That escalated quickly

Sony A7II mit Meyer Optik Primagon 4.5 35, f22, 5s, ISO 100
Sony A7II mit Meyer Optik Primagon 4.5 35, f22, 5s, ISO 100

Es lässt sich beim Ersteigern von alten Objektiven auf Ebay nicht vermeiden, dass hin und wieder noch eine alte Kamera dranhängt. Oft sind diese Kombinationen sogar günstiger, weil Objektivsammler nicht in die Kamera-Rubrik schauen. Die Gefahr dabei ist allerdings, frei nach Nietzsche: Wenn du dir die schwarzsilbernen Schönheiten aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu lange anschaust, schauen sie irgendwann in dich zurück. Und bringen dich dazu, in einen Drogeriemarkt zu gehen und dich – höflich und etwas vorsichtig, als frage man nach Gummiartikeln zur höchstspersönlichen Freizeitgestaltung – nach etwas zu erkundigen, was du seit etwa zwölf Jahren nicht mehr gekauft hast.

Filme, Sie wissen doch. Nein, keine DVDs, ich meine diese altmodischen Rollenfilme, die man früher in Kameras tat. Kennen Sie sowas gar nicht mehr? Haben Sie die noch?

Verschämt versteckt sich ein Dutzend kleiner Schachteln ganz außen in einer Ecke eines Regals – was für ein kümmerlicher Rest der einst so allgegenwärtigen Analogfotowelt. Ganze vier verschiedene Sorten gibt es noch, von 100, 200 und 400 ASA, dazu eine Schwarzweiß-Variante. Entwickelt wird der Spaß heutzutage für 3 Euro, Foto-CD inklusive.

So schnell verschwindet eine komplette, gut hundert Jahre alte Industrie samt ihren Fotoabgabetresen in jedem Supermarkt, den Großregalen mit Dutzenden von Filmsorten, Doppel, Fünffach- und Familienpackungen und dem ganzen Zubehör. Erinnert ihr euch an die Zettel, auf denen man ankreuzen musste, ob die Abzüge matt oder glänzend sein sollten? 9 mal 13 (billig, aber jämmerlich klein) oder 10 mal 15 (ausreichend groß, aber für einen kompletten Urlaub arg teuer). An die Umschläge mit den Negativstreifen, die immer in die falsche Reihenfolge gerieten?

Wie lange das her ist. Jetzt schaue ich etwas ratlos auf das Aufwickelröllchen im Gehäuse der Exa und weiß nicht mal mehr, wie man den Film dort einfädelt. Immerhin, ein Gutes hat das Digitalzeitalter: Dank Youtube, Fachforen und den Webseiten der Kamerafreaks und Bastler gibt es für jedes Modell ausführliche Anleitungen, Dokumentationen und Tutorials.

Also, Fotografie nach alter Väter Sitte: Ich war lange weg, aber jetzt bin ich wieder da. Schön, dass du auf mich gewartet hast. Kann losgehen jetzt. Äh, wie stellt man eigentlich die richtige Belichtung ein, so ohne Display?

Die Mittelformatigen (hinten links und rechts): Pentacon Six TL (1966-90) und Zeiss Ikon Nettar II 516/17 (1951-53)

Die Kleinbildenden (vorne links, Mitte und vorne rechts ): Zeiss Ikon Pentacon (1956-61), Rolleiflex SL35 (1970-1972) und Ihagee Exa (1959-69).

Zaungäste

Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/1600s, ISO 100
Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/1600s, ISO 100
Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/6400s, ISO 125
Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/6400s, ISO 125

Photokina – oder: Das Alte im Neuen

Köln, Photokina 2016. Ich fotografiere gerade die bizarre Schaufensterpuppenfamilie am Stand von Polaroid. Als ich dabei kurz vom Kameradisplay aufschaue, zucke ich zusammen: Direkt neben mir steht auf einmal ein älterer weißbärtigen Mann, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich beende die Aufnahme und drehe mich dem unerwarteten Zuschauer zu.

„Ich sehe, Sie haben da ein Biotar an Ihrer Kamera“, beginnt er freundlich. Ich bin sofort beeindruckt: Das silbern glänzende Aluminium des fast 70 Jahre alten Objektiv-Oldtimers an meiner Sony hebt sich zwar bei näherem Betrachten von all den mattschwarzen Canikons, Sigmas und Tamrons ab, die hier durch die Hallen wuseln. Doch wer achtet in dem Messegewühl schon auf ein einzelnes Besucherobjektiv?

