Fest des Rosts: Auf dem Autofriedhof Neandertal

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Grün. Leuchtendes Grün, glitzerndes Grün, samtiges Grün. Grün in allen Schattierungen, in allen Nuancen, in allen Stufen der Üppigkeit, von hellem Gelbgrün bis zu fast schwarzem Faulgrün; von modrigem Belag bis zu wild hochschießenden Pflanzen. Das Grün wächst auf Kotflügeln, auf zerrissenen Stoffdächern, auf zusammengesunkenen Sitzen. Es wuchert aus klaffend offenen Radhäusern, es fällt, gefiltert durch das Blätterdach der Bäume, auf verblichenen Lack in einstmals leuchtenden Farben. Einstmals, das heißt: vor 66 Jahren, also 1950 – als die 50 Autos gebaut wurden, die her allmählich ihrem Zerfall entgegendämmern.

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Es ist still auf dem Autofriedhof Neandertal. Kein Ort wie irgendein anderer, schon gar kein Autofriedhof wie irgendein anderer. „Autoskulpturenpark“ nannte jemand dieses einmalige Kunstprojekt des – laut Spiegel-Online – Düsseldorfer Modehändlers, Autoverkäufers und Rennfahrers Michael Fröhlich. Zu seinem 50. Geburtstag schenkte er sich selbst 50 Oldtimer, Baujahr 1950, vom Einfach-Mobil Citroên 2CV bis zum königlichen Rolls Royce Silver Wraith.

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Und: Überließ sie sich selbst. Vor 16 Jahren war das. Seitdem haben Oxidation und Verfallsprozesse aller Art ihr Werk getan. Da steht nun der Jaguar im Wert von 120.000 Euro neben dem Porsche 356. Der Käfer neben dem Mercedes, der US-Straßenkreuzer neben dem englischen Roadster, der mächtige Russe neben dem fragilen Franzosen. Dazwischen Motorräder, Roller, Fahrräder, sogar Flugzeuge.

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„Friedhof der Fünfziger“ nannte der Spiegel diese Ansammlung zerbröselnden Blechs. Ein besserer Name ist auch mir nicht eingefallen. Da springt die Chromleiste ab, da ist der Rückspiegel blind geworden, da platzt der Lack großblättrig vom Blech ab – oder ist es schon das Blech selbst, das sich da vom Rest des einstigen Stolzes der Landstraße abrollt?

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Doch nicht einmal die Polizei, deren Gewerkschaftsaufkleber hinter der altersmilchig gewordenen Windschutzscheibe gerade noch zu erkennen ist, kann hier helfen.

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Man könnte, wenn man ein Petrolhead ist und das Herz für die verchromten Schönheiten vergangener Jahrzehnte schlägt, das Weinen bekommen beim Anblick dieses langsamen Vergehens so schöner und seltener Gefährte. Dieser wunderliche Zweitürer auf drei Rädern da, muss der wirklich sterben? Kann man da nicht noch etwas machen?

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Nein, man kann nicht. Die Natur holt sie sich zurück, den protzigen Luxusschlitten wie das klapprige Nachkriegs-Notmobil, den bunten Hippie-Bus wie den Trabant, aus dem ein Baum wächst. Viele Fahrzeuge sind kunstvoll mit Seilen in Schräglage aufgehängt, so dass die Schwerkraft der Zeit beim Brechen von Rahmen und Versteifungen noch unter die Arme greifen kann. Für die Karosserien, die hier auf den Streckbänken liegen und hängen, gibt es nur einen Weg: nach unten, abwärts ins Moos und zu den herabgefallenen Blättern, zwischen die Gräser und Sträuche, die ihnen an den Flanken entgegenwachsen.

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Dem Betrachter bleibt beim Gang über das mit skurrilen Details ausstaffierte Gelände nur, die stille Würde zu bewundern, mit der die Exponate ihrem Ende entgegendämmern. Und er bemerkt die eine oder andere Einzelheit, die an die ungezählten, in früheren Leben auf den Landstraßen Europas zurückgelegten Kilometer erinnert. So scheint dieser Roller einmal in der Hauptstadt unterwegs gewesen zu sein – ganz sicher, als sie noch zweigeteilt war. Er wird kaum dorthin zurückkehren, um durch den Teil Berlins zu knattern, der ihm damals versperrt war.

