Neues vom Karneval (2)

Jetzt muss ich aber wirklich mal Kollegenlob betreiben. Erwähnte ich schon, dass ich nicht aus der Gegend komme (ja? Schon tausendmal?) und mir karnevalistische Bräuche und Riten eher fremd sind? Nun, es gibt Hoffnung.

Orden_800Zwar ist neulich bei der AKV-Sitzung der karnevalistische Funke noch nicht so ganz auf mich übergesprungen. Heute sieht es da schon besser aus. Freundliche Kollegen aus dem Büro nebenan nahmen sich des verwirrten Nordlichts in ihrer Mitte an, drückten dem stammelnden Unbeholfenen eine Art hohes Schnapsglas mit einem bierähnlichen Getränk in die Hand und hießen ihn lustig sein. Luftschlangen und allerlei Deko formten den Rahmen, jecke Mucke lag in der Luft. Eine ehemalige Kollegin war auch da, kostümiert als Köln. Es war richtig nett.

Der Mann, der noch gestern meinen SexyRosi-Gehörsturz verschuldete, hängte mir heute die oben gezeigte bunte Plakette um (oben im Bild, klicken Sie drauf, um das Ding komplett zu sehen). Das Amulett soll mir bei Begegnungen mit Eingeborenen helfen und sie überzeugen, dass ich einer von ihnen bin. „Vür klammere Öcher Jecke“ steht drauf. Das passt insofern schon ganz gut, dass ich zwar noch kein Öcher bin, dafür aber ständig klamm.

Solcherart kostümiert sitze ich jetzt an der Tastatur. Einen cremegefüllten Berliner im Bauch, das bierähnliche Getränk im Kopf und den Duft von Mettbrötchen in der Nase, schwappt ein warmes Gefühl der Dankbarkeit durch meine Blutbahn.

Karneval, du bist ja gar nicht so. Auf dem Weg der gegenseitigen Annäherung sind wir zwei jedenfalls einen großen Schritt weiter. Nächstes Jahr, das habe ich mir schon vorgenommen, ziehe ich am Fettdonnerstag auch extra einen alten Schlips an. Alaaf.

Neues aus der Hightech-Welt

Rasierer26_800„Boys and their toys“, seufzt die Frau, wenn der Mann elektrisch wird. Das wird er oft, und ich bin da keine Ausnahme. Hat es ein kleines Display? Hat es ein Ladegerät? Kann man Fotos drauf abspeichern oder wenigstens Musik? Ist es sinnlos und teuer? Ich will es! Manchmal jedoch birgt die Welt der Verbraucherelektronik wundersame Überraschungen.

Es gibt nämlich Geräte, die kennt kein Mensch Mann. Trotzdem taugen sie was. Nehmen wir nur meinen neuen Freund hier. Seine Anschaffung wurde mir von nahen Angehörigen ans Herz gelegt (danke, Mama). Obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass man so etwas braucht.

Man nennt es einen Fusselrasierer. Es ist ja so, dass mit der Zeit vor allem an den Kragen von Hemden, Sweatshirts und Jacken auf der Innenseite diese kleinen Flusen entstehen. Die dem Aussehen des jeweiligen Kleidungsstücks diesen gewissen Altkleidercontainerlook verleihen. Doch was tun? Einzeln abpflücken ist zu mühsam. Und diese altmodischen Bürsten oder seltsamen Kleberollen funktionieren auch nicht.

Entsprechend groß war meine Skepsis gegenüber dem nur zehn Euro billigen Gerätchen. Um mehr überzeugt das Ergebnis: Mit der vollen Power einer 1,5-Volt-Monozelle rasieren die drei Scherblätter konturgenau jeden Fussel schon an der Wurzel ab. Auch in den Problemzonen wie Reißverschluss und Revers. Im Nu fühlt sich der olle Pulli wieder unwiderstehlich glatt an. Am Ende der Sitzung fällt das Mähgut in großen Flocken aus dem Auffangbehälter. Whow! Was es nicht alles gibt!

Was lehrt uns der weißgraue Flocken-Terminator? Mann sollte ruhig offen sein für Neues im Leben. Auch und besonders im Bereich Haushaltsgeräte. Die Welt der Technik ist größer und bunter als wir glauben. Und sicher dauert es nicht mehr lange, bis Braun & Co den High-Sensity Reflex FusselShave GTi herausbringen. Mit Dreifach-Schwingkopf, radiumveredeltem Klingenblock, Ladegerät und natürlich einem kleinen Display.