Doch mein neuer Gesprächspartner entpuppt sich als Mann vom Fach. Er hat nicht nur das Biotar trotz davorgeschraubter Sonnenblende erkannt (obwohl es sich auf den ersten Blick kaum unterscheiden dürfte von all den 50- und 40-Millimeter-Tessaren, den Primotaren oder den Flektogons der späten 50er-Jahre), er kennt auch all die anderen Linsen der Nachkriegszeit. Auch er spielt mit dem Gedanken, sich eine Sony-Vollformatkamera zuzulegen und sein gehütetes Altglas von früher zu neuem Leben zu erwecken.

Ich bekomme die Tipps, dass die Firma Fotoservice Bernd Tröster in Halle an der Saale alte Kameras aus DDR-Zeiten bestens wartet und repariert. Dass unter den „Exakta“-Kameras von Ihagee aus Dresden die Variante mit der abgerundeten Frontblende die beste sei. Im Gegenzug schildere ich meine Erfahrungen damit, Jahrzehnte alte Objektive an die Sony-Systemkameras Nex-6 und A7 zu adaptieren (es geht bekanntlich bestens).

Es ist eine aus der Zeit gefallene Unterhaltung, hier mitten in dieser Hightech-Show. An den Messeständen um uns herum werden Smart-Kameras der neuesten Generationen befingert, Besucher zielen mit brandneuen Teleojektiven für etliche Tausend Euro in der Halle herum wie mit Geschützen auf alten Segelschlachtschiffen und mehr oder weniger bedauernswerte Models räkeln sich in unterschiedlichen Szenerien vor den Hobby- und Profifotografen.

Die Fotowelt ist wieder einmal in hektischer Bewegung. Während die Riesen der Branche in Köln alles auffahren, was toll und teuer ist, ist die Fotografie im Wandel von digital zu smart. Die vertraute Kompaktkamera stirbt gerade einen schnellen Tod, was sie kann, kann das Smartphone längst besser. Actioncams, Kameradrohnen und immer neue Softwarefunktionen krempeln den klassisschen Kameramarkt radikal um.

Und hier stehen ich und mein neuer Gesprächspartner und reden über Technik, die ein halbes Jahrhundert plusminus ein paar Jahrzehnte alt ist. Technik von Firmen, die längst untergegangen sind, von großen Namen wie Rollei, dem VEB Pentacon und Meyer Optik Görlitz. Und wie gut das war, was diese Werke verließ. Es hat etwas Beruhigendes: Was einmal gut war, behält seinen Wert. Was einmal schöne Bilder produziert hat, tut das noch heute. Andere vielleicht als die extrem hoch auflösenden Dateien der Kameras mit ihren 42-Megapixel-Sensoren – die trotzdem manchmal so seltsam klinisch wirken, so nachgeschärft und perfektioniert. Ich habe ein einziges „modernes“ Objektiv, ein Sony FE 2 28. Es produziert fantastische Ergebnisse – und ich benutze es fast nie, weil mir die Bilder seltsam tot vorkommen. Es ist so gebaut, dass es eine starke tonnenförmige Verzerrung erzeugt – die dann softwaremäßig noch im Objektiv beseitigt wird.

Als ich abends nach Hause fahre, fühle ich mich ermutigt: Ich bleibe bis auf weiteres beim Altglas. Da gibt es noch viel zu entdecken. Noch am Wochenende danach ersteigere ich für ein paar Euro eine Ihagee-Kamera auf Ebay – natürlich mit runder Frontblende. Und mit einem klassischen Tessar-Objektiv von Carl Zeiss Jena, dem legendären „Adlerauge“, das Fotografen auf der ganzen Welt jahrzehntelang für seine Schärfe schätzten.

Natürlich im silbern glänzenden Alu-Look. Denn die Oldtimer aus Metall und Glas haben vielleicht nicht die perfekte Randschärfe der brandneuen Plastikbomber, dafür aber reichlcih andere Qualitäten: Sie zu bedienen, ist ein Genuss. Sie funktionieren auch noch nach mehr als einem halben Jahrhundert, wenn die Elektronik längst ausgefallen ist. Und ihre Ergebnisse überzeugen – wenn auch auf andere Weise. Sie wirken unvollkommener, aber lebendiger. Sie haben einfach: Stil. Außen wie innen. Dass es so etwas noch gibt.

