dem Tisch, als der Mann in Gelb klingelte, in den Händen ein Päckchen des Großversenders mit dem A. Ein Blick auf’s Handgelenk: 14 Uhr.

Kleine Überschlagsrechnung: Um 2 Uhr nachts bestellt, um 6 in der Post, ein paar Stunden im Lkw, kurz nach Mittag in Aachen? Nicht mal zwölf Stunden bis zur Auslieferung? So schnell sind die inzwischen!?

Es war dann aber nur eine Büchersendung für die Nachbarin, die nicht zu Hause war.

Manchmal finde ich es ganz beruhigend, vom Internet doch nicht überrascht zu werden.

Fischpost

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Seit meinem Norwegenurlaub habe ich das fjordige Land oben links auf der Europakarte ins Herz geschlossen. Auch seine Einwohner. Seit heute Morgen finde ich sie sogar noch ein kleines bisschen netter, denn da hatte ich Post aus Kragerø im Briefkasten.

Als Norddeutscher, oft Fischkopf genannt, freut man sich immer über den Anblick von Flossenträgern (dochdoch, wir lieben diesen Spitznamen und ich habe mir extra ein Aquarium zugelegt, um meine Herkunft nicht zu vergessen). So stimmte mich auch der Anblick des Umschlags mit seiner fischigen Briefmarke gleich froh und heiter.

Der Inhalt steigerte dies noch – es war nämlich mein USB-Stick, den ich beim Bloggen in der Jugendherberge von Kragerø im Rechner hatte stecken lassen. Habet Dank, liebes Sportell-Team, dafür gibt’s auch einen Link auf Eure Homepage. Verbunden mit einem Aufruf an alle Menschen in der Euregio, bei einem Aufenthalt in Ostnorwegen dort einzukehren. Bin ich bestechlich? Kann sein.

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Auf dem USB-Stick waren nämlich viele Fotos, die ich bis dahin auf meiner Reise gemacht habe.

Nun steht morgen steht im Reiseteil der Samstagsausgabe unserer Zeitungen ein Artikel über Südnorwegen von mir, in dem auch auf dieses Blog hingewiesen wird. Aus diesem freudigen Anlass habe ich nochmal einen Schwung von gut 40 Bildern nachträglich in die einzelnen Beiträge eingebaut. Das nur zur Erklärung, falls sich jemand wundert, wieso sich die Artikel plötzlich verändert haben. An sich ist es ja verpönt, Blogtexte im nachhinein noch umzupfuschen… aber was soll’s. Bin ich ein schlechter Blogger? Kann sein.

Neues aus der Welt des Dosenfleischs (3)

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Eine der größten Leistungen des menschlichen Intellekts ist es, aus Vorhandenem und Bekannten etwas Neues und Aufregendes zu schaffen. Das ist es, was uns von Tieren unterscheidet: die Kreativität, uns selber ständig überraschen zu können. Nehmen wir zum Beispiel… äh, ja: Nehmen wir mich.

Mir geht nämlich seit Tagen der gute alte Schlager „Volare“ durch den Kopf. (Doch, den kennen Sie. Klicken Sie bitte auf die Version der Gipsy Kings als Karaoke, damit Sie wissen, was ich meine.) Und das kam so.

Es war am Donnerstag vergangener Woche. Kurz nach 10 Uhr. Den Rechner hochgefahren und den morgendlichen vormittäglichen Blick in die Mailbox geworfen. Dann Einen in den Spam-Ordner.

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Über die kurzen Momente der Heiterkeit, die dieser Seitenaufruf erzeugen kann, habe ich mich ja schon ausgelassen. Diesmal war keine Mail von Agathe Bauer drin. Nein, jetzt schlug das Spam-Imperium zurück, grausam und unbarmherzig.

In Form von…

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Es ist ja bekannt, dass die fingierten Absendernamen der Mails aus irgendwelchen Adressdatenbanken zusammengewürfelt werden. Dabei kommt es zu den abstrusesten Kombinationen. Wie etwa der litauische Vorname Gintare vor dem urdeutschen Klawitter. Klawitter, so wie der Kli-Kla-Klawitter-Bus aus dem Fernsehen (Sie merken, ich bin ein Kind der Siebziger). Auch in den MAD-Heften meiner Teenagertage hießen die Leute ständig Gertrude Klawitter, Horst Feinbein oder Udo Fröhn.