Neues vom Karneval (1)

Sonntag, 20.14 Uhr: Mit dem Laptop auf den Knien und dem Ersten Programm im Fernsehen sitzt der Neu-Aachener gespannt auf dem Sofa. Auf dem Schirm: die AKV-Ordensverleihung. „Einmal musst du das gesehen haben“, hieß es aus dem Freundeskreis. „Sonst wirst du nie richtig ankommen hier.“ Die Frage des Tages lautet also: Springt der karnevalistische Funke auch auf Nicht-Öcher über? Protokoll eines Selbstversuchs.

20.15 Uhr. Anpfiff, äh, Anfang. Vor der Bühnenkulisse, offenbar eine Mischung aus Ponttor und Quellenhof, hüpfen diverse Damen zu launiger Musik. Allerdings scheinen die Handwerker mit der Deko nicht rechtzeitigfertig geworden zu sein. Während die Funkenmariechen ihre Beine werfen, wuselt diverses Volk mit Leitern und Kabeltrommeln zwischen ihnen herum. Ist das gewollt? Jetzt fallen sie hin, alle. Muss gewollt gewesen sein. Bestimmt.

20.18 Uhr. Das erste Tätää des Abends. Vor einer Kulisse aus Tänzerinnen mit etwas starrem Grinsen begrüßt der Moderator – das wird AKV-Chef Horst Wollgarten sein – die Menge und kündigt ihre Durchlaucht an. Pickelbehaubte Uniformträger strömen auf die Bühne. Man muss ja nicht alles verstehen, ich werde einfach mal das Geschehen auf mich wirken lassen.

20.21 Uhr. Böses Foul in der 6. Minute: Jemand schwenkt einen Schal von Bayern München. Schiri Wollgarten lässt weiterspielen. „Die Bayern waren dreimal hier, wir haben sie dreimal geschlagen. Kein Problem.“ Es kann jetzt nur noch wenige Minuten dauern, bis der karnevalistische Funke auch auf mich überspringt.

20.24 Uhr. Der erste Höhepunkt des Abends: Wollgarten bittet „Exzellenzen und Hofberichterstatter“ (endlich behandelt jemand uns Blogger mal so, wie es uns gebührt), sich zu erheben: Die Sänfte der Fürstin schwebt ein. Ein dreifaches Oche Alaaf begrüßt sie. Schade, früher war ihre Frisur interessanter. Dennoch ist sie ganz natürlich geblieben. Nichts Durchlaucht – „ich bin die Gloria“. Zum Dank für soviel Volksnähe wird die Öcher Version von „Glory Halleluja“ intoniert. Nach neun in Bielefeld verlebten Jahren kann ich nicht umhin, einen gewissen Unterschied im Selbstbewusstsein von Westfalen und Rheinländern festzustellen.

Und erst die Prominenz im Saal. Der Saaldiener – Jürgen Beckers, verrät mir mein Script – begrüßt sie einzeln: Constantin Freiherr von Heeremann, Hans-Dietrich Genscher (oh, ist der dünn geworden), der ehemalige „Leiter der FDP-Krabbelgruppe“ Guido Westerwelle. Friedrich Merz, Heide Simonis. Fehlen eigentlich nur noch Andrea Ypsilanti und Roland Koch, aber die müssen ja gar nicht mehr ins Fernsehen, die waren heute schon drin.

20.32 Uhr. Eine Art getanztes Rokkoko-Menuett endet in Puncto Bekleidung als etwas, das Mozart sicher gerne auf einer Beachparty gehabt hätte.

20.34 Uhr. Prominenz, Prominenz. Das Begrüßen geht weiter. Nach welcher Reihenfolge die Gäste wohl geordnet sind? Diesmal sind dran: Doktor Jürgen Rüttgers mit der Frau, mit der er verheiratet ist: seiner eigenen (wieder so eine Anspielung, die ich nicht verstehe). Armin Laschet. Jürgen Linden. Hübscher Hut.

20.40 Uhr.
Wo sind die Videotext-Untertitel auf Tafel 352, wenn man sie braucht? Rotbeschürzte Gestalten singen Öcher Platt, was für einen Oldenburger etwa so verständlich ist wie Baschkirisch. Erst beim Refrain bin ich wieder an Bord: „Lalaaaa, lalalalala lala…“ Das gefällt mir an Aachen – man ist ja doch schnell sozialisiert.

Immerhin eins verrät der Videotext: Die Sendung geht bis 23 Uhr. Also noch genug Zeit für den karnevalistischen Funken.

