Skandiblog 10: Norwegen von oben

Zwischenspiel in Elverum. Das ist eine kleine Stadt rund 140 Kilometer nördlich von Oslo, und es gibt einen schönen Flugplatz mit Segelflugbetrieb dort. Zwei überaus entspannte Tage lang darf ich den Fans des lautlosen Fluges über die Schultern gucken.

Flugplatz Elverum

Das liebevoll eingerichtete Vereinsheim des Elverum Flyklubb Seil, hinten zu sehen, bietet Möglichkeiten zum Übernachten, Fernsehen, Kochen und Kleiderwaschen, eine große überdachte Terrasse sowie einen brandneuen und für einen Verein geradezu luxuriösen Sanitärbereich. Eine lokale Besonderheit ist, dass die Anlage auch für Rollstuhlfahrer zugänglich ist. Auch eines der Segelflugzeuge lässt sich für Betrieb ohne Beineinsatz umrüsten.

Anhängerparade in Elverum

Im Sommer wird der Flugplatz zum Zentrum der norwegischen Segelfliegerszene. Wie zu sehen ist, hat die Saison begonnen: Rund dreißig Flugzeuganhänger stehen vor dem Hangar geparkt.

Außerdem findet an diesem Wochenende ein Fliegertreffen statt. Dutzende von Motor-, Segel- und Ultraleichtflugzeugen aller Bauarten starten und landen den ganzen Tag…

Celier Xenon Gyrokopter

…und selbst einer der vom Schreiber dieser Zeilen so geschätzten Tragschrauber dreht seine Runden über dem Elverumer Hügelland. Es ist ein Celier Xenon, ein exotisches Modell mit geschlossener Kabine.

Norwegischer Buschflieger

Nicht ganz mein Fall – zumindest optisch – ist diese Zenair. Die winklige Bemalung unterstreicht noch den Ikea-Look der tollen Kiste.

Wild Thing

Nein, wenn schon Buschflieger, dann auch einer, der das Auge erfreut: eine Wild Thing.

Wild Thing Holzpropeller

Dieses Exemplar besticht außerdem durch seinen schönen polierten Holzpropeller. Ach, wenn man nur mehr Geld hätte…

Experimental

Noch ein seltener Vogel. Auf die Schnelle habe ich nicht herausbekommen, was für ein Typ dieses Experimental mit dem ungewöhnlichen geschleppten Dreibein-Einziehfahrwerk ist.

[UPDATE vom 8.12.2010: In den Kommentaren weißt Uwe darauf hin, dass es sich um eine Meta Sokol handelt.]

F-Schlepp in Elverum

Es ist Segelflugwetter. Andere machen F-Schlepp, die Elverumer haben etwas anderes.

Arn'ardo da Vinsji

Der Stolz des Clubs ist „Arn’ardo da Vinsji“. Die von einem Vereinsmitglied (mit dem Vornamen Arne) selbst konstruierte und gebaute Motorwinde zieht mit Hilfe eines Lastwagenmotors von 340 PS die Segelflugzeuge in die Luft.

Windenpult

Der Arbeitsplatz des Windenfahrers (oder der Windenfahrerin): eine bemerkenswert saubere Konstruktion. Gerade macht sich der Leppo mit den Seilen auf den Weg zum Start. Die gelben Bremsfallschirme stammen von einer F16.

Pneumant Windenreifen

Die von einem Traktor geschleppte Winde rollt auf Reifen aus bewährter volkseigener Produktion.

Tiger Moth

Während die Segelflieger ihre Ausrüstung – Motorwinde, Startwagen, Seilschleppfahrzeug („Leppo“) und die Flugzeuge – auf den Platz bringen, dreht die historische De Havilland Tiger Moth des Nedre Romerike Flyklubb aus Jarlsberg Platzrunden.

Für den Zaungast aus Deutschland gibt es herrlich wenig zu tun. Endlich Urlaub, endlich Ruhe. Genug Zeit, im Reiseführer zu schmökern, einen Norwegen-Krimi zu lesen („Schwarze Sekunden“ von Karin Fossum), mit den Piloten zu plaudern, die berühmten vereinseigenen Waffeln zu futtern… und die nächsten Etappen der Reise zu planen. Die Fjorde der Westküste warten.