Kein Wunder also, dass ich diesen Namen seit fast einer Woche nicht mehr los werde. Sie, lieber Leser, von jetzt an übrigens auch nicht. Warum soll es Ihnen auch besser gehen als mir? Also nochmal, damit es sich in Ihre Netzhäute genauso einbrennt wie in meine:

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Und was hat das jetzt mit „Volare“ zu tun, das ich seit fast einer Woche ständig vor mich hin summe? Das unbekannte Wesen, das menschliche Hirn, mein menschliches Hirn, hat es fertiggebracht, den Namen Gintare mit dem Geklimpere des Gipsy-King-Hits zu verbinden. Gin-taa-re, ooo-oooh. Wenn das mal nicht die wirklich, wirklich kreative Kombination des Tages war. Mensch schlägt Maschine. Irgendwie beruhigend. Mal sehen, was ich morgen im Spam-Ordner habe.

Unter Bloggern

Es fängt jedenfalls vielversprechend an: Die A4 nach Köln ist frei. Trotz der diversen Baustellen. Bin ich aufgeregt? Ich bin aufgeregt, ein bisschen jedenfalls. Mein erstes Bloggertreffen! Was für Menschen erwarten mich? Sicher ein exklusiver Querschnitt unglaublich hipper und gestylter Mitglieder der digitalen Bohème. Und mittendrin ich in meinem langweiligen Hemd.

Persönlich kenne ich da niemanden. Organisiert wurde das Ganze von stylespion, einem Netzmagazin des Kölner Webdesigners Kai Müller. „Treffen. So in echt.“ titelte er im Mai, viele Leser sprangen sofort drauf an. Ein Kollege machte mich drauf aufmerksam – „da muss ich hin“, dachte ich und trug mir den Termin in den Taschenkalender ein.

Was kommt dabei heraus, wenn sich zwei, drei Dutzend Blogger und Blogleser einfach so treffen, ohne Tagesordnung und ohne Programm? Bloggen ist ja per se eine Sache, die meistens im stillen Kämmerlein stattfindet. Natürlich kommentiert man anderswo und kriegt Kommentare von anderswem, natürlich gibt es Gemeinschaftsblogs wie Spreeblick und Riesenmaschine und gelegentlich gibt es in Blogs sogar Urlaubsvertretungen wie bei Niggemeier und Vetter. Aber ein zwangloses Treffen außerhalb der großen Konferenzen wie der Berliner re:publica?

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Der Ort ist jedenfalls nett gewählt: Das Motoki Kollektiv in der Stammstraße in Köln-Ehrenfeld ist eine Art Einraumkulturzentrum mit Clubatmosphäre. Parkplätze gibt es zwar im ganzen Viertel nicht, dafür stimmt die Atmosphäre in dem verwinkelten Raum mit den Stehtischen, die mit grünem Modellbahnrasen bezogen sind und zum Zimmergolf einladen. Ein halbes Dutzend mitgebrachter Laptops auf Couchtischen tummelt sich offensichtlich bereits im hauseigenen W-LAN-Netz mit dem schönen Namen „Motoki funkt hallo“. Beim Einloggen stelle ich fest, dass es in der Nachbarschaft auch ein W-Lan gibt, dass „Stammheim“ heißt. Muss Kölscher Humor sein. Von den Anwesenden, die ohne Laptop da sind, haben einige stattdessen Kuchen mitgebracht. Ist zwar nicht so netzwertig, gefällt mir aber irgendwie besser.

Die Location – der Ausdruck ist hier wohl angemessen – füllt sich schnell; gut zwei, drei Dutzend Teilnehmer drapieren sich bald auf und um Sofas und Theke. Ein Notebook auf der Theke schießt Webcam-Fotos, die mit Hilfe eines Vordrucks zu Plakaten gestaltet werden. Damit können sich die Teilnehmer an der Eingangstür vorstellen. Was für eine nette Idee.

