Die ersten Fotos

Der neue Wagen ist da. Mit meiner kleinen Olympus-Pocketkamera mache ich die ersten Fotos. Mir schweben Bilder nach dem Vorbild aus dem Mercedes-Prospekt vom S-Coupé vor. Da ist der ansonsten hässliche Wagen zu sehen, wie er vor nächtlicher Kulisse mit offenen Scheiben dasteht. Die Lichter im Armaturenbrett leuchten einladend. „Komm, gehen wir auf große Fahrt“, scheint der Wagen zuzurufen.

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Als die Abzüge da sind, ist die Ernüchterung groß. Die Olympus und meine fotografischen Fähigkeiten stoßen an klare Grenzen.

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Mit Blitz ist das Ergebnis noch schlimmer.

Liebe auf den ersten Blick

Frühjahr 1993. Seit längerer Zeit schon träume ich von einem W123er-Coupé. Dafür lege ich monatlich 100 Mark zurück und spare bei jeder Gelegenheit (legendär sind die an die Pinnwand gehefteten Zehnmarkscheine in meinem Studentenzimmer am Petersweg).

Im Herbst dieses Jahres werde ich für ein Jahr nach Glasgow fahren, und in dem kleinen roten 1,0-Liter-Corsa von 1984 mit seinen 45 PS wäre das kein Spaß. So sieht er übrigens aus:

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Also schaue ich mir schon seit Monaten jeden parkenden W123 an und nehme bei Autohändlern die angebotenen Coupés unter die Lupe. Zum Beispiel einen dunkelblauen 230C und einen silbernen 280CE bei Rosier in Oldenburg. Preise, wenn ich mich recht erinnere: 9.800 Mark für den – ziemlich schlechten – Vierzylinder… und 12.800 für den Silbernen. Oder so. Jedenfalls völlig überteuert. Gute, günstige Coupés sind rar, auch damals schon.

Eines Samstags im April oder Mai steht dann in der Neuen Osnabrücker Zeitung eine Anzeige für einen Wagen, an dem eigentlich gar nichts zu stimmen scheint:

– 230CE von 1981 (also nicht die gewünschte Drittserie),
– Farbe braun (urgs!),
– AHK (also wahrscheinlich eine heruntergerittene Zugmaschine),
– 195/70er-Alufelgen (sicher so Porno-Teile),
– kein Schiebedach,
– keine Zentralverriegelung,
– keine weiteren Extras wie elektrische Fensterheber, Colorglas oder Scheinwerfer-Wischwasch.

Ein Auto also, an dem nichts zu stimmen scheint.

Ich fahre trotzdem zum Verkäufer nach Ostercappeln – je mehr Wagen man gesehen hat, desto besser ist es schließlich. Es soll eine der einschneidensten Entscheidungen meines Lebens werden.

Gerhard P., der Besitzer, begrüßt mich freundlich. Die Familie hat sich einen Van gekauft, mit Kindern ist der Zweitürer halt doch nicht ganz das richtige. Nun soll das Coupé einen neuen Eigentümer bekommen.

Als ich den Wagen sehe, ist es sofort um mich geschehen: Er glänzt. Er strahlt. Er sieht aus wie frisch aus dem Schauraum. Diese Farbe! Ein tiefes, glänzendes Schokoladenbraun!

Ich weiß sofort: Den oder keinen. Das ist das Auto meines Lebens.

9. Juni: Der Kaufvertrag wird unterschrieben. Der Wagen ist „unfallfrei, besitzt keine technischen Mängel“. Kilometerstand ca. 179.000. Kaufpreis 8500,- DM. Eine Anzahlung über 5000,- DM wird geleistet – der Rest am 29. Juni nachgezahlt, als der Corsa verkauft ist.

Was vorher geschah

13. Mai 1981: Peter P. aus Bissendorf hat sich einen niegelnagelneuen 230 CE gekauft und lässt ihn nun zu. Es ist ein Beinahe-Nullausstatter, die einzigen Extras sind (laut Datenkarte) rechter Außenspiegel und Becker-Radio „Europa“. Die Farbe: Das sehr selten angebotene Moorbraun Nr. 479, das beim W123 nur in den Jahren 1979 bis 1981 als Sonderfarbe zu haben ist. Herr P. zeigt Geschmack: Für die Innenausstattung wählt er das helle Crémebeige (Farbcode 1404), was dem Wagen die appetitliche Wirkung eines Überraschungseis verleiht.

22. April 1982: Nur elf Monate später wird Siegfried W. aus Wallenhorst der Halter. Auf ihn ist der Wagen fünf Jahre lang angemeldet.

5. Mail 1987: Wieder ein Verkauf. Der Wagen bleibt erneut im Osnabrücker Land. Nun wird Gerhard P. aus Ostercappeln Drittbesitzer. Der Benz steht in einer Garage, die sogar Gummipuffer für die Türen an den Wänden hat.

Innerhalb dieser zwölf Jahre kauft irgendjemand irgendwann Leichtmetall-(Nachbau)Felgen. Irgendwann baut irgendjemand eine Anhängerkupplung nachträglich an. Aus irgendeinem Grund wird irgendwann mal der Tankdeckel neu lackiert. Auch die vordere untere Spitze der Beifahrertür wird irgendwann mal ausgebessert. Und das Becker „Europa“ wird gegen ein Blaupunkt „Hildesheim“ ausgetauscht.

29. März 1993: Der Wagen bekommt offenbar neue Stoßdämpfer – aber welche? Die Rechnung über 172,- DM existiert noch.