Osterüberraschung II

Damit jetzt niemand aus meinem jüngsten Beitrag einen unzutreffenden, gar negativen Eindruck meiner schnuckeligen Heimatstadt aus diesem Blog mit in sein weiteres Leben trägt, seien noch einige Impressionen aus dem Oldenburger Schlossgarten nachgeschoben, den zu besuchen sich am sonnigen Ostersonntag ergab.

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Und: Oh, auch das war eine Überraschung. Oldenburg hat nicht nur in punkto, äh, Sternenklarheit mit anderen Großstädten gleichgezogen, sondern auch in Sachen Sonnengenuss – „wie im Englischen Garten“ kommentierte meine Tante den Anblick, der sich uns bot. Und damit hatte sie gleich doppelt recht, denn Herzog Peter Friedrich Ludwig hatte die 16 Hektar große Anlage schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts tatsächlich in Form eines englischen Gartens anlegen lassen. Auch das einfache Volk sollte nach dem Willen des Landesvaters die künstlerisch gestaltete Natur genießen können – einzige Bedingung für das Betreten: gesittetes Benehmen und angemessene Kleidung. Noch in den 50er-Jahren, so steht es in der Wikipedia, war es daher guter Oldenburger Brauch, den Park nur in Sonntagskleidung zu betreten.

Heute haben sich die Kragenknöpfe etwas gelockert und so lümmelt überall auf den Wiesen das meist junge Volk herum, dass man sich wünschte, man hätte selbst eine Picknickdecke, ein gutes Buch und etwas mehr Zeit mitgebracht.

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Die jahreszeitliche angepasste Beetbepflanzung schließlich sorgt noch für ganz andere Impressionen – Oldenburg bietet hier Monetarismus in Rhein-, Verzeihung, Haarenkultur. Da hat das städtische Tourismusamt mit seinem Spruch vom „begehbaren Gemälde“ einmal nicht übertrieben.

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2014 wird der Schlossgarten 200 Jahre alt und hat sich für das Festprogramm mit seinen Ausstellungen, Führungen, Tierexkursionen, Workshops und Aktionen schon entsprechend herausgeputzt. Eine eigene Webseite gibt es auch dazu: Schlossgarten 2014.

Wer schließlich mutig genug ist und sich im Watschelgang mit ausgestreckter Handykamera den Höckergänsen am Schlossteich hinter dem Elisabeth-Anna-Palais nähert, wird nach kritischer Inaugenscheinnahme durch das weitgehend furchtlose Geflügel schließlich mit Nahaufnahmen belohnt. (By the way: Ganz ordentliche Bildqualität, die das Google Nexus 5 abliefert, oder?)

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Welch angenehmer Ort zum Tulpenbummeln das hier ist. Seit meiner Kindheit bin ich schon nicht mehr in den entlegeneren Ecken des Geländes gewesen. Für mich war der Schlossgarten die positive Osterüberraschung des Jahres – auch wenn ich auf der Fahrt dahin über eine leere Kühlerhaube gucken musste.

Osterüberraschung

Am Ostermontag, beim Besuch der Eltern, kommt unverhofft eine neue Folge der Serie „Dass es sowas noch gibt“:

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Wann ist mir das zuletzt passiert? 1994 in Glasgow? Wer hätte das gedacht: Das beschauliche Oldenburg, Stadt meiner Kindheit, hat mittlerweile echtes Großstadtniveau.

Viel drängender ist allerdings die Frage, wie ich jetzt nach Hause finden soll.

Hemmungslos copiert

Automobilistisch gesehen bin ich ja eher ein Genießer. Ein Gleiter. Ein Ausfahrer. Sogar einen Cruiser mag man mich nennen. Gebt mir einen großvolumigen Diesel, einen ausreichend lang übersetzten fünften Gang, dazu eine baumbestandene Allee, vielleicht sogar irgendwo in Südfrankreich, und ich kann mit 90 Stundenkilometern der glücklichste Motorist der Welt sein. Da können sich all die V8er-BMWs, GTI-Gölfe und Turbo-Audis auf den Überholspuren dieser Welt ihre Zylinderkopfdichtungen herausblasen. Motorleistung, Beschleunigungswerte, Drehmoment – mir doch schnuppe.

Dachte ich jedenfalls immer.

