In die Pilze

_dsc4722„Am Sonntag bin ich in die Pilze!“ – Diesen Satz, geschrieben von einem schon etwas angejahrten Mitbürger auf einer öffentlichen Plattform, allerdings in etwas weniger fehlerfreiem Deutsch, diesen Satz musste ich mehrere Male lesen, um ihn zu verstehen.

_dsc4725Was meinte der gute Mann? Er  war natürlich zum Pilzsuchen im Wald gewesen, im Volksmund auch „in die Pilze gehen“ genannt. Wenn man diese schöne Redewendung nicht kennt, starrt man auf der Suche nach Sinn und Grammatik auf die Worte, die ersteren nicht zu ergeben scheinen und letzterer ermangeln.

_dsc4726Andere Leute dagegen gehen in den Wald und landen in den Pilzen, ganz ohne es geplant zu haben. So wie ich am vorletzten Wochenende.

_dsc4729Seit fast zehn Jahren bin ich regelmäßig im Öcher Bösch zu Gast (hartnäckigen Lesern dieser Seite sind meine Schwärmereien ür dieses Fleckchen Aachen ja mittlerweile sattsam bekannt). Aber ich kann mich nicht erinnern, jemals einen so unglaublichen Reichtum an Pilzen gesehen zu haben wie an diesem Sonntagnachmittag.

_dsc4733Pilze aller Sorten, aller Größen, aller Farben streckten ihre Kappen aus den Blättern am Boden heraus, an abgefallenen Ästen vorbei, an vermodernden Baumstämmen hinauf.

_dsc4740Hinter jeder Wegbiegung versteckten sich neue Formen, bei jedem Blick zwischen die Bäume leuchteten andere Hüte aus dem Zwielicht des Waldbodens.

_dsc4743Mancher Einzelkämpfer drückte seine Kappe an vermodernden Ästen vorbei, ein paar Schritte weiter quollen ganze Pilzwolken aus dem Moos.

_dsc4748Noch einen Schritt weiter – puh, der Kollege hier ist nicht nur zu sehen, sondern auch zu riechen: eine dicke Stinkmorchel.

_dsc4755Es gibt fröhlich-bunte Fliegenpilze in Rot und diesen eleganten Genossen in zartem Pastell.

_dsc4758Mancher Pilz fiel selbst schon wieder seinem weniger imposanten Cousin, dem Schimmel, zum Opfer.

_dsc4762Dieser mächtige Zunderschwamm wird schon den einen oder anderen Winter überstanden haben.

_dsc4765Ich war froh, an diesem Tag ein Makroobjektiv dabei gehabt zu haben: ein Carl Zeiss Jena Prakticar 2.8 55. Es war die Premiere für dieses erste und einzige Makroobjektiv aus der ehemaligen DDR.

_dsc4768Keine einfache Premiere, denn bei den schwierigen Lichtverhältnissen an diesem Nachmittag war, weil ich kein Stativ dabei hatte (und auch nicht die Zeit gehabt hätte, eines aufzubauen),  jedes Bild ein Kompromiss: Zwischen möglichst kurzer Belichtung, um noch aus der freien Hand zu fotografieren, und möglichst kleiner Blende, um wenigstens noch ein paar Millimeter mehr Tiefenschärfe zu bekommen.

_dsc4775Bequem ist das Ganze nicht gewesen. Wer Makrofotos im Wald machen will, nimmt besser Kniepolster, ein Kissen oder sowieso ein kleines Stativ mit. Dazu gutes, stabiles Schuhwerk und eine Hose von verzichtbarer Reinlichkeit.

_dsc4781Der Variantenreichtum der Motive entschuldigt hoffentlich für die technischen Schwächen der Bilder. Schwarze Pilze, weiße Pilze, rotbraune Pilze, schlanke und knollige, mit abgeflachten Hüten oder runden – schon verrückt, was die Natur an diesem Tag alles aufgeboten hatte.

_dsc4785Die Frage kam auf, ob irgendwas davon essbar sei? Aber nein, die Chance, die neue Woche gekrümmt im Bereich Sanitärkeramik zu beginnen, hielt von spontanen kulinarischen Selbstverwirklichungen ab. Überhaupt, ich kann ja gar nicht kochen.