Freundliche Klubmitglieder zeigen mir die Stadt. Sie war während des Zweiten Weltkriegs im April 1940 für ganz kurze Zeit Norwegens Hauptstadt, als während des deutschen Überfalls die Königsfamilie auf ihrer Flucht ins Ausland hier Halt machte. Mit dem so genannten „Elverum-Mandat“ ermächtigte das Parlament für die Dauer der deutschen Besetzung eine Exilregierung. Als Reaktion darauf wurde die Stadt von deutschen Flugzeugen bombardiert, die das historische Zentrum vollständig in Trümmer legten. Es gab über 50 Tote.

Später erklärt mir ein Vereinsmitglied, wie das moderne Norwegen funktioniert. Es sei zum Beispiel erklärte Politik der Regierung, das Leben in den entlegeneren Regionen des Landes – etwa im Norden – zu fördern und die örtlichen Lebensweisen und Traditionen zu erhalten. Mit erheblichem Aufwand würden die Siedlungen dort unterstützt. Im Vergleich dazu sei es im Norden des Nachbarlandes Schweden geradezu menschenleer, weil viele Bewohner mittlerweile in den Süden abgewandert seien.

Sogar bloggen darf ich abends am vereinseigenen PC. Der fünfte Teil über die Fahrt durch Schweden entsteht so. Es bleibt für längere Zeit das letzte Mal, dass ich ins Netz komme.

Elverum von oben

Auch in die Luft darf ich mitkommen und kann das Gelände aus der Vogelperspektive bewundern. Links der Flugplatz, im Vordergrund eine Trabrennbahn, dahinter ein Golfplatz und ein Go-Cart-Kurs. Vor Jahren hat es hier einen ausgedehnten Waldbrand gegeben. Die Elverumer machten das beste der Situation und schufen auf dem verwüsteten Gebiet eine Art Freizeitpark.

Waldgebiete bei Elverum

Lässt sich bestimmt gut leben hier. Norwegen ist auch von oben schön.

Skandiblog 9: Norwegen bei Nacht

Ihr habt es gemerkt, liebe Leute. Irgendwann bin ich nicht mehr mitgekommen mit dem Bloggen. Bis Hønefoss nördlich von Oslo ging es noch, weil immer irgendwo ein Rechner in der Nähe war. Danach führte der Weg aber nur noch über kleine Städte und Dörfer, wo es einfach keine Gelegenheit mehr gab, sich mal für ein Stündchen an einen PC zu setzen.

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Jedenfalls nicht zu bezahlbaren Preisen. Der Campingwirt in Lysebotn etwa verlangte für schlappe 15 Minuten Nutzung eines Laptops mit kaputter Maus sagenhafte 30 Norwegische Kronen – etwa 3,50 Euro. Da man für einen Blogbeitrag schnell ein, zwei Stunden braucht, habe ich auf das Vergnügen verzichtet. Anderswo gab es in der Herberge zwar W-LAN, aber keinen öffentlichen Computer. Und ein Laptop hatte ich denn doch nicht mit aufs Motorrad packen wollen, irgendwann ist ja auch mal Schluss.

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Inzwischen bin ich – nach zweieinhalb Wochen und 5.500 gefahrenen Kilometern – längst wieder zuhause in Aachen. Damit ist es mit dem Reisebloggen natürlich vorbei.

Egal. Da mir aber einige Leute zu verstehen gegeben haben, dass ihnen die Bilder bislang ganz gut gefallen haben, werde ich die Tour einfach nach und nach von hier aus abarbeiten. Das ist dann zwar nicht mehr live, aber wenigstens vollständig. Außerdem sind die Fotos von der 600 Meter hohen Preikestolen-Felsklippe wirklich nicht schlecht geworden (das ist kein Eigenlob – es wäre eine Kunst gewesen, so ein spektakuläres Motiv nicht brauchbar abzulichten).

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Die Fotos auf dieser Seite entstanden am Abend nach meiner Ankunft in Hønefoss. Nachts zwischen zwei und drei Uhr.