Und dann drückt mir Otmar den Schlüssel für seinen Copen in die Hand. Der Copen – erinnert sich noch jemand an Daihatsu? – ist so etwas wie eine japanische Kopie des Audi TT. Vielleicht auch eine späte Antwort auf den Porsche 356. Dies alles allerdings im Maßstab 1:2.

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„Da soll ich reinpassen?“ fragt der Fast-1,90-Meter-Mann mit ungläubig hochgezogenen Augenbrauen angesichts von nicht mal 3,4 Metern „Länge“ und knapp 1,5 Metern „Breite“ des fernöstlichen Spielmobils. Ja, es passt – wenn man die Einbauanleitung befolgt: Rückwärts rein, Hintern auf den roten Ledersitz positionieren, rechtes Bein händisch unterm Lenkrad durchfädeln, linkes Bein nachheben, Klamotten geradeziehen, Gurt aus Halteöse herausfriemeln, anschnallen, Tür schließen, zuletzt Seitenscheibe hochfahren. Sitzt, passt, hat – naja – ein klitzekleinwenig Luft.

Den letzten Schritt mit den Scheiben kann man sich allerdings auch schenken, denn der Copen war 2001 das erste Cabrio mit hydraulisch versenkbarem Hardtop. Und da die Sonne gerade so prächtig vom Öcher Himmel lacht, gönnen wir uns als erstes das uhrwerkartige Dachwegklappritual. Plötzlich entsteht sogar so etwas wie Kopffreiheit.

Käppi auf und los geht’s. Mitfahrgelegenheit Reloaded. Otmar dokumentiert die Testfahrt mit der iFon-Kamera. Mal gucken, was die kleine Karre kann…

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Machen wir’s wie der Copen, kurz und schnell: Für die Art, wie das Teilchen abgeht, gibt es nur Schmitz‘ Katze als Vergleich. Die 87 PS des 1,3-Liter-Motörchens würden sich an jedem 123er-Mercedes die Turbozähnchen ausbeißen – beim nicht mal 850 Kilo schweren Mikro-Roadster müssen sie nicht mal richtig hochdrehen, um im Kreisel die Reifen kreischen zu lassen. Das leichte Teil klebt regelrecht auf dem Asphalt, fegt wie ein Go-Kart um die Kurve und lässt dabei jeden Achtzylinder alt aussehen.

Selbst so ein ruhiger Raumgleiterpilot wie ich kommt da sofort auf den Geschmack. Ich geb Gas! Ich will Spaß! Das Motörchen röhrt, die Räderchen quietschen – noch eine Runde um den Kreisverkehr! Und aus dem Ausgang herausbeschleunigen! Jiiiihaaa!

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Soviel Spaß habe ich schon lange nicht mehr mit einem fremden Auto gehabt. Als wir schließlich wieder vor der Otmars Haustür stehen, steht mir das Grinsen immer noch wie ins Gesicht getackert. Mama, ich will auch so ein Spielzeug haben!

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Ja, der Winzling sitzt eng wie eine Zwangsjacke; es gibt für größer gewachsene Menschen genau eine bequeme Fahrposition (vielleicht auch ein bisschen weniger als das). Er hat so gut wie keinerlei Nutzfläche (bei offenem Dach liegt das Kofferraumvolumen offiziell bei 14 Litern). Auf die Rückbank passt kein Kasten Wasser (es gibt keine). Und mit seinem Beifahrer muss man sich schon wirklich gut verstehen, weil man sich schon auf geraden Strecken nicht wirklich aus dem Weg gehen kann, in Kurven wird’s dann richtig schmusig.

Kurz: Für einen Klotz wie mich ist der Copen das vielleicht unpraktischste Auto, das Geld kaufen kann. Und trotzdem hätte ich gerade verdammt gerne die rund 7000 Euro übrig, die man für so ein Rennsemmelchen auf den Tisch legen muss. Kein Zweifel: Ich bin copiert.

Mitfahrgelegenheit VI: Der Freund

Ich habe mir angewöhnt, meine Mitfahrer gleich nach der Kontaktaufnahme mit Namen im Telefonbuch zu speichern. Das ist hilfreich, wenn sich etwa während der 11.30-Uhr-Redaktionskonferenz nacheinander vier Leute auf der Mailbox für die abendliche Fahrt anmelden, von denen man zweien dann sofort wieder absagen muss, weil der Wagen schon längst voll ist, der dritte einem am Nachmittag per SMS selbst cancelt und man schließlich abends am Bahnhof Rothe Erde auf der Suche nach Nummer Vier ist, der möglicherweise einfach nur auf der falschen Seite des Gebäudes wartet. Es ist also immer gut, zu wissen, wer hinter welcher Nummer steckt.

