Sonntag, 20.14 Uhr: Mit dem Laptop auf den Knien und dem Ersten Programm im Fernsehen sitzt der Neu-Aachener gespannt auf dem Sofa. Auf dem Schirm: die AKV-Ordensverleihung. „Einmal musst du das gesehen haben“, hieß es aus dem Freundeskreis. „Sonst wirst du nie richtig ankommen hier.“ Die Frage des Tages lautet also: Springt der karnevalistische Funke auch auf Nicht-Öcher über? Protokoll eines Selbstversuchs.
20.15 Uhr. Anpfiff, äh, Anfang. Vor der Bühnenkulisse, offenbar eine Mischung aus Ponttor und Quellenhof, hüpfen diverse Damen zu launiger Musik. Allerdings scheinen die Handwerker mit der Deko nicht rechtzeitigfertig geworden zu sein. Während die Funkenmariechen ihre Beine werfen, wuselt diverses Volk mit Leitern und Kabeltrommeln zwischen ihnen herum. Ist das gewollt? Jetzt fallen sie hin, alle. Muss gewollt gewesen sein. Bestimmt.
20.18 Uhr. Das erste Tätää des Abends. Vor einer Kulisse aus Tänzerinnen mit etwas starrem Grinsen begrüßt der Moderator – das wird AKV-Chef Horst Wollgarten sein – die Menge und kündigt ihre Durchlaucht an. Pickelbehaubte Uniformträger strömen auf die Bühne. Man muss ja nicht alles verstehen, ich werde einfach mal das Geschehen auf mich wirken lassen.
20.21 Uhr. Böses Foul in der 6. Minute: Jemand schwenkt einen Schal von Bayern München. Schiri Wollgarten lässt weiterspielen. „Die Bayern waren dreimal hier, wir haben sie dreimal geschlagen. Kein Problem.“ Es kann jetzt nur noch wenige Minuten dauern, bis der karnevalistische Funke auch auf mich überspringt.
20.24 Uhr. Der erste Höhepunkt des Abends: Wollgarten bittet „Exzellenzen und Hofberichterstatter“ (endlich behandelt jemand uns Blogger mal so, wie es uns gebührt), sich zu erheben: Die Sänfte der Fürstin schwebt ein. Ein dreifaches Oche Alaaf begrüßt sie. Schade, früher war ihre Frisur interessanter. Dennoch ist sie ganz natürlich geblieben. Nichts Durchlaucht – „ich bin die Gloria“. Zum Dank für soviel Volksnähe wird die Öcher Version von „Glory Halleluja“ intoniert. Nach neun in Bielefeld verlebten Jahren kann ich nicht umhin, einen gewissen Unterschied im Selbstbewusstsein von Westfalen und Rheinländern festzustellen.
Und erst die Prominenz im Saal. Der Saaldiener – Jürgen Beckers, verrät mir mein Script – begrüßt sie einzeln: Constantin Freiherr von Heeremann, Hans-Dietrich Genscher (oh, ist der dünn geworden), der ehemalige „Leiter der FDP-Krabbelgruppe“ Guido Westerwelle. Friedrich Merz, Heide Simonis. Fehlen eigentlich nur noch Andrea Ypsilanti und Roland Koch, aber die müssen ja gar nicht mehr ins Fernsehen, die waren heute schon drin.
20.32 Uhr. Eine Art getanztes Rokkoko-Menuett endet in Puncto Bekleidung als etwas, das Mozart sicher gerne auf einer Beachparty gehabt hätte.
20.34 Uhr. Prominenz, Prominenz. Das Begrüßen geht weiter. Nach welcher Reihenfolge die Gäste wohl geordnet sind? Diesmal sind dran: Doktor Jürgen Rüttgers mit der Frau, mit der er verheiratet ist: seiner eigenen (wieder so eine Anspielung, die ich nicht verstehe). Armin Laschet. Jürgen Linden. Hübscher Hut.
20.40 Uhr. Wo sind die Videotext-Untertitel auf Tafel 352, wenn man sie braucht? Rotbeschürzte Gestalten singen Öcher Platt, was für einen Oldenburger etwa so verständlich ist wie Baschkirisch. Erst beim Refrain bin ich wieder an Bord: „Lalaaaa, lalalalala lala…“ Das gefällt mir an Aachen – man ist ja doch schnell sozialisiert.
Immerhin eins verrät der Videotext: Die Sendung geht bis 23 Uhr. Also noch genug Zeit für den karnevalistischen Funken.