Kunst mit vielen Gesichtern: Besuch im Töpfereimuseum Raeren

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Es gibt Krüge, die lachen und tragen Sonnenbrille. Das ist eine der nettesten Erkenntnisse eines Besuchs im Töpfereimuseum Raeren. Die andere ist: Gerade mal ein Dutzend Kilometer vom Aachener Dom entfernt lag einmal einer der bedeutendsten mitteleuropäischen Herstellungsorte von Keramik, genauer: von Steinzeug. Waren, die schon im 16. und 17. Jahrhundert Exportschlager in aller Herren Länder waren. Zu Hunderttausenden wurden die begehrten Stücke alljährlich produziert.

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Rund fünf Jahrhunderte lang formten und brannten die Raerener Töpfer alles, was überall in Mittel- und Nordosteuropa auf die Tischen und Tafeln der Bürgerhäuser und Königspaläste gestellt wurde, um Ess- und Trinkbares zu kredenzen. Vom einfachen Essgeschirr über elegant verzierte Becher bis zu überreichlich geschmückten Prachtkrügen. Könige, Edelleute und Kirchenfürsten schätzten das Steingute made in Raeren.

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Wer also ein Stück einzigartige Heimatgeschichte kennenlernen möchte, der setze sich an einem freien Tag ins Auto oder auf den Fahrradsattel. Hinter den dicken Mauern der Raerener Wasserburg aus dem 14. Jahrhundert ist die Geschichte des Steinzeugs vom Mittelalter bis in die Neuzeit aufbereitet. Gegenüber, vor der Museumsgaststätte Café Haus Zahlepohl (die so heißt, weil dort wohl einmal eine Art mittelalterliche Mautstation stand), lässt sich das Verkehrsmittel der Wahl parken.

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Im 15. Jahrhundert begann der Aufstieg des Raerener Steinzeugs: Die Krüge und Kannen aus dem kleinen Ort nahe Aachen – das damals neben Santiago de Compostela und Rom der drittwichtigste Pilgerort des Kontinents war – verbreiteten sich in ganz Nordosteuropa. Im 16. Jahrhundert schließlich standen die über und über mit Wappen, szenischen Bildern und Ornamenten verzierten Prunkkrüge auf den Tischen von Königen, Fürsten und Bischöfen in ganz Europa. Das bei hohen Temperaturen gebrannte Raerener Steinzeug war geschätzt, weil es absolut wasserdicht war und so hart, dass es als fast unzerbrechlich galt.

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Auf vielen Bildern flämischer Künstler im 16. und 17. Jahrhundert ist Raerener Ware abgebildet, etwa auf dem „Bauerntanz“ von Pieter Brueghel dem Älteren, das im Museum als Wandbild mit Tisch sehr nett in Szene gesetzt ist.

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Aber halt, wir greifen vor. Eigentlich sollte unser Rundgang ja im Keller anfangen, wo wir im wörtlichen Sinne auf den Hinterlassenschaften der Töpfer stehen – auf Keramikscherben nämlich, die eine Art Bodenmosaik bilden.

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Im Untergeschoss wird auch die Förderung des Tons dargestellt, für die tiefe Schächte gegraben werden mussten. Wer zu ungeduldig ist, vor dem Videomonitor stehenzubleiben, um die Geschichte des Ortes im Film kennenzulernen, kann sie einfach in die Hand nehmen. In der App mGuide des Töpfereimuseums (für iOS und Android) führt der große Töpfermeister Jan Emens Mennicken (es gab ihn wirklich – heißt der Museumsdirektor Ralph Mennicken eigentlich nur zufällig genauso?) höchstpersönlich durch die Ausstellung.

