Wie Granaten in der Waffenkammer liegen sie da aufgetürmt in ihrem Regal, die metallenen Spitzen nach vorne gerichtet, die Weberschiffchen. Ihnen gegenüber ragen, drohend wie Kanonenrohre eines Schlachtschiffs, die Achsen aus der dreifach gewaltigen Maschine, die fast eine komplette Seitenwand der Maschinenhalle beherrscht.
Es ist ein faszinierend düsterer und gleichzeitig leuchtender Ort, so rostig wie farbenfroh, so alt wie neu: das Depot des Textilmuseums Tuchwerks Aachen in der alten Stockheider Mühle am Strüverweg in der Soers. Ein Ort irgendwo zwischen Vergangenheit und Aufbruch, noch an allen Ecken unfertig und doch mit einem Ziel.
Die lange Geschichte der alten Tuchmacherstadt Aachen soll in dieser ehemaligen Textilfabrik dokumentiert werden. Im Jahr 2003 hat sich ein Verein gegründet, um dieses von Vergessenheit bedrohte Erbe der Kaiserstadt zu retten.
Keine leichte Arbeit, denn die Ausstellungsstücke sind etwas, nun ja, unhandlich. Aber: Wer alte Maschinen mag, ölig glänzende Zahnräder, Handkurbeln und Antriebsbänder, dem werden die Augen glänzen beim Anblick der Schätze in der von außen so unscheinbaren Halle.
Das übermannshohe Monstrum auf der rechten Seite des Raumes, das den Blick des Besuchers sofort an sich zieht, nennt sich Krempelsatz. Mit ihm wird die ungekämmte Wolle in einzelne Fasern aufgelöst. Der Verein hat ihn 2010 von der Firma Astonjohnson aus dem belgischen Kettenis überlassen bekommen.
Schon das Trumm aus seiner Halle heraus- und nach Aachen hereinzutransportieren, erwies sich – im wahrsten Sinne des Wortes – als Mammutaufgabe.
Doch nun ist er in voller Länge aufgebaut – und nicht die einzige Maschine im Raum. Der Besucher lernt hier so schöne Worte wie Selfaktor und Kettschärmaschine, dazu gibt es Reißwölfe und Spulmaschinen, Hand- und mechanische Webstühle.
„Die älteste Maschine ist ein Krempel aus der Werkstatt der Familie Cockerill in Verviers, aus der Zeit um 1810“, heißt es auf der Webseite des Vereins.
Als Laie bleibt einem oft nur das Staunen über die geheimnisvollen Apparate – was ihre Funktion ist oder war, lässt sich nur raten…
…sofern man nicht unter den vielen Ausstellungsstücken auch mal ein vertrautes Gerät entdeckt.
Mein Freund Peter Behrens hatte mich eingeladen, zusammen mit dem Lions Club Aachen Aquisgranum an einer Sonderführung durch das neue Zuhause des Museums teilzunehmen.
Los ging es um 19.30 Uhr. Die Stockheider Mühle präsentierte sich an diesem Sommerabend als halb triste, halb charmante Industrieruine, noch nicht ganz aufgewacht aus dem Dornröschenschlummer.
Der Standort selbst hat allerdings Potenzial – und die Lage in Aachens grüner Lunge Soers ist traumhaft.
Wer sich von dem etwas – ahem – spröden Äußeren der Anlage nicht abschrecken lässt – oder sogar vielleicht von einem Blick durchs Fenster der ehemaligen Pförtnerloge auf die dahinter ausgestellte Spinnmaschine angelockt wurde…
…der entdeckt ein paar Schritte weiter, hinter den Türen der Lagerhalle das, was der Verein in den letzten zwölf Jahren zusammengetragen hat.
Was für ein Kontrast: Strahlend weiße Wolle wartet auf die Verarbeitung.
Jochen Buhren, der Vorsitzende des Vereins Tuchswerk Aachen e.V., hatte angeboten, den Verein und seine Arbeit vorzustellen.
Eine kleine Ausstellung im vorderen Teil der Halle verschaffte uns zunächst den nötigen theoretischen Background…
…während gleich daneben die Welt der Textilherstellung greif- und sogar streichelbar wurde.
Als Gäste durften wir selbst versuchen, Wolle zu kämmen. Danach versteht man besser, warum der Mensch diese Aufgabe einer nicht allzu filigranen Maschine anvertraute.
Die Herbstkollektion 2015 besticht durch farbenfrohes Schottenkaro.
Während die Führung unter den kundigen Worten von Herrn Buhren von Maschine zu Maschine zog, stellte sich für den Verfasser dieser Zeilen – und nebenbei auch Fotografen dieser Bilder – das Schummerlicht im Saal als gewisses Problem dar.
Denn das mitgenommene Teleobjektiv Sony SEL 18200LE – ein sogenanntes „Immerdran“ – ist zwar im Sonnenlicht Teneriffas zu vielem zu gebrauchen, lässt aber bei schwacher Beleuchtung doch arg wenig Licht an den Sensor der Kamera. Das Super-Zoom wurde zum Suppen-Zoom. Nachdem ich daran gescheitert war, das Fabrikschild der Krempelmaschine scharf an den Rand einer geplanten Weitwinkelaufnahme zu stellen war, geschah etwas, was mir noch nie passiert ist –
Ich schraubte nämlich freiwillig die teure High-Tech-Computerlinse von der Nex und klipste das ebenfalls mitgebrachte Steinzeitobjektiv dran. Nicht aus Spaß, sondern aus Notwendigkeit. Das erst vor ein paar Tagen in Betrieb genommen manuelle Minolta MD 50mm 1:1.7 (hier vorgestellt) würde auch bei diesen Lichtverhältnissen brauchbare Bilder abliefern, das war klar.
Was es dann auch tat. Mechanik schlägt Elektronik. Gut, man könnte auch sagen: Lichtstärke schlägt Ofenrohr. Auch Sony bietet ein nagelneues 50-Millimeter-Objektiv für die Nex an, komplett mit Autofokus, Bildstabilisierung und allem Pipapo.
Aber das hatte ich halt nicht da – und das manuelle Fokussieren macht mir inzwischen so viel Spaß, dass ich gar nicht mehr darauf verzichten möchte.
Wenn man doch nur etwas mehr hätte abblenden können! Tiefenschärfe gegen ISO-Wert aufzurechnen, kann ja so unbefriedigend sein.
Bereut habe ich es jedenfalls nicht, das Altobjektiv statt etwa des neuen 20-mm-Weitwinkels einzustecken.
Ich mag die Schärfe im Vordergrund des alten Minolta, ich mag den cremigen Hintergrund…
…und ich mag die Farben, die das Ding produziert. Zum ersten Mal kam mir heute der bizarre Gedanke, die frisch zusammengestellte Sammlung digitaler Objektive wieder aufzulösen und dafür eine Handvoll Steinzeitlinsen anzuschaffen – das legendäre Minolta Rokkor 1:1.2 50 mm aus den 70er Jahren soll ja so ziemlich das schönste Bokeh der Fotogeschichte produzieren…
Wo war ich? Zurück zum Thema, zurück in die Soers, wo inzwischen der Lärm der Spinnmaschinen verstummt ist und dafür Gulaschsupppe Chili con Carne und Baguette ihrer Bestimmung entgegengehen.
Es war ein spinnender, äh, spannender Abend in diesen bröckeligen alten Mauern. Und wir haben etwas gelernt: Alter Krempel kann etwas ganz Wunderbares sein.