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So schrecklich hip und gestylt wie befürchtet sehen die meisten Anwesenden übrigens gar nicht mal aus. Schnell kommt man ins Gespräch, auch wenn man ein langweiliges Hemd trägt. Über gute und schlechte Blogs, über Don Alphonso und MC Winkel, über fallende Abrufzahlen bei längerer Schreib-Abstinenz und Freude über Reaktionen der Leser. Es ist angenehm, sich mal mit Leuten zu unterhalten, die ähnliche Lesezeichen im Browser haben wie man selbst.

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Christoph ist eigens aus London eingeflogen, um dabeizusein. Er bloggt für den Elektronikgerätehersteller LG. Wir stellen fest, dass wir beide noch nicht herausgefunden haben, wozu Twitter eigentlich gut ist. Und dass er das deutlich coolere Kamerahandy hat. Allerdings hat meins dafür einen dicken Rand aus Gummi, der es ganz schön unzerstörbar aussehen lässt.

Kurz: Es wird ein ziemlich netter Nachmittag. Schade, dass ich nur zweieinhalb Stunden Zeit habe, bevor ich wieder zurück nach Aachen muss. Mein Taschenkalender freut sich jedenfalls schon auf ein zweites Bloggertreffen. Und sollte es ein gutes Omen sein: Die A4 ist auch auf dem Rückweg frei.

Update am 17. Juli: Eins führte zum anderen, und so wird diese kleine schokoladige Heimseite hier seit heute auf dem LG-Blog im „Blogger der Woche“-Interview erwähnt. Jeder Link zählt – wenn ich hier Werbung dulden würde, wäre ich jetzt bestimmt reich.

Neues aus Baesweiler

Stufen. Viele Stufen. Irgendjemand meint, es wären vierhundertsoundso. Hilft jedenfalls nichts, wir müssen sie hoch. Alle. Oben wartet die Aussichtsplattform, hoch über dem Carl-Alexander-Park. Da wollen wir hin, Baesweiler von oben begucken. Das frisch eingeweihte Ausflugsziel im Nordkreis persönlich testen.

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Aber der Reihe nach. Vor den Stufen – Himmelstiege genannt – kommt nämlich erst einmal der Schwebesteg.

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Dann die Treppe. Wenn man beim Fotografieren etwas in die Knie geht, so wie der Fotograf dieser Bilder, ähnelt sie noch stärker der Nordwand des Karakorum 2. Sind es wirklich nur 80 Höhenmeter bis nach oben? Oder ist die Luft hier schon so dünn, dass sie uns so sehr nach ihr schnappen lässt?

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Der Weg führt entlang an alten Zeugnissen der 75-jährigen Bergbaugeschichte der Carl-Alexander-Zeche. Rostige Eisenträger, Schienenstücke, Überreste alter Loren…

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…und anderes Altmetall, von dem man als Besucher nicht recht weiß, ob es schon seit Jahrzehnten dort lag oder eigens zur Ablenkung der keuchenden Besucher neben die Treppe gekippt wurde.

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Einträchtig daneben: Schlacke- und Kohlereste auf dem Boden.

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Endlich oben! Über den Gratweg geht es quer über das Bergplateau…

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…an dessen Ende die Besucherplattform über die Klippe der Halde ragt…

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…von wo aus sich ein spektakulärer Blick in das Wurmtal – halt, nein, falsches Foto.

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Hier haben wir die richtige Aussicht nach Süden, Richtung Aachen. Mindestens genauso beeindruckend, oder?

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Und so sieht es im Norden aus. An weniger diesigen Tagen ist die Aussicht noch schöner.

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Wer den Blick gezielter in die dunstige Ferne schweifen lassen will, der greift zum Fernglast – entweder dem mitgebrachten oder dem fest installierten.

Genug gestaunt, jetzt wäre ein Kaltgetränk genau das Richtige. Ein schickes Drehrestaurant fehlt hier noch. Gab es nicht Gastronomie unten am Bergfoyer?