_dsc4792Muss ja auch nicht sein – schließlich ist auch der Anblick der mal zierlichen, mal knubbeligen kurzlebigen Zeitgenossen schon ein Genuss für sich.

_dsc4798Sind gerade Pilzexperten hier? Ich bin dankbar für jede Artbestimmung. Das erspart mir das Googeln und Vergleichen. Erzählen könnt ihr mir sowieso alles.

_dsc4801Der Spätherbst ist grundsätzlich ja eher nicht so meine Jahreszeit. An diesem Tag aber hat er mich überrascht – diese Farbenvielfalt hatte ich so noch nicht erlebt.

_dsc4811Danke dafür, lieber November. Bist doch nicht ganz so trüb und übel, wie ich dachte. Nächstes Jahr gerne wieder. Und jetzt – sorry für den Kalauer – lass dir die Sporen geben. Damit es fix endlich richtig Winter wird. Über Pilze freue ich mich dann auf dem Teller…

_dsc4815

Und ewig lockt das Schwermetall

Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 70mm, F4, 1/200s, ISO 125
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 70mm, F4, 1/200s, ISO 125
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, Makro-Modus, 1/200s, ISO 100
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, Makro-Modus, 1/200s, ISO 100
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 70mm, F8, 1/160s, ISO 800
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 70mm, F8, 1/160s, ISO 800
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 1/200s, ISO 6400
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 1/200s, ISO 6400
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 1/200s, ISO 12800
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 2.7-3.5 35-70, 1/200s, ISO 12800

Ich kann einfach nicht dagegen an: Ob Dampfmaschine oder Mechanikwebstuhl – wenn es Handkurbeln und Schwungräder hat und ölig glänzt, schmelze ich dahin wie Zinn im Hochofen.

Flüchtigkeit

Sony A7II mit Meyer Optik Primotar 3.5 135, 1/500s, ISO 100
Sony A7II mit Meyer Optik Primotar 3.5 135, 1/500s, ISO 100

Den richtigen Moment einzufangen und ihn perfekt ins richtige Bild zu setzen: Das ist es, was den wahren Fotokünstler vom Anfänger unterscheidet. Ein flüchtiges Geschehen im Bruchteil einer Sekunde zu erfassen, zu beurteilen, die Kamera in Stellung zu bringen, Bildwinkel und technische Einstellungen in einem Wimpernschlag ideal umzusetzen, um dann genau im entscheidenden Moment auf den Auslöser zu drücken. Ein fallendes Blatt so abzulichten, dass es in vollkommener Beziehung zu dem Ast steht, von dem es sich gerade gelöst hat, dem blauen Himmel, durch den es fällt, und dem Hintergrund, der dem ganzen Bild Halt und Rahmen gibt. Das, meine Damen und Herren, ist wahre Größe, ist wahre Kunst.

Uns blutigen Anfängern hilft es, wenn das Blatt an einem Spinnwebfaden festhängt.

Bonner Begegnungen

Sony A7II mit Prakticar 1.8 80
Sony A7II mit Prakticar 1.8 80
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu
Sony A7II mit Prakticar 1.8 80
Sony A7II mit Prakticar 1.8 80
Sony A7II mit Prakticar 1.8 80
Sony A7II mit Prakticar 1.8 80

Bummel durch die Ex-Bundeshauptstadt unter besonderer Berücksichtigung des Botanischen Gartens.

That escalated quickly

Sony A7II mit Meyer Optik Primagon 4.5 35, f22, 5s, ISO 100
Sony A7II mit Meyer Optik Primagon 4.5 35, f22, 5s, ISO 100

Es lässt sich beim Ersteigern von alten Objektiven auf Ebay nicht vermeiden, dass hin und wieder noch eine alte Kamera dranhängt. Oft sind diese Kombinationen sogar günstiger, weil Objektivsammler nicht in die Kamera-Rubrik schauen. Die Gefahr dabei ist allerdings, frei nach Nietzsche: Wenn du dir die schwarzsilbernen Schönheiten aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu lange anschaust, schauen sie irgendwann in dich zurück. Und bringen dich dazu, in einen Drogeriemarkt zu gehen und dich – höflich und etwas vorsichtig, als frage man nach Gummiartikeln zur höchstspersönlichen Freizeitgestaltung – nach etwas zu erkundigen, was du seit etwa zwölf Jahren nicht mehr gekauft hast.

