Meilenwerk: Düsseldorf

Es ist der 30. September 2012. Udo Jürgens wird an diesem Tag 78 Jahre alt, ich gottseidank nur 42. Da aber auch das eine ganz besondere Zahl ist, hat ein sehr lieber Mensch einen ganz besonderen Tag für mich arrangiert. Er führt uns im schokoladigsten Dieselcoupé westlich des Rheins eine gute halbe Autostunde flussaufwärts mitten in das, was Kölner die verbotene Stadt nennen.

106Dort wird der Moorbraune mit schöner Aussicht geparkt. In seinem Rücken liegt, was ich bislang nur aus schwärmerischen Erzählungen von Tagesausflügen anderer Leute kannte.

143Das Meilenwerk. Halt, seit einem Jahr heißt es ja „Classic Remise„. Hintergrund der – in meinen Augen wenig glücklichen – Umbenennung ist ein verworrener Streit um die Rechte am Namen Meilenwerk. Sei es, wie es sei, der Ort ist immer noch einzigartig und hat eine fantastische Atmosphäre. In einem um 1930 erbauten Ringlokschuppen der Bahn ist etwas entstanden, das sich in der Wikipedia schwulstig „Dienstleistungszentrum rund um die Themen Motorrad und Automobil mit Spezialisierung auf den Bereich der Klassiker, Oldtimer und Sammlerfahrzeuge“ nennt.

151Kurz: Hier werden gebrauchte Oldtimer ausgestellt, zum Kauf angeboten und in zahlreichen Werkstätten restauriert. Aber lassen wir lieber die Bilder für sich sprechen. Oder besser: die darauf abgebildeten Protagonisten.

146Wo einst Dampfloks aus dem Schuppen auf die Drehscheibe rollten, schillert heute hochglanzpoliertes Blech unter einem transparenten Dach – so wie dieser Jaguar XK 120 FHC, laut Verkaufsschild frisch reingekommen, für nur 120.000 Euro.

149Rund 150 Meter Durchmesser hat das Halbrund voll mobilen Kulturguts. Bürgerliche W123er mit ehrlicher Alltagspatina oder irgendwelche runtergerockten Leichenwagenwohnmobile sind hier allerdings nicht zu bestaunen oder gar erwerben. Wie es sich für Düsseldorf gehört, darf es schon ein Löffelchen Butter mehr sein. Lagonda, Maserati, Ferrari, Porsche… und natürlich auch eine ganze Palette Sternenschiffe aus Stuttgart. Man will ja auf der Kö Neid erregen, kein Mitleid.

156Aber bei aller Affinität zu Daimler & Benz: 107er-SLs und 116er-S-Klassen schaue ich mir doch lieber in Ornbau an. Einen waschechten Maserati Khamsin dagegen kriege ich so schnell nicht wieder vor die Linse… (Höchstens einen Quattroporte III, aber das war ja auch ein Glücksfall.)

144Nicht, dass sich nicht auch der eine oder andere liebenswerte Geselle mit etwas weniger Überholprestige unter all den Premiummobilen vergangener Jahrzehnte verstecken würde. Etwa diese schnuckelige heckgetriebene Autobianchi Bianchina, mit ihren 7500 Euro sogar geradezu erschwinglich. Allerdings auch die einzige im Saal, auf die dieses Etikett zutrifft.

157Egal. Ich habe mich gerade verliebt. Können Sie mir bitte zwei von diesen hübschen roten Alfas einpacken?

158Und dann ist da natürlich noch die Insel-Fraktion. Die Raubkatzen. Die Langgestreckten. Die, denen die laszive Eleganz schon in die Wiege gelegt wurde (sowie diverse elektrische Gendefekte, aber das spielt im milden Licht des zu Ende gehenden Herbsttages gerade keine Rolle).

162Sie können, wie dieser knallrote Zwölfzylinder-XJS, mit wunderhübschen Details aufwarten, wie diesem verchromten Tankdeckel. Mit dessen liebevoll gestalteter Schlüsselabdeckung man im Lauf der Zeit sicher öfter in Berührung kommt, als man möchte.

Was mich sanft zurück auf den Boden der Realtität holt. Die moorbraune Tankklappe eines gewissen Dieselcoupés mag ja weniger Erotik versprühen, dafür muss man sie bei Reichweiten von über 1000 Kilometern aber auch nicht ganz so oft in die Hand nehmen.