Außerdem, und das ist fast noch wichtiger, kann man sich kleine Hinweise und Gedächtnisstützen zu den Fahrern wegspeichern. Jener Thorsten etwa, der mich beim ersten Mal versetzt hatte und zur Abfahrtszeit auch auf mehrfaches Anrufen und SMS nicht reagierte, fand als „Thorsten WARNICHTDA“ Aufnahme in die Kontaktwelt meines Schlaufons. Was mir einige Wochen später, als er erneut anrief, um eine Fahrt zu buchen, die Entscheidung leichter machte, das Gesspräch anzunehmen oder nicht. Ist schon blöd, wenn man jemanden anruft, und keiner geht ran, gell, Thorsten?

So hatte ich denn auch gleich eine schlechte Vorahnung, als mich eine SMS informierte, dass Lina (tatsächlicher Name dem Verfasser bekannt) einen Platz auf der abendlichen Fahrt von Aachen nach Köln gebucht hatte, die um 22.20 Uhr nach meinem donnerstäglichen Sport beginnen sollte. Lina erschien als „Lina FÜRFREUNDGEBUCHT“ auf dem Display, und ich erinnerte mich gleich an die Dame mit der wenig einnehmenden Stimme, die erst den Platz sicherte und dann mitteilte, dass es für ihren Freund sei. Ein Blick auf ihre Profilseite bei der Mitfahrzentrale hatte enthüllt, dass sie das Kunststück fertiggebracht hatte, trotz einer ganzen Reihe gebuchter Fahrten nur mit durchschnittlich zwei von fünf Sternen bewertet zu werden. Meist war’s, weil sie nicht zur Fahrt erschienen war oder für jemand anderen gebucht hatte (der dann nicht erschienen war). In meinem Fall war die Mitfahrt ebenfalls nicht zustande gekommen, weil der Freund angeblich den Bus zum Treffpunkt verpasst hatte. Nun ja, kann passieren.

Auch diesmal sollte ich letztlich wieder ihren Freund mitnehmen – ich frage mich in solchen Fällen immer, warum nicht der Herr Partner selbst die Fahrt bucht? Vertrauensbildung geht irgendwie anders. Letztlich kam aber doch noch ein telefonischer Direktkontakt zwischen besagtem Partner und seinem angehenden, zusehends un-enthusiastischer werdenden Chauffeur zustande. So einfach wie sonst war die Sache nämlich nicht: Es gab an jenem Abend das Problem, dass sowohl in Aachen als auch in Köln der Öffentliche Personennahverkehr ruhte. Streikbedingt. Der Mitfahrpartner sah sich folglich außerstande, zu einem meiner üblichen Abfahrtspunkte in Aachen zu kommen, auch zu keinem halbwegs am Weg liegenden. Stattdessen bat er um Abholung bei sich zu Hause. Sowie um Hinbringung zu seinem Zielort, der Burgstraße in Köln – wo auch immer die sein mochte. Obwohl mir solche Extratouren wegen ihres meist immensen Zeitbedarfs nicht sonderlich liegen, erklärte ich mich schließlich bereit, trotz Nach-Sport-Müdigkeit und später Stunde für jeweils einen Extra-Euro den Mann a) an seinem Zuhause in Walheim („das sind echt nur vier Minuten von der Autobahn!“) abzuholen und ihn b) nach Köln zu seiner Freundin (ob es dieselbe war, die die Fahrt gebucht hatte…?) zu transportieren.

Wie man es innerhalb von vier Minuten von der Autobahnabfahrt Lichtenbusch nach Walheim schaffen soll, blieb im Dunkel der Nacht verborgen. Mit einer basismotorisierten C-Klasse ginge das jedenfalls höchstens, wenn sie von vier Porsches gezogen würde. Nach zehn Minuten Fahrt über ländlich-hügelige Schleichwege schließlich fand ich mich um 22.45 Uhr in einer ghettoartigen Hochhauslandschaft wieder, in der pittoresk gekleidete Personen jüngeren Baujahrs auf Skateboards um mein Auto herumrollerten. Die Türen von innen fest verriegelt, informierte ich Mr. Freund über mein Eintreffen. „Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen!“, versprach er. Es vergingen ihrer etwa zwölf, innerhalb derer mein Adrenalinspiegel nicht sank. Als ich gerade den Motor anlassen wollte, klopfte es an der Beifahrertür.