Filme, Sie wissen doch. Nein, keine DVDs, ich meine diese altmodischen Rollenfilme, die man früher in Kameras tat. Kennen Sie sowas gar nicht mehr? Haben Sie die noch?

Verschämt versteckt sich ein Dutzend kleiner Schachteln ganz außen in einer Ecke eines Regals – was für ein kümmerlicher Rest der einst so allgegenwärtigen Analogfotowelt. Ganze vier verschiedene Sorten gibt es noch, von 100, 200 und 400 ASA, dazu eine Schwarzweiß-Variante. Entwickelt wird der Spaß heutzutage für 3 Euro, Foto-CD inklusive.

So schnell verschwindet eine komplette, gut hundert Jahre alte Industrie samt ihren Fotoabgabetresen in jedem Supermarkt, den Großregalen mit Dutzenden von Filmsorten, Doppel, Fünffach- und Familienpackungen und dem ganzen Zubehör. Erinnert ihr euch an die Zettel, auf denen man ankreuzen musste, ob die Abzüge matt oder glänzend sein sollten? 9 mal 13 (billig, aber jämmerlich klein) oder 10 mal 15 (ausreichend groß, aber für einen kompletten Urlaub arg teuer). An die Umschläge mit den Negativstreifen, die immer in die falsche Reihenfolge gerieten?

Wie lange das her ist. Jetzt schaue ich etwas ratlos auf das Aufwickelröllchen im Gehäuse der Exa und weiß nicht mal mehr, wie man den Film dort einfädelt. Immerhin, ein Gutes hat das Digitalzeitalter: Dank Youtube, Fachforen und den Webseiten der Kamerafreaks und Bastler gibt es für jedes Modell ausführliche Anleitungen, Dokumentationen und Tutorials.

Also, Fotografie nach alter Väter Sitte: Ich war lange weg, aber jetzt bin ich wieder da. Schön, dass du auf mich gewartet hast. Kann losgehen jetzt. Äh, wie stellt man eigentlich die richtige Belichtung ein, so ohne Display?

Die Mittelformatigen (hinten links und rechts): Pentacon Six TL (1966-90) und Zeiss Ikon Nettar II 516/17 (1951-53)

Die Kleinbildenden (vorne links, Mitte und vorne rechts ): Zeiss Ikon Pentacon (1956-61), Rolleiflex SL35 (1970-1972) und Ihagee Exa (1959-69).

Zaungäste

Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/1600s, ISO 100
Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/1600s, ISO 100
Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/6400s, ISO 125
Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/6400s, ISO 125

Photokina – oder: Das Alte im Neuen

Köln, Photokina 2016. Ich fotografiere gerade die bizarre Schaufensterpuppenfamilie am Stand von Polaroid. Als ich dabei kurz vom Kameradisplay aufschaue, zucke ich zusammen: Direkt neben mir steht auf einmal ein älterer weißbärtigen Mann, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich beende die Aufnahme und drehe mich dem unerwarteten Zuschauer zu.

„Ich sehe, Sie haben da ein Biotar an Ihrer Kamera“, beginnt er freundlich. Ich bin sofort beeindruckt: Das silbern glänzende Aluminium des fast 70 Jahre alten Objektiv-Oldtimers an meiner Sony hebt sich zwar bei näherem Betrachten von all den mattschwarzen Canikons, Sigmas und Tamrons ab, die hier durch die Hallen wuseln. Doch wer achtet in dem Messegewühl schon auf ein einzelnes Besucherobjektiv?

