Kennt Ihr die Aura von natürlicher Autorität, die ein echter Kapitän verströmt? Diese unerschütterliche, fels-in-der-brandungshafte Selbstsicherheit, der man als Passagier ohne zu Zögern sein Leben anvertrauen würde?
Als ich vorgestern meine beiden Mitfahrer – eine afrikanischstämmige Dame und einen Herrn aus irgendeinem Mittelmeeranrainerstaat – wie üblich an der Kreuzung Sülzgürtel/Luxemburger Straße aussetzte, stand plötzlich ein alter Mann neben dem Wagen. Auch er vermutlich irgendwo am Mittelmeer geboren, mit in Ehren ergrauter, etwas zauseliger Bart- und Haarpracht. Was er nuschelte, verstand ich erst beim zweiten Mal: Ob ich ihn nicht ein paar Meter mitnehmen könne, seine Knie täten so weh.
Für einen Straßenräuber war er zu gebrechlich, also machte ich nach einer Sekunde des Zögerns eine einladende Bewegung in Richtung Beifahrertür. Gutes Karma kann man schließlich immer brauchen. Und heißt es nicht schon im Alten Testament: „Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben! Denn ohne es zu wissen, haben manche auf diese Weise Engel bei sich aufgenommen.“ Großväterchen nahm Platz, und schon bogen wir auf den Klettenbergürtel ein. Nach ein paar Metern ging’s bereits rechts ab in eine Wohnstraße – noch einmal links, einmal rechts, dann waren wir am Ziel. Mein Überraschungsgast murmelte noch etwas von „Meniskus“ und „Operation“, schwang sich mühsam aus dem Wagen und humpelte seiner Wege.
Ich kann mir sein kurzentschlossenes Einsteigen zu einem fremden Mann ins Auto nur so erklären, dass der Gute aus der Situation „Fahrgäste steigen aus heller Mercedes-Limousine“ und meinem Erscheinungsbild geschlossen hat, hier einen durch und durch vertrauenswürdigen Kapitän der Individualpersonenbeförderung vor sich zu haben. Offenbar haben die rund neun Monate, die ich jetzt schon Mitfahrer aus aller Welt durch die Lande kutschiere, Spuren hinterlassen. Vielleicht liegt’s natürlich auch nur an meinem Bart.
So professionell, dass er mir Taxigeld angeboten hätte, wirkte ich denn aber leider doch noch nicht.