Herr Freund nahm Platz und machte zunächst einige Punkte wieder gut, indem er mir spontan etwas Kuchen anbot – was ich allerdings dankend ablehnte, da es mit meiner aktuellen Diät kollidierte. Während wir uns mühsam über Bodenwellen und um verkehrsberuhigende Ausbuchtungen aus dem Ghetto herauskurbelten, hielt Mr. Freund nach einem Kumpel Ausschau, dem er noch etwas zu übergeben hatte. Vielleicht war es mein Kuchen. Zwanzig endlose Landstraßenkilometer und ebenso viele Minuten später erreichten wir schließlich die Autobahnauffahrt Brand – die eigentliche Heimfahrt konnte beginnen. Mister Freund sorgte derweil für die Bordunterhaltung, indem er seinem Handy erst eine Vielzahl von schrillen Piepstönchen entlockte und schließlich eine Reihe endloser Telefonate in einer mir trotz erheblicher Sprechlautstärke unverständlichen Sprache einleitete. Ich halte mich für einen durchaus geduldigen Mitfahrfahrer, aber zwei Dinge schätze ich an meinen Gästen nicht: sich nach dem Einsteigen sofort die Ohren mit Lautsprechern zu verstöpseln – oder im Gegenteil um so lauter stundenlange Telefonate zu führen. Beides stempelt mich zum bloßen Dienstleister ab, dessen Gegenwart man getrost ignorieren kann.

Da ich Mister Freund in die Kategorie von Mitfahrern einsortierte, die das Thema Fahrtvorbereitung eher entspannt angehen, erkundigte ich mich in der ersten Sprechpause nach rund Dreivierteln der Strecke höflich, ob er den Fahrtbetrag passend dabei habe. Er hatte nicht. „Können Sie nicht wechseln?“ Ich verneinte. Kurzzeitig erwog ich einen Zwischenstopp an der Raststätte Frechen, denn nach der Visite in Walheim hatte ich wenig Neigung, stundenlang durch Kölns mitternächtlichen Osten zu schleichen auf der Suche nach einem Etablissement, das erstens noch geöffnet und zweitens willens war, Mister Freund einen Schein klein zu machen. Man hört ja so einiges von der Schääl Sick, und dass die Burgstraße nicht in der Südstadt liegt, sondern im tiefsten Vingst, hatte mir in der Walheimpause bereits ein Blick auf die Skobbler-App verraten. Auch war ich zu meiner schier ins Bodenlose wachsenden Begeisterung mittlerweile im Bilde, dass mich der kleine Abstecher auf die andere Rheinseite mit seinen fast 30 Kilometern hin und zurück bestenfalls eine halbe Stunde kostbare Lebens- und Schlafenszeit kosten würde. Andererseits ist in Streikzeiten ja Solidarität erste Bürgerpflicht.

Es kam, wie es kommen musste. Das künstlerisch inander verschlungene Doppel-Autobahnkreuz Gremberg ist schon bei Tageslicht für Unkölner schwer zu meistern, und wer sich bei Nacht zu sehr aufs Display seines Navis konzentriert, der wird schon am ersten Kleeblatt flugs in Richtung Bonn herauszentrifugiert. Mister Freund muss befürchtet haben, an der nächsten Abfahrt der A559 schlichtweg aus dem Wagen geworfen zu werden, so still wurde er ob meiner Flüche – deren Saftigkeit sogar noch steigerbar war, als mich das Navi nach dem Verlassen der Autobahn nicht wieder auf selbige zurücklotste, sondern über Landstraßen stadteinwärts schickte.

Viele, viele Ampeln, Abzweigungen und Kreuzungen später kurvten wir tatsächlich durch ein schlafendes, bodenwellenreiches Wohngebiet auf der Suche nach einem noch offenen Kiosk („ich muss auch noch Zigaretten kaufen und Sahne“ – eine Einkaufsliste, die meine Fantasie zu tollsten Blüten trieb). Doch, was soll ich sagen? Am Ende der Fahrt bekam ich mein Geld und Mister Freund ein „schönen Abend noch“ nachgerufen, eh er in die Nacht verschwand.