Was für ein Nachmittag. Bestimmt nicht mein Letzter hier. Denn das ist ja der Vorteil eines Dienstleistungszentrums mit Spezialisierung auf den Bereich Klassiker: Es kostet nicht nur keinen Eintritt, es sind auch bei jedem Besuch neue Exponate zu bestaunen. Mal schaun, welche Strahleaugen uns beim nächsten Mal den Kopf verdrehen. So eine süße rote Giulietta als Zweitwagen, das müsste man doch irgendwie hinkriegen…

Erlkönig

Und wieder so ein Moment, wo sich der Schreiber dieser Zeilen auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit erst die Augen reibt, dann hektisch zur Kamera in der Mittelkonsole greift.

2012_12_Mercedes-Erlkoenig_

Ein waschechter Erlkönig! Und zweifellos von der Marke mit dem Stern. Ein Blick nach dem Überholen in den Rückspiegel – leider nicht fotografierbar – enthüllt eine klassischen verrippte, erstaunlich hohe Mercedes-Kühlermaske. Scheint sich ein bisschen in Richtung Audi-Maul zu orientieren, die neue Stuttgarter Schnauze.

Aber was ist es, das da gerade in Richtung Maastricht dahinrauscht? Eine frisch gefaceliftete E-Klasse kann’s nicht sein, die hat ihre Hamsterbackenkotflügel trotz Verschlankung behalten. Kann angesichts der Ausmaße also nur eine S-Klasse sein.

Ein Blick ins Web bestätigt dies kurz darauf: Es handelt sich um den neuen W222, der seit einigen Wochen auf deutschen Straßen seine Runden dreht.

Das kleine Morgenrätsel ward also fix gelöst. Ebenso fix gelöst, und zwar auf-, hat sich damit allerdings auch die ebenso fix entstandene Idee, den Schnappschuss für teuer Geld an ein Hochglanz-Automagazin zu verticken.

Apropos: Aufgelöst hat sich im übrigen ebenso die Hoffnung der Mercedes-Macher, mit der 2002 wiederbelebten Luxusmarke Maybach teuer Geld zu verdienen. Die Herstellung des Edel-Dickschiffs wurde jetzt nach zehn Jahren wieder eingestellt, wie die FAZ heute berichtet. Der W222, wahrscheinlich auf der IAA 2013 erstmals offiziell präsentiert, wird also die Bürde des Spitzenmodells alleine tragen müssen.

Dwarslöper

Manchmal sieht man ein Auto, bei dem man sofort weiß: Da stimmt was nicht. Der heillos überladene Kombi, der viel zu tief in den Federn liegt. Der Sattelschlepper mit verrutschter Ladung, dessen Aufbau sich gefährlich zur Seite krümmt. Damals, auf der A1, der Van mit dem auf dem Asphalt schleifenden Auspuff.

Dwarsloeper
Was stimmt an diesem Kraftfahrzeug nicht…?

Bei diesem Gesellen hier musste ich ein paar Sekunden länger hingucken, ehe mir auffiel, was es war.

Dwarsloeper 2
Nein, er ist nicht gerade auf die linke Spur gewechselt – der fährt die ganze Zeit so

„Dwarslöper“ nennt man in der Seefahrt Schiffe, die quer zum eigenen Kurs unterwegs sind. Bei Herrn Transoflex da vorne gehorcht die Hinterachse deutlich stärker dem Rechtsfahrgebot als der Rest des Wagens: Die Hinterräder sind um fast eine Reifenbreite nach rechts versetzt. Der Kasten ist quasi diagonal unterwegs. Kein Wunder, dass der Kapitän am Steuer gewisse Probleme zu haben scheint, Kurs zu halten. Der Fahrensmann in seinem Kielwasser staunt und kann sich nicht erinnern, in seinen 23 Jahren auf großer Fahrt dieses Phänomen schon einmal gesehen zu haben.

Dwarslöper werden an der Küste auch Krebse genannt, des eingelegten Seitwärtsgangs wegen. Wär ich der Klabautermann da vorne, würde ich mit diesem Seelenverkäufer jedenfalls auch mal schleunigst rechts raus – und ganz vorsichtig in die nächste Werkstatt krebsen.

Begehrte Beute

Gerade von der Polizei Heinsberg als Meldung über den Ticker gekommen:

Gerade mal 10 Minuten, in der Zeit von 10.05 bis 10.15 Uhr am 18. September (Dienstag), parkte ein brauner Pkw Daimler 250 D mit niederländischem Kennzeichen auf dem Parkplatz eines Supermarktes an der Straße In der Fummer. Diese Zeit nutzten Unbekannte das historische Fahrzeug zu stehlen. Wer Hinweise zur Tat geben kann, wende sich bitte an das Kriminalkommissariat in Heinsberg unter Tel. 02452 9200.

Krijg de tering, möchte man dem Dieb hinterherrufen. Braune Benze klaut man nicht, die stehen unter Artenschutz.

