Die Stadttwittererin

Sie das Herz und die Seele der Aachener Twitterszene zu nennen, ist keine Übertreibung. Sabine Nowak alias @missmarple76 war @wirlebenac, sie war ungezählte Burger-, Pizza-, Schnitzel– und sonstige Testessen Aachen und sie war der ebenso grandios komische wie historisch fundierte @Karl_derGrosse, der als Knochengerippe das Aachener Tagesgeschehen kommentierte, vom traditionellen Öcher Regen bis jüngst zur Durchfahrt der Tour de France.

Außerhalb von Twitter war sie der Gastroführer Aachen geht essen und gerade im Begriff, www.schlemmerbumms.de zu werden, was immer das auch sein sollte – sie wusste es anfangs selbst noch nicht genau, aber die Webadresse war zu schön, um sie nicht zu konnektieren. Und wahrscheinlich war sie noch ein paar Dutzend weitere Grundpfeiler im digitalen Weichbild Aachens, die mir gerade nicht in den Sinn kommen.

Nicht viele Menschen haben die Identität der Kaiserstadt im Internet so geprägt wie die Germanistin und gelernte Buchhändlerin Sabine Nowak. Zweimal hatte ich die Ehre, ihr Herzensprojekt Wirleben.ac jeweils eine Woche lang mit meiner persönlichen Sicht auf Aachen bespielen zu dürfen, im April 2013, und – das mit der Ehre meine ich ernst – als letzter Kurator des dritten Jahres, im August 2016. Voller Begeisterung hatte ich Wirleben.ac damals in Aachener Zeitung und Aachener Nachrichten der nicht-twitternden Zeitungsleserschaft vorgestellt.

Über Jahre hat Sabine mit ihren Testessen-Treffen die lokale Internetszene zusammengeführt. Wenn sie eine Doodle-Liste für ein #teAC ins Netz stellte, führte das einige Wochen später dazu, dass Menschen ihr Essen in Restaurants fotografierten, die sie normalerweise nie einer Bestellung gewürdigt hätten. Freundschaften wurden geschlossen, Beziehungen entstanden, „Folgen“-Links wurden geklickt, Privatnachrichten und Handynummern ausgetauscht. Lebenswege änderten sich durch sie. Ihre Twitterstatistik weist seit ihrem ersten Tweet im Jahre 2009 rund 37.000 Beiträge auf – man kann wohl sagen, dass sie in ihrem geliebten Aachen wohnte, aber auf Twitter lebte.

In dem, was weniger digital-affine Menschen das „reale Leben“ nennen, trug Sabines Organisationstalent ihr den Spitznamen „Entenmama“ ein, was im Grunde mehr über die Küken aussagt als über deren Anführerin. Sabine war die, die machte. Die fragte, telefonierte, buchte und einlud. Als „Ordnende Hand und Projekt-Mama vom Dienst“ beschrieb sie selbst ihre Rolle auf ihrem Xing-Profil. Ohne sie hätte es die Testessen-Runde nicht gegeben. Dass nebenbei ein paar Restaurants auf der Strecke blieben, genauer gesagt: zufällig nur kurze Zeit nach einem #teAC-Treffen den Betrieb einstellten, wurde zum Running Gag. Leider ist nie etwas aus der Idee geworden, von örtlichen Gastronomen für einen Nicht-Besuch Geld zu kassieren. Wie viele Burger hätte man davon – aber lassen wir das.

Am Dienstag hat Sabine völlig überraschend alle irdischen Accounts schließen müssen. Vor ein paar Tagen erst hatte ich ihr noch zum Geburtstag gratuliert – es müsste der 41. gewesen sein, wenn sie ihrer Umwelt mit ihrem Twitternamen nicht einen Scherz gespielt hat (war ihr zuzutrauen gewesen wäre!). Und erst vor ein paar Wochen haben wir in netter Runde beim Twittagessen im Café Orient Expresso am Templergraben gesessen. Es sollte das letzte Treffen gewesen sein.

Auf Twitter breiteten sich in den Stunden nach Bekanntwerden der Nachricht von ihrem Tod Schockwellen der Fassungslosigkeit aus. Fast vier Jahre lang hat @wirlebenAC mit wohl mehr als 100 Kuratoren das Geschehen in der Stadt auf einzigartig vielfältige Weise begleitet, hat @Karl_derGrosse es auf seine ganz spezielle Weise aus 1200 Jahren Distanz kommentiert. Es ist ein bitterer Zufall, dass der letzte Eintrag auf Schlemmerbumms.de ausgerechnet ein Rezept für Aachener Beerdigungsfladen wurde.

Aachens vielleicht scharfsinnigste Stimme im schnellsten Sozialen Netzwerk der Welt schweigt. Noch kann niemand ahnen, wie sehr sie uns von nun an fehlen wird. Welche Bonmots nicht mehr verfasst, was für Pointen nicht mehr gesetzt, welche Restaurants nicht mehr von hungrigen Horden mit Smartphones heimgesucht werden. Wir ahnen nur: Aachen hat eine große Frau verloren. Gäbe es die Position einer Stadttwittererin, sie hätte sie ausgefüllt, mit Tiefgang, Humor und Bravour.

Lebe wohl, Sabine. Und: danke. Für alle Tweets, für alle Burger, für Karl und den ganzen Rest. Wir sind unendlich traurig.