Eine weitere Ehrenrunde am Gremberger Kreuz in Richtung Bonn – meine mittlerweile erlangte Ortskenntnis half immerhin dabei, diesmal direkt wieder zurück auf die Autobahn zu finden – und nur etwa zwanzig zusätzliche Fahrtminuten trat ich, weit nach Mitternacht, todmüde vor der eigenen Haustür auf die Parkbremse. Daheim. Fast zwei Stunden hatte die zweifache Odyssee durchs Aachener und Kölner Umland gedauert.

Ehe ich zehn Minuten später im Bett todmüde die Augen schloss, hatte ich noch die Kraft, einen neuen Kontakt im Telefonbuch anzulegen. Vorname: Freundvonlina. Nachname: NIEWIEDER.

Mitfahrgelegenheit V: Mitgefühl

Sie liegen nicht immer auf dem Sonnendeck des Lebens, die Menschen, die sich zur Mitfahrgelegenheit melden. Viele haben erkennbar gerade mehr Restmonat als Restgeld, manche derbe Probleme am Hals. Da war die Frau auf dem Weg zum Scheidungstermin. Der Auszubildende, der sich die 5 Euro für die Fahrt erst von seiner Schwester abholen musste, weil er nicht an sein Konto herankam. Das Mädchen, das als Zeugin zu einem Prozess vor dem Landgericht Aachen musste. Der ältere Herr, dessen Hände von Parkinson zitterten. Die ausländische Praktikantin, die immense Anwaltskosten zahlen sollte, weil sie – wie von zu Hause gewohnt – TV-Serien aus dem Internet gesaugt hatte. Mit manchen Mitfahrern entwickelt man auf der Fahrt durch den dreiviertelstündigen gemeinsamen Lebensabschnitt regelrecht Mitgefühl.

So wie mit der jungen Frau, die ich gerade am Hauptbahnhof abgeholt habe. Das Handy am Ohr, klettert sie auf den Beifahrersitz, und mir ist sofort klar, dass das da gerade kein verliebtes Geturtel ist. „Warum rufst du mich überhaupt an? Ich habe eine einstweilige Verfügung gegen dich beantragt! Du hast Kontaktverbot zu mir!“ Gestikulierte Begrüßung in meine Richtung, einhändiges Anschnallen. Ich nicke wortlos, schalte die Radiomusik aus, lasse den Wagen an und rolle schon mal los.

„Ich weiß nicht, was mein Anwalt dir geschrieben hat! Lies doch erstmal den Brief!“ – „Wahrscheinlich musst du die Verfahrenskosten bezahlen. Schließlich bist du doch schuld!“ – „Du hast doch beim ersten Mal so getan, als ob du da nicht mehr wohnst, und den Brief zurückgehen lassen!“ – „Ich soll dich in Ruhe lassen!? Du verstößt doch gerade gegen die Auflagen, indem du mich anrufst!“

So geht es weiter. Kein Zweifel, da hat jemand eine wirklich unangenehme Geschichte hinter sich. Die Frau kann höchstens Anfang 20 sein, da ist ein gerichtliches Kontaktverbot gegen den Ex-Partner schon harter Tobak. Was mag der Typ ihr angetan haben, denke ich, während sich der Mercedes seinen Weg über die nächtliche Aachener Heinrichsallee sucht.

Ich werde es nie erfahren. „Sorry, das war nicht für deine Ohren bestimmt“, sagt sie, als das Telefonat nach einigen Minuten abrupt zu Ende gegangen ist. „War ja sicher auch kein angenehmes Gespräch“, murmele ich.

Und das war es auch schon mit dem Dialog zwischen Fahrer und Gast. Auf den nächsten 60 Kilometern bis zum Kölner Sülzgürtel sinkt mein Mitgefühl mit der Dame neben mir in jeder einzelnen der gut 40 sich endlos dehnenden Minuten, in denen sie haarklein ihrer besten Freundin vom Anruf des Ex berichtet.