Und ich dachte immer, schokoladiger Lack wäre die beste Diebstahlsversicherung. Aber wer so gewissenlos ist, einen Youngtimer aufzubrechen, der schreckt sicher auch vor einer Umlackierung in Seniorensilber nicht zurück.

Klare Kante

Es ist morgens, es ist halb Zehn durch, es ist viel los auf der A4 und es ist alles zu spät. Es war schon zu spät, als ich vor 20 Minuten hektisch Flockis Zündschlüssel umdrehte. Zu spät, als der kilometerlange Rückstau vor dem Kreuz Köln-West endlich hinter uns lag und noch später, als wir endlich durch das zweite Geknubbel vor der Baustelle an der Brücke über die ICE-Strecke waren. Zu spät, um pünktlich um Zehn in der Redaktion zu sein.

Nun windet sich die zweispurige Blechschlange, durch dynamische Verkehrsbeeinflussung auf 100 km/h heruntergekühlt, durch den Wald zwischen Buir und Düren. Mittendrin: Flocki, ich und Steffi Neu von WDR2. Entspannen Sie sich, Drängeln hat doch keinen Zweck, Sie sehen doch, dass es hier nicht schneller geht.

Ein Quattroporte

Aber was ist das? Vor uns taucht etwas auf, dass die unverkennbaren, eckigen Linien der Siebziger trägt. Ein VW Santana? Oder gar ein alter Mitsubishi Galant?

Quattroporte in Nahaufnahme

Oh nein, es ist so ziemlich das genaue Gegenteil. Das gewaltige Dreizack-Emblem an der nicht weniger imposanten C-Säule verrät: Vor uns fährt ein waschechter Maserati Quattroporte III, gebaut irgendwann zwischen 1979 und 1986, als ein paar Jahre lang De Tomaso das Regiment in Modena führte, nach Citroën und vor Fiat. Der große Giorgio Giugiaro zeichnete für die kantige Silhouette verantwortlich, die denn auch ihre Verwandtschaft mit vierrädrigen Ikonen wie dem De Lorean DMC und dem BMW M1 nicht bestreitet, aber auch Familienähnlichkeit mit der ersten Generation von VW Golf, Scirocco und Passat aufweist. Von daher war der VW Santana zumindest nicht völlig abwegig. Hatten Autos je wieder so viel Charakter wie damals?

Sein über 200 PS starker V8 mit über vier Litern Hubraum machte den Quattroporte für Fahrer, die den Mut zur Nischenmarke aufbrachten, zu einer echten Alternative zu Mercedes 450 SEL 6.9 und Jaguar XJ V12, vom BMW 745i ganz zu schweigen.

Was für ein rares Glück, eins der nur knapp über 2200 gebauten Exemplare hier zu treffen. Diese Kanten! Diese Felgen! Diese Auspuffrohre! Dieses bezaubernd understatelnde „4porte“-Typenschild!

Eine Zeitlang darf sich Flockis 1,8-Liter-Vierzylinder auf Augenhöhe mit dem fast doppelt so starken Italo-Exoten fühlen. Dann wird die A4 hinter Düren dreispurig und der Dreizack schüttelt den schnöden Berufsverkehr mit leichtem Druck aufs Gaspedal einfach ab.

Zwanzig Minuten später, hinter der Dauerbaustelle Aachener Kreuz, verlassen wir die Autobahn. Am Ende der Abfahrt Rothe Erde wartet die Ampel zum Berliner Ring. Springt sie auf Grün, kann man es bei konzentriertem Einsatz von Gas und Bremse, entsprechender Zurückhaltung des übrigen Verkehrs sowie etwas Glück und deutlich mehr Chuzpe gerade noch bis zur Kreuzung Breslauer/Dresdener Straße schaffen, ehe dort die Ampel auf Rot wechselt.

Heute, wo alles zu spät ist, ist auch das Glück der freien Bahn nicht mit uns. Dafür um so mehr zähflüssig dahinrollende Hürden der Landstraße à la Twingo und Bravo. Die Ampel empfängt uns erdbeerfarben. Die Hände umkrallen das Lenkrad – ach, egal, zu spät ist zu spät ist zu spät.

Aber vorhin, auf der A4, da war ein Wagen… der hätte es geschafft.

Neulich, auf der A4

Seit Anfang des Jahres verbringt der Schreiber dieser Zeilen einen Großteil seiner freien Lebenszeit auf der A4 zwischen Aachen und Köln – dem alten Arbeits- und dem neuen Wohnort. Täglich eine Stunde hin, eine Stunde zurück, das nagt schon etwas an der Lebensqualität. Von der Zeit ganz zu schweigen, die man früher abends gerne vor dem Blog verbrachte.
Abistreich 1947
Oldtimerfahrer mit Humor – eine einzigartige Begegnung

 Immerhin begegnet man auf den täglich 126oderso Kilometern auch dem einen oder anderen netten Anblick. Wie zum Beispiel neulich diesem rollenden Abischerz. So alt ist die Unsitte also schon, dem glücklich der Schule entronnenen Nachwuchs einen Neuwagen vor die Tür zu stellen.