Stadtgebummeltes

Am vierten Tag meines Wochen-Kuratoriums (nennt man das so?) für das Twitterprojekt @wirlebenAC kam ich endlich erstmals mal dazu, etwas originär in Aachen Produziertes zum Thema Aachen zu schreiben. Hier der Beitrag für das Projektblog, den ich mir – faul, wie ich bin – einfach herüberkopiert habe.

Woche 16 – Tag 4

Da bis jetzt anscheinend immer noch niemand meine Tarnung durchschaut hat, kann ich in aller Ruhe weiter meinen teuflischen Plan verfolgen, aus @wirlebenAC ein Blogprojekt zu machen. Wenn die Zahl der Blogpostings hier erst einmal die der Tweets überstiegen hat, wird es kein Zurück mehr geben!

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Dieses Bild wollte ich Euch ja eigentlich gestern zeigen, aber das Wetter war dagegen. Die Fontäne im Wasserbecken des Europaplatzes ist für mich immer der schönste Aachener Willkommensgruß, wenn ich über die Autobahn in die Stadt komme. Seit ich in Köln wohne – also seit Februar 2012 – sehe ich die weiße Gischt lustigerweise noch öfter als vorher. Mein Arbeitsplatz, der Zeitungsverlag Aachen, liegt zwar an der Dresdener Straße und damit an der Abfahrt Rothe Erde. Da ich aber oft Mitfahrer habe, die am Kreisel abgesetzt werden wollen, grüßt mich die fröhliche Fontäne in schöner Regelmäßigkeit. Am schönsten leuchtet sie natürlich nachts.

Entlich endlich hatte ich nach Feierabend noch etwas Zeit, um mal mit der Kamera durch die Stadt zu bummeln und ein paar Ecken abzulichten, die mir an Aachen besonders ans Herz gewachsen sind. Und wie’s so kommt: Wenn man aufmerksam durch die Gassen rund um den Dom schlendert, entdeckt man plötzlich selbst noch etwas Neues.

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Wie diese Plakatwand an der Citykirche. „Bevor ich sterbe, möchte ich…“ ist dort vorgegeben – den Rest darf man ergänzen mit Wünschen wie „reich werden“, „Ronaldo sehen“, „Kinder haben“, „die Welt sehen“, „innere Ruhe gefunden haben“ oder „mein Russland glücklich, gesund und reich sehen“. Anstoß, selbst einmal kurz innezuhalten: Tja, was möchte ich denn eigentlich?

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Das hier ist mein Lieblingsblick in Aachen: vom Markt aus zwischen Rathaus und „Brille am Markt“ die Krämerstraße hinunter auf den Dom. Ich mag die alten Häuser mit ihren französischen Mansardendächern, ich mag das bunte Gewusel der Passanten auf dem Kopfsteinpflaster rund ums Rathaus und die Ehrfurcht gebietenden gotischen Mauern des Kirchenschiffs im Hintergrund. Der Dom überragt alles, aber er erschlägt nichts, weil es keinen größeren leeren Platz um ihn herum gibt. Er ist der natürliche Mittelpunkt der Innenstadt.

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Durch die Rommelsgasse geht es hinunter zum Hof…

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…wo an diesem schönen Abend jede Menge los ist. Im Domkeller gibt es übrigens eine reiche Auswahl belgischer Biere. Am besten trinkt es sich natürlich im Schatten der römischen Arkaden am Kaiserwetter, links im Bild hinter den Bäumen.

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Am nordwestlichen Zipfel des Elisengartens liegt der Brunnen „Der Kreislauf des Geldes“, den hier gerade einige Spanisch sprechende Touristen bewundern – wobei ihr Stadtführer Armbewegungen macht, die sich gut in die Choreografie des Figurentrios einfügen.

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Jetzt aber wieder zurück, die Zeit wird knapp, am Bahnhof warten die Mitfahrer. Über den Münsterplatz geht es rund um den Dom wieder bergauf – die üblichen Touristenfotos schenke ich mir jetzt mal, obwohl Türelüre-Lißje, Aachens Antwort auf Manneken Pis, durchaus einen Abstecher wert wäre.

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Ein paar Meter dahinter buhlen güldene Einhörner und Schwäne um die Gunst und den Hunger der Touristen. Schön, dass es noch so traditionelle Gasthäuser an diesem schönen Ort gibt und sich die allgegenwärtige Invasion der US-Ketten bislang auf ein Starbucks beschränkt.

Das war er, mein kleiner Rundgang durch die Innenstadt. Es gäbe noch viel mehr zu zeigen: die lustige Autofalle Annuntiatenbach zum Beispiel, harmlos versteckt hinter ihrem Bordstein. Das Bahkauvdenkmal am Büchel, nur ein paar Meter von der die Rotlichtmeile Antoniusstraße entfernt. Der Klenkes-Junge an der Frittezang. (Apropos Fritten: In welcher anderen deutschen Stadt gibt es schon so belgische belgische Fritten?) Die in Stein gemeißelten Namen der königlichen und fürstlichen Besucher Bad Aachens am Elisenbrunnen-Pavillon. Das Hohe C Super-C am Templergraben. Das Kneipenviertel hinterm Ponttor. Den Blick vom Lousberg.

Aber wir kommen ja nochmal wieder – davon kann uns nicht mal das unvermeidliche Karnevalslied abhalten, das alljährlich bei der Ordensverleihung wider den tierischen Ernst gesungen wird: „Wer einmal in Aachen waaar…“

Passt schon.

[Hier geht es zu den Tagen 1, 2 und 3.]