Die Rolleiflex SL35 und ihre Objektive

Die Rolleiflex SL35 von 1970 war der Versuch von Rollei, im boomenden Markt der Spiegelreflexkameras Fuß zu fassen und der japanischen Konkurrenz von Pentax, Nikon & Canon etwas entgegenzusetzen. In bemerkenswert kurzer Entwicklungszeit entstand eine Kamera, die nicht nur optisch und funktionell mit den Mitbewerbern mithalten konnte, sondern erstmals – für eine deutsche Kamera – auch schlicht, kompakt und sogar schön geraten war. Von „Bauhaus-Stil“ schreibt ein Rezensent, und er hat recht. Für mich ist die SL35 und ihre Schwester SL350 das Schönste, was es an deutschen Spiegelreflexkameras gibt.

Die Geschichte dieser Kamera hat Frank Mechelhoff auf seiner Seite klassik-cameras.de sehr schön beschrieben. Darum spare ich es mir ausnahmsweise mal meinen üblichen Roman 🙂

„The SL35 is beautiful to behold, it has a simple, totally spartan but elegant bauhaus like design, devoid of superfluous switches and dials, even the hotshot is an after market accessory. The simple lines are difficult to date, 50ies? 60ies? 70ies? the design is timeless and in my view is as glorious as any classic Range Finder.“

Ibraar Hussein auf www.stevehuffphoto.com

Zur SL35 brachte Carl Zeiss das Planar 1.8 50 heraus: ein trotz seiner nicht spektakulären Eckdaten außergewöhnlich aufwendig konstruiertes Objektiv. Konstruiert wurde es vom berühmten Erhard Glatzel (siehe Wikipedia) und Erwin Konschack. Der Siebenlinser folgte auf das legendäre Ultron 1.8 50 der Icarex-Kamera und gilt bis heute als eines der besten 50-Millimeter-Objektive, die je gebaut wurden. Es blieb – wohl wegen seiner hohen Produktionskosten – ein Einzelgänger, der für kein weiteres System angeboten wurde. Das später von Zeiss für das Contax-Yashica-System hergestellte Planar 1.7 50 ist eine andere Konstruktion.

„It is difficult to understand why Zeiss deployed such extensive resources for a simple 50mm kit lens for an external client. (…) this new 1.8/50 was more modern, more complex and even more expensive to manufacture. (…) This 1970 Planar 1.8/50, in spite of an unchallenging maximum aperture, featured a complex and uncompromising optical design. The four air-spaced single elements in the front implied a whole lot of variables in the calculations. Some of the employed glass kinds do not figure in the current Schott catalogue – likely because they included now banned additives. The 7 elements were made of as many different kinds of glasses, including three lanthanum-enriched pieces (two Flint and one Crown). (…) Overall, the project seems an overkill with respect of its scope. Thoroughness and excellence were definitely Glatzel’s style; however, while the designer’s ego might have played a role, it is unclear why Zeiss – seemingly against their own interest – decided to equip the partner/competitor Rollei with such a first-class lens.“

http://vintage-camera-lenses.com/carl-zeiss-planar-history-part-2/

„My Rollei 50 1.8 is an absolute beast of a lens. At 1.8 the lens is acceptably sharp, but once you stop down to just f2 the lens becomes so sharp, the amount of detail this lens resolves is fantastic (…) This Rollei is a gem! Almost everytime the Rollei’s fall behind compared to their Zeiss counterparts, but this 50mm is not the case, it’s just as good as the Zeiss 50mm 1.7.“

User hugomf auf http://forum.mflenses.com

Dazu gab es eine kleine, feine Palette von erstklassigen Objektiven von Carl Zeiss. Bekannt sind etwa das Sonnar 2.8 135, das Distagon 2.8 25 und das Sonnar 2.8 85. Im Bild oben ist ein Weitwinkel Distagon 2.8 35 zu sehen. Sie alle wurde von Zeiss später – wie die meisten anderen für die Rollei SL35 vorgestellten Objektive – für das Contax-Yashica-System in großen Zahlen gebaut, die meisten allerdings nicht mehr in Deutschland, sondern in Japan.