Steinzeug – das sind dann eben keine leblosen, alten Töpfe und Schüsseln mehr. Mit Hilfe des mGuides erzählen sie von abenteuerlichen Kaufmannsreisen auf See und zu Lande, von weitsichtiger Planung und menschlicher Gier, von Erfolg und katastrophalen Niederlagen. Sie erzählen von Massenproduktion und Globalisierung bereits im 16. Jahrhundert, von Pilgerfahrten, Trinkgelagen und erotischem Spielzeug. Das Töpfereimuseum Raeren eröffnet dem Besucher mit dem mGuide all diese spannenden Geschichten aus dem prallen Leben der Frühen Neuzeit.
(Auf der mGuide-Homepage)

Wer vergessen hat, sie sich vorab zu Hause herunterzuladen und in Belgien ohne Netzempfang dasteht, kann sich auch bei der freundlichen Museumsmitarbeiterin ein iPad ausleihen.

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Die gewaltigen, mehrere Stockwerke hohen Raerener Öfen erreichten Produktionszahlen von bis zu 600.000 Stück pro Jahr. Das Brennen des Steinguts war eine Wissenschaft für sich: Da es keine Thermometer gab, konnten die Ofenheizer nur auf überliefertes Wissen zurückgreifen, um die Temperatur über die gesamte Brennzeit hinweg konstant zu halten. Dabei waren etliche Variablen einzuberechnen, etwa Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit, die Art des Brennholzes und vieles mehr.

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Bei aller Kunstfertigkeit: Es wird so manche komplette Ofenladung danebengegangen sein. Der mehrere Meter hohe Scherbenturm versinnbildlicht, welche Mengen von Ausschuss die Töpfer produzierten. Was nicht den Qualitätskriterien entsprach, landete in den Gruben.

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Und blieb dort – oft für Hunderte von Jahren. Doch schon kurz nach dem Auslaufen der Produktion gegen 1850 ging der Hype los. Hobbyarchäologen, und in ihrem Gefolge Grundbesitzer und Sammler, begannen auf dem Gelände früherer Töpfereien zu buddeln. Überall wurden Krüge und Keramiken aus dem Boden geholt und für teuer Geld verkauft.

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Der Düsseldorfer Kunstsammler Laurenz Heinrich Hetjens ließ dann von 1870 bis 1882 in Raeren systematisch graben. Was dabei ans Licht kam, bildet den Grundstock des Deutschen Keramikmuseums. Der Mann war übrigens clever: Er vererbte seiner Heimatstadt seine Sammlung plus 150.000 Goldmark mit der Auflage, damit ein Museum zu bauen, das auf ewig nach ihm benannt werden sollte. Andernfalls werde das Erbe hinfällig – dann ginge die Sammlung statt nach Düsseldorf nach Köln. Das Hetjens-Museum gibt es noch heute.

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Dass es dagegen heute in Raeren die auch immerhin 2000 Exponate starke Sammlung des Töpfereimuseums gibt, verdanken wir Otto Eugen Mayer. Er begann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, die Geschichte des Raerener Steinzeugs zu erforschen. Seine Funde bilden den Kern der Sammlung des Museums, das 1963 in der Burg eröffnet wurde.

In der Blütezeit der Raerener Töpferei arbeitete ein Drittel der Dorfbevölkerung als Töpfer, also rund 50 Familien. Fast ebenso viele waren im zweiten großen örtlichen Gewerbe tätig: als Fuhrleute. Um die Massen von bruchempfindlichen Tonerzeugnissen über die damals kaum ausgebauten Wege und Pfade zu transportieren, brauchte man Profis. Wie anspruchsvoll das war, kann der Besucher ahnen, wenn er ein paar Schritte einen Trampfelpfad hinter der Burg entlanggeht, der schließlich über eine sechs Meter hohe Brücke führt. Sie überquert das Bett des Iterbachs – und den nutzten die Spediteure der Renaissance, um ihre Fuhrwerke mit der kostbaren Fracht vergleichsweise rüttelfrei auf die Krönungsstraße über Köln nach Frankfurt zu bringen.

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Aber Raerener Krüge blieben nicht in Europa. Einige Exemplare wurden sogar in nordamerikanischen Indianergräbern und in untergegangenen niederländischen Schiffen vor Australiens Küste gefunden. Und heute steht Raerener Töpferhandwerk in allen großen europäischen Museen vom Louvre in Paris über das British Museum in London bis zur Eremitage in St. Petersburg.