20.45 Uhr. Huch, was will der denn da? Guido Westerwelle steht auf der Bühne, mit Rosenstrauß (natürlich gelb) (die Rosen). „Ich bin heute Abend verabredet. Mit einer Frau.“ Großes Hallo im Saal. „Es ist nicht so, wie Ihr denkt.“ Es folgt ein Hausfreund-Bonmot, das ich schon mal irgendwo gehört habe, ist aber schon lange her. Kommen am Ende noch Turnwitze und Taxi-Scherze? Nein, es geht gegen Angela und die Große Koalition, die ja eher eine „schlagende Verbindung“ sei. Tätä, tätä. Es gibt Gründe, warum man die Politik den Politikern und das Kabarett den Kabarettisten überlassen sollte. Was Westerwelle nicht davon abhält, sich als Fan von Radio Eriwan zu outen. Gregor Gysi habe auf die Frage, ob man den Sozialismus in der Schweiz einführen könnte, geantwortet: „Im Prinzip ja, aber es wäre doch schade um das schöne Land.“ Warten wir einfach, bis der Kalte Krieg vorbei ist, dann springt der Karnevalsfunke sicher umso besser über. Guido ist mittlerweile in der Gegenwart angekommen: „Kennen Sie den Unterschied zwischen Wolfgang Schäuble und einem Arzt? – Beim Arzt merken Sie, wenn sie abgehört werden.“ Tätä. Was sagt er jetzt? Er will was mit Heidi Klum anfangen? Ich kann nicht mehr folgen.

20.59 Uhr. Ich verstehe wieder etwas. Gitta Haller erklärt den Klenkes-Gruß. Unterbrochen wird sie von einem herbeispazierenden Brunnen mit Frosch, den sie umgehend wieder von der Bühne scheucht. Schade, gerade habe ich gedacht, ich komme einigermaßen mit.

21.20 Uhr. Nach diversem karnevalistischen Ritual ist wieder der Saaldiener dran. „We are frecking for Happiness“, begrüßt er den US-Botschafter John Kornblum. Noch mehr Gäste, noch mehr Öcher Platt. Thomas Bohrer. Wendelin Wiedeking. Joachim Hunold. Prinz Charles und Camilla. Nein, halt, die gehören zum Programm. Sie singen einen „Song against Earnest“. Zur Melodie von „Yellow Submarine“ heißt es „Ick bin die Blüte von Englands Monarkie“. Mir ist neu, dass man auch tief im Binnenland seekrank werden kann.

21.37 Uhr. Auftritt der Prinzengarde. Das Tanzpaar demonstriert Spagat. Sieht schmerzhaft aus.

21.52 Uhr. Endlich, die Erlösung. Jürgen Beckers macht ihn, den Turn-und-Taxi-Witz: „Ich turn für die Taxis, weil es hier Praxis / ist…“. Gut, jetzt haben wir’s hinter uns.

21.55 Uhr. Auftritt Josef, Jupp und Jüppchen. Jüppchen berichtet, wie er im Ägyptenurlaub mit seiner neuen, Zitat, Genitalkamera Fotos gemacht hat. Es wird wohl doch noch eine Weile dauern, bis ich in Aachen angekommen bin.

22.10 Uhr. Uh, die kulturelle Kluft vergrößert sich noch weiter. Auf der Bühne platteln die Vorderhüttn- Holzhackerbuam. Ein Geschenk für Gloria, so heißt es.

22.16 Uhr. Die Laudatio. Gesprochen von Postillon Joachim Hunold. Nun ja, was bleibt ihm übrig.

22.27 Uhr. Ah, Musik aus meiner Jugend. Das Lied „Gloria“.

22.32 Uhr. Da ist sie, die Ordensritterin: Gloria von Thurn und Taxis. Überraschenderweise ist sie eine Überraschung. Sie spricht frei, locker, witzig. Sie röhrt, sie rockt, sie imitiert Stoiber: „Ganz Bayern eine riesige Wirtschaftskraft. Das hat der durch Aktenfressen geschafft.“ Und hat sichtlich Spaß bei der Sache. „Was Bayern fehlt, ich verkünde es klar: Edmund? Nein, Glanz und Gloria!“ Auch Merkel kriegt ihr Fett weg: „Wirtschaftsboom und Aufschwung nun – und alles, ohne irgendwas zu tun.“ Schließlich erklärt sie noch, wie das damals gemeint war, ihre Äußerung mit dem Schnackseln. In Wahrheit habe sie gemeint: „Der Schwarze kraxelt halt gern! Kraxeln heißt klettern, jetzt habt ihr Ruh‘. Und ein Schwarzer – ist von der CSU“. Einmal richtig in Fahrt, singt sie auch noch. „Karneval, endlich ist Karneval! Jeder sagt und macht heut, was er will.“ Die Fürstin ist ein Show-Talent. Respekt.

