Der morbide Charme des Morbiden

Die ersten Januartage sind keine fröhliche Zeit. Der Himmel wolkengrau, das Wetter nasskalt, die Tage kurz, die Stimmung neigt zu Melancholie. Es ist eine Zeit, schon lange vorgenommene Dinge zu erledigen, To-Do-Listen abzuarbeiten und sich das schlechte Gewissen wenigstens partiell zu erleichtern.

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Schweigend stehen die Leichen auf dem Werkstatthof, teils ausgeschlachtet, teils mit den Innereien anderer Schrottopfer ausgestopft, einige bereits aufgebahrt und bereit zu ihrer allerletzten Reise. Während meine C-Klasse im Hintergrund auf die Hebebühne wartet, streife ich zwischen den tristen Hüllen herum und lasse mich anstecken vom morbiden Charme des Morbiden.

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Ein unverhofftes Wiedersehen mit einem alten Bekannten – dem Smileymännchen „Mr Happy“ aus der „Glasgow’s Miles Better“-Kampagne, mit der die heruntergekommene schottische Industriemetropole in den 80er-Jahren ihr Image erfolgreich aufzumöbeln begann. Als ich die Stadt 1992 zum ersten Mal mit Interrail besuchte, war der Slogan noch häufig zu sehen, obwohl die Nachfolgekampagne „Glasgow’s Alive“ schon seit längerem lief.

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„Alive“ – das ist überhaupt das Stichwort für viele der vor sich hin träumenden Ruinen. Mutter Natur haucht den aus dem Verkehr Verschiedenen auf ihre Weise neues Leben ein, so wie diesem Opel Kadett.

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Und so sprießt es still und hoffnungsfroh an mancher verborgenen Stelle…

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…oder ganz offen, dem winterlichen Himmel entgegen.

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Doch auch, wo noch nichts oder nichts mehr wächst, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Alles fließt, sagten die alten Griechen. Manchmal blättert und bröselt es auch. Ich fühle mich an die vergessenen und zerfallenden Eisenbahnwagen hinter dem Geisterbahnhof von Canfranc erinnert.

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Und die Schwerkraft tut das Ihrige, wenn Stahl zu Staub wird.

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Auch wenn das Reifenprofil noch gut ausschauen mag: Ungewohnte Einblicke entstehen, wo der Zahn der Zeit seine Bissspuren hinterlassen hat, wie am vorderen Radlauf dieses alten W123ers.

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Scheußlich auch dieser Schaden, dessen Reparatur offenbar niemand für nötig – halt, das ist ja meine C-Klasse. Was mich daran erinnert, weshalb wir hier bei Dirk sind: Am treuen Flocki ist nach fast zwei Jahren und 60.000 Kilometern mal wieder das eine oder andere zu erledigen.

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Das größte Unwohlsein bereiten mir die vorderen Federbeinaufnahmen, die als Blechteile in Form umgedrehter Müslischüsseln ans Radhaus angeschweißt sind. Bricht eine davon ab, so wie es vor fast zwei Jahren auf der Fahrerseite passiert ist, ist die aus dem Wagen herausfallende Feder Anlass genug, sich von dem Fahrzeug zu trennen.

Das möchte ich gerne vermeiden, allein, was lässt sich dagegen tun? Eine Verstärkung einschweißen: eine Abstützung, um die Federbeinaufnahme zu entlasten. Im oberen Bild sind bereits die Stellen blankpoliert, an denen die Strebe angeschweißt werden soll.

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Dirk fertigt aus zwei Stücken Rohr (Wandstärke 2-3 Millimeter, also überaus solide) solche Stützen an. An den Enden abgeflacht und entsprechend abgewinkelt, passen sie genau zwischen Radhaus und Federbeinaufnahme.

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Während des Anschweißens habe ich das seltene Vergnügen, als Brandwache im Motorraum meines Fahrzeugs die Flammen auszupusten.

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Das Ergebnis überzeugt. Nach Grundierung und Lackierung werden die neuen Streben noch mit Fett gegen Wettereinflüsse geschützt. Das sollte eine Weile halten – mehr Stabilität dürfte da vorne kaum möglich sein.