Belgien rüstet auf

Mächtig aufgerüstet hat zum Jahreswechsel meine Leib- und Magentankstelle an der belgischen Grenze bei Eynatten. Vier flamm nagelneue Säulen statt einer klapprigen. Unter regenschützendem Dach. Mit schnelleren Pumpen als je zuvor. Und dank doppelter Stellplatzzahl weniger Notwendigkeit, nach dem Einhaken des Tankrüssels wieder ins Auto steigen zu müssen, um vor dem Bezahlen nochmal ein Stück vorzusetzen, damit der hinter einem stehende Depp mit dem seit zwanzig Minuten laufendem Motor schon mal anfangen kann. Nicht mal teurer ist das Gas geworden.

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Fehlt eigentlich nur noch freies WLAN, damit man seine Begeisterung auch ohne Roamingkosten in die Welt hinaustwittern kann.

Da fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe, euch zu zeigen, wie meine Lieblingszapfstelle noch vor Weihnachten aussah:

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Wochenlang war die Glastür mit Holzplatten provisorisch verrammelt, man musste durch den seitlichen Restauranteingang ins Gebäude. Der Tankwart erklärte mir, warum: Ein paar belgische Crashkiddies hatten in der Nacht einen geklauten Opel Corsa mit Wucht in die Tür gesetzt. Durch die Splitter kletterten sie in den Shop, plünderten die Zigarettenregale und machten sich dann mit dem Wagen davon.

Die Freude am erfolgreichen Bruch dauerte nicht allzulang. Ein paar Minuten später rasten die euphorisierten Möchtegernkriminellen schon in eine Geschwindigkeitskontrolle der Polizei.

Mit etwas Glück hätte es bei einer gebührenpflichtigen Verwarnung wegen zu schnellen Fahrens bleiben können – wenn die kriminellen Großhirne nicht ihre schwarzen Skimasken auf dem Armaturenbrett liegengelassen hätten.

Feurs 2013

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Leise rostet die Fouga. Kaum ein Bild gibt so passend die triste Stimmung wieder, die das FVA-Fluglager in Feurs im April 2013 über weite Teile in ihren nasskalten Krallen hatte. Denn zum ersten Mal seit ich jedes Frühjahr nach Südfrankreich fahre (also seit 2009), ist das Wetter über längere Zeit durch die (Wolken-)Bank schlecht. Es ist bewölkt, es ist kalt, es regnet. Das Flugfeld ist vollgesogen wie ein Schwamm, an Fliegen ist nicht zu denken. Tag um Tag hockt unser müdes Trüppchen frierend in der ungeheizten Halle oder kauert sich draußen vor dem Clubheim unter das Vordach, wo ein Hauch von WLAN eine brüchige Verbindung zur Außenwelt bietet.

Schon zur Begrüßung ist mir verkündet worden, dass unter den Anwesenden ein durchschlagendes Noro-Virus oder ein ähnlicher Verdauungsbeschleuniger grassiert, der nach und nach jeden erwischt habe. Und als das wäre dieses Schwert des Montezuma nicht Stimmungstöter genug, lädt sich am zweiten Tag mein iFon die gefürchtete „Spider-App“, als es mir aus den Fingern flutscht und mit dem Display voran auf den Schotter vor der Hallentür fällt.

Um den Frust vollzumachen, ist auch noch mein Auto flügellahm: Auf der Hinfahrt am 2. April von Köln über Trier und Lyon hat schon in der Eifel das vordere linke Radlager angefangen zu heulen. Das berühmte dumpfe Wuwuwu-Geräusch von Anakin Skywalkers Podracer in der spektakulären Rennszene in Star Wars – Episode I ist nichts weiteres als eine 1994er C-Klasse. Bis das bestellte Ersatzteil an die Werkstatt neben dem Carrefour geliefert ist, schleppen sich die Tage hin. Währenddessen bin ich in der eiskalten Unterkunft festgenagelt, auf deren Blechdach ununterbrochen die Tropfen prasseln. Ein Feurs zum Abgewöhnen.

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Auch eine Runde „Axis and Allies“ kann mich da nicht reizen – das ist ein bei einigen FVAlern beliebtes Strategiespiel, das sich erstaunlicherweise noch länger hinzieht als der Zweite Weltkrieg selbst.

Hüttenkoller nennt man es wohl, wenn man irgendwann die Wände seiner Behausung auf ihre Begehbarkeit abschätzt. Damit es nicht soweit kommt, mache ich mich in einer Regenpause mit Spargel auf eine kleine Wanderung hinunter an die Loire.