Zur Belohnung bekommt sie nach ihrer Rede eine Art Bild aus printenähnlichem Material sowie die Öcher Karnevalskappe, die erst runterfällt, dann wieder aufgesetzt wird, gleich danach nochmal runterfällt, wieder aufgesetzt wird, aber offenbar verkehrt herum, deshalb noch einmal abgenommen und erneut aufgesetzt wird. Muss gewollt gewesen sein. Bestimmt.

22.57 Uhr. Die Veranstaltung neigt sich dem Ende zu. Auf der Bühne schneit es Konfetti. Menschen tanzen Samba. Samba? Samba.

23.00 Uhr. Tom Buhrow läutet die Tagesthemen ein. Irgendwo zwischen Jülicher Straße und Adalbertsteinweg sitzt ein Neu-Aachener auf seinem Sofa, ein Laptop auf den Knien. Eins ist ihm klar: Er hat noch einen weiten Weg vor sich.

Neues vom Abend davor

Das Thema der heutigen Predigt lautet: Wenn Öcher zu sehr feiern. Vorweg sei gesagt, dass es nicht mein erster Jahreswechsel in Aachen war. Als Besucher bin ich schon mehrfach in der Kaiserstadt in neue Jahre gerutscht. Aber diesmal war’s das erste Mal als Einwohner, also in eigener Wohnung. Und mannomann, in der bin ich dann auch besser geblieben.

In der groben Unwissenheit eines neu in die Stadt Gezogenen hatte ich den geladenen Gästen vorgeschlagen, kurz vor Mitternacht gemeinsam die Trierer Straße hinunter zur Josefskirche zu gehen. In besinnlicher Stimmung könne man dort mit einem Gläschen Sekt auf das neue Jahr anstoßen und den prächtigen Blick den Adalbertsteinweg hinab auf Dom und Stadt genießen. Was von den Ortskundigen entsetzt abgeschmettert wurde. „Bist du irre? Da böllern sie wie im Ersten Weltkrieg!“

Was in der Wikipedia über die Schlacht von Verdun zu lesen steht, ließ diese Reaktion ein wenig überzogen erscheinen. Urgroßvater hat da doch ganz andere Sachen erlebt als ein bisschen Silvesterfeuerwerk. Dass diese Rheinländer auch immer so übertreiben müssen.

Doch sei es, wie es sei. Der Abend begann gemütlich, in geselliger Runde wurden Cocktails und Brettspiele ihrer jeweiligen Bestimmung gemäß verwendet. Je näher es allerdings auf Mitternacht zuging, desto wahrer ward die Prophezeiung. Es begann mit den Kids. Schon ab etwa 20 Uhr fing eine kleine Horde an, auf der Straße Knaller zu zünden. Knaller? Ach was. Kracher. Ka-Wummer. Einmal blitzte es gut hundert Meter weit, und als wir entsetzt auf den Balkon stürmten, wallten dichte schwarze Nebelschwaden über den malträtierten Asphalt. Eins ist mal sicher: Aus dem Lidl hatten sie die Dinger nicht.

Knaller72_800Und dann die fröhliche Truppe vor der Eckkneipe. Etwa vierzig Personen, aber laut wie vierhundert. Remmidemmi hoch zehn. Special Gag: Den vor dem Haus geparkten Wagen anstupsen, dass die Alarmanlage losging. Jedesmal fünf Minuten Heulboje in wechselnden Melodeien, und das Stunde um Stunde. Akustisch unterfüttert natürlich von Partymucke und Pyrotechnik, weil ja ohne Bässe gar nichts geht. Nur gelegentlich drang das Heulen eines Rettungswagens auf der Trierer Straße durch den Lärmteppich. Manchmal tasteten sich auch zaghaft die Scheinwerfer eines verirrten Pkws durch den Rauch. Er wurde sofort unter Feuer genommen.

Rinnstein84_800Oder der Besoffene in der Wohnung gegenüber. Um Mitternacht setzte er sich auf die Fensterbank und feuerte aus einer Sektflasche Feuerwerksraketen nicht in den Himmel, sondern in die Menschenmenge an der Kreuzung. Als ihm die Luft-Boden-Munition ausging, ließ er Knaller auf die Kids auf dem Bürgersteig fallen. Und zuletzt seine Bierflasche. Pardauz.