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Das Raerener Museum zeigt allerdings nicht nur historisches Keramik, sondern auch ganz moderne – hier die Preisträger des Euregio-Keramikwettbewerbs 2015. Das Vogelmotiv oben gestaltete die Niederländerin Noortje Meijerink, das, äh, ebenfalls Vögeln gewidmete Werk unten Andrea Bielicki-Helms aus Deutschland.

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Wer nach derlei Inspiration Lust bekommen hat, selbst zum Tonkünstler zu werden, kann im Atelier im Burghof unter Anleitung von Museumspädagogin Melanie Keifens die Begegnung mit dem so vielfältig gestaltbaren Material auf eine ganz praktische Ebene wuppen. So etwa beim Tonmarathon. Die Erzeugnisse wurden beim Euregio-Keramikmarkt im September versteigert.

Genug gesehen? Dann ist es Zeit, in die urige Gaststube im Haus Zahlepohl einzukehren und sich von Nelly Luchte einen ostbelgischen Imbiss servieren zu lassen, etwa einen Schwarzen Fladen aus kleinen Birnen, Äpfelchen, Anis und anderen Gewürzen. Dazu passt ein süffig süßes, dunkles Abteibier. Natürlich aus einem standesgemäßem Glaspokal – wenn schon nicht aus einem Raerener Steinkrug.

Disclosure: Das Töpfereimuseum wurde mir und anderen Bloggern aus der Region im Rahmen einer eintägigen Bloggerreise gezeigt.

Es rankt

Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu, F4, 1/160s, ISO 320
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu, F4, 1/160s, ISO 320

Die große Gefahr, wenn man anfängt, Altglas vor seine Kamera zu schrauben ist: dass man damit so schnell nicht wieder aufhören kann. Geht mir gerade so. „GAS“ nennt man das im englischen Sprachraum, „Gear Aquisiton Syndrome“, Ausrüstungserwerbungssyndrom. Ein Objektiv ist schöner als das andere: die tresorsoliden Minoltas, die bizarren ostdeutschen Zebras, die Pentacons mit ihren kreisrunden Lamellenblenden, die unbekannten Rolleis, die mercedesmäßig wuchtigen westdeutschen Zeiss’… aktuell habe ich mich in die klassischen Aluminiumobjektive aus den Fünfzigern verliebt. Und meine kleine Sammlung wächst und gedeiht.

Das Biotar – Foto siehe unten – war die Einstiegsdroge. Heute kam ein silbern glänzende 135er Sonnar von Carl Zeiss Jena an, mit der heute wenig imposanten Lichtstärke von 4.0 zwar, aber dafür mit einem winzigen Luftbläschen in der Frontlinse, die damals als Zeichen höchster Glasqualität galt (und wegen der das Objektiv für einen Schnäppchenpreis zu haben war). Das blankpolierte Aluminium glänzt fast noch so wie vor rund 60 Jahren.

Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu, F4, 1/160s, ISO 320
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Sonnar 4 135 Alu, F4, 1/160s, ISO 320

Nach den ersten Probeschüssen am Abend verstehe ich, dass manche Altglasfans diesen Oldtimer seinem lichtstärkerem Nachfolger 3.5 135 (das Schwarze aus dem Beitrag weiter unten) vorziehen, obwohl der als eines der besten 135er-Objektive überhaupt gilt. Die in den 50ern verwendeten Glassorten – es soll damals zum Beispiel Blei in der Produktion verwendet worden sein – geben dem Motiv seinen ganz eigenen, plastischen Charme. Vom 3D-Effekt ist die Rede, vom „Pop-Up“.

Ja, so etwas ist schon auf diesen Bildern erkennbar, auch wenn es keine leuchtend bunten Blumen im güldenen Sonnenlicht sind. Warum 1000 Euro und mehr für ein modernes Autofokus-Objektiv ausgeben, wenn so ein Stück Fotogeschichte ein mindestens genauso interessantes Bild malen kann? Meine kleine Sammlung wird wohl noch das eine oder andere interessante Pflänzchen dazubekommen.

Charaktervoll

Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Biotar 2 58, f2, 1/200, ISO 250
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Biotar 2 58, f2, 1/200, ISO 250

Das frischgemachte Carl Zeiss Jena Biotar 2 58 durfte gleich mal an die frische Luft. Und ich bin hin und weg. Vom Vordergrund, vom Hintergrund, von der Duftigkeit, von der Schärfe hier und der Weichheit da. Seinem Ruf als „Charakterlinse“ wird das Biotar voll gerecht, vor allem bei ganz offener Blende wie hier. Man kann sagen: Hat das Motiv Charakter, bringt so ein Objektiv ihn erst richtig zur Geltung. Whow!