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Und noch die eine oder andere Kleinigkeit ist zu flicken. An zwei Stellen werden abgebrochene Halterungen wieder an den Auspuff geschweißt, ins Differential wird neues, bernsteinfarbiges Öl gequetscht und die Hinterachse bekommt zwei neue Federn (auf der Beifahrerseite war ein mehrere Zentimeter langes Stück abgebrochen). Bei letzterer Aktion stellt sich allerdings heraus, dass der Mercedeshändler meines Vertrauens mir Gummipuffer für den W210 statt des W202 mitgegeben hat. Statt der neuen Gummis müssen also die alten wieder rein – arg ärgerlich, die ganze Ausbauprozedur müssen wir irgendwann nochmal wiederholen.

Und sogar der so schlimm zerschrammte Radlauf am Kotflügel vorne links – siehe Foto oben – wird provisorisch wieder ausgebeult und weiß gelackt, auf dass er noch den Winter über halte.

Eine kleine Wellnesspackung für ein Auto, das mir in den letzten anderthalb Jahren sehr ans Herz gewachsen ist, so problemlos und angenehm frisst es täglich brav seine Kilometer. Pro Arbeitstag immerhin mindestens 130 davon.

Es ist längst Nacht, als sich der Wagen und ich wieder auf den Weg nach Köln machen. Müde, aber zufrieden. Wieder etwas erledigt. Es soll halt noch ein paar Jahre dauern, bis Moos auf meinem Auto wächst.

Dwarslöper

Manchmal sieht man ein Auto, bei dem man sofort weiß: Da stimmt was nicht. Der heillos überladene Kombi, der viel zu tief in den Federn liegt. Der Sattelschlepper mit verrutschter Ladung, dessen Aufbau sich gefährlich zur Seite krümmt. Damals, auf der A1, der Van mit dem auf dem Asphalt schleifenden Auspuff.

Dwarsloeper
Was stimmt an diesem Kraftfahrzeug nicht…?

Bei diesem Gesellen hier musste ich ein paar Sekunden länger hingucken, ehe mir auffiel, was es war.

Dwarsloeper 2
Nein, er ist nicht gerade auf die linke Spur gewechselt – der fährt die ganze Zeit so

„Dwarslöper“ nennt man in der Seefahrt Schiffe, die quer zum eigenen Kurs unterwegs sind. Bei Herrn Transoflex da vorne gehorcht die Hinterachse deutlich stärker dem Rechtsfahrgebot als der Rest des Wagens: Die Hinterräder sind um fast eine Reifenbreite nach rechts versetzt. Der Kasten ist quasi diagonal unterwegs. Kein Wunder, dass der Kapitän am Steuer gewisse Probleme zu haben scheint, Kurs zu halten. Der Fahrensmann in seinem Kielwasser staunt und kann sich nicht erinnern, in seinen 23 Jahren auf großer Fahrt dieses Phänomen schon einmal gesehen zu haben.

Dwarslöper werden an der Küste auch Krebse genannt, des eingelegten Seitwärtsgangs wegen. Wär ich der Klabautermann da vorne, würde ich mit diesem Seelenverkäufer jedenfalls auch mal schleunigst rechts raus – und ganz vorsichtig in die nächste Werkstatt krebsen.

Klare Kante

Es ist morgens, es ist halb Zehn durch, es ist viel los auf der A4 und es ist alles zu spät. Es war schon zu spät, als ich vor 20 Minuten hektisch Flockis Zündschlüssel umdrehte. Zu spät, als der kilometerlange Rückstau vor dem Kreuz Köln-West endlich hinter uns lag und noch später, als wir endlich durch das zweite Geknubbel vor der Baustelle an der Brücke über die ICE-Strecke waren. Zu spät, um pünktlich um Zehn in der Redaktion zu sein.

Nun windet sich die zweispurige Blechschlange, durch dynamische Verkehrsbeeinflussung auf 100 km/h heruntergekühlt, durch den Wald zwischen Buir und Düren. Mittendrin: Flocki, ich und Steffi Neu von WDR2. Entspannen Sie sich, Drängeln hat doch keinen Zweck, Sie sehen doch, dass es hier nicht schneller geht.

Ein Quattroporte

Aber was ist das? Vor uns taucht etwas auf, dass die unverkennbaren, eckigen Linien der Siebziger trägt. Ein VW Santana? Oder gar ein alter Mitsubishi Galant?