Scherben80_800Und natürlich der lustige Vogel aus dem Nachbarhaus. Mit mehreren Großpackungen Raketen, Standgranaten und sonstigen Knallschoten kam er auf die Straße marschiert. Knappe anderthalb Meter vom nächsten Auto entfernt (meinem) jagte er mit der Verbissenheit eines Flakhelfers kurz vor dem Endsieg Ladung um Ladung in den geschändeten Aachener Himmel. Das war zwar der falsche Weltkrieg, aber wer achtet schon auf Details. Seitdem ziert fettig-schwarzer Fallout die Wagendächer der Nachbarschaft. Dass diese Rheinländer auch immer so übertreiben müssen.

Genug gegrummelt, sonst hält man mich am Ende noch für einen Westfalen. Sagen wir einfach, es war ein… abwechslungsreicher Abend. Eins ist aber sicher: Die Runde Trivial Pursuit bei entspanntem Caipirinha-Schlürfen lag mir doch mehr als das Häuserkampf-Erlebnis auf der Straße. Fühlt es sich so an, wenn man alt wird? Man müsste Urgroßvater fragen.

Vorsatz fürs neue Jahr: Neue Wohnung suchen. Im Grünen.

Neues aus der Philosophie

Diese verdammte Zeitumstellung jedes Mal. Wie lange müssen wir diesen Schwachsinn eigentlich noch aushalten? Man kommt ja völlig aus dem Rhythmus. Sonntagnachmittag war immer so eine schöne Zeit zum Joggen. Gestern stand ich laufwillig auf dem Parkplatz im Wald und es war schon fast dunkel. Muss das sein? Muss das wirklich sein? Das war nicht die einzige Frage des Tages.

Lampefrei_800Immerhin bot sich so Gelegenheit, einmal die neue Stirnlampe auszuprobieren. Hätte ich das gute Stück letztes Jahr im Fachgeschäft gekauft, wie zuerst geplant, hätte ich wohl heute noch Pickel vom Ärgern. Damals sollte so ein Hochtech-Teil mit ultraheller und doch Strom sparender LED irgendwas um 70 Euro kosten. Gottseidank war ich zu knausrig, denn neulich gab es die Dinger im Supermarkt für 7,99 Euro. Keine Wegwerfware, sondern Made in Germany und ziemlich hochwertig verarbeitet.

Rätselhaft: Woher kommt so ein Preisunterschied? Wundert sich da jemand, dass wir das Volk der Schnäppchenjäger sind? Bleibt Geiz für alle Zeiten geil?

Allerdings ist nächtliches Joggen mit der Grubenlampe an der Stirn nicht die große sportliche Erfüllung, falls es jemanden interessiert. Auf guten Wegen geht’s noch, aber Schlammlöcher und Matschpfützen sieht man einfach nicht rechtzeitig. Wie kriege ich bloß nachher die Schuhe wieder sauber? Ausklopfen? Ausziehen? Kann man mit Strümpfen Auto fahren? Fragen über Fragen.

Vieles, allzuvieles im Leben bleibt ungeklärt. Warum spielt der MP3-Player im Zufallsmodus immer dieselben Stücke? Chris Reas La Passione ist wirklich schön, schrieb ich ja schon neulich. Aber es kommt jedesmal an der Kreuzung, wo mir mal ein Reh über den Weg gelaufen ist. Warum? Bin ich Bill Murray und es ist der Tag des Murmeltieres? Aber müsste dann nicht das unsägliche I Got You, Babe laufen?

Player87_800Beim Laufen im Mondlicht kommt der Hobbyphilosoph ins Grübeln. Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Natürlich: Vom Parkplatz, zum Parkplatz. Aber kann das schon die Antwort auf die große alte Frage der Menschheit sein? A propos Parkplatz: Was hat wohl das Pärchen im Auto gedacht, das ich dort bei meiner Rückkehr aufgeschreckt habe?

Der Mensch ist das Tier, das zweifelt. Doch so viel er auch fragt, die Götter strafen ihn mit Schweigen. Genug der Fragerei. Ab ins Auto, auch mit schmutzigen Schuhen.

Wie angenehm ist es, nach fast zwei Stunden müde und verfroren heim zu kommen, wo man sicher schon sehnlich erwartet und stürmisch begrüßt wird. Von jemandem, der nichts von Philosophie weiß und der niemals Fragen stellt.

Kater92_800Außer einer: Oh, warst du weg?

Neues aus der Hölle

Batterien_800Todsünde, die: besonders schwere Sünde in der kath. Glaubenslehre (peccatum mortiferum)

Sieben Todsünden gibt es. Hochmut. Neid. Zorn. Völlerei. Trägheit. Wollust (von der ich als Kind dachte, sie habe etwas mit Pullovern zu tun). Und Geiz. Der ist besonders schlimm. Geiz geht gar nicht. Manchmal bestraft er sich allerdings selbst. So wie am Samstag.

