Wolken stehen am Himmel über dem Venn, als ich hinter Andreas über die schmalen Wege und wippenden Holzstege herbalanciere. Auf meinem Rücken der Fotorucksack, im Anschlag die Sony Nex-6, denn dies ist so etwas wie eine Fotosafari. Andreas ist einer der besten Fotografen, die ich kenne, und er hat netterweise angeboten, mit mir auf Motivpirsch in seine heimatliche Eifel zu gehen. Also habe ich an Ausrüstung eingepackt, was ich an Wechselobjektiven (3) und Stativen (1) im Schrank habe und mich auf den Weg nach Imgenbroich gemacht. Das nahegelegene Steinley-Venn bei Konzen soll als Übungsgelände herhalten – und dass das belgische Militär gelegentlich Ähnliches vorhat, kann uns nicht von unseren Plänen abbringen.
The spirits are high, sagt man auf Englisch so schön, während wir uns immer weiter von der Zivilisation entfernen. Nur die Sonne tut uns leider nicht den Gefallen, die Szenerie in güldene Strahlen zu tauchen. Der Himmel ist durchgängig bewolkendeckt, das Licht schwammig und indifferent. Macht eigentlich nichts – das Venn ist bei jedem Wetter malerisch, je nach Sonne und Jahreszeit sieht die Landschaft an keinen zwei Tagen gleich aus. Hier müssen sich doch Motive ohne Ende bieten!
Doch je öfter ich aufs Display der Nex gucke, desto mehr wird mir klar, dass ich nichts sehe. Es liegt nicht an der Kamera: Das 30-mm-Objektiv von Sigma produziert bekanntlich knackscharfe Fotos, das 16-50-mm-Kitobjektiv sollte vom Weitwinkel bis zum Porträt brauchbare Bilder hinkriegen und als Geheimwaffe habe ich noch ein altes analoges 50-mm-Rokkor im Köcher, das mit seinem Adapter umgerechnet etwa 75 Millimeter Kleinbildäquivalent produziert. Dass bei alledem nichts Begeisterndes oder auch nur Befriedigendes rauskommt, liegt am Auge des Menschen, der durchguckt.
Denn mal abgesehen von einigen wenigen offensichtlichen Eyecatchern wie diesem zerfratzten Balken an einem ausgemusterten Holzsteg springt mir nichts Fotografierenswertes ins Auge. Und während sich Andreas über den moosigen Boden an seelenvoll aus dem Sumpf ragende Schachtelhalme heranrobbt, bleibt mein Kameramonitor leer. Ich sehe einfach nicht, was das Fotografenauge sieht. Als ich später Andreas‘ Ausbeute anschaue, wird mein Gefühl nur noch bestätigt. Klar, er hat Ausrüstung für viele tausend Euro dabei, aber das alleine kann es nicht sein.
Es wird ein schöner Spaziergang durch eine tolle Landschaft. Aber er lässt einen ratlosen Marc mit nassen Schuhen zurück. Wie trainiert man sich ein fotografisches Auge an? Eins ist offensichtlich, das traditionelle Rezept der Digitalfotografie – „hundertmal leicht unterschiedlich draufhalten, ein Schönes wird am Ende dabeisein“ – funktioniert nicht, wenn man wirklich etwas Spezielles produzieren will. Ich habe das Gefühl, bei Null anfangen zu müssen: Bildbeschnitt, Winkel, Licht und natürlich Brennweite, Blende und ISO-Zahl, das alles will beherrscht werden.
Hier im Venn bin ich nicht nur am Ende dessen angekommen, was die so geliebte Programmautomatik der Kamera hergibt, sondern auch am Ende dessen, was ich bis jetzt fotografisch auf die Beine gestellt habe. Es war ein Tag, der mir die Augen öffnete – und sie sahen, dass sie nichts sahen.