Quattroporte in Nahaufnahme

Oh nein, es ist so ziemlich das genaue Gegenteil. Das gewaltige Dreizack-Emblem an der nicht weniger imposanten C-Säule verrät: Vor uns fährt ein waschechter Maserati Quattroporte III, gebaut irgendwann zwischen 1979 und 1986, als ein paar Jahre lang De Tomaso das Regiment in Modena führte, nach Citroën und vor Fiat. Der große Giorgio Giugiaro zeichnete für die kantige Silhouette verantwortlich, die denn auch ihre Verwandtschaft mit vierrädrigen Ikonen wie dem De Lorean DMC und dem BMW M1 nicht bestreitet, aber auch Familienähnlichkeit mit der ersten Generation von VW Golf, Scirocco und Passat aufweist. Von daher war der VW Santana zumindest nicht völlig abwegig. Hatten Autos je wieder so viel Charakter wie damals?

Sein über 200 PS starker V8 mit über vier Litern Hubraum machte den Quattroporte für Fahrer, die den Mut zur Nischenmarke aufbrachten, zu einer echten Alternative zu Mercedes 450 SEL 6.9 und Jaguar XJ V12, vom BMW 745i ganz zu schweigen.

Was für ein rares Glück, eins der nur knapp über 2200 gebauten Exemplare hier zu treffen. Diese Kanten! Diese Felgen! Diese Auspuffrohre! Dieses bezaubernd understatelnde „4porte“-Typenschild!

Eine Zeitlang darf sich Flockis 1,8-Liter-Vierzylinder auf Augenhöhe mit dem fast doppelt so starken Italo-Exoten fühlen. Dann wird die A4 hinter Düren dreispurig und der Dreizack schüttelt den schnöden Berufsverkehr mit leichtem Druck aufs Gaspedal einfach ab.

Zwanzig Minuten später, hinter der Dauerbaustelle Aachener Kreuz, verlassen wir die Autobahn. Am Ende der Abfahrt Rothe Erde wartet die Ampel zum Berliner Ring. Springt sie auf Grün, kann man es bei konzentriertem Einsatz von Gas und Bremse, entsprechender Zurückhaltung des übrigen Verkehrs sowie etwas Glück und deutlich mehr Chuzpe gerade noch bis zur Kreuzung Breslauer/Dresdener Straße schaffen, ehe dort die Ampel auf Rot wechselt.

Heute, wo alles zu spät ist, ist auch das Glück der freien Bahn nicht mit uns. Dafür um so mehr zähflüssig dahinrollende Hürden der Landstraße à la Twingo und Bravo. Die Ampel empfängt uns erdbeerfarben. Die Hände umkrallen das Lenkrad – ach, egal, zu spät ist zu spät ist zu spät.

Aber vorhin, auf der A4, da war ein Wagen… der hätte es geschafft.

Autobahngold

Der Wagen steht an der Autobahnabfahrt Eynatten, warnblinkend, in der Kurve, die hinauf zur Landstraße nach Aachen führt. Ein dunkler Kombi, offenbar liegengeblieben und mit letzter Kraft gerade noch von der Autobahn gerollt. Eine Frau mit Kopftuch ist ausgestiegen, ein Mann mit dunklem Teint winkt hilfesuchend. Es ist gegen 20.30 Uhr, ich habe nach Feierabend noch rasch am Autohof hinter der belgischen Grenze LPG getankt und beschleunige gerade auf die Zufahrt zur Autobahn. Kaum habe ich das gestrandete Pärchen wahrgenommen, bin ich auch schon an ihnen vorbei, man bremst ja aus voller Beschleunigung nicht ohne weiteres, zumal mit weiteren Autos im Rücken.Auf den folgenden Kilometern wächst das schlechte Gewissen mit jedem Meter: Hattest du nicht auch schon mal eine Panne? Wie lange wird so ein südländisches Pärchen mit Autopanne in dieser Gegend auf Hilfe warten müssen? Bis Aachen-Brand ist das schlechte Gewissen so stark geworden, dass ich mit innerem Seufzen abfahre und wieder umkehre. Der Kombi steht immer noch in der Abfahrt.Ich halte auf dem Seitenstreifen. Der Mann tritt ans Beifahrerfenster. Er sei liegengeblieben, mit leerem Tank und ohne Geld. Ob ich ihm etwas leihen könnte? Er schwört, es zurückzuüberweisen,faltet die Hände, Verzweiflung in der Stimme. Ich werfe einen Blick ins Portemonnaie – mehr als zehn Euro sind nicht drin. Er nimmt das Geld, dankt traurig. Weit wird ihn das nicht bringen. Wo er hin will? „To Paris.“ – „Good luck to you.“ Ich fahre wieder los.In der folgenden Dreiviertelstunde bis Köln legt das schlechte Gewissen erst so richtig los. Du hättest den armen Kerl wenigstens zur Tankstelle fahren können, schimpfe ich mit mir. Oder ihn besser gleich dahin abbeschleppt. Was soll er mit zehn Euro, wenn er sich davon erstmal einen Reservekanister kaufen muss? Man hätte unter den wartenden Autofahrern an der Tankstelle den Hut herumgehen lassen können. Wenn jeder fünf Euro gegeben hätte… wie weit ist es eigentlich nach Paris?