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Das entscheidende Wort des vergangenen Satzes war „unten“. Also zurück zu den Stufen, den vielen…

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…bis uns die Erde wieder hat, wo das versprochene kühle Nass auf uns wartet.

Das war er also, der Carl-Alexander-Park. Nicht ganz der Grand Canyon, aber aus der tristen Industrieruine ist ein wirklich schöner Farbtupfer im Landschaftsbild des nördlichen Kreises Aachen geworden. Hübsche Anlage, hübsches Ausflugsziel. Vor allem: kostenlos. Kann man sich merken. Vor allem natürlich für weniger diesige Tage.

Foto Skywalk/Grand Canyon: Wikipedia/Purple

Neues aus der Welt des Dosenfleischs (2)

Der erste Blick in die Mailbox am Morgen hat oft den ersten Lacher des Tages zu Folge. Da sind etwa die immer neuen Versuche von mehr oder minder seriösen Verkäufern pharmazeutischer Produkte, diese an den Mann zu bringen. Dicht gefolgt von Werbung für Online-Casinos – wie ist meine arme GMX-Adresse nur in einen Mailverteiler für Spielsüchtige geraten? Und dann ist da Frau Bauer.

Zugegeben, im Jahre 2008 noch einen Artikel über Spam-Mails zu schreiben, das ist nichts, was mir dieses Jahr den Konrad-Zuse-Preis für Onlinejournalismus einbringen wird. Aber manche Sachen muss man tun, auch wenn es einem niemand dankt. Also, was haben wir denn da im Ordner „Spamverdacht“?

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Jemand namens „Gewinn“ schickt mir etwas, das „Wichtig“ ist. So wichtig, dass man mir nicht mehr verraten will. „Domina Ruth“ befiehlt mir, auf ihre Seite zu klicken. Nichts da, Madame. Ein Wesen namens „Kaleb Alamgir“ schreibt mit dem drohenden Betreff „Ihre Familie“. Jaja, deine auch, Kaleb. „Nadine“ fragt, ob ich Probleme im Bett habe? Ja, habe ich tatsächlich. Katzenhaare. Was kann man da machen?

„Sie haben Gewonnen“ teilt mir eine orthografisch nicht völlig sattelfeste Online-Poker-Seite mit. Leider konterkarieren die Autoren die glückverheißende Botschaft dadurch, dass sie ins Absenderfeld „Mahnung“ eingetragen haben – eigentlich ein beliebter Trick, um den Empfängern Angst einzujagen. Steigert jedoch in diesem Fall die Lesechancen der Mail ins Bodenlose.

Ein relativ neuer Trend sind deutsch klingende Absender (kleiner Hinweis für Technik-Laien: Die dort stehenden Namen haben in der Regel nichts mit den wirklichen Absendern zu tun). Weiß der Kuckuck, wer der arme Oswald Muller ist und wer die bedauernswerte Else Meier, die derzeit bei zehntausenden von Mailboxbesitzern für angeekelte Gesichter sorgen. Es ist kein Trost, dass auch meine eigene Adresse längst auf solchen Listen ist und ich schon Spam-Mails von mir selbst bekommen habe.

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Ach ja, Agathe Bauer. Noch so ein Namensklau-Opfer. In dem Fall habe ich aber nicht angewidert geguckt, sondern ziemlich amüsiert. Agathe Bauer heißt nämlich in Wahrheit ganz anders. Der Name steht für Songverhörer, also Textpassagen meist englischsprachiger Lieder, die sich anhören wie deutsche Worte. „Oma fiel ins Klo“ versteht man, wo der Schnulzensänger romantisch „oh my feelings glow“ schmachtet.

Der Berliner Radiosender 104.6 RTL hat eine ganze Sammlung Agathe-Bauer-Songs zusammengestellt. Die dazugehörige Geschichte steht hier. Agathe Bauer heißt also in Wirklichkeit „I’ve got the power“ und ist ein Song von SNAP!.

Irgendwie ist ein Spamversender – natürlich war es wieder ein Webcasino – an diesen symbolträchtigen Namen gelangt. Mal sehen, wann ich die erste Mail von Anneliese Braun kriege.