Carl Zeiss Jena Pancolar 1.8 50 und die Praktica LLC

Zum Pancolar 1.8 50 muss man ja nicht alles nochmal sagen, was dazu schon gesungen worden ist. Es war das Spitzenobjektiv von Zeiss Jena, chön charf, chön cremig, hier zu sehen in der endgültigen Linsenrechnung von 1967 und im klassischen schönen „Zebra“-Look. Für mich die schönste und stilvollste Pancolar-Variante.

Pancolare gelten auch heute noch als erstklassige Objektive und steigen seit Jahren im Preis. Sie sind für ihre Schärfe und ihr weiches Bokeh überaus geschätzt. Wer mag, kann sich ja mal die Flickr-Bilder in den Pancolar-Gruppen anschauen: https://www.flickr.com/photos/tags/CZJ%20Pancolar%20Zebra%2050mm%20f1.8/

Es handelt sich hier um die „electric“-Premiumvariante (erkennbar an den drei goldenen Nupfeln am Heck) für das Spitzenmodell der Praktica-L-Reihe, die LLC mit elektrischer Blendenwertübertragung. Anhand der Beschriftung „aus Jena“ im Frontring und der „Made in DDR“-Gravur ist zu erkennen, dass es sich um ein Modell für den Westexport handelte (ich vermute: Westdeutschland, Österreich oder Schweiz), und das sollen ja nicht die schlechteren Exemplare gewesen sein.

Die Kamera ist das das passende Spitzenmodell LLC in schickem schwarz. Dieses Exemplar ist in außergewöhnlich gutem Zustand, die meisten sind durch Jahrzehnte der Geringschätzung gegangen und sehen entsprechend zertöppert aus. Mit der entsprechenden Batterie (sie kostet wenige Euro) kann man sofort einen Schwarzweißfilm aus dem Drogerie-Discounter einlegen und loslegen wie Opa Weihnachten 1970.

Osterbesuch

Kurzer Osterurlaub in den französischen Ardennen. Die Fotos und Namen auf den emaillierten Plaketten, die am Ehrenmal vor der Dorfkirche in Warnécourt an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs erinnern, sind längst verblasst. Aber immer noch rufen sie ins Gedächtnis, was für ein Wunder das vereinte Europa ist – nach den Millionen Toten der beiden Weltkriege und Jahrhunderten von vererbter Feindschaft.

Wenn man heute als deutscher Tourist an den Sandsteinfassaden in der Fußgängerzone der hübschen Kleinstadt Charleville-Mézières an der Maas entlangbummelt, darf man sich gerne noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass so etwas noch für die eigenen Großeltern undenkbar gewesen wäre. Dass ein freies und freundliches Europa alles andere als selbstverständlich ist. Dass wir nicht aufhören dürfen, dafür einzustehen, es zu leben und weiterzuentwickeln. Weil es im Moment von denselben Kräften bedroht wird, die es vor ein paar Jahrzehnten fast einmal vernichtet hätten.

Das war es auch schon mit der Osterpredigt. Danke für euer Verständnis.

Primadonna Primagon

Zu den schönsten Nebensächlichkeiten beim Sammeln der alten Objektve gehören die Namen. Und niemand benannte Objektive so schön und fantasievoll wie die altehrwürdige Görlitzer Linsenschmiede Meyer Optik. Zum Beispiel das Helioplan: War das nicht der griechische Gott der Überbelichtung? Domiplan und Domiron: die antiken Helden der In-Haus-Fotografie. Und dann das mächtige Geschlecht der Orestonen: Orestor, Oreston, Orestegor und Orestegon. Objektivnamen wie Donnerhall, da ahnt man die bildgewaltige Dramatik der damit gemachten Fotos schon, bevor man sie auch nur an die Kamera geschraubt hat.