Zu Hause angekommen, erzähle ich von meinem Treffen mit dem ärmsten Autofahrer in ganz Belgien. Meine Freundin bleibt ungerührt. „Du weißt, dass das eine ganz gängige Betrugsmasche ist?“ Böses ahnend, werfe ich Google an. Schnell ist das Stichwort gefunden: „Autobahngold„. Ein verbreiteter Trick, vor allem in der Reisezeit. Die Betrüger – meist aus Osteuropa – simulieren eine Panne, winken mit leeren Kanistern oder Abschleppseilen, leihen sich von hilfreichen Autofahrern Bargeld und bieten als Pfand scheinbar wertvollen Goldschmuck, Lederjacken oder ähnliches. Die Ware ist reiner Tinnef, das geliehene Geld sieht der Geneppte nie wieder. Polizei und Medien warnen seit Jahren vor der Masche.

Kalte Ernüchterung. Ich rufe die Autobahnpolizei am Grenzübergang Lichtenbusch an. Ich sei da einem angeblich liegengebliebenen Pärchen begegnet… „Haben die Ihnen Gold angeboten?“, fragt der Beamte. „So weit sind wir nicht gekommen“, erwidere ich zerknirscht. Für meine zehn Euro gab’s ja nicht mal ein echtes Goldkettchen aus Messing. „Sobald die ihr Geld bekommen haben, sind die gleich über alle Berge“, erklärt der Polizist. Fahndung zwecklos.

Man hätte von selbst drauf kommen können. Wer nach Paris will, bleibt schließlich nicht auf der Strecke von Lüttich nach Aachen mit leerem Tank liegen.

Ich ärgere mich. Über meine Leichtgläubigkeit, über die zehn Euro, aber vor allem darüber, dass ich beim nächsten liegengebliebenen Auto mit dunkelhäutigem Fahrer und/oder Kopftuchfrau wohl noch weniger zum spontanen Hilfshalt geneigt sein werde. Womit das Betrügerpärchen dann noch mehr Opfer auf dem Kerbholz hätte.

Andererseits: Zehn Euro sind kein allzu hoher Preis für eine nachhaltige Lektion Lebenshilfe. So ein falsches Goldkettchen hätte ich trotzdem gerne gehabt – als Andenken. Ob ich es beim nächsten Mal mit 20 Euro versuche? 15! Letztes Wort!

Neulich, auf der A4

Seit Anfang des Jahres verbringt der Schreiber dieser Zeilen einen Großteil seiner freien Lebenszeit auf der A4 zwischen Aachen und Köln – dem alten Arbeits- und dem neuen Wohnort. Täglich eine Stunde hin, eine Stunde zurück, das nagt schon etwas an der Lebensqualität. Von der Zeit ganz zu schweigen, die man früher abends gerne vor dem Blog verbrachte.
Abistreich 1947
Oldtimerfahrer mit Humor – eine einzigartige Begegnung

 Immerhin begegnet man auf den täglich 126oderso Kilometern auch dem einen oder anderen netten Anblick. Wie zum Beispiel neulich diesem rollenden Abischerz. So alt ist die Unsitte also schon, dem glücklich der Schule entronnenen Nachwuchs einen Neuwagen vor die Tür zu stellen.

Schickes Schuhwerk

Frische Felgen und respektierliche Radkappen (beziehungsweise, im Daimlerdeutsch: Radzierblenden) sind ja das Aushängeschild eines Autos. Zeig mir, wie du rollst, und ich sag dir, was du fährst. Oder bist. Oder so. Verkatschte Baumarkt-Pentastern-Alus in Bremsstaub-Anthrazit mit 225er-Schlappen verwandeln jedes scheckheftgepflegte Rentnermobil in eine prolide Pornomöhre.

Schickes Schuhwerk
Schlicht und elegant – das originale Schuhwerk mit dem Stern

Auch Flockis Felgenabdeckungen wiesen nach 17 Jahren die eine oder andere Narbe vom rauhen Parkkampf mit den Bordsteinen Mitteleuropas auf. Da die schlichten Silberlinge meinem schmucklosen Buchhalterbenz ausgezeichnet stehen, fiel mir der Verzicht aufs Upgrade zu MB-Leichtmetallfelgen leicht.

