Reiten im Wind

XT1Uhr-AusschnittSchöne neue Onlinewelt.

Der Schreiber dieser Zeilen zählt zu denen, die auch andere Arten des Reisens kennen und schätzen als die auf vier Rädern. Eine der unkomfortabelsten Alternativen sollte jetzt nach längerer Pause wieder betrieben werden: das Reiten auf einem explosionsmotorgetriebenen Einspurfahrzeug. Genauer, einer Yamaha XT 600 von 1991, siehe Bild.

Sie ist eine Art zweirädriger Dinosaurier. Aus einer Zeit, als Motorräder noch nicht die hochtechnischen Freizeitbegleitgeräte von heute waren. Die sich entweder mit dem Leergewicht eines Kleinwagens der Wirtschaftswunderzeit nur noch dank ABS und Rückwärtsgang bewegen lassen. Oder aber vollverkleidet mit einer Motorleistung über die Autobahnen knallen, dass es einen Jagdflieger graust. Die XT stammt noch aus einer Epoche, als ein Motorrad deutlich weniger kostete als ein Auto. Vor einiger Zeit hatte der Schreiber dieser Zeilen beruflich an der Vorstandssitzung eines Geldinstitutes teilzunehmen. In der Pause tauschten sich die Geschäftsführer über ihre neuesten Harleys und BMWs aus. Motorradfahren, hatte das nicht einmal etwas mit Rebellion gegen das Establishment zu tun?

Kurz: Entweder pilotiert man wie ein früherer Kollege so ein 15.000-Euro-Hochleistungsgeschoss, das mehrmals im Jahr wegen unerklärlicher Gebrechen zu einem Update des elektronischen Motormanagementes in die Werkstatt gebracht werden muss (natürlich nicht auf eigener Achse). Oder man fährt so ein Ding wie eine XT, bei der alles auf das Nötigste reduziert ist. Die Elektrik ist äußerst übersichtlich; irgendwo da unten kümmert sich eine einzelne Zündkerze quasi in Handarbeit darum, dass Explosion und Arbeitshub in sinnvoller Reihenfolge stattfinden und was das Motormanagement angeht, dafür gibt es ein solides Gegengewicht. Ein E-Starter ist der einzige Luxus; selbst der Drehzahlmesser wurde nachträglich angeschraubt. Klar, moderne Vierzylindermotoren stoßen in Geschwindigkeitsbereiche vor, die früher der Formel 1 vorbehalten waren. Aber ein Einzylinder vibriert halt so schön.

Zugegeben: Ihre gut 80.000 Kilometer, ziemlich genau zwei Erdumrundungen, sieht man der alten Dame an. Womit wir endlich beim Thema wären, dem Internet.

Das gab es 1991 natürlich noch gar nicht, als die XT zusammengelötet wurde (auch wenn Herr Berners-Lee da widersprechen mag). Doch längst haben die drei W’s auch in die Welt motorisierter Klassik Einzug gehalten.

Was jetzt am Wochenende wieder einmal bewiesen wurde. Da stand das erwähnte Zweirad nämlich noch in der rund 270 Kilometer von Aachen entfernten Werkstatt, die ein paar kleinere Alterserscheinungen beseitigen sollte. Altes Kettenkit wechseln, Ventile einstellen – Kleinkram. Doch dabei war etwas gebrochen, ein Stück Ankerplatte des hinteren Bremszylinders. Einen Yamahahändler gibt es vor Ort ebensowenig wie gebrauchte Ankerplatten.

Was es gibt, sind einschlägige Foren im Internet. Gegen 16 Uhr ward dort ein Hilferuf gepostet, nur eine halbe Stunde später trudelte schon die erste Antwort ein, mit genauer Beschreibung der gesuchten Platte, Kaufangebot für ein Gebrauchtteil und beigefügtem Foto desselben. Kurz darauf hatten bereits drei hilfsbereite Seelen Ersatz angeboten und dabei nebenbei auch auf eine hervorragende amerikanische Händler-Seite verwiesen, wo exzellente Diagrammzeichnungen jeder Baugruppe hinterlegt sind. Eine gebrauchte Ankerplatte für kleines Geld zu beschaffen war letztlich ein leichtes.

Danke, Internet. Damals, als die XT gebaut wurde, gab es es nur das tagelange Abtelefonieren aller Motorradwerkstätten und Hinterhofschrauber in Nordwestdeutschland sowie lange Überlandfahrten zum Ansehen und meist ergfolglosen Vergleichen („war wohl doch für’n Vorgängermodell“).

Damals wäre man früher oder später entnervt zum Händler gefahren und hätte ein Neuteil besorgt. Dessen Preis heute – auch diese Information hatte einer der drei Helfer in seiner elektronischen Post parat – bei deutlich über 200 Euro liegt. Zweiradfahren ist wahrlich ein teures Vergnügen geworden.

Nun ja, das Web transportiert eben auch die weniger guten Nachrichten. Der XT soll’s egal sein. Der alte Einzylinder läuft wieder. Ob mit oder ohne moderne Elektronik.