Auf dem Ostfriedhof

Aachens Ostfriedhof zählt zu den schönsten der Stadt und ist zugleich der älteste. Wer den Adalbertsteinweg von St. Adalbert in Richtung Rothe Erde hinaufgeht, braucht sich nur vor der hoch aufragenden Josefskirche nach links zu wenden und steht schon fast vor den großen schmiedeeisernen Tor am Eingang. Seit 1803 werden hinter ihnen die Toten aus dem Aachener Osten bestattet.

Fast genau zehn Jahre ist es jetzt her, dass der Verfasser dieser Zeilen im August 2007 als frisch zugegzogener Neu-Aachener erstmals zwischen den zwei Jahrhunderte alten Gräbern herumwanderte. Einen der ersten Blogartikel hat er damals über diesen Spaziergang geschrieben. Die traumverlorene Wanderung endete abrupt in einer Begegnung mit zwei Polizisten, die fragten, ob man Metalldiebe zwischen den Gräbern gesehen habe.

Doch nun ist alles ruhig und still auf den Wegen. Außer dem einsamen Mann mit der Kamera ist jetzt, gegen 20 Uhr abends, niemand mehr hier. Es herrscht wortwörtlich Friedhofsruhe.

Heute, im Jahr 2017, ist der Friedhof noch so schön wie damals. Nur dem Verfasser dieser Zeilen, dem sieht man das vergangene Jahrzehnt hier und da an. Bizarrerweise fotografiert er heute zwar mit einer moderneren Kamera als damals, aber einem noch deutlich älteren Objektiv. Es ist ein weiteres Mal das Biotar 2 58 mm von Carl Zeiss Jena, das im Moment wieder einmal sein Liebling ist.

Die damit gemachten Fotos haben ihren eigenen Reiz. Die Motive in der Bildmitte werden gestochen scharf, aber bei weit geöffneter Blende – fast alle Bilder hier sind mit F2.4 bis F2.8 entstanden – wird der Hintergrund schnell zum berühmten „Schwurbel“. Wie eilig hingetuscht wirken Bäume, Büsche und Blattwerk.

Von ganz eigenem Reiz sind auch die Stimmung und das Licht zwischen den Gräbern und Bäumen. Braun, Grün, Schwarz und Grau sind vorherrschend. Nur hier und da beweisen Blumen und andere Beigaben auf einem frischen Grab, dass der Friedhof noch benutzt wird.

Doch die meisten der Grabstellen im vorderen Bereich des Geländes sind uralt. Moos wächst auf dem Marmor, Efeu rankt sich an Kreuzen hoch, verwitterte Engels- und Heiligenfiguren halten steinerne Arm- und Beinstümpfe in den abendlichen Himmel.

Wer die Augen etwas offen hält, stößt hier und da auf einen der großen Namen der Aachener Stadtgeschichte. Auf Franz Oppenhoff etwa, der erste von den Alliierten nach der Eroberung Aachens eingesetzte Bürgermeister, der 1945 von einem nationalsozialistischen Kommandotrupp ermordet wurde.

Und wer Pech hat, der steht nach dem Rundgang vor den beiden schweren und inzwischen geschlossenen Eisentoren. Und fragt sich, ob er jetzt zwischen den trauernden Damen mit ihren Urnen übernachten muss. Was tun, die Polizei rufen? Eine niedrige Stelle an der Friedhofsmauer suchen, drüberkraxeln und auf der anderen Seite herunterspringen?

Doch dann ist einer der Torflügel zum Glück nur angelehnt, nicht abgeschlossen. Der Verfasser dieser Zeilen drückt sich in die Freiheit. Irgendwann enden wir alle auf einem Friedhof, schießt es ihm durch den Kopf. Schön, dass es noch nicht heute sein muss.

Katzencontent

vSony A7II mit Carl Zeiss Planar 1.4 85, 1/400, ISO 200
Sony A7II mit Carl Zeiss Planar 1.4 85, 1/400, ISO 200

Wurde ja auch mal Zeit.

Entzeitstimmung

Sony A7 mit Carl Zeiss Planar 1.4 85, F2, 1/400s, ISO 100
Sony A7 mit Carl Zeiss Planar 1.4 85, F2, 1/400s, ISO 100

Einigen Objektiven – vor allem denen von Zeiss – sagt man nach, sie hätten den „3D-Pop“. Dieser dreidimensionale Effekt – es handelt sich nicht um den üblichen Freistelleffekt bei geringer Tiefensschärfe – setzt sich meiner Meinung nach aus hohem Mikrokontrast und hoher Lichtstärke zusammen. Das Planar 1.4 85 von Carl Zeiss könnte zu diesen „Pop-„Linsen gehören – ob es letztlich poppt, hängt aber auch stark vom Motiv und vom Licht ab.

Grashüpfer

Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/125s, ISO 400
Sony A7II mit Pentacon 2.8 135, 1/125s, ISO 400

Aus unserer Serie „Öcher Figürchen“ heute ein schwererer Brocken – oder ist es ein Grashüpfer? Wo reckt er seine Fühler in den regnerischen Abendhimmel?