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Es gibt viel zu sehen. Drei Stunden lang streifen ich und drei andere Fotografen – wir haben den Besuchstermin telefonisch vereinbart und brav den Eintritt für das Privatgelände bezahlt – zwischen den Bäumen herum, stecken die Beine der Stative zwischen Baumwurzeln, leuchten dunkle Fahrzeugpartien mit Taschenlampen an, suchen nach perfekten Aufnahmewinkeln und Brennweiten.

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Und grinsen über die vielen schrägen Einfälle des Besitzers, etwa die mit Graffiti und Sanitärartikeln verzierte Betonmauer, die samt IFA-Cabrio aus der DDR an die deutsche Teilung erinnern soll.

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Schon halb vom Hügel verschlungen zeigt sich dieser Moskwitsch. Oder kriecht er aus der Erde heraus wie ein Zombie?

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Wer seinen Frieden damit gemacht hat, dass hier einzigartige Werte verrotten, kann den Anblick dieser Rostkarrossen sogar genießen. Und über die vielen verrückten Einfälle des Gestalters lachen, wie die Puppen von Queen Elizabeth und Prince Charles, die im spinnwebenüberzogenen Rolls mit der Aufschrift „Fuckingham Palace Shuttle Service“ auf dem Weg zur nächsten royalen Party zu sein scheinen.

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Unglaublich, wie schnell die Zeit zwischen den morschen Boliden vergeht. Plötzlich fallen Tropfen aus dem Himmel – und uns wird klar, dass wir angesichts der Wettervorhersage großes Glück gehabt hatten. Hätte es nicht den ganzen Tag regnen sollen, hat es das nicht auch schon getan auf der Hinfahrt, kurz vor Düsseldorf? Die geschützte Tallage hat uns offenbar den Fotoausflug gerettet. Doch dann ist es vorbei mit Stille und Romantik. Schnell noch zwei letzte Bilder in die Runde gemacht, dann verlassen wir das Wäldchen und suchen Schutz im Ausflugsrestaurant ein Stück weiter unten im Tal.

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Während draußen ein Platzregen auf den Asphalt des Besucherparkplatzes prasselt, lassen wir in original bergisch-rustikaleichenem Kaffeetafelambiente der 70er-Jahre die Eindrücke noch einmal Revue passieren. Und unterziehen die entstandenen Bilder auf einem Tablet einer ersten Betrachtung. Bei dem Bild hier hättest du näher ranzoomen können, dafür wäre hier eine kleinere Blende gut gewesen.

Am Liebsten würde jeder von uns wohl die Kamera schnappen, noch einmal den Berg hochstapfen und noch eine zweite Runde drehen – zwischen den fast 70 Jahre alten Zombies aus Blech, Rost und Grün. Doch für heute soll es genug sein: Wo vor Jahrmillionen die Vorfahren des modernen Menschen durch den Wald liefen, haben an diesem Abend 50 seiner angeblich besten Freunde wieder ihre letzte Ruhe.

Letzte Fahrt

Nun also hat die Welt Abschied genommen vom „Geliebten Führer“ Nordkoreas, Kim Jong-Il. Und während die Analysten und Kommentatoren der politischen Landschaft noch spekulieren, wie sich die Lage auf der geteilten koreanischen Halbinsel weiter entwickeln wird, können wir Autoliebhaber uns entspannt zurücklehnen – unsere brennendste Frage ist nämlich beantwortet.

Es sind keine alten russischen Zils oder Tschaikas, die den Sarg des Diktators, ein riesiges Porträt sowie einen meterhohen Kranz in der gigantischen Trauerzeremonie durch die verschneiten Straßen von Pyöngyang fahren, flankiert von Geländewagen, die wir Sternenkundler natürlich sofort als G-Modelle von Mercedes erkennen.

