Carl Zeiss Jena Pancolar 1.8 50 und die Praktica LLC

Zum Pancolar 1.8 50 muss man ja nicht alles nochmal sagen, was dazu schon gesungen worden ist. Es war das Spitzenobjektiv von Zeiss Jena, chön charf, chön cremig, hier zu sehen in der endgültigen Linsenrechnung von 1967 und im klassischen schönen „Zebra“-Look. Für mich die schönste und stilvollste Pancolar-Variante.

Pancolare gelten auch heute noch als erstklassige Objektive und steigen seit Jahren im Preis. Sie sind für ihre Schärfe und ihr weiches Bokeh überaus geschätzt. Wer mag, kann sich ja mal die Flickr-Bilder in den Pancolar-Gruppen anschauen: https://www.flickr.com/photos/tags/CZJ%20Pancolar%20Zebra%2050mm%20f1.8/

Es handelt sich hier um die „electric“-Premiumvariante (erkennbar an den drei goldenen Nupfeln am Heck) für das Spitzenmodell der Praktica-L-Reihe, die LLC mit elektrischer Blendenwertübertragung. Anhand der Beschriftung „aus Jena“ im Frontring und der „Made in DDR“-Gravur ist zu erkennen, dass es sich um ein Modell für den Westexport handelte (ich vermute: Westdeutschland, Österreich oder Schweiz), und das sollen ja nicht die schlechteren Exemplare gewesen sein.

Die Kamera ist das das passende Spitzenmodell LLC in schickem schwarz. Dieses Exemplar ist in außergewöhnlich gutem Zustand, die meisten sind durch Jahrzehnte der Geringschätzung gegangen und sehen entsprechend zertöppert aus. Mit der entsprechenden Batterie (sie kostet wenige Euro) kann man sofort einen Schwarzweißfilm aus dem Drogerie-Discounter einlegen und loslegen wie Opa Weihnachten 1970.

Achtung, radioaktiv: Carl Zeiss Jena 1.8 50 „Thorium“

Okay, radioaktiv stimmt zwar, aber gefährlich ist es nicht. Hier haben wir ein Pancolar 1.8 50 in der selteneren ersten Version. Es wurde 1965 vorgestellt und war das Spitzenobjektiv der DDR-Fototechnik (lässt man die Mini-Serie des Pancolars 1.4 55 für die Pentacon Super außen vor). Die Gläser dieses Objektivs bestanden aus dem Besten, was die Glastechnologie zu bieten hatte. So waren Thorium, ein in der Natur vorkommendes schwach radioaktives Element, und Lanthan beigemischt.

Das Pancolar war berühmt für seine leuchtenden, kontrastreichen Bilder. Weil die Produktion dieser Linsen aufwendig und gefährlich war, wurde das Objektiv aber nach drei Jahren noch einmal neu konstruiert und erschien dann noch einmal in der späteren, etwas höheren Zebra-Fassung, die zehnmal häufig gebaut wurde. In meinen Augen sind die Zebra-Fassungen von Zeiss & Co aus den 1960er Jahren die schönsten und edelsten in der Objektivgeschichte.

Das „Thorium-Pancolar“ ist zu erkennen an seiner etwas flacheren Fassung, den acht statt sechs Blendenlamellen (was für etwas rundlichere Spitzlichter im Bokeh sorgt) und den gelblich scheinenden Gläsern. Besonderheit: Liegt es längere Zeit im Dunkeln, verstärkt sich das Gelb, wird das Glas längere Zeit UV-Licht ausgesetzt, wird es transparenter.

Pancolare gelten auch heute noch als erstklassige Objektive und steigen seit Jahren im Preis. Sie sind für ihre Schärfe und ihr weiches Bokeh überaus geschätzt.

Wer mag, kann sich ja einmal durch die Flickr-Bilder in den Pancolar-Gruppen klicken und sich selbst ein Bild von der Qualität dieses Objektivs machen.

Von Biotaren und Biografien

Das Biotar 2 58 von Carl Zeiss Jena ist einer der Klassiker in der Geschichte der Fotografie. Schon 1946, gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ging das berühmte Standardobjektiv der Vorkriegszeit wieder in die Produktion. Die Konstruktion mit sechs Linsen erhielt eine neue Fassung und – je nach Ausführung – vergütete Gläser, die gegen Streulichteinfall immun machen sollten.

Mit einer Offenblende von f2.0 ist es für die 50er Jahre sehr lichtstark. Fotografen lieben den spiralförmigen Schwurbel-Effekt – auch „Swirly Bokeh“ genannt – bei unruhigem Hintergrund, etwa Baumkronen oder Gebüschen. Spitzlichter im Hintergrund werden zu Ellipsen – „Cat’s Eyes“ – und arrangieren sich in Kreisform um das Hauptmotiv. Könner können so regelrechte Heiligenscheine erzeugen.

Doch auch wenn gerade kein Frauenkopf vor Parklandschaft zur Hand ist: Mich fasziniert das nachdrückliche Rendering der Biotar-Bilder. Was für eine Schärfe, was für ein ganz eigener Charakter! Fast scheint mein Bengt aus den Bildern herausgefahren zu kommen.