Doch am schönsten klingen die P-Liner (Segelschiff-Fans verstehen die Anspielung). Carl Zeiss hatte Planar und Pancolar, doch Meyer hatte mehr. Da sind erst einmal die Primotare, Allzweckwaffen mit 50, 80, 135 und 180 Millimeter Brennweite. Dann natürlich die legendären Primoplane – Wunderlinsen mit eingebauten Aquarellhintergrund in 58 und 75 Millimeter Brennweite.

Und dann gab es das Primagon. Kein Wunderwerk, aber ein solides, erschwingliches Alltags-Weitwinkel für den Hobbyfotografen der späten 50er Jahre. Man darf nicht vergessen: Die heute ziemlich unspektakulären 35 Millimeter Brennweite galten damals als die Spitze des absolut technisch Machbaren, sie hatten gerade erst die 40 Millimeter des Tessars 4.5 40 von Zeiss und des ähnlichen Helioplans von Meyer abgelöst. Carl Zeiss war 1953 mit der ersten Generation des Flektogons 2.8 35 vorausgegangen – eine mit sechs Linsen in sechs Gruppen überaus aufwändige und entsprechend teure Konstruktion (die auch heute noch exzellente Schärfe und Kontrast liefern kann).

Meyer zog nach und präsentierte auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1956 das Weitwinkelobjektiv Primagon 4.5 35 mm, ausgerichtet auf ein preisbewussteres Kundenklientel. Den Ingenieuren gelang es, das Grundobjektiv aus nur drei Linsen aufzubauen, davor setzten sie noch eine große Zerstreuungslinse. Das ließ sich günstig produzieren und brachte – bei der nicht gerade überwältigenden weitesten Blende von 4.5 – erstaunlich gute Bildergebnisse. Denn: „(…) zwischen tiefem Blau und mittlerem Rot ist das Objektiv frei von chromatischer Aberration. Mit diesen Eigenschaften würden Werbestrategen einem solchen Objektiv heute das Attribut „Apo“ anhängen“, schreibt Marco Kröger auf der sehr lesenswerten Webseite Zeiss Ikon VEB.

Sagen wir es kurz: Für Indoor- und Available-Light-Fotografie, für Straßenszenen im Dämmerlicht und Partyfotografie ist das Primagon nicht wirklich etwas. Im Hellen produziert es dagegen Bilder, die sich immer noch sehen lassen können. Marco Kröger schreibt: „Es handelt sich auch nach heutigen Maßstäben um ein erstaunlich leistungsfähiges gemäßigtes Weitwinkelobjektiv, das sein Gütezechen damals nicht unverdient erhalten hat.“ Das Primagon wurde seinerzeit mit dem Qualitätssiegel Q1 ausgezeichnet, mit dem die DDR Produkte von Weltmarktniveau („oder besser“) kennzeichnete. Mit mancher heutigen Zoom-Kit-Linse könne es der Oldtimer durchaus aufnehmen, meint Altobjektiv-Experte „praktinafan“ im Digicamclub-Forum.

Heute brachte mir der Postbote ein solches Spitzenprodukt volkseigener Optikerzeugnisse. In blau-weißer Meyer-Originalschachtel, mit beiden Kappen. Es glänzt wie unbenutzt – es ist nach den Varianten mit Exa- und Altix-Bajonett mein drittes Primagon und das schönste.

Ganz einfach zu handhaben dürfte der Silberling nicht sein. Die schwache Lichtstärke ist bei allen anderen als guten Lichtverhältnissen so etwas wie ein eingebauter Unschärfegenerator. Und die exponierte übergroße Frontlinse dürfte trotz des roten „V“-Zeichens zur Kennzeichnung der Glasvergütung neben dem Licht auch die ungewollten Streulichteffekte wie Ghosts und Flares sammeln. Das Primagon ist wohl eine ganz schöne Primadonna, die in eine Gegenlichtblende gehüllt sein will, um strahlen zu können. Sie soll sie bekommen, in bestem zeitgenössischen Bakelit natürlich. Damit hoffe ich dann auf Bilder in typischem Meyer-Stil, mit weichem Hintergrund und schönen warmen Farben, nicht zuletzt dank der Blende mit zehn Lamellenblättern. Zeige sie uns, was sie kann, Primadonna!