Die New York Times hat das Rätsel gelüftet (beziehungsweise über die Blogger berichtet, die es getan haben). Die drei wuchtigen Schlitten mit den kantigen Linien und dem typischen Chromzierrat der 70-er Jahre sind: Lincoln Continentals, wohl von 1975 oder 76. Ausgerechnet Limousinen des meistgehassten Feindes durften das Staatsoberhaupt des letzten stalinistischen Landes der Welt zu Grabe fahren?

Das sei so erstaunlich nicht, zitiert die NYT die Korea-Expertin Kongdan Oh. Die drei makellos gepflegten Dickschiffe waren bereits 1994 bei der Beerdigung von Kim Jong-Ils Vater Kim Il-Sung dabei. Und auf nichts legt das Regime derzeit so viel Wert wie auf einen geräuschlosen Übergang der Macht auf den Enkel, Kim Jong-Un. Kontinuität geht da über alles. Und wir dürfen sicher sein, dass die Kommentatoren im nordkoreanischen Staatsfernsehen ihr Publikum auf diesen bizarren Nebenaspekt nicht aufmerksam gemacht haben. Außerdem, so Kongdan Oh, lebten die Nordkoreaner ohnehin weitgehend ein Siebziger-Jahre-Leben.

Der Rest der Begräbniskolonne war, aus automobiler Sicht, mal wieder eine Stuttgarter Leistungsschau der vergangenen vier Jahrzehnte. Von den trotz Schneegestöbers offenen militärischen G-Klassen über einen Schwarm moderner S-Klassen bis zu den bei nordkoreanischen Offiziellen immer noch so beliebten W123ern fuhr alles im Tross mit, was totalitäre Regimes seit eh und je an deutscher Wertarbeit so schätzen. Wie gesagt: Man legt halt Wert auf Kontinuität.

Wer mag, kann sich hier ein fast sieben Minuten langes Video der Prozession ansehen, schauerlich untermalt vom Heulen der Massen am Straßenrand.

Importware

Man dürfte nicht übertreiben, wenn man schreibt, dass die krisengewürgte US-Metropole Detroit sich in puncto Glamour-Faktor hinter Duisburg-Ruhrort oder Marl-Mitte nicht zu verstecken braucht. Um so erstaunlicher, dass der noch vor kurzem ähnlich strahlend beleumundete Autobauer Chrysler einen ungeheuerliche zwei Minuten langen Werbespot während der Übertragung des jüngsten Superbowls schaltete, der mit einer Kamerafahrt durch die trostlosen Industrievororte der einst so stolzen Motown beginnt. „What does a town that’s been to hell and back know about the finer things in life?“, fragt der Sprecher.

Tipp: Lautsprecher an, Vollbild.

Der „Zwei-Minuten-Spot“, über den danach ganz Amerika sprach, ging als der mit den meisten Zuschauern in die Fernsehgeschichte ein. Kosten: zwei Millionen Dollar. In Nebenrollen: Rapper Eminem und der neue Chrysler 200 – „imported from Detroit“.

Man muss schon sagen: Das Ding ist echt gut gemacht. Wird nicht leicht für Wolfsburg und Rüsselsheim, da nachzuziehen.

(Zu den Hintergründen der „Wiedergeburt“ von Chrysler nach der Zwangsheirat mit Fiat hat die New York Times gerade eine lesenswerte Geschichte gebracht. Hübsche Fotos aufgegebener Großbauten in Detroit gibt es auf Forgottendetroit.com.)

Fahrfailer

Dem regelmäßigen Reifenkreischen nach, das mir gestern Nachmittag den Sonntagsdienst in der Redaktion versüßte, üben auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums gegenüber meiner Arbeitsstätte gerne mal irgendwelche Honks den Burnout.

Eine Kunst, die gelernt sein will.

Das da war zwar in Australien, aber es fällt trotzdem in die Kategorie „Bilder, die man gerne sieht“. (Es hat wirklich nervig gequietscht gestern).