Letzte Fahrt

Nun also hat die Welt Abschied genommen vom „Geliebten Führer“ Nordkoreas, Kim Jong-Il. Und während die Analysten und Kommentatoren der politischen Landschaft noch spekulieren, wie sich die Lage auf der geteilten koreanischen Halbinsel weiter entwickeln wird, können wir Autoliebhaber uns entspannt zurücklehnen – unsere brennendste Frage ist nämlich beantwortet.

Es sind keine alten russischen Zils oder Tschaikas, die den Sarg des Diktators, ein riesiges Porträt sowie einen meterhohen Kranz in der gigantischen Trauerzeremonie durch die verschneiten Straßen von Pyöngyang fahren, flankiert von Geländewagen, die wir Sternenkundler natürlich sofort als G-Modelle von Mercedes erkennen.

Die New York Times hat das Rätsel gelüftet (beziehungsweise über die Blogger berichtet, die es getan haben). Die drei wuchtigen Schlitten mit den kantigen Linien und dem typischen Chromzierrat der 70-er Jahre sind: Lincoln Continentals, wohl von 1975 oder 76. Ausgerechnet Limousinen des meistgehassten Feindes durften das Staatsoberhaupt des letzten stalinistischen Landes der Welt zu Grabe fahren?

Das sei so erstaunlich nicht, zitiert die NYT die Korea-Expertin Kongdan Oh. Die drei makellos gepflegten Dickschiffe waren bereits 1994 bei der Beerdigung von Kim Jong-Ils Vater Kim Il-Sung dabei. Und auf nichts legt das Regime derzeit so viel Wert wie auf einen geräuschlosen Übergang der Macht auf den Enkel, Kim Jong-Un. Kontinuität geht da über alles. Und wir dürfen sicher sein, dass die Kommentatoren im nordkoreanischen Staatsfernsehen ihr Publikum auf diesen bizarren Nebenaspekt nicht aufmerksam gemacht haben. Außerdem, so Kongdan Oh, lebten die Nordkoreaner ohnehin weitgehend ein Siebziger-Jahre-Leben.

Der Rest der Begräbniskolonne war, aus automobiler Sicht, mal wieder eine Stuttgarter Leistungsschau der vergangenen vier Jahrzehnte. Von den trotz Schneegestöbers offenen militärischen G-Klassen über einen Schwarm moderner S-Klassen bis zu den bei nordkoreanischen Offiziellen immer noch so beliebten W123ern fuhr alles im Tross mit, was totalitäre Regimes seit eh und je an deutscher Wertarbeit so schätzen. Wie gesagt: Man legt halt Wert auf Kontinuität.

Wer mag, kann sich hier ein fast sieben Minuten langes Video der Prozession ansehen, schauerlich untermalt vom Heulen der Massen am Straßenrand.

Importware

Man dürfte nicht übertreiben, wenn man schreibt, dass die krisengewürgte US-Metropole Detroit sich in puncto Glamour-Faktor hinter Duisburg-Ruhrort oder Marl-Mitte nicht zu verstecken braucht. Um so erstaunlicher, dass der noch vor kurzem ähnlich strahlend beleumundete Autobauer Chrysler einen ungeheuerliche zwei Minuten langen Werbespot während der Übertragung des jüngsten Superbowls schaltete, der mit einer Kamerafahrt durch die trostlosen Industrievororte der einst so stolzen Motown beginnt. „What does a town that’s been to hell and back know about the finer things in life?“, fragt der Sprecher.

Tipp: Lautsprecher an, Vollbild.

Der „Zwei-Minuten-Spot“, über den danach ganz Amerika sprach, ging als der mit den meisten Zuschauern in die Fernsehgeschichte ein. Kosten: zwei Millionen Dollar. In Nebenrollen: Rapper Eminem und der neue Chrysler 200 – „imported from Detroit“.

Man muss schon sagen: Das Ding ist echt gut gemacht. Wird nicht leicht für Wolfsburg und Rüsselsheim, da nachzuziehen.

(Zu den Hintergründen der „Wiedergeburt“ von Chrysler nach der Zwangsheirat mit Fiat hat die New York Times gerade eine lesenswerte Geschichte gebracht. Hübsche Fotos aufgegebener Großbauten in Detroit gibt es auf Forgottendetroit.com.)