Wie man sieht, ist es zwar noch nicht ganz die berühmte Mitternachtssonne. Die bleibt nämlich ganz über dem Horizont stehen. Um sie zu sehen, muss man noch ein gutes Stück weiter nach Norden fahren.

Doch es ist kurz vor der längsten Nacht des Jahres, und dann geht auch in Hønefoss die Abenddämmerung nahtlos ins Morgengrauen über. Der Vollmond kommt noch dazu – man könnte fast noch ein Buch lesen, nachts um halb drei in Norwegen.

Oder etwas bloggen. Wenn es einen PC geben würde.

Neues aus Norwegen

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Sie nennen ihn Brunost. Das ist Norwegisch und heißt „brauner Käse“. Was kein Zufall ist, denn Brunost kommt aus Norwegen und ist – Sie ahnen es – brauner Käse. Das ist aber auch schon alles, was so ist wie erwartet an diesem karamellfarbenen Quader, der da so harmlos auf seinem Teller wartet.

Vorweg muss ich erklären, wie ich an das gute Stück der Marke „Gudbrandsdalsost“ komme. Außerhalb der Staatsgrenzen ist das appetitlich gefärbte Molkereierzeugnis nämlich praktisch unbekannt. Was ebenfalls kein Zufall ist, aber zum Geschmack komme ich noch. Eine ins Land der Fjorde ausgewanderte Freundin hat ihn mir geschickt.

Brunost, so lese ich auf der englischsprachigen Webseite der Zeitung Aftenposten, wird von den Norwegern mit einer an Religiosität anmutenden Inbrunst („Inbrunost“?) verehrt. Kleinen Kindern schmiert man ihn gleich nach der Muttermilch aufs Butterbrot. Kein Norweger reist ins Ausland, ohne einen Kilovorrat (geschätzt: etwa eine Zigarettenschachtelgröße) an Brunost im Gepäck zu haben. Er entsteht, indem der Milchzucker im Lauf der Herstellung durch Aufkochen karamellisiert. Wie mir die Wahlnorwegerin berichtet, ähnelt das Ergebnis in seiner Konsistenz am ehesten Plastiksprengstoff. Was beim Einchecken am Flughafen zu Erklärungsnot führen kann.

Genug der Vorrede. Kommen wir zu dem, was den Brunost auszeichnet: Sein – man muss es wohl so nennen – Geschmack. Greifen wir also zum Ostehovel, dem traditionellen norwegischen Käsehobel, und trennen wir eine hauchfeine Scheibe vom Block ab. Sieht sie nicht lecker aus?

Nun ist äußerste Vorsicht geboten. Auf der Zunge entwickelt sich erst ein zartes Aroma nach Karamell, das den Augenschein zu bestätigen scheint. Doch nach der ersten Kaubewegung wird dem Essenden klar, dass hier etwas ganz und gar nicht so läuft, wie es sollte. Geschmacksrichtungen prallen aufeinander, die nach dem Willen der Natur auf ewig getrennt bleiben sollten. Wie kommen ein Bissen Ziegenkäse und ein Stück Lakritz gleichzeitig in meinen Mund? Über all dem hängt der Karamellgeschmack. Und lacht sich kaputt.

Man kriegt den Brunost schließlich hinunter. So ähnlich, wie die Natur mit einem Vakuum umgeht – indem sie tut, als existiere es gar nicht. Uff.

Nun liegt er da, auf seinem Teller, der Brunost. Er wird wohl noch ein Weilchen weiter liegen. Materie siegt über Mensch.

Mir egal, soll er liegen und leben. Aber eins weiß ich: Ob Norwegen jemals in die EU kommt, das müssen sich beide Seiten gut überlegen.

Derweil bin ich meiner Fjordfreundin heimlich dankbar, dass sie mir nicht noch die andere norwegische Nationalspeise geschickt hat: Lutefisk. Trockenfisch, für längere Zeit in Ätznatronlauge eingelegt, zu Gelee zerronnen und angeblich von der Genfer Konvention geächtet. Der Gestank soll wochenlang nicht aus dem Haus zu kriegen sein (schreibt auch die taz).

Es könnte eben auch alles viel schlimmer sein. Mag jemand einen echten norwegischen Käse probieren?