Ach ja: Abgelöst wurde das Primagon im Jahre 1964 von dem Objektiv mit dem wohl schönsten Namen überhaupt – Lydith 3.5 30. Lydith – war das nicht diese hübsche junge Frau aus dem Alten Testament, die den obersten General des feindlichen Heeres beim Baden fotografierte?

Sechzig Jahre alt, wie neu

Klingelt der Bote am Vormittag / weckt’s Morgenmuffel auf einen Schlag.

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Post von Fotoservice Olbrich aus Görlitz. Es ist das erste Mal, dass ich die in Altglasfotografenkreisen sehr gerühmte Arbeit dieser Werkstatt im äußersten Osten unseres Landes selbst erleben kann. Und wahrlich, diese Arbeit war ausgezeichnet.

Aus meinem rund 60 Jahre alten, arg vergnaddelten Carl Zeiss Jena Biotar 2 58 (rechts) haben sie tatsächlich wieder ein blitzendes optisches Präzisionsgerät gezaubert. Ich hatte es im Frühjahr für nicht allzu großes Geld auf Ebay gekauft, wurde aber enttäuscht. Der Linsensatz war lose und klapperte, der Blendenring lief knirschend und das Schlimmste: Auf der Austrittslinse lag innen Nebel.

Nun, schlanke drei Monate später (ich bin leider nicht der Einzige, der von Olbrichs Künsten gehört hat, das ist sein einziger Nachteil), sieht es wieder aus wie ein einsatzbereites Reporterwerkzeug. Die Linsen sind klar, der Tubus fährt beim Fokussieren geschmeidig aus, der ungewohnte Vorwahlblendenring – man muss ihn zur Kamera hin eindrücken, um den gewünschten Blendenwert einstellen zu können – federt und dreht sich wieder sanft und sauber. Das Teil soll ein wunderbar spiralförmiges Schwurbel-Bokeh zustandebringen – ich bin schon gespannt.

„The optical results of the Carl Zeiss Jena Biotar 2 / 58 are really top notch. The bokeh is wonderful and creamy – a true twirling delight. The overall image sharpness is also amazing even when you shoot wide open at f2. For portraiture the Biotar sets standards.“ (Vintage Camera Lenses)

_DSC1795-Biotarlamellen

Und auch das schwarze Carl Zeiss Jena Sonnar 3.5 135 (links), das ich in einem Anfall von Selbstüberschätzung so zerschraubt hatte, dass der Blendenrückholer aus Plaste dabei zerbröselte, blendet, rückholt und rastet jetzt wieder wie am ersten Tag. Also um 1980 herum, als das gute Stück im Werk Jena für den Export nach Großbritannien mit einem „S“ im Blendenring gelabelt wurde (weil die Markenrechte für „Sonnar“ in den meisten westlichen Ländern beim West-Zeiss lagen, aber das ist eine andere Geschichte). Auch das 3.5 135 ist berühmt für seine Leistung.

„Carl Zeiss Jena MC Sonnar 135mm f/3.5 showed outstanding performance in the lab. Images were sharp from corner to corner throughout the tested aperture range. (…) Actually, the lens produced one of the most consistent results among medium telephoto lenses tested to date. (…) Conclusion? With outstanding results across the frame and across aperture range, this 20+ year old lens design still goes strong and would put to test any modern lens.“ (SLR Lens Review)

Vor vielen Jahrzehnten sind in Deutschland – hier konkret: in der DDR – fotografische Spitzenprodukte hergestellt worden, die bis heute ganz oben in ihrer Liga mitspielen. Schön, dass es heute hierzulande noch Handwerkskunst gibt, die sie für die nächsten Jahrzehnte fit hält.