Was man nicht im Kopf hat, muss man bekanntlich mit anderen Mitteln ausgleichen. Wer zum Beispiel auf dem jüngsten Konzert der Womanizers im Irish Pub „Wild Rover“ Fotos machen wollte und zwar an seine neue Pocketkamera gedacht hatte, nicht aber an frische Batterien, dem standen zwei Möglichkeiten offen. Er konnte das Defizit an Denkleistung mit Muskelkraft ausgleichen und sich nochmal nach Hause bewegen. Wo im Ladegerät zwei frische 1,5-Volt-Akkus mit der beeindruckenden Abgabeleistung von 2800 Milliamperestunden vor sich hinblinkten.

Die andere Möglichkeit bestand darin, sich flugs in den deutlich näher gelegenen nächsten Elektronikmarkt zu begeben (nicht der mit der geilen Geizwerbung, sondern der andere) und dort neuen Strom zu kaufen. Natürlich in Form von wiederaufladbaren Akkus, man ist ja kein Umweltschwein.

Doch holla, was sind die Dinger heutzutage teuer. Die Spitzenmodelle kosteten im Viererpack, wenn mich mein Gedächtnis im nachhinein nicht trügt, rund 25 Euro. Einwegbatterien sind zwar Umweltgift, aber, nun ja… ein Zehnerpack lag nur bei sechs Euro paarundfuffzich. Man muss sie ja nicht sinnlos in der Kamera verheizen, beruhigte ich das über meiner linken Schulter schwebende Gewissens-Engelchen. Wir machen nur ein paar Bildchen und lassen sie dann langfristig und nachhaltig von Wanduhren und Fernbedienungen leerzutzeln.

Aber was war das? Es ging sogar noch billiger! Eine Stange No-Name-Energiespender sollte nur läppische anderthalb Euro kosten, wohlgemerkt ebenfalls ein Zehnerpack. „Wenn jede von denen bloß fünf Bilder lang durchhält, reicht’s ja“, dachte ich, und der Knauser-Teufel auf meiner rechten Schulter nickte eifrig. Also auf damit zu Musik und Murphy’s. Das leise Schluchzen des Engelchens überhörte ich.

Fünf Bilder? Schön wär’s gewesen. Oder sehen Sie hier irgendwo Konzertfotos? Ob es an den Batterien lag, an der Kamera, am verdunsteten Stout-Bier in der Luft oder den rockigen Rythmen (die Womanizers sind überaus hörenswert, das sage ich nicht nur, weil da ein guter Freund von mir mitspielt) (und ich hoffe, der Presserat lässt mir diese werbliche Aussage als Meinungsäußerung durchgehen). Die Kraft jeder Batterie genügte gerade nur, das Objektiv auszufahren. Dann ging die Kamera wieder aus. Über meine Reaktion schreibe ich lieber nichts, Zorn ist ja auch eine Todsünde.

Wie schon seit einigen Monaten zu lesen ist, will die Elektromarktkette Saturn ihre „Geiz ist Geil“-Kampagne beenden. Übermorgen ist es soweit: „Wir lieben Lebensmitt Technik! Wir hassen teuer!“ soll es ab dem 24. Oktober heißen. „Heute geht es um Werte statt um Preise“, meinte der Shop-Chef.

Recht hat er, sage ich, reuevoll auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt. Werte, das ist es, was wir brauchen. Am besten welche zum Wiederaufladen. Hat jemand ein Taschentuch für meinen Gewissens-Engel?

Neues aus dem Amt

Kfz-Stelle_75b_800Mit Behörden ist es ja wie mit lebenswichtigen Organen. Ohne sie geht es nicht. Schon klar. Aber am glücklichsten ist man doch, wenn man von ihrem Funktionieren möglichst wenig mitbekommt. Muss man sich doch einmal intensiver mit ihnen beschäftigen, ist die Frage nur: Wie unangenehm wird’s diesmal?

„Mein Verhältnis zu Behörden war nicht immer ungetrübt…“ begann vor vielen Jahren Reinhard Meys Lied vom Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars. Zu Recht konnte damals praktisch jeder Radiohörer im Lande mitträllern. Bürger und Behörde, das ist wie Frikadelle und Fahrrad, wie Wanderdüne und Webcam, das kann nicht miteinander, das passt nicht.

Wo war ich? Ach ja, auf der Kfz-Zulassungsstelle der Stadt Aachen. Ich muss vorwegschieben, dass einige der unangenehmeren Erinnerungen an meine letzte Heimat Bielefeld um die dortige Zulassungsstelle kreisen. Drei Stunden Wartezeit waren Regel, nicht Ausnahme. Meist radelte ich auf dem Weg zur Arbeit kurz dort vorbei, zog einen Wartebon, fuhr weiter ins Büro und rief alle halbe Stunde an, wieviele Dutzend Nummern noch vor mir dran waren. Ungelogen.