„One of my favourite moderate wide angle lens. I use this whenever I only need a moderate wide angle coverage and want the best quality. I like the look if the very flat front element of this Rollei design compared to the bulging look of the C/Y version. Nevertheless I have used both and find them capable of producing images of very high quality and low distortion. Very good value for the performance. The compact size makes it very suitable for travel.“

http://www.fuwen.net

„Das beste 35er im Bereich bis 100 Euro, was ich je hatte: Voigtländer Color Skoparex 2.8/35 mit Rollei QBM.“

User Tedat auf http://www.digicamclub.de

„I have Rollei Distagon HFT QBM version, which is a great lens. Excellent microcontrast, beautiful colours…“

User stilian auf http://forum.mflenses.com

Die Besonderheit dieses Sets: Sowohl Kamera als auch beide Objektive sind „Made in Germany“. Nur gut 24.000 Kameras entstanden noch in Braunschweig, bevor die Produktion in die neue Rollei-Fabrik in Singapur verlagert wurde, wo der Löwenanteil der SL35-Produktion (sowie die späteren Kameras) gebaut wurden. Auch das Planar und das Distagon sind anfangs noch in Braunschweig gebaut worden, ihre Produktion lief später ebenfalls als Lizenzfertigung („Made by Rollei“) in Singapur weiter.

Beispielsfoto mit Planar 1.8 50
Beispielsfoto mit Distagon 2.8 35

Mit den Rolleis ins Wollgras

Geplant war es nicht, dass ich neulich mal wieder im Venn gelandet bin. Sonst wäre ich sicher nicht in meinen zweitbesten Schuhen (blaues Wildleder!) und im feinen Jackett angereist. Geplant war, dass ich die Vernissage einer Fotoausstellung besuchen wollte, in der unter anderem Bilder meines Freundes Andreas Gabbert hingen.

Von der aus er dann aber mit seinem Kompagnon Daniel Raab nahtlos weiter zu einem Workshop ins Venn fuhr, den die beiden unter dem Label Fotogara für Fotografie-Interessierte anboten. Ob ich mitwollte, fragte Andreas. Ein mehrstündiger Fotospaziergang durchs Venn, geleitet von zwei Auskennern der Gegend und des Fotografierens? Natürlich wollte ich – Wildleder hin oder her.

Das Venn und ich, das ist ja eine Liebe, die etwas Zeit brauchte, um zu wachsen. Wie verloren irrte ich damals, beim ersten fotografischen Vennspaziergang vor drei Jahren, durch die scheinbar leere Landschaft. Und wie viele Bilder mir heute ins Auge springen.

Plötzlich ist jedes Grasbüschel malerisch, ist jeder Strauch zum Niederknien schön, symbolisiert jedes gebrochene Brett im Holzsteg das dramatische Scheitern des Menschen in der Natur. Oder zumindest einen Investitionsstau im Naherholungsgebiet. Wieso habe ich das früher nicht gesehen?

Und wie vielfältig diese rauhe Natur sein kann. Saftig grünes Gewucher hier, sandfarben dürres Gestrüpp da; leuchtende Blätter und ein paar Schritte weiter verbrannte schwarze Äste. Und natürlich, als Sahnehäubchen an diesem Tag: die weißen Tupfer des Wollgrases. Mal wie Inseln im Grün, mal flächig verteilt als weißes Meer.

Zusammen mit einem Dutzend weiterer Venn- und Fotojünger krieche, recke, balanciere und krabbele ich den ganzen Nachmittag durch die Natur. Als einziger ohne Trekkingschuhe, ohne Gore-Tex-Jacke, ohne Stativ und ohne Kamerarucksack. Und ohne Mittagessen im Bauch – es war halt alles anders geplant gewesen. Aber, hey, die Schuhe haben es überlebt und so war ich am Abend, als wir drei noch zusammen in der „Bodega“ in Imgenbroich den Tag bei Schnitzel und Leffe Revue passieren ließen, mehr als nur etwas zufrieden. Hach, das Venn. Immer gerne hin, immer ein Gewinn.

Noch das übliche Wort zur Ausrüstung: Während der Venngang für mich eine Wiederholungstat war, war es für die Objektive in meiner Tasche (immerhin, eine Tasche mit Objektiven hatte ich schlauerweise noch eingepackt, man geht ja schließlich nicht nackt auf eine Vernissage) eine Premiere. Zum Einsatz kam nämlich – Trommelwirbel – erstmals Familie Rollei. Diese um 1970 für die Rolleiflex SL 35 vorgestellte Objektivserie fällt durch die ausgesprochen kompakten, fast zierlichen schwarzen Fassungen mit geriffelten Fokusringen auf.

Die sechs günstigsten Standardlinsen zwischen 25 und 200 Millimeter hatte ich mir in den vergangenen Monaten nach und nach ge-ebayt. Bevor sie erstmals das Haus verlassen durften, musste allerdings ein Fachmann das trockengelaufene 35er-Distagon neu schmieren und beim Planar 1.8 50 Nebel von der Austrittslinse entfernen.