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Ungezählte Male sind wir in der Platzrunde schon über das Überschwemmungsgebiet im Süden des Platzes eingekurvt. Jetzt wollen wir beide uns einmal anschauen, wie die Gegend aus der – haha – Froschperspektive aussieht. Ein Stück hinter dem Platz geht es über den Deich an der Loire flußabwärts.

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„Achtung, Gefahr! Staudämme und Kraftwerke: Rasch ansteigendes Hochwasser möglich sogar bei schönem Wetter“ steht – auf Deutsch! – auf dem Warnschild am Loire-Deich. Da soll mal einer sagen, Piloten leben gefährlich.

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Ein Mast mit Pegelanzeigern verrät, wie hoch die Fluten beim letzten Hochwasser 2008 standen: mehr als zwei Meter überm (Ufer-)Boden waren es auf alle Fälle. An die aufgequollenen Holztüren und sonstigen Wasserschäden in der Halle auf dem Flugplatz kann ich mich noch gut erinnern.

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Doch das morastige und sich selbst überlassene Naturschutzgebiet ist nicht ohne Reiz. Im Sommer wimmelt es hier vor Vögeln, auch wenn im Moment außer einigen Bleßhühnern und Enten nicht viel zu sehen ist. Ein Rundkurs führt über das Gelände, das zum sogenannten Ecopôle du Forez gehört. Von mehreren versteckten Ständen aus kann man die Tiere durch Sehschlitze beobachten, ohne dass man selbst von ihnen gesehen wird.

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Das muschelförmige Besucherzentrum – unsere beliebte Orientierungsmarke beim Eindrehen in den Queranflug – ist leider geschlossen. Dafür verwöhnt guter französischer Landregen Spargel und mich auf dem Rückmarsch zum Flugplatz, den wir ziemlich klatschnass erreichen. Wir lernen, dass man sich auch über eine sehr kalte Behausung sehr freuen kann.

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Für etwas Abwechslung sorgen eines Tages unverhoffterweise die Jungs vom örtlichen Aeroclub mit einer großangelegten Baumfällaktion. Einen ganzen Tag lang wird gehackt, gesägt und weggeschleppt wie am Band. Selbst die malerische alte Trauerweide neben dem Clubheim muss dran glauben. Angeblich beschädigten ihre Wurzeln das Mauerwerk.

Vor allem aber werden der Außenwaschplatz von seiner Sichtschutzhecke befreit und sämtliche Bäume rund um die Halle in die Horizontale befördert.

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Das Ergebnis spricht für sich selbst: hell, frei und freundlich – wer würde sich hier nicht gerne zur Körperpflege frei machen? Na?

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Doch auch die längste Schlechtwetterperiode ist irgendwann zu Ende. Irgendwann kommen die Maschinen der FVA doch noch in die Luft. Freilich auch genauso schnell wieder runter: Am „Tag der Außenlandungen“ regnet es rund um Feurs weiße Vögel. Da mein Auto mittlerweile wieder geräuschlos fährt, darf es sich nützlich machen und Miguel II aus dem Acker holen.

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Der Vogel ist schnell zerlegt und in den Hänger geschoben. Kein Vergleich mit der Außenlandung von 2010, als wir Flächen und den Rumpf des schweren Doppelsitzers quer (bzw. längs) über einen sandigen Acker schleppen mussten.

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Auf der Rückfahrt zum Flugplatz wird der Beweis erbracht, dass auch sechs Erwachsene locker in eine C-Klasse passen.

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Und irgendwann komme dann auch ich in die Luft. Mit diesem Leih-Falken, aus doppeltem Grund „die Kuh“ genannt…

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…wie ein Blick ins Cockpit erklärt.

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Mit diesem Prachtflieger drehen Martin und ich eine erweiterte Pracht-, äh, Platzrunde in Richtung Schneeberg, um die Wetterlage zu erkunden.

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Blick nach Norden in Richtung Roanne – unten eine malerische Burg auf einem Hügel. Jepp, das Wetter ist eindeutig fliegbar.

