Skandiblog 16: Heimweg

Und das war’s auch im Grunde schon mit Norwegen 2008. Lindesnes war das letzte Glanzlicht der Reise. Die Rückfahrt verläuft ziemlich unspektakulär. Vom Leuchtturm aus schaffe ich es am Freitagabend noch bis Kragerø kurz vor Oslo. „Schaffen“ deshalb, weil…

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…es immer wieder Gelegenheit zum Fotohalt gibt…

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…mir mein elektrischer Navigator zum Schluss der Tour noch einen Streich spielt und mich über diese kilometerlangen und wunderschönen einsamen Waldwege schickt (zumindest kann ich jetzt behaupten, mit der Enduro auch mal im „Gelände“ gewesen zu sein)…

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…die Straße mit unterschiedlichen Begründungen praktisch überall zum Langsamfahren zwingt…

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…dort, wo sie es nicht tut, die scharfen Geschwindigkeitsbeschränkungen durchaus kontrolliert werden…

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…und fast auf der gesamten Strecke – hier eine Umleitung auf der E18 – oft und viel gebaut wird. Wenn jemand fragt, was das Land aus seinen Ölmilliarden macht: Tunnel und Brücken. Es muss Teil der schon erwähnten Politik sein, den Menschen ein bequemes Leben auch an abgelegenen Orten zu erreichen. Der Aufwand dafür ist freilich gewaltig: Auf manchen Abschnitten besteht die Strecke fast nur aus Brücken und Tunneln. Die vom Landesinneren sternförmig in Richtung Küste verlaufenden Fjorde sind der Alptraum jedes Verkehrsplaners. Als Tourist freut man sich dagegen über die schönen Straßen.

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Und als Motorradfahrer freut man sich besonders, dass man auf den mautpflichtigen Abschnitten (die solange gebührenpflichtig bleiben, bis ihre Baukosten abbezahlt sind und dann freigegeben werden) als Einziger nichts zu bezahlen braucht.

Als ich am Abend in Kragerø am Herbergs-PC mit Google Maps die Entfernung nach Aachen ausrechne, wird mir klar, dass ich mich bei der Routenplanung mächtig verhauen habe. Vor mir liegen stolze 1600 Kilometer über weitgehend geschwindigkeitsregulierte Straßen, für die ich nur zwei Tage Zeit habe. Mit dem Auto wäre die Sache nicht ganz so wild, aber ein Motorradfahrer fährt hierzulande aus bestimmten Gründen nun einmal nicht gerne nachts:

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Ich habe die Gruselgeschichte aus Elverum noch im Hinterkopf, wo ein Motorradfahrer ums Leben gekommen sein soll, weil er mit einem Elch zusammenstieß. Die Viecher haben schließlich fast zweieinhalb Meter Schulterhöhe und wiegen bis zu 800 Kilo.

Aus der geplanten Übernachtung in Göteborg (Entfernung 370 Kilometer mit Fähre über den Oslofjord, 480 ohne Fähre über Drøbak) wird also nichts, ich muss es mindestens bis Kopenhagen schaffen. Das sind allerdings 600 Kilometer durch Norwegen, Schweden und Dänemark.

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Doch es klappt. Die Fähre Horten – Moss über den Oslofjord lässt mich nicht lange warten, ich darf gleich als erster an Bord und die Überfahrt geht fix.

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Ein letzter Blick zurück…

Kurz vor der Landesgrenze habe ich noch einmal Gelegenheit, meine Vorräte an heimischen Köstlichkeiten wie Brunost-Käse, Hapå-Karamelbrotaufstrich und Blåbærsaft aufzustocken. Trotz eines Staus auf der E6 in Schweden erreiche ich am späten Abend Malmö. Wieder geht es über die Öresundbrücke – es ist ein tolles Gefühl, nachts übers Meer zu fliegen. Schade, dass ich keine Zeit habe, das Ganze zu genießen. Kurz vor 23 Uhr bin ich in Kopenhagen – und restlos erschöpft.