Eine Familie mit Kompetenz: Da ist der einzigartig aufwendig konstruierte Siebenlinser Planar 1.8 50, der Nahbereichs-Experte Distagon 2.8 25, das ausgewogene Weitwinkel Distagon 2.8 35 und das fantastisch scharfe und kontrastreiche Sonnar 2.8 85, mit dem einfach jede Aufnahme gut wird. Sie wurden jahrzehntelang für mehrere Kamerasysteme weitergebaut, vor allem in der Contax-/Yashica-Version wurden sie weltweit Verkaufsschlager. Fast alle von ihnen sind heute noch für Canon- und Nikon-Kameras zu haben.

Für einen Nachmittag im Venn sind die Rolleis – die beiden größeren Tele-Tessare 4 135 und 4 200 hatte ich zu Hause gelassen – jedenfalls eine mehr als passable Ausstattung. Und darum bestimmt nicht zum letzten Mal dort gewesen – hoffentlich.

Meine blauen Wildlederschuhe allerdings schon. Hoffentlich.

That escalated quickly

Sony A7II mit Meyer Optik Primagon 4.5 35, f22, 5s, ISO 100
Sony A7II mit Meyer Optik Primagon 4.5 35, f22, 5s, ISO 100

Es lässt sich beim Ersteigern von alten Objektiven auf Ebay nicht vermeiden, dass hin und wieder noch eine alte Kamera dranhängt. Oft sind diese Kombinationen sogar günstiger, weil Objektivsammler nicht in die Kamera-Rubrik schauen. Die Gefahr dabei ist allerdings, frei nach Nietzsche: Wenn du dir die schwarzsilbernen Schönheiten aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu lange anschaust, schauen sie irgendwann in dich zurück. Und bringen dich dazu, in einen Drogeriemarkt zu gehen und dich – höflich und etwas vorsichtig, als frage man nach Gummiartikeln zur höchstspersönlichen Freizeitgestaltung – nach etwas zu erkundigen, was du seit etwa zwölf Jahren nicht mehr gekauft hast.

Filme, Sie wissen doch. Nein, keine DVDs, ich meine diese altmodischen Rollenfilme, die man früher in Kameras tat. Kennen Sie sowas gar nicht mehr? Haben Sie die noch?

Verschämt versteckt sich ein Dutzend kleiner Schachteln ganz außen in einer Ecke eines Regals – was für ein kümmerlicher Rest der einst so allgegenwärtigen Analogfotowelt. Ganze vier verschiedene Sorten gibt es noch, von 100, 200 und 400 ASA, dazu eine Schwarzweiß-Variante. Entwickelt wird der Spaß heutzutage für 3 Euro, Foto-CD inklusive.

So schnell verschwindet eine komplette, gut hundert Jahre alte Industrie samt ihren Fotoabgabetresen in jedem Supermarkt, den Großregalen mit Dutzenden von Filmsorten, Doppel, Fünffach- und Familienpackungen und dem ganzen Zubehör. Erinnert ihr euch an die Zettel, auf denen man ankreuzen musste, ob die Abzüge matt oder glänzend sein sollten? 9 mal 13 (billig, aber jämmerlich klein) oder 10 mal 15 (ausreichend groß, aber für einen kompletten Urlaub arg teuer). An die Umschläge mit den Negativstreifen, die immer in die falsche Reihenfolge gerieten?

Wie lange das her ist. Jetzt schaue ich etwas ratlos auf das Aufwickelröllchen im Gehäuse der Exa und weiß nicht mal mehr, wie man den Film dort einfädelt. Immerhin, ein Gutes hat das Digitalzeitalter: Dank Youtube, Fachforen und den Webseiten der Kamerafreaks und Bastler gibt es für jedes Modell ausführliche Anleitungen, Dokumentationen und Tutorials.

Also, Fotografie nach alter Väter Sitte: Ich war lange weg, aber jetzt bin ich wieder da. Schön, dass du auf mich gewartet hast. Kann losgehen jetzt. Äh, wie stellt man eigentlich die richtige Belichtung ein, so ohne Display?

Die Mittelformatigen (hinten links und rechts): Pentacon Six TL (1966-90) und Zeiss Ikon Nettar II 516/17 (1951-53)

Die Kleinbildenden (vorne links, Mitte und vorne rechts ): Zeiss Ikon Pentacon (1956-61), Rolleiflex SL35 (1970-1972) und Ihagee Exa (1959-69).