Miniausfahrt

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Rot. Knallrot. Leuchtendrot. Der Lack des Minis vor uns, die Kette der Bremslichter und ganz vorne die Ampel: alles rot. Und darüber: ein grauer Aachener Himmel, aus dem es wie aus Eimern schüttet. Das sind die Farben, die sich mir auf den ersten Metern der Miniausfahrt 2016 einprägen. Es hätte tatsächlich gerne etwas freundlicher anfangen können.

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Der Organisator, das Team der Aachener Kohl Automobile, hätte es verdient gehabt. Ich bin nicht zum ersten Mal auf einer Veranstaltung, die das Autohaus an der Neuenhofstraße für Kunden und Interessierte auf die Beine gestellt hat, und ich muss sagen, dass mir jede davon gefallen hat. Die Ansprache war freundlich, die Atmosphäre angenehm, die Durchführung reibungslos – und nein, ich bekomme keinen neuen BMW Dreier dafür billiger, dass ich das sage. Wer sich öffentlich engagiert, obwohl sich so etwas nicht sofort in klingender Münze auszahlt, darf auch mal gelobt werden.

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Die jährliche Miniausfahrt – Hashtag für Instagram, Facebook und Twitter: #Miniausfahrt2016 – richtet sich natürlich an Fans des knuddeligen Superkompakten aus England aus den 50er-Jahren. Nein, kleiner Scherz! Vor allem natürlich an Fahrer der modernen Neuauflage des inzwischen nicht mehr ganz so kompakten Kleinwagens aus diesem Jahrtausend.

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Das ist übrigens die Dame, der ich das ungewohnte Vergnügen verdanke, rund fünf Stunden lang in dem vierrädrigen Designerschnittchen quer durchs Dreiländereck zu flitzen: Uschi Ronnenberg, Inhaberin einer Designagentur und Betreiberin eines sehr lesenswerten Blogs – und natürlich überzeugte Minifahrerin.

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Nach einem morgendlichen Frühstück im Showroom des Autohauses setzt sich die bunte Kolonne in Bewegung. Für mich als Petrolhead ist die Position auf dem Beifahrersitz eher ungewohnt – dafür darf ich, ausgestattet mit Roabook und Aufgabenheft, einmal das durchmachen, was ich sonst meinen Beifahrern zumute. Nämlich, mich auf die Navigation zu konzentrieren und ansonsten möglichst den arbeitenden Menschen auf dem linken Sitz möglichst wenig zu behindern.

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Aber bierernst geht die Sache nicht zu. Auf Zeit kommt es nicht an. Da lässt sich auch schon mal ein Ampelstopp zu einem Fototermin auf Gegenseitigkeit nutzen. Zuerst einmal geht es rund um Aachen, um dann über Vaals und die wunderschöne Mergellandroute durchs niederländische Limburg zu cruisen.

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Und dann: Großer Fototermin mit – fast – allen Teilnehmern.

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Sodann folgt eine der drei angesetzten Geschicklichkeitsübungen, ein Slalomparcours.

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Und weiter gehts. Ein Kompliment für die Routenführung: Schöner kann man rund um Aachen kaum unterwegs sein. Epen und Henri-Chapelle waren nur einige der markanten Stationen auf der westlichen Hälfte der Strecke.

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Zwischendurch immer mal wieder ein Blick in den Rückspiegel: Ja, wir sind nicht alleine unterwegs hier. Was auch wieder beruhigend ist, dann so kann man halbwegs sicher sein, nicht einmal die falsche Abzweigung erwischt zu haben.

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Immer gut zu sehen ist auch das auffällig und hübsch lackierte Pacecar, hier bei einer weiteren Geschicklichkeitsübung auf dem Parkplatz von Leoni Kerpen in Stolberg.

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Der zweite Teil der Route führt durch die Eifel bis hin zum Rursee.

