Stil oder Knacks

Was einem lieb ist, das schützt man vor einem Knacks. Und was einem auch noch teuer ist, das darf ruhig mit etwas mehr Aufwand und Stil geschützt werden. Zu dieser Erkenntnis gelangt, klickte sich der Schreiber dieser Zeilen – seit kurzem stolzer Besitzer eines Edel-Notebooks mit Früchtelogo auf dem Deckel – auf der Suche nach einer angemessen funktionalen wie stilvollen Schutzhülle nächtelang durch die Angebote diverser Verkaufsplattformen im Netz.

Die 8,99-Euro-Hüllen aus Fernost waren schnell verworfen. Auf den Kunsthandwerks- und Handarbeits-Plattformen Etsy und Dawanda fanden sich viel schmuckere und individuellere Futterale. Doch der richtige Funke sprang erst über, als ein Bekannter von den Notebookhüllen einer kleinen Manufaktur aus Mülheim schwärmte: liebevoll aus wiederverwerteten Turnmatten aus dem Schulunterricht gefertigt, im markant-blauen Knieaufschürfer-Rubbelkunststoff, mit abgegriffenen Lederecken versehen. Mehr Stil ist kaum denkbar. Der Autor dieser Zeilen, in seiner Abscheu für den Schulsport unübertroffen, war begeistert: Das digitale Schätzchen in die Haut des alten Feindes wickeln, was für ein nachträglicher Triumph!

zirkeltraining

Da die upgecycleten Hüllen auch seiner Heimatstadt erhältlich sind, schwang er sich am folgenden Abend aufs Rad. Und damit wäre diese Geschichte um ein Haar auch schon zu Ende gewesen: Gedankenverloren zog er an einer Kreuzung vom rechten Straßenrand quer über die Spuren nach links, auf den Zielladen zu. Dass just in dieser Sekunde ein flott gefahrener Kleinwagen zum Überholen angesetzt hatte, merkte er erst, als dieser gefühlte Millimeter an seinem linken Lenkerende vorbeischoss.

Der Schreiber dieser Zeilen schätzt Fahrradhelme sehr. Ginge es nach ihm, würde kein Radler ohne die lebensrettende Styroporhalbschale auf dem Sattel sitzen. Er selbst wird diesem hehren Anspruch allerdings nicht immer gerecht – auch an diesem Abend nicht. Manchmal hat das ebenfalls etwas mit fehlendem Stil zu tun, manchmal mit schlichter Bequemlichkeit.

Sein Gesicht wird so weiß wie der Rahmen seines Rades gewesen sein, als er es mit zitternden Fingern vor dem Computerladen anschloss. Sein Notebook steckt seit jenem Tag in einer ebenso sportlichen wie stilvollen Hülle. Seinen Schädel, das hat er sich geschworen, verhüllt er von nun an ebenfalls, wenn er auf zwei Rädern unterwegs ist – denn noch stilloser als ein Notebook mit Kratzern ist nur noch ein Kopf mit Knacks.

[Geschrieben als “Gedanke des Tages” für AmAbend.com, 19 März.]

Rudeltatort

Lang, lang ist’s her, dass ich zuletzt live gebloggt habe. Heute soll es mal wieder soweit sein, und dazu noch in Form einer Premiere – nämlich von der wöchentlichen Tatort-Übertragung aus dem Café und Bar Zuhause. Der plüschig-gemütliche Laden mit seiner imposanten, mehrseitigen Whisky-Karte hat sich in den letzten Wochen zu meiner aktuellen Lieblingslocation gemausert. Außerdem glänzt er mit prima WLAN und netter Bedienung.

Der Tatort wiederum ist, das muss ich mal vorwegschicken, ein ausgesprochen hellgrauer Fleck auf meiner sozialen Google Map. Als jahrelanger Fernsehverächter habe ich die Kultserie eigentlich nur in Form von kritisch-amüsierten Kommentaren auf Twitter oder den Filmkritiken auf Spiegel Online wahrgenommen. Selbst die legendären Köln-Tatorte konnten mich nicht aus meiner antipathischen Lethargie reißen, obwohl ich diverse Male an der berühmten Bratwurstbude („Bratort“) am Rheinauhafen vorbeigeradelt bin. Heute nun soll der lethargischen Antipathie ein Ende gesetzt und die TV-Terra-Incognita erobert werden. Tatortrudelgucken mit paralleler Twitterverfolgung – das Beste aus sämtlichen Welten!