Es ist ja Außenstehenden nicht leicht zu erklären, warum man alte Objektive sammelt. Und zwar gleich Dutzende, von jeder Brennweite mehrere Modelle und Ausführungen. Ich habe heute inzwischen alleine fünf 35-mm-Flektogone, (noch) sechs 135-mm-Sonnare ost- und westdeutscher Herkunft, eine Handvoll Tessare aller möglichen Brennweiten, fast alle erhältlichen Prakticare, mehrere Distagone, etliche Meyers, Rolleis und wie sie alle heißen.

Und wie sie heißen! Es gibt Primotare und Primagone, Primoplane, Pancolore und Planare, Pentacons und Prakticars, Orestors und Orestons, Orestegors und Orestegons, Tessare und Teletessare, Telemegore und Telefogare, Trioplans und Triotare. Und jedes macht andere Bilder, jedes hat seine Vorzüge und Schwächen. In den nächsten Jahren möchte ich sie alle nach und nach kennenlernen.

Das Zeiss-Biotar, mit dem am Sonntag diese Bilder von Bengt und der Schwurbelblume am Rande der Tihange-Menschenkette entstanden, ist so ein Vertreter für einen ganz eigenen Bildcharakter (alle JPGs direkt out of the cam, ohne Nachbearbeitung). Haben diese Fotos nicht etwas ganz Spezielles? Etwas geradezu brennend Nachdrückliches?

Aufgenommen mit fast ganz offener Blende 2.4, ist die Schärfe in der Bildmitte auch heute noch absolut ausreichend. Aber der Hintergrund! Den kriegt keine moderne Linse so hin. Diese Mischung aus Verschwommenheit, Sich-ums-Motiv-herum-Krümmen, von leichtem Schwurbel und dem ganz speziellen Kontrastbild der 50er-Jahre: Das kann nur ein Biotar (und natürlich seine russische Kopie, das Helios).

Mein Biotar mit M42-Gewinde war das erste historische Objektiv, dass ich mir vor einem Jahr von Foto Olbrich in Görlitz habe aufbereiten lassen. Es war ein Schlüsselerlebnis für mich, es danach wieder hin der Hand zu halten, vor knapp einem Jahr. Eine neue Welt tat sich auf.

Kann man von solchen Effekten genug kriegen? Heute kam ein neues Biotar mit der Post. Eine andere Ausführung, mit schnell wechselbarem Exakta-Bajonett statt des M42-Gewindes. Gut zwei Stunden habe ich heute Abend an dem anfangs eher unansehnlichen Alukorpus herumpoliert und -gewienert, bis er halbwegs vorzeigbar war. Man sieht ihm die rund 60 Jahre durchaus an, die er schon durch Fotografenhänden gewandert ist. Doch die Linsen sind klar und scharf wie am ersten Tag. Keine Kratzer, keine Schlieren, kein Nebel und kein Objektivpilz.

Ich habe mich entschieden: Auch wenn der Blendenring etwas verschrammelt und ein wenig schwergängig ist, der Fokusring ein bisschen trocken läuft, reichlich Staubflusen zwischen den Linsen sitzen und der eine oder anderer Kratzer den Tubus ziert, werde ich es behalten. Schon wegen des roten „T“ auf dem Zierring, der auf die aufpreispflichtige, begehrte Vergütung hinweist. Ich werde es bei Olbrich zerlegen, reinigen, neu justieren und zusammenbauen lassen. Und danach wird es ein samtiger Genuss sein, damit Bilder zu machen, so wie mit dem ersten Biotar oder seinem Bruder, dem Alu-Flektogon 2.8 35.

Da liegt es, mein neues Biotar. Bios heißt Leben. Der Name lässt Gedanken aufkommen – wenn Objektive Biografien hätten, was wäre darin zu lesen? Was für Bilder mag dieses Objektiv schon gemacht haben? Die volle Bezeichnung „Carl Zeiss Jena“ und das „T“ statt eines „V“ deutet auf einen Verkauf in der DDR hin. Hat man damit Menschenporträts gemacht, Landschaftsaufnahmen, Technisches oder Blumenbilder? Hat seinerzeit ein Profi dieses in der Nachkriegszeit extrem teure Hochleistungsobjektiv gekauft? Oder ein reicher Amateur, der es kaum benutzt hat?

Wie oft spiegelte sich wohl schon das Bild einer schönen Frau vor dieser Linse? Vielleicht sogar das eines Aktmodells? Oder das eines gutaussehenden Mannes, den eine der wenigen Fotografinnen der Nachkriegsjahrzehnte abgelichtet hat? Eher eines Malochers mit verwittertem Gesicht im Rahmen einer Sozialstudie? Bilder wie die von Gundula Schulze Eldowy? Oder war es eher Industrieromantik, das den Menschen am Auslöser faszinierte? Rauchende Dampflokomotiven, qualmende Fabrikschornsteine? Der Aufbau des Sozialismus in den Anfangsjahren der noch jungen DDR?