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Die dabei passierten Ortsschilder sind für die Teams mehr als nur der Hinweis, den Fuß vom Gas zu nehmen. Auf einer Liste hatten die Teams die Anfangsbuchstaben der durchfahrenen Orte zu notieren. Eine Aufgabe für den hochmotivierten Beifahrer, versteht sich.

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Nach fast 180 überaus abwechslungsreichen Kilometern trudeln die Teilnehmer dann nach und nach wieder an der Neuenhofstraße ein. Wo noch einmal der große Aufmarsch der kleinen Autos ansteht.

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Und während in der Verkaufshalle das Grillgut auf die Teller wandert, leuchtet draußen der Lack der knubbeligen Kultmobile im Sonnenschein. Autowandern macht müde – das Ausspannen am Ende haben sich Zweibeiner und Vierrädler ehrlich verdient.

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Von großem Glück in engen Gassen

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Auf die Gefahr hin, für senil gehalten zu werden*, drängt es mich doch nochmal dazu, mein Glück in die Welt hinauszubloggen. Dem Glück nämlich, an einem Ort sein zu dürfen, an dem ich sein möchte. Zehn Jahre ist es in diesen Tagen her, dass in mir der Wunsch aufkam, in Aachen zu leben. Es waren Sommertage wie diese und es war eine Stimmung in den engen Gassen rund um Dom und Rathaus wie jetzt, als ich merkte, dass ich mich in die kleine große Stadt im äußersten Westen verliebt hatte. Und gerne ein Teil von ihr wäre.

So weit, so romantisch-harmlos. Nein, zugegeben: so kitschig. Wenn man aber in diesen Tagen mit der Kamera und offenen Augen durch diese Gassen geht, muss man gar nicht so weit schauen, um daran erinnert zu werden, dass so ein Glück nicht jeder von uns spüren darf. Ich hatte in den vergangenen Monaten selbst regelmäßig mit Menschen zu tun, die weiß Gott nicht freiwillig und aus Begeisterung nach Aachen gekommen sind. Und die eine weit, weit längere Anreise hatten als der Schreiber dieser Zeilen, den es seit seiner Geburt nur rund 380 Kilometer weit von Oldenburg her geweht hat.

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Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Ländern, in denen Mörder mit Maschinengewehren darüber bestimmen, wer leben darf und wer sterben muss. Menschen, die mit Ach und Krach ihr nacktes Leben retten konnten und ihre Existenz nur in einem Koffer dabei hatten. (Und sich hierzulande dann noch dafür beschimpfen lassen mussten, auch ihr Smartphone aus den Trümmern ihrer Heimat gerettet zu haben.)

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An schönen Tagen wie diesen, wenn man gemütlich unter den römischen Kolonnaden im Hof seine Apfelschorle durch den Strohhalm zieht: Dann darf man, wenn man schon nichts an den Dingen ändern kann, die Menschen aus den Orten treibt, an denen sie geboren wurden und an denen sie alt zu werden geplant hatten, dann darf man wenigstens sich selbst noch einmal daran erinnern, wie groß und kostbar dieses Glück ist, selbst entscheiden zu dürfen, wo man ist und sein möchte.

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*Also: ein weiteres Mal für senil gehalten zu werden. Zum wievielten Mal, weiß ich nicht. Man selbst bekommt ja in diesem Zustand gnädigerweise von den Wiederholungen nicht mehr so viel mit.

* * * * *

Und zum Schluss, es muss leider sein, noch das übliche technische Kleingedruckte, das sich hier leider nicht kleiner drucken lässt dank des Plugins TinyMCE endlich auch klein drucken lässt (danke für den Tipp, liebe Uschi!). Beim obigen Fotospaziergang durch das Weichbild der Stadt durfte mal wieder das „neue“ Weitwinkel ran. Das Carl Zeiss Jena Flektogon 2.8 20 aus DDR-Produktion lag seit dem Kauf meist in der Vitrine – die äußersten Ecken sind halt doch nicht ganz so scharf wie beim Canon FD 2.8 20. Aber es ist deutlich kompakter, kommt bis auf unfassbare 19 Zentimeter nah (!) ans Objekt ran und macht tolle Farben. Flektogons – auch das berühmte 2.4 35 Millimeter – gelten als fotografische Ein-Mann-Armeen. Kann ich bestätigen. Das Ding darf in Zukunft wohl öfter mal raus.