Da ich und mein Notebook eine betastbare Unterlage brauchen, radele ich schon eine gute Dreiviertelstunde vor der magischen 20.15-Uhr-Marke auf dem Rad die Sandkaulstraße hinauf. Sagte ich „schon“? Überraschung: Der Laden ist bereits weitgehend voll. Immerhin findet sich im Hinterzimmer, wo schon der ARD-Weltspiegel auf eine Großleinwand gebeamert wird, noch ein Plätzchen, gar mit Tisch. Die Saaltür schließt der nette Kellner sofort hinter mir – „wegen des Tonversatzes“. Ich erschließe mir selbsttätig, dass man so die Zeitdifferenz zwischen den Übertragungen auf der Leinwand und den beiden Fernsehern vorne im Lokal nennt. Hat sich das Bergaufstrampeln schon mal gelohnt: Wieder ein neues Wort gelernt.

zuhause

Der Saal füllt sich. Kurz scheint das Glück zu lächeln, als sich eine junge Schönheit nach dem Besatzungsstatus des Stuhls neben mir erkundigt und auf selbigem platziert. Dann ist das Glück schon wieder anderweitig beschäftigt: Ihr Freund schwenkt einen dritten Stuhl über meinen Kopf herbei und quetscht sich damit in die Mitte. Was soll’s, ich bin ja auch nicht aus Spaß hier.

Ein paar Minuten später steht ein Eifeler Landbier neben der Tastatur und wärmt eine Pizza Speciale (vom Italiener nebenan geliefert) im Karton meinen Schoß – kann losgehen. Bremer Tatort, prima. Vielleicht erkenne ich Ex-Nordlicht ja auch dabei etwas wieder? Schließlich die Startfanfare, die Augen, das Fadenkreuz, schon sind wir drin. Im trüben Schein meines runtergedimmten Notebookdisplays fingere ich Pizzaachtel aus dem Karton und in den Mund. Großes Hallo im Saal, als sich gleich zu Anfang ein bulimiekranker Nebendarsteller unverbrämt in ein Klo übergibt. Ich bin hörbar nicht der einzige im Raum, der plötzlich ebenfalls mit Appetitlosigkeit kämpfen hat.

Während das bizarre Wiederaufgetauchte-Vielleichtauchnicht-Tochter-Familiendrama seinen Lauf nimmt, stoße ich auf weitere Probleme. Teile des Pizzabelags weichen im Dunklen von der vorgegebenen Route ab. Zugleich versuche ich in erfolgloser Verkrampfung, das Restlicht des Displays aus dem Blickfeld meiner Sitznachbarn zu halten und trotzdem originelle Sätze zustandezubringen. Was schlechter gelingt, ist schwer zu sagen. Nein, aus Spaß sind wir nicht hier.

Ratlos starren Lürsen und Stedefreund (warum heißt der Mann eigentlich wie ein Herforder Stadtteil?) in die Leere, in der sich ihre Ermittlungen verlaufen. Ist Fiona nun die Tochter ihrer Mutter oder nicht? Schwer zu sagen, noch schwerer zu erklären, Tatort halt, ihr kennt das. Ein Block Notizkarten wandert durchs Publikum. „Täterraten“, erklärt mir der Nachbar auf meinen fragenden Blick hin. Ich tippe auf das Muttertier, weil das noch als einziges unverdächtig erscheint. Als Krimi-Profi weiß man ja, dass – sofern kein Gärtner im Spiel ist – am Ende grundsätzlich die unwahrscheinlichste Randfigur abgeführt wird.

Und was passiert? Genauso kommt es auch. Der Mörder war der bulimiekranke Nebendarsteller vom Anfang – tatsächlich der einzige Charakter, der noch unverdächtiger ist als die Mutter. Es wird noch einige Liter Eifeler Landbier brauchen, bis ich mich halbwegs erfolgversprechend in die Hirnwindungen der ARDrehbuchschreiber werde einfühlen können.

Abspann. Kaltes Licht geht an. Ernüchterung macht sich breit. Einziger Trost: Ganze zwei Gäste haben richtig geraten. Sicher Stammkunden. Verdammte Streber.

Auf Twitter und bei Facebook sind sich die meisten Kommentatoren einig: Ausnahmetatort, tolle Darsteller. „Mehr Stedefreund bitte!“ Auf der Leinwand betalkt derweil Günther Jauch den griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis. Der Zauber der TV-Unterhaltung: restlos vorbei. Es ist eh das Leben, in dem die größten Krimis ablaufen. Die Rechnung bitte.

Nächste Woche kommt der Tatort aus Berlin. „Das Muli“ heißt die Folge.

Mal schaun.