Allein, der freundliche Mercedes-Stützpunkt nimmt wahrlich selbstbewusste Preise für die Plastikdeckel, auch wenn der Extra-Chromrand der Elegance-Version gar nicht dran ist. 160 Euro für einen Komplettsatz? Dafür gibt’s ja fast schon vier Pentastern-Alufelgen aus dem Baumarkt!

Was soll’s, Ebay ist mein Freund. Und Flockis Freund. Hej, wie das blinkt. Es geht einfach nichts über gediegene Schuhe. Und im Gegensatz zu denen des Fahrers quietschen diese hier nicht mal, bis Paypal die Lastschrift eingezogen hat.

Die kleinen Dinge (6)

Ja, Flocki hat uns prima gefahren. Einmal Portugal und zurück bitteschön. Über Mont Saint-Michel, quer durch die Bretagne, die Atlantikküste runter mit einem Abstecher zur Dune du Pilat, dann über die Pyrenäen nach San Sebastian, mit einem Tagestrip nach Bilbao, schließlich quer durch Norspanien zum Lago de Sanabria, dann nach Porto, von da aus die Küste hoch zum Kap Finisterre, wieder nach Osten nach Santiago de Compostela, zurück ins baskische Logrono, dann nach Pamplona, über Canfranc die Pyrenäen durchquert, Lourdes besucht, in Feurs gecampt und von da aus zurück nach Aachen.6300 Kilometer, und außer der Batterie hat nichts gezickt (und die war eh schon ziemlich im Eimer) (und wozu hat man schließlich den ADAC-Plus-Schutzbrief). Das nennt man ein dankbares Auto.

Dafür gibt’s auch eine Belohnung. Fürs Auto, dessen Innenraum deutlichst aufgewertet wird. Und für den Fahrer, dessen Daumen nicht mehr ins Leere greift. Ist das Auto nett zum Mensch, ist der Mensch auch nett zum Auto.

Ach, wo wir schon mal großzügig sind…

…kümmern wir uns auch gleich mal um die inneren Werte unseres hohen C. Teilenummer B66920102, falls ihn jemand nachbestellen möchte. Creature Comforts Cupholder C-Class.

Endlich hat dieses dusselige Staufach mal eine richtige Funktion, nachdem sich auf der Portugalfahrt ständig Kameras und Navigationsgeräte drin verkantet haben.

(Die Schalthebelplakette hat 202 267 09 34.)

Das erste Mal

Ich sitze in meinem neuen Auto. Zum ersten Mal. Wobei „neu“ vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist. Ich sitze auf dem Fahrergestühl eines Mercedes C180 von 1994, eines knapp 17 Jahre alten Fahrzeugs also.

Der Wagen steht auf dem Parkplatz einer Bosch-Werkstatt in Aachen. Der ADAC hat ihn heute Morgen hierher geschleppt. Der Blick über die links herunterhängende Motorhaube verrät, warum: Im Vorderkotflügel auf der Fahrerseite ist die Federbeinaufnahme gebrochen. Die Feder ist glatt aus dem Radhaus herausgefallen, sie liegt lose im Kofferraum.

Federbeinaufnahme, gebrochen
Federbeinaufnahme, gebrochen

Für die Besitzer war das der Zeitpunkt zu sagen: adieu. Danke für 174.000 glückliche Kilometer, doch nun ist deine Zeit um. Schrottplatz oder Marc, wer hebt als erster die Hand?

Armaturenbrett
Das erste Mal vergisst du nie.

Mein neues Auto. Ich kann mein Glück noch gar nicht fassen.

Der Blick schweift über den neuen Arbeitsplatz, das neue Lebensabschnittswohnzimmer. Manche Menschen haben ja ein eher musealisch-erotisches Verhältnis zu ihrem Auto, für andere ist es bei aller Zuneigung in erster Linie ein Nutzgegenstand. Ascheflöckchen auf der Mittelkonsole zeugen davon, dass der C in seinem ersten Leben ein Raucherauto war. Was das Tabakbraun des einst hellgrauen Dachhimmels bestätigt.

Innenraum
Ein klassisches Vorher-Bild

Ja, hier kann man sich austoben, wenn man den musealen Ansatz verwirklichen will, dieses einzig wahre „wie frisch ab Werk“-Gefühl.