Wer nämlich nicht nur brav jahrein, jahraus denselben Wagen fährt, sondern sich mit einem Sommer- und einem Winterauto plus Motorrad durch’s Jahr hangelt, der kennt bei solchen Wartezeiten für jede einzelne An- und Abmeldung irgendwann jede Fliese auf dem Boden. Jedes Bild an der Wand, besonders dieses dämliche mit dem unfallzerknautschen Mercedes 300SL.

Mit entsprechend überschaubarer Vorfreude hatte ich mich im Frühjahr zum ersten Mal aufgemacht, das erste meiner Vehikel nach Aachen umzumelden. „Ich komm morgen später“, warnte ich am Tag vorher die Kollegen in der Redaktion. Am nächsten Tag piepte der Wecker denn auch extra früh. Das große Erlebnis begann damit, dass die Zulassungsstelle nicht bequem in der Stadt liegt, sondern draußen auf der grünen Wiese, was sag ich: dem grünen Hügel, am Rande des Gewerbegebiets Würselen. Was, Sie haben kein Auto, um Ihr Auto anzumelden? Dann sehen Sie mal zu, wie Sie zu uns hochkommen.

Erst einmal vor Ort allerdings: hui! Riesenparkplatz hinterm Haus, Nummer ziehen, hinsetzen und sofort dran sein. Oder auch: Gar nicht warten, Ummeldung gleich am Schnellschalter erledigen. Fünfmal war ich schon da, zuletzt am vergangenen Freitag, und nie hat es länger als zehn, fünfzehn Minuten gedauert. Beim ersten Mal hatte das zur Folge, dass ich danach nochmal nach Hause fahren und den unterbrochenen Morgenschlaf fortsetzen konnte. Ein geradezu unfassbar schneller und angenehmer Vorgang.

Hätte Reinhard Mey das geahnt. Manchmal ist es mit Behörden auch wie mit einem dieser Extra-Big-Burger im XXXL-Menü mit dreimal Fleisch und viermal Käse. Erst glaubt man, mit diesem Monster wird man nie fertig. Und eine Stunde später könnte man glatt schon wieder.

Neues aus dem Wald

Schuhe_311Im Wald, da sind die Räuber, bekamen Kinder zu Urgroßvaters Zeiten warnend eingetrichtert. Dunkel und gefährlich ist’s unter den Bäumen, kein vernünftiger Mensch wagte sich freiwillig in das Reich der Wölfe und Bären. Früher. Heute tragen die Bären niedliche Namen wie Bruno oder Knut und haben ihr Revier geräumt für andere wilde Geschöpfe. Zum Beispiel den Waldläufer. Es folgt etwas Werbung für eine Betätigung, die man aus tiefstem Herzen liebt oder hasst.

Jogger, das sind diese Irren, die ohne Ziel und ohne Zeitabnahme durch friedliche Grünanlagen hetzen. Deren Japsen die Tauben aufflattern lässt und deren verstöpselte Ohren das Klingeln der Radfahrer nie hören. Sagen die einen. Für die andere Hälfte der Menschheit ist Laufen die wunderbarste Bewegung der Welt, ideale Fettverbrennung und innere Einkehr inbegriffen.

Sie meinen, für Sie ist das nichts? Vor Jahren mal probiert und nach ein paar hundert Metern hustend und mit peinvollem Seitenstechen zusammengeklappt? Das heißt gar nichts. Passiert jedem am Anfang. Es braucht eine Weile, bis sich der Körper an das gesteigerte Bewegungstempo gewöhnt hat. Einfach mal ein paar Runden flott gewalkt, in der zweiten Stufe mal längere Laufpassagen reingeschoben, dann geht es. Dauert nicht lange.

Parkplatz_01_800Und was für ein Glück wir haben. Der Aachener Stadtwald ist nämlich die perfekte Trainingsbahn. Wir stellen unseren Wagen am Wanderpilz ab, dehnen noch ein wenig die vom Bürotag verhärtete Beinmuskulatur…

Weg_08_800…und dann los. Die ersten Schritte sind noch etwas staksig. Aber schön ist es hier: Das Sonnenlicht bricht sich in den gelben und roten Blättern. Mücken tanzen in der Luft. Abgefallenes Laub raschelt unter den Sohlen. Der anfangs schnurgerade Weg wird schnell abwechslungsreicher.