20.45 Uhr. Huch, was will der denn da? Guido Westerwelle steht auf der Bühne, mit Rosenstrauß (natürlich gelb) (die Rosen). „Ich bin heute Abend verabredet. Mit einer Frau.“ Großes Hallo im Saal. „Es ist nicht so, wie Ihr denkt.“ Es folgt ein Hausfreund-Bonmot, das ich schon mal irgendwo gehört habe, ist aber schon lange her. Kommen am Ende noch Turnwitze und Taxi-Scherze? Nein, es geht gegen Angela und die Große Koalition, die ja eher eine „schlagende Verbindung“ sei. Tätä, tätä. Es gibt Gründe, warum man die Politik den Politikern und das Kabarett den Kabarettisten überlassen sollte. Was Westerwelle nicht davon abhält, sich als Fan von Radio Eriwan zu outen. Gregor Gysi habe auf die Frage, ob man den Sozialismus in der Schweiz einführen könnte, geantwortet: „Im Prinzip ja, aber es wäre doch schade um das schöne Land.“ Warten wir einfach, bis der Kalte Krieg vorbei ist, dann springt der Karnevalsfunke sicher umso besser über. Guido ist mittlerweile in der Gegenwart angekommen: „Kennen Sie den Unterschied zwischen Wolfgang Schäuble und einem Arzt? – Beim Arzt merken Sie, wenn sie abgehört werden.“ Tätä. Was sagt er jetzt? Er will was mit Heidi Klum anfangen? Ich kann nicht mehr folgen.
20.59 Uhr. Ich verstehe wieder etwas. Gitta Haller erklärt den Klenkes-Gruß. Unterbrochen wird sie von einem herbeispazierenden Brunnen mit Frosch, den sie umgehend wieder von der Bühne scheucht. Schade, gerade habe ich gedacht, ich komme einigermaßen mit.
21.20 Uhr. Nach diversem karnevalistischen Ritual ist wieder der Saaldiener dran. „We are frecking for Happiness“, begrüßt er den US-Botschafter John Kornblum. Noch mehr Gäste, noch mehr Öcher Platt. Thomas Bohrer. Wendelin Wiedeking. Joachim Hunold. Prinz Charles und Camilla. Nein, halt, die gehören zum Programm. Sie singen einen „Song against Earnest“. Zur Melodie von „Yellow Submarine“ heißt es „Ick bin die Blüte von Englands Monarkie“. Mir ist neu, dass man auch tief im Binnenland seekrank werden kann.
21.37 Uhr. Auftritt der Prinzengarde. Das Tanzpaar demonstriert Spagat. Sieht schmerzhaft aus.
21.52 Uhr. Endlich, die Erlösung. Jürgen Beckers macht ihn, den Turn-und-Taxi-Witz: „Ich turn für die Taxis, weil es hier Praxis / ist…“. Gut, jetzt haben wir’s hinter uns.
21.55 Uhr. Auftritt Josef, Jupp und Jüppchen. Jüppchen berichtet, wie er im Ägyptenurlaub mit seiner neuen, Zitat, Genitalkamera Fotos gemacht hat. Es wird wohl doch noch eine Weile dauern, bis ich in Aachen angekommen bin.
22.10 Uhr. Uh, die kulturelle Kluft vergrößert sich noch weiter. Auf der Bühne platteln die Vorderhüttn- Holzhackerbuam. Ein Geschenk für Gloria, so heißt es.
22.16 Uhr. Die Laudatio. Gesprochen von Postillon Joachim Hunold. Nun ja, was bleibt ihm übrig.
22.27 Uhr. Ah, Musik aus meiner Jugend. Das Lied „Gloria“.
22.32 Uhr. Da ist sie, die Ordensritterin: Gloria von Thurn und Taxis. Überraschenderweise ist sie eine Überraschung. Sie spricht frei, locker, witzig. Sie röhrt, sie rockt, sie imitiert Stoiber: „Ganz Bayern eine riesige Wirtschaftskraft. Das hat der durch Aktenfressen geschafft.“ Und hat sichtlich Spaß bei der Sache. „Was Bayern fehlt, ich verkünde es klar: Edmund? Nein, Glanz und Gloria!“ Auch Merkel kriegt ihr Fett weg: „Wirtschaftsboom und Aufschwung nun – und alles, ohne irgendwas zu tun.“ Schließlich erklärt sie noch, wie das damals gemeint war, ihre Äußerung mit dem Schnackseln. In Wahrheit habe sie gemeint: „Der Schwarze kraxelt halt gern! Kraxeln heißt klettern, jetzt habt ihr Ruh‘. Und ein Schwarzer – ist von der CSU“. Einmal richtig in Fahrt, singt sie auch noch. „Karneval, endlich ist Karneval! Jeder sagt und macht heut, was er will.“ Die Fürstin ist ein Show-Talent. Respekt.
Zur Belohnung bekommt sie nach ihrer Rede eine Art Bild aus printenähnlichem Material sowie die Öcher Karnevalskappe, die erst runterfällt, dann wieder aufgesetzt wird, gleich danach nochmal runterfällt, wieder aufgesetzt wird, aber offenbar verkehrt herum, deshalb noch einmal abgenommen und erneut aufgesetzt wird. Muss gewollt gewesen sein. Bestimmt.
22.57 Uhr. Die Veranstaltung neigt sich dem Ende zu. Auf der Bühne schneit es Konfetti. Menschen tanzen Samba. Samba? Samba.
23.00 Uhr. Tom Buhrow läutet die Tagesthemen ein. Irgendwo zwischen Jülicher Straße und Adalbertsteinweg sitzt ein Neu-Aachener auf seinem Sofa, ein Laptop auf den Knien. Eins ist ihm klar: Er hat noch einen weiten Weg vor sich.