Müder Blick eines müden Autos
Müde sieht er aus, gell?

Es gilt Lack wieder zum Glänzen zu bringen,

Kofferrost
Kofferrost

Rost zu bekämpfen,

Wischergrün
Wischergrün

ordentlich aufzuräumen

Noch mehr frisches Grün am Auto
Noch mehr frisches Grün am Auto

und allzu kecke Natur zu vertreiben. Das ist mir etwas zu viel frisches Grün am Auto.

Waldeslust
Waldeslust im Motorraum

Die nächsten Wochen werden arbeitsreich. Fast jeden Tag hänge ich in irgendeiner verrenkten Position im, am, vor oder hinter dem Wagen.

Entkernung und Grundsanierung
Entkernung und Grundsanierung

Die Reinigung des Innenraums gerät zur Riesenaktion. Mit einem gemieteten Sprühreiniger aus dem Baumarkt geht es an das restlos entkernte Innenleben. Für den Ausbau der Sitze braucht’s eine eigens gekaufte Torx-Nuss.

Staubiges Gestühl
Staubiges Gestühl

Doch die Mühen werden belohnt. Mercedes-Qualität ist eben auch nach 17 Jahren noch Mercedes-Qualität, wenn andere Autos schon längst wieder dem Recyclingkreislauf beigetreten sind. Der Kunststoff des Armaturenbretts schimmert wieder wie 1994. Den Lack verhilft eine Politur zum alten Glanz. Und der C offenbart noch andere Qualitäten – vor allem einen vollständig unverbastelten Originalzustand.

Nicht jedes Braun an einem Mercedes ist erhaltenswert
Nicht jedes Braun an einem Mercedes ist erhaltenswert

Der Erstbesitzer war ein Sparfuchs: Außer E-Schiebedach, Colorglas, geteilt umklappbarer Rücksitzlehne und der Antenne (mechanisch!) hat er auf sämtliche Extras verzichtet. Nix Beifahrerairbag, nix E-Fensterheber, nix Klimaanlage, nix Kopfstützen hinten, nix Mittelarmlehne, nix Tempomat. Nix Elegance-Paket, nix Alufelgen, nix Zebranoholz. Gut, dass damals wenigstens ABS, Servolenkung, Zentralverriegelung, der Fahrerairbag und elektrische Außenspiegel serienmäßig waren. Und trotzdem: Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit schwappt durch die Blutbahnen des Viert-Halters.

Der Moderraum
Was macht der Moderraum? Is vermodert…

Der Moderraum vorher…

Vom Moderraum zum Motorhome
Hier fühlt sich der M111 wieder wohl

…und das Motorhome nachher.

Zum Nulltarif rollt der C freilich nicht in sein zweites Leben. Die Wiederbelebung beginnt mit der Federbeintransplantation (320 Euro), wird fortgeführt in neuem Schuhwerk (4 x Conti Premium Contact, ebenso 320 Euro), ergänzt durch neue Bremsen und Scheinwerfergläser (280 Euro), eine gebrauchte Kofferraumklappe in Polarweiß (90 Euro), eine Mittelkonsole mit Armauflage (50 Euro) und abgerundet von einem bunten Reigen aus Verschleiß- und Ersatzteilen, dem Wechseln diverser Flüssigkeiten und Filter (200 Euro mindestens) und ein paar Goodies von Ebay – neue Sonnenblenden, Aschenbecher, iPhone-Adapterkabel fürs (aus dem Wintergolf gemopste) Blaupunkt Essen. Ach ja, und das Wichtigste: ein neuer Stern, macht 30 Euro bittesehr. Über 1700 Flocken kamen am Ende zusammen.

Reifenprofil auf der Flanke
Ausgeprägtes Reifenprofil – auf der Flanke

Die Krönung ist aber die Gasanlage: eine Prins VSI, vollsequentiell, mit 67-Liter-Tank, und teurer als alle Investitionen bis dahin zusammen. Flocki, so heißt der C jetzt, hat nämlich noch einiges vor. Er wird jeden Kilometer der A4 zwischen Köln und Aachen ziemlich intensiv kennenlernen…

Strahlemann
Ein Strahlemann

…und sieht er jetzt nicht aus, als ob er sich schon darauf freut?

Morgen geht’s allerdings erstmal in den Süden. Nach Portugal. Die erste große Reise. Noch eine Premiere. Das erste Mal hat viele Gesichter.