Matsch_13_800Stellenweise sogar etwas zu abwechslungsreich. Was jetzt: Mit einem kühnen Sprung über den Matsch setzen oder künstlerisch am Schlamm vorbeitänzeln? Hauptsache, nicht aus dem Rythmus geraten.

Steigung_23_800Erst recht nicht bei Steigungen wie dieser. So etwas strengt an. Aber ein Hürdenlauf macht ohne Hürden ja auch keinen Spaß.

Schatten_27_800Wer mag, kann per MP3-Player die Außenwelt auf optische Eindrücke reduzieren. Vogelzwitschern hat zwar seinen Reiz, aber wer im Innenohr Chris Rea La Passione rauchen hört, versinkt schneller in eine Art angenehme Trance. Der Körper hat sein Tempo gefunden, Glückshormone schwappen fröhlich durch die Blutbahn, und die Beine bewegen sich wie von selbst.

Fuss_28_800Allzu meditatives Dahintraben hat allerdings auch Nachteile. Wir Zweibeiner sind nämlich nicht allein hier.

Haufen_34_800Also schön die Äuglein aufgelassen und den Blick auf den Weg gerichtet. Der ist manchmal nämlich ganz schön holprig.

Steine_40_800Wer hat nur die Idee gehabt, mitten in der Wildnis Pflastersteine zu verlegen? Römer? Räuber?

Strasse_41_800Wer auch immer sie waren: Ihre Nachfahren waren gründlicher. Über die Monschauer Straße rennt man nicht so einfach, ohne nach links und rechts zu gucken. Jedenfalls nicht um diese Zeit, am frühen Abend.

Dunkel_53_800Noch eine letzte Schleife, dann geht es zurück zum Parkplatz. Die Sonne ist längst weg, die Dämmerung hat eingesetzt. Das ist der Nachteil am Herbst: Es wird inzwischen schon so früh dunkel, dass man ein Problem hat, nach Feierabend noch im Hellen seine Runde zu Ende zu bringen. Aber wir haben’s grade noch geschafft. Falls es hier doch noch einen übriggebliebenen Bären gibt.

Waren wir wirklich eine Stunde unterwegs? Ging ja fast wie von selbst. Sagten Sie nicht, das wäre nichts für Sie?

Morgen wieder?

Neues aus der Apotheke

Da liegt er vor mir, und er ist schön. Eine Frau hat ihn mir geschenkt. Ein Kugelschreiber, mit schicken Chrom-Applikationen und aus transparent-grünem Kunststoff. Die Frau war Apothekerin, und der Stift ist ein Werbegeschenk zur Eröffnung der neuen Filiale, in der ich gerade war. So hübsch er ist, er verunsichert mich.

Journalisten denken nicht oft über Kugelschreiber nach. Die Dinger kommen halt und gehen. Auf jedem zweiten Pressetermin bekommt man einen neuen in die Hand gedrückt, oft zusammen mit einem Schreibblock, der das Firmenlogo des Gesprächpartners trägt. Es sind flüchtige, allzu flüchtige Beziehungen, die wir zu unseren Schreibgeräten haben. Man arbeitet eine Weile zusammen, dann trennen sich die Wege. Im Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams gibt es einen Planeten, auf den herrenlose Kugelschreiber verschwinden. Das wäre eine Erklärung, warum es zwischen Mensch und Kuli keine Treue gibt.

Espumisan_46_800Dieser hier ist aber noch da. Er schimmert im Licht der Schreibtischlampe. Was mich ins Grübeln gebracht hat, ist der Werbeaufdruck. „Espumisan“ steht drauf, mit einem ® dahinter. Ich würde ihn ja gerne mit ins Büro nehmen, den grünen Gehilfen. Aber er wirbt offenbar für ein medizinisches Produkt. Was, wenn es etwas ist, das Patienten in der Apotheke nur im Flüsterton zu verlangen wagen? Das man an Stellen aufträgt, die nie das Licht der Sonne sehen? Etwas, das gegen Pilzbefall und Parasiten wirkt?

Was steckt hinter Espumisan®?

Wie gut, dass es Google gibt. (Ich hätte den Stift auch einfach umdrehen können, denn auf der Rückseite steht praktischerweise www.espumisan.de, aber das habe ich erst später investigativ herausgefunden.)

Nun ist die Unsicherheit vorbei. Und meine Liste der schönsten Werbesprüche aller Zeiten (angeführt von dem der Lloyd-Werft Bremerhaven, erinnern Sie sich?), ist am unteren Ende um ein Exemplar länger:

Espumisan_Screenshot_800Der Stift kommt nicht mit ins Büro.