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Schließlich kommt der Tag, an dem die ganz große Hektik ausbricht: Überm Gebirge hat sich eine Welle gebildet, ein seltenes und für Segelflieger traumhaftes Wetterphänomen, bei dem man in starken Aufwinden praktisch unbegrenzt oben bleiben kann. Die Piloten stürzen zu ihren Maschinen, ein Vogel nach dem anderen hebt ab.

Da die Flugschüler und Aktiven auf den Segelflugzeugen Vorrang haben, wollen Fips und ich im Motorsegler hinterher. Wie geschickt wird sich unsere Kuh wohl beim Wellenreiten anstellen? Wir sollen es nicht erfahren. Auf dem Rollweg zum Start reagiert die Maschine nicht mehr auf meine Lenkbewegungen mit den Seitenruderpedalen. Als dann das Eindrehen auf den Taxiway Grünstreifen neben der Bahn komplett daneben geht, wird uns klar, dass wir ein Problem haben. Anhalten, Parkbremse, Triebwerk aus, Haube auf, aussteigen und langes Gesicht machen: Am Spornrad hat sich der Mantel von der Felge gelöst.

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Die Erkenntnis dämmert herauf: Heute wird es nichts mehr mit Welle machen. Kräftige Hände tragen den schweren Vogel Schwanz voran zurück zur Halle. Ein neuer Spornradmantel wird zwar irgendwo aufgetrieben, doch die Reparatur dauert stundenlang bis in den Abend. Der Frust sitzt tief – es wäre meine erste Welle gewesen.

Dann, am 13. April, geht mein fünftes Feurs nach gut zehn Tagen zu Ende. Fliegerisch war’s ein ziemlicher Schlag ins Wasser: ein paar größere und kleinere Platzrunden im MoSe, ein paar größere und kleinere Platzrunden im Segel-Doppelsitzer. Wenn es mehr nicht gewesen wäre, wär die ganze Fahrt ein Reinfall gewesen. Doch zum Glück gab es da doch noch etwas: nämlich die köstlichen Törtchen, die Fips in den Patisserien im Ortskern entdeckt hatte.

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So wundern sich die lokalen Konditoren über die täglich im Laden stehenden radebrechenden Touristen in den leicht schmuddeligen Klamotten, die immer neue Kartons mit Zuckerwerk aus dem Laden tragen.

In Ausbaustufe 2 werden diese Beutezüge ausgedehnt auf örtliche Käsesorten, französisches Landbier und natürlich Wein (etwa den „Château de Sau“ und den Beaujolais „Pisse-Dru“ – beide heißen wirklich so). Unsere Halle wird allabendlich zum Schlemmerparadies. Kulinarische Lichtblicke unter wolkenverhangenem Himmel.

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Apropos kulinatisch: Dann war da natürlich auch noch das Blümchenessen. Der jährliche Höhepunkt jedes Feurs-Lagers: unser Dank für die französischen Gastgeber (und natürlich auch für uns). Blümchenessen heißt das Buffet, weil es durch die „Blümchen“ finanziert wird, die unzähligen 5-Euro-Strafen, die man im Lauf des Lagers für große und kleine Fehltritte kassiert.

Erinnerungen an das legendäre Blümchenessen von 2009 kommen auf, als sich in den frühen Morgenstunden eine Gruppe schwerst angeheiterter FVAler zu Fuß auf in Richtung Feurs machte. Und tatsächlich etwa dreißig Meter weit kam, bis der Blutalkohol seinen Tribut forderte.

Ganz so innig wird es dieses Jahr nicht, aber trotzdem wieder ein schöner Abend. Nicht nur dank der Crème-Brûlée-Schüsselchen, deren Inhalt von Bio per Gasbrenner karamellisiert wird.

Es gibt also doch noch mehr hier unten als nur das Fliegen. Also doch kein Feurs zum Abgewöhnen? Schauen wir mal. Immerhin hat die Kamera meines iFons den Sturz überlebt, ebenso – wie oben zu sehen – sämtliche Bilder. Sogar das Noro-Virus hat mich als einen der wenigen verschont – vielleicht, weil ich die zehn Tage hindurch konsequent einen Bogen um die beiden Toiletten in der Halle gemacht habe und trotz abgeholzten Sichtschutzes auf die zugige Außentoilette ausgewichen bin. Es hätte also alles auch noch viel unangenehmer kommen können.

Und vielleicht ist 2014 ja auch das Wetter 2014 wieder besser…