Und später dann, hat der Mensch hinter dem Objektiv den Verfall dokumentiert? Subversive Bilder gemacht, die nicht gezeigt werden durften? Von leeren Läden, abblätterndem Putz, gähnenden Fensterhöhlen? Bilder wie die von Siegfried Wittenburg, von Harald Hauswald oder von Gerd Danigel? Oder lagen die Fotos auf Systemlinie? Marschierende NVA-Soldaten im Stechschritt? Plattenbauten, Industriekombinate, davor Reihen ordentlich geparkter Wartburgs, Trabants und Ladas?

Der polierte Aluminiumzylinder erzählt seine Geschichte nicht. Kein Speicherchip lässt sich auslesen, kein Zählwerk verrät auch nur die Anzahl der Auslösungen, die Mechanik schweigt – und funktioniert. Es müssen viele Hundert oder Tausend Filme gewesen sein, die durch diese Glaslinsen Bild für Bild belichtet wurden. Und das Objektiv funktioniert immer noch, hätte nur allmählich gerne einmal etwas neues Schmierfett, dankeschön.

Was für Bilder wird es noch machen, in den kommenden Jahren an meiner Digitalkamera? Ich hoffe, nicht die schlimmsten seiner Karriere. Immerhin eines hat sich geändert im Jahr 2017: Alles ist transparent. Wie gut oder schlecht die Fotos sein mögen, die ich und andere nach mir mit diesem Biotar machen mögen, im Internetzeitalter müssen die Abzüge nicht in irgendwelchen Schubladen verschwinden. Wenn etwas Brauchbares dabei sein sollte: Ihr werdet es hoffentlich erfahren.

Willkommen, Biotar, in meiner Sammlung. Willkommen in meiner fotografischen Biografie.

Sechzig Jahre alt, wie neu

Klingelt der Bote am Vormittag / weckt’s Morgenmuffel auf einen Schlag.

DSC01672-CZJ-Biotar-58-+-CZJ-Sonnar-135

Post von Fotoservice Olbrich aus Görlitz. Es ist das erste Mal, dass ich die in Altglasfotografenkreisen sehr gerühmte Arbeit dieser Werkstatt im äußersten Osten unseres Landes selbst erleben kann. Und wahrlich, diese Arbeit war ausgezeichnet.

Aus meinem rund 60 Jahre alten, arg vergnaddelten Carl Zeiss Jena Biotar 2 58 (rechts) haben sie tatsächlich wieder ein blitzendes optisches Präzisionsgerät gezaubert. Ich hatte es im Frühjahr für nicht allzu großes Geld auf Ebay gekauft, wurde aber enttäuscht. Der Linsensatz war lose und klapperte, der Blendenring lief knirschend und das Schlimmste: Auf der Austrittslinse lag innen Nebel.

Nun, schlanke drei Monate später (ich bin leider nicht der Einzige, der von Olbrichs Künsten gehört hat, das ist sein einziger Nachteil), sieht es wieder aus wie ein einsatzbereites Reporterwerkzeug. Die Linsen sind klar, der Tubus fährt beim Fokussieren geschmeidig aus, der ungewohnte Vorwahlblendenring – man muss ihn zur Kamera hin eindrücken, um den gewünschten Blendenwert einstellen zu können – federt und dreht sich wieder sanft und sauber. Das Teil soll ein wunderbar spiralförmiges Schwurbel-Bokeh zustandebringen – ich bin schon gespannt.

„The optical results of the Carl Zeiss Jena Biotar 2 / 58 are really top notch. The bokeh is wonderful and creamy – a true twirling delight. The overall image sharpness is also amazing even when you shoot wide open at f2. For portraiture the Biotar sets standards.“ (Vintage Camera Lenses)

_DSC1795-Biotarlamellen

Und auch das schwarze Carl Zeiss Jena Sonnar 3.5 135 (links), das ich in einem Anfall von Selbstüberschätzung so zerschraubt hatte, dass der Blendenrückholer aus Plaste dabei zerbröselte, blendet, rückholt und rastet jetzt wieder wie am ersten Tag. Also um 1980 herum, als das gute Stück im Werk Jena für den Export nach Großbritannien mit einem „S“ im Blendenring gelabelt wurde (weil die Markenrechte für „Sonnar“ in den meisten westlichen Ländern beim West-Zeiss lagen, aber das ist eine andere Geschichte). Auch das 3.5 135 ist berühmt für seine Leistung.

„Carl Zeiss Jena MC Sonnar 135mm f/3.5 showed outstanding performance in the lab. Images were sharp from corner to corner throughout the tested aperture range. (…) Actually, the lens produced one of the most consistent results among medium telephoto lenses tested to date. (…) Conclusion? With outstanding results across the frame and across aperture range, this 20+ year old lens design still goes strong and would put to test any modern lens.“ (SLR Lens Review)

Vor vielen Jahrzehnten sind in Deutschland – hier konkret: in der DDR – fotografische Spitzenprodukte hergestellt worden, die bis heute ganz oben in ihrer Liga mitspielen. Schön, dass es heute hierzulande noch Handwerkskunst gibt, die sie für die nächsten Jahrzehnte fit hält.