Doch mein neuer Gesprächspartner entpuppt sich als Mann vom Fach. Er hat nicht nur das Biotar trotz davorgeschraubter Sonnenblende erkannt (obwohl es sich auf den ersten Blick kaum unterscheiden dürfte von all den 50- und 40-Millimeter-Tessaren, den Primotaren oder den Flektogons der späten 50er-Jahre), er kennt auch all die anderen Linsen der Nachkriegszeit. Auch er spielt mit dem Gedanken, sich eine Sony-Vollformatkamera zuzulegen und sein gehütetes Altglas von früher zu neuem Leben zu erwecken.

Ich bekomme die Tipps, dass die Firma Fotoservice Bernd Tröster in Halle an der Saale alte Kameras aus DDR-Zeiten bestens wartet und repariert. Dass unter den „Exakta“-Kameras von Ihagee aus Dresden die Variante mit der abgerundeten Frontblende die beste sei. Im Gegenzug schildere ich meine Erfahrungen damit, Jahrzehnte alte Objektive an die Sony-Systemkameras Nex-6 und A7 zu adaptieren (es geht bekanntlich bestens).

Es ist eine aus der Zeit gefallene Unterhaltung, hier mitten in dieser Hightech-Show. An den Messeständen um uns herum werden Smart-Kameras der neuesten Generationen befingert, Besucher zielen mit brandneuen Teleojektiven für etliche Tausend Euro in der Halle herum wie mit Geschützen auf alten Segelschlachtschiffen und mehr oder weniger bedauernswerte Models räkeln sich in unterschiedlichen Szenerien vor den Hobby- und Profifotografen.

Die Fotowelt ist wieder einmal in hektischer Bewegung. Während die Riesen der Branche in Köln alles auffahren, was toll und teuer ist, ist die Fotografie im Wandel von digital zu smart. Die vertraute Kompaktkamera stirbt gerade einen schnellen Tod, was sie kann, kann das Smartphone längst besser. Actioncams, Kameradrohnen und immer neue Softwarefunktionen krempeln den klassisschen Kameramarkt radikal um.

Und hier stehen ich und mein neuer Gesprächspartner und reden über Technik, die ein halbes Jahrhundert plusminus ein paar Jahrzehnte alt ist. Technik von Firmen, die längst untergegangen sind, von großen Namen wie Rollei, dem VEB Pentacon und Meyer Optik Görlitz. Und wie gut das war, was diese Werke verließ. Es hat etwas Beruhigendes: Was einmal gut war, behält seinen Wert. Was einmal schöne Bilder produziert hat, tut das noch heute. Andere vielleicht als die extrem hoch auflösenden Dateien der Kameras mit ihren 42-Megapixel-Sensoren – die trotzdem manchmal so seltsam klinisch wirken, so nachgeschärft und perfektioniert. Ich habe ein einziges „modernes“ Objektiv, ein Sony FE 2 28. Es produziert fantastische Ergebnisse – und ich benutze es fast nie, weil mir die Bilder seltsam tot vorkommen. Es ist so gebaut, dass es eine starke tonnenförmige Verzerrung erzeugt – die dann softwaremäßig noch im Objektiv beseitigt wird.

Als ich abends nach Hause fahre, fühle ich mich ermutigt: Ich bleibe bis auf weiteres beim Altglas. Da gibt es noch viel zu entdecken. Noch am Wochenende danach ersteigere ich für ein paar Euro eine Ihagee-Kamera auf Ebay – natürlich mit runder Frontblende. Und mit einem klassischen Tessar-Objektiv von Carl Zeiss Jena, dem legendären „Adlerauge“, das Fotografen auf der ganzen Welt jahrzehntelang für seine Schärfe schätzten.

Natürlich im silbern glänzenden Alu-Look. Denn die Oldtimer aus Metall und Glas haben vielleicht nicht die perfekte Randschärfe der brandneuen Plastikbomber, dafür aber reichlcih andere Qualitäten: Sie zu bedienen, ist ein Genuss. Sie funktionieren auch noch nach mehr als einem halben Jahrhundert, wenn die Elektronik längst ausgefallen ist. Und ihre Ergebnisse überzeugen – wenn auch auf andere Weise. Sie wirken unvollkommener, aber lebendiger. Sie haben einfach: Stil. Außen wie innen. Dass es so etwas noch gibt.