Vergoldetes

Sony A7II mit Carl Zeiss Sonnar 2.8 135 C/Y, F4, 1/1000, ISO 100
Sony A7II mit Carl Zeiss Sonnar 2.8 135 C/Y, F4, 1/1000, ISO 100

Die Strahlen der Abendsonne schlängeln sich an den Türmen von Dom und St. Foillan vorbei, kriechen über Hausdächer und enden schließlich als goldene Tupfer an den verwitterten Ziegeln einer uralten Hauswand. Mit unbewegter Miene schaut mir die goldene Heiligenfigur in ihrer Nische hoch oben an der Hausecke zu, wie ich unter ihr auf der Straße mit dem Stativ auf dem Pflaster herumkratze. Wenn ich sie zwischendurch in den Sucher nehme und auf die Lupe-Taste drücke, zeigen etliche Macken und der hier und da abgeplatzte Lack, dass die Dame mit der ausgestreckten offenen Hand nicht mehr die Jüngste ist.

Wie setze ich sie richtig ins Bild? Ein bisschen blauen Himmel dazu? Oder noch ein Stückchen von einem zweiten Gebäude? Nein, das wird alles zu unruhig. Die eine, klassisch-strenge Fassade des Hauses im Hintergrund ist genug. Alles andere lenkt nur ab und stört den Kontrast zwischen ganz alt und noch nicht so ganz alt.

Was diese kleine goldene Figur wohl im Laufe ihrer Jahre schon alles gesehen hat an dieser belebten Ecke, ein paar Meter abseits vom Herzen der Stadt? Tausende und abertausende von Nachtschwärmern werden es gewesen sein. Brave Bürger und finstere Gestalten natürlich. Tagsüber Touristen und Kauflustige, nachts Huren und ihre Kunden. Amerikanische G.I.s vermutlich und davor deutsche Wehrmachtssoldaten, vielleicht auch die belgischen Besatzungstruppen in den Zwanziger Jahren. Wer mag schon alles unter ihrem starren Blick über diesen Platz marschiert sein? Wer hat kurz zu ihr hochgeschaut, hat sich bei ihrem Anblick etwas gewünscht, vielleicht ein Stoßgebet zum Himmel geschickt? Wer bekam ein schlechtes Gewissen wegen seiner Sünden, wer nahm einfach nur ein paar Sekunden lang den Anblick in sich auf?

Heute ist es nur ein Hobbyfotograf, der zu ihren Füßen innehält und ins Nachdenken versunken ist. Bis ein besonders schöner Sonnenstrahl das goldene Gewand aufleuchten lässt und ihm wieder einfällt, weshalb er hier an diese Kreuzung gekommen ist. Ein Finger drückt auf den Auslöser, es klackt. Dann wird eine Kamera wieder in ihre Tasche gepackt, ein Stativ zusammengeschraubt, schließlich fährt ein Fahrrad davon in Richtung Elisenbrunnen.

Zurück bleibt eine kleine goldene Figur, unbemerkt von den meisten Menschen, die unter ihr die Straße entlanghasten. Und Abendlicht, das auf eine alte Ziegelwand fällt.

Posthumoristische Kunst

Da tritt man aus dem Supermarkt, schaut noch einmal zurück und hebt dabei eine Sekunde lang den Blick etwas höher als gewohnt. Und stutzt. Was sind das denn für Gestalten an der Fassade? Was tun die da? Warum sind die nackt? Wird der da von einer Katze gebissen?

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Sony A7II mit Carl Zeiss Vario-Sonnar 4 80-200, 1/125s, ISO 100
Sony A7II mit Carl Zeiss Vario-Sonnar 4 80-200, 1/125s, ISO 100

Der Supermarkt ist der Rewe im Alten Posthof und die Fassade ist die der alten Post. Aber diese nicht ganz so alten Kobolde, Zwerge oder Barockengelchen – wer sind die? Eine Arbeitskolonne aus der Twilight Zone? Die rote Ziegelwand schweigt und bleibt eine Erklärung schuldig. Und wir gehen mit der ebenso überraschenden wie beglückenden Erkenntnis weiter, dass deutsche Postler offenbar zumindest in Aachen und zumindestens einmal in der vielhundertjährigen Geschichte des Briefeverteilens heimgesucht wurden von einem Anfall unerwarteten Humors.