Ente orange und anderes

Heute mal das Pentacon 2.8/135 in den Öcher Tierpark geführt. Was für ein großartiges Objektiv die Görlitzer da vor fast 50 Jahren konstruiert haben – der Vordergrund ratten-, äh, erdmännchenscharf und der Hintergrund ein Aquarell.

Öcher Figürchen

Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Prakticar 3.5 135, F16, 30s, ISO 50
Sony A7II mit Carl Zeiss Jena Prakticar 3.5 135, F16, 30s, ISO 50

Wo man schon mal da war, konnte man sich auch gleich mal nach Öcher Figürchen für die Serie im Blog umgucken. Und siehe da…

(Die kleine goldene Dame schaut über dem Eingang in der Körbergasse 6 durch ihr Gitterchen.)

Nächtliche Begegnung

Sony A7II mit Pentacon Prakticar 2.8 28, F16, 30s, ISO 100
Sony A7II mit Pentacon Prakticar 2.8 28, F16, 30s, ISO 100

Die Körbergasse ist das hübscheste der mittelalterliche Sträßchen im Aachener Domviertel. Vom Büchel her grüßt den Besucher die Printenmädchenfigur am altehrwürdigen Café Van den Daele, dahinter führt ihn das Kopfsteinpflaster vorbei an allerlei hübschen Lädchen zur Rechten, in deren Schaufenstern sich die gegenüberliegenden Alt-Aachener Kaffeestuben mit ihrem prächtigen Wandbild spiegeln, bis er schließlich zwischen Domkeller und der ältesten deutschen Kaffeerösterei Plum’s auf dem Hof steht und vor sich, hoch über den Hausdächern, den gewaltigen gotischen Chor des Domes sieht.

Ein bei Touristen und Einheimischen beliebtes Fotomotiv ist diese kurze Gasse, und jetzt, eine halbe Stunde vor Mitternacht an diesem kalten Januartag des Jahres 2017, steht denn auch wieder ein selbsternannter Fotokünstler hinter den Metallpollern, die den Autos den Weg in Richtung Dom versperren. Immer wieder verschiebt er sein Stativ auf dem Pflaster um ein paar Zentimeter und visiert aufs Neue sein Ziel an. Immer wieder wartet er geduldig, bis wieder ein paar Nachtschwärmer aus seinem Bild geschlendert sind, Gesprächsfetzen und gelegentlich eine Alkoholfahne in der Luft hinter sich herziehend. Wo denn die Kneipe „Kasten“ wäre, spricht ihn ein junger Mann an. Der Fotograf überlegt, zuckt bedauernd mit den Schultern und zeigt vage hinunter Richtung Büchel. Erst als der Fragende schon verschwunden ist, fällt ihm ein, dass es dem späten Spaziergänger wohl um die „Kiste“ ging – immerhin, diese Studentenkneipe liegt tatsächlich am Büchel.

„Entschuldigen Sie der Herr, haben Sie vielleicht mal eine kleine Spende für ne warme Mahlzeit?“ Unbemerkt hat sich von hinten ein Mann mit wilder Mähne, wildem Bart und dazu passender Kleidung genähert. Der Fotograf blickt in ein Gesicht, das nur zu deutlich verrät, dass es seit vielen Jahren auf der Straße zu Hause ist. Trotz der Kälte trägt der Fragende die Hosenbeine hochgekrempelt, seine weißen Waden leuchten regelrecht in der Nacht. Mit hängenden Schultern und leerem Blick starrt er an dem Fotografen vorbei, der zuerst erneut bedauernd die Schultern zuckt und dann, als sich der Fragende schon wieder zum Gehen wenden will, sich besinnt, etwas murmelt und doch noch sein Portemonnaie aus der Hosentasche fingert.

Es sind nicht seine nackten Beine, geht es dem Angesprochenen durch den Kopf, als er die Geldbörse öffnet. Es ist auch nicht das, was er sagt. Es ist die Art, wie er es sagt. Diese Unterwürfigkeit. Dieses Hoffnungslose, dieses Demütige. Niemand, der das Vierzigste Lebensjahr überschritten hat, sollte andere Menschen in diesem Tonfall um etwas bitten müssen, denkt der Fotograf, der seinerseits das vierzigste Lebensjahr hinter sich gelassen hat. Waren Bettler früher nicht selbstbewusster?

Eine Münze wechselt den Besitzer, eine Dankesformel wird mechanisch erwidert. Der Mann mit den hängenden Schultern tappt hinunter in Richtung Büchel, von wo ihm ein Pärchen entgegenkommt. „Entschuldigen Sie die Dame der Herr, hätten Sie vielleicht…“

Die Schritte verklingen. Dann ist es still. Die Straße ist leer. Der Fotograf drückt auf den Auslöser, ein Klacken hallt zwischen den Hauswänden. Der Moment ist festgehalten. Endlich. Aber der Mann mit der Kamera sieht nicht so aus, als ob er glücklich ist.