Weißes Rad

Sony A7II mit Canon FD 50 F1.4, F2.8, 1/15s, ISO 2000
Sony A7II mit Canon FD 50 F1.4, F2.8, 1/15s, ISO 2000

Es war ein wirklich netter Abend beim Kreativen Stammtisch von Social Media Aachen in der WG, aber nach fast drei Stunden und dem dritten Bier zog es mich schließlich nach Hause. Doch als ich mein Fahrrad aufschloss, fiel mein Blick auf das.

Gute Fotos müssen weh tun, sagt mein Freund Andreas. Und manche Fotos kann man nur einmal im Leben schießen, sagt sein Freund Marc. Also krebste der Schreiber dieser Zeilen, obwohl sein linkes Knie nach einer Bänderzerrung fies schmerzt, noch gut eine Viertelstunde lang im verdämmernden Licht des Mittwochabends vor dem Justus K. über den Bürgersteig, um ein halbwegs brauchbares Bild dieses wunderschönen Mika Amaro Single Speed mit Riemenantrieb in Pearly White auf den Sensor zu bannen. Ein modern-klassisches Gegenstück zum altmodisch-klassischen roten Rad von Leipzig, das vielleicht mein heimliches Lieblingsfoto überhaupt ist.

A Day at the Races

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Woran erkennt man einen guten Fotografen? Sicherlich auch daran, dass er seine Ausrüstung in- und auswendig kennt und beherrscht. Dass er mit instinktiver Sicherheit zu den richtigen Komponenten greift, wenn er zu einem Fototermin aufbricht. Ob Landschaftsbild, ob Sportereignis, ob Straßenfotografie, ob Porträtfoto – für jeden Anlass gibt es bestimmte Objektive, Filter, Zubehörteile. Der Profi kennt sie alle und weiß, was er wann braucht.

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Wenn’s danach geht, darf ich mein kiemenbewehrtes Haupt getrost wieder in die fotografische Ursuppe sinken lassen, aus der es gerade versucht hat, sich zu erheben.

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Denn als ich mich heute zu einer Einkaufstour in die Stadt aufmachte und dabei für alle Fälle auch die Kameratasche packte, griff ich mit instinktiver Sicherheit zu genau dem Objektiv, das sich für das, was mich und meine Nex-6 erwartete, als am absolut defintiv total ungeeignetsten erweisen würde.

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Wie sich herausstellte, fand nämlich in der Innenstadt gerade das Radrennen „Rund um Dom und Altstadt“ statt, als ich mich nichtsahnend durch die immer dichter werdenden Menschenmassen in Richtung Mayersche bewegte.

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Und was, frage ich, hatte der Möchtegernprofi für dieses Sportereignis aus dem reichhaltigen Arsenal seiner fotografischen Waffen ausgewählt? Das 18-200-Millimeter-Teleobjektiv, um die rasenden Renner nah heranzuzoomen? Das 20-Millimeter-Weitwinkel, um möglichst viel vom Feld draufzubekommen? Oder die 32-Millimeter-Festbrennweite mit der tollen Bildqualität? Selbst das schlichte 16-50-Millimeter-Kitobjektiv wäre noch ein halbwegs brauchbares, da flexibles Werkzeug gewesen.

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Alles, aber nicht das SEL-30M35 F3,5/30mm Makroobjektiv. Genau, die Linse für Bienchen- und Blümchenbilder. Fürs Hummelhaare und Pollenpuder, für die ganz nahen Nahaufnahmen. Ich hatte halt eher damit gerechnet, dass mir im Elisengarten irgendein farbenfrohes Krabbel- und Grünzeug vor die Linse fleuchen würde. Jetzt stand ich da wie jemand, der zum Schneeschaufeln gerufen wurde und mit einem Bügeleisen erscheint. Das kannn man wohl nennen: Voll am Motiv vorbeifokussiert.

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Allerdings: Farbenfroh war das angebotene Event ja schon. Und die schon reichlich überbelichtete Erkenntnis, dass die beste Kamera die ist, die man dabei hat, erstreckt sich zweifellos auch auf Objektive. Und es ist ja nicht so, dass Sonys 30er-Makro bei allem, das mehr als einen halben Meter entfernt ist, kurzsichtig blinzelt wie ein halbblinder Professor. Es kann auch „richtig“ fotografieren – nur halt nicht besonders brillant. Und natürlich nur mit dem starren Bildausschnitt seiner 30 Millimeter Brennweite. Da ist nichts mit Telezoom oder Superweitwinkel – fotografieren wie zu Opas Zeiten halt, mit der klassischen Reporterbrennweite.

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Also: Alles zusammengekratzt, was wir über ultrakurze Verschlusszeiten, Objektverfolgung, Serienbildaufnahmen, Hintergrundunschärfe und Perspektive jemals vergessen haben…

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…und todesmutig ranfokussiert ans Motiv!

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Das Gute am Radrennen ist, das wurde schnell klar: Hat man den Schuss versemmelt, kommt das Motiv drei Minuten später nochmal vorbei. Und dann nochmal und nochmal –

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– und das Ganze jedesmal netterweise auch noch etwas langsamer als vorher.

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Bewahrheitet hat sich an diesem schönen Samstagnachmittag noch eine andere Erkenntnis, die ich in meiner geballten Altersweisheit gerne jungen Einsteigern in die journalistische Laufbahn mit auf den steinigen Weg gebe. Bitte mitschreiben: Das Geheimnis eines guten Fotos ist, dass es noch 19 schlechtere vom selben Motiv gibt.

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Dass hier nämlich überhaupt halbwegs vorzeigbare Bilder auf dieser Seite zu sehen sind, ist in erster Linie einem Ausstattungsmerkmal meiner Kamera zu verdanken, das ich heute zum ersten Mal an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht habe: der Serienbildfunktion.

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Erstaunlich, welche Datenmengen so eine SD-Speicherkarte schluckt, wenn man den Auslöser einfach mal längere Zeit durchgedrückt hält: Stolze 862 Fotos mit rund 4,5 Gigabyte Datenvolumen musste der Chip an diesem Tag beim Rennen verdauen – das entspricht in etwa einem soliden einwöchigen Urlaub am Mittelmeer. Dafür aber steht am Ende jeder Motivreihe ungefähr ein Bild, bei dem die rasenden Radler halbwegs an einer brauchbaren Stelle im Bildausschnitt parken.

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Des Tages Ausbeute: diese 15 Fotos (sowie natürlich jeweils 19 schlechtere Varianten vom selben Motiv plus gewaltige Mengen Ausschuss). Auf der anderen Seite: Für ein Bienchen-und-Blümchen-Objektiv sind 15 Sportfotos eigentlich gar nicht mal sooo schlecht. Anscheinend lässt sich auch mit einem Bügeleisen Schnee schaufeln – irgendwie.