Der nächste Tag besteht aus 1000 Kilometern Autobahn durch Dänemark, Schleswig-Holstein, Niedersachen und schließlich Nordrhein-Westfalen. Auf Dänemarks Straßen herrscht Ferienverkehr. An einer Tankstelle ist so viel los, dass sich die Warteschlangen vor den Kassen durch den kompletten Laden ziehen. „Guck mal, genau so ein Motorrad wie unseres“, sagt ein deutscher Urlauber zu seiner Frau. „Sind Sie mit der Maschine zufrieden?“ Die Frage kann ich mit vollem Herzen bejahen: „Absolut.“

Bei der Überfahrt über die Storebæltbrücke lasse ich diesmal die Videokamera laufen. Vorsicht, fünf Minuten starrer Straßenansicht zu fürchterlichem Knattersound sind nur für schmerzfreie Menschen zu ertragen.

In Schleswig-Holstein nervt kräftigter Westwind, gegen den man sich weit nach rechts lehnen muss. Dafür sind ab Bremen die Autobahnen wundersam frei – das Endspiel um die Europameisterschaft hat begonnen. Außer einigen Lastwagen und wenigen Autos mit ausländischen Kennzeichen ist niemand, aber auch wirklich niemand unterwegs. Zum ersten Mal auf der ganzen Reise hole ich den MP3-Player aus seiner Hülle und probiere, während der Fahrt damit Radio zu hören. Es funktioniert nicht, die Windgeräusche im Helm sind zu laut. Mehr als „Gegentor“ verstehe ich nicht.

Gegen 23 Uhr letzter Tankstopp an einer Raststätte im Münsterländischen. Keine Fans, keine Autokorsos. Auf TV-Monitoren flimmert Werbung mit dem Spruch „Dabeisein ist alles“. Ich beginne zu ahnen. „Wie ist denn das Spiel ausgegangen?“ frage ich den Tankwart vorsichtig. „Null zu eins für die Spanier“, brummelt er. Eine Gruppe Touristen betritt den Raum. „Eviiiva Españaaaa“, singt einer mit resigniertem Unterton.

Da ich von der ganzen EM so gut wie überhaupt nichts mitbekommen habe, hält sich meine Trauer in Grenzen. Außerdem hat die Vizemeisterschaft auch ihr Gutes: Ich muss nicht befürchteten, nach 5500 Kilometern noch kurz vor der eigenen Haustür in einem Jubelpulk gröhlender Fußballfans stecken zu bleiben.

Nachts um eins biege ich am Aachener Kreuz auf die A 544 ab. Der Europaplatz begrüßt den Heimgekehrten mit seiner hell erleuchteten Fontäne. Das ist immer wieder ein prächtiger Anblick; hoffentlich geht Aachen nie das Geld dafür aus. Ich kenne keine andere Stadt, die dem Ankommenden so ein großartiges Willkommen bietet. Endlich wieder daheim!

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Zu Hause wartet jede Menge Arbeit. Und jede Menge Dreck.

Sowie eine Reisebilanz, die gezogen werden will. Was sollte man beim nächsten Mal anders machen? Auf alle Fälle würde ich nicht mehr über den Öresund und die schwedische Westküste fahren, sondern direkt mit der Fähre von Dänemark nach Norwegen übersetzen. Die Verbindungen von Hirtshals und Frederikshavn nach Langesund und Larvik sollen gar nicht so teuer sein. Vor allem spart man damit jeweils einen vollen Tag.

Vor allem aber würde ich, wenn ich eine Woche nach der Rückkehr meine Motorradklamotten in der Badewanne einweiche, sie gründlich von außen und innen schrubbe und danach sorgfältig abdusche, sämtliche Taschen leeren. Auch die kleine versteckte, zwischen Innen- und Außenreißverschluss. Die, in die der MP3-Player so gut hineinpasst, wenn man während der Fahrt Radio hören will.

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