In diesen Tagen

[Edit: Dieser Beitrag wurde am 2.9.15 aus rechtlichen Gründen gekürzt.]

Es ist in diesen Tagen viel geschrieben worden über die Attentate von Paris. Über ihre Folgen für die Gesellschaft in Europa, über ihre Auswirkungen auf das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen überall in der Welt. Nach der Freude über die starken Demonstrationen gegen Pegida in Köln und anderswo war das Blutbad in der Charlie-Hebdo-Redaktion ein Tiefschlag. Viele Fragen gehen einem durch den Kopf in diesen Tagen: Werden nächste Woche 50.000 Wutmenschen in Dresden gegen den Islam marschieren? Heißt die nächste Präsidentin von Frankreich Marine LePen? Wird es weitere wahnsinnige Attentate geben? Ich hatte beruflich das zweifelhafte Vergnügen, mich intensiver mit den Geschehnissen beschäftigen zu können, als mir das manchmal lieb war.

Unter dem vielen, was geschrieben wurde, hat mich heute Abend ein Beitrag auf Facebook besonders berührt.

[Edit: Hier folgte ein Dialog zwischen einem Mann aus Köln und seinem muslimischen Freund, den ich aus rechtlichen Gründen leider nicht mehr veröffentlichen kann. Es ging darin um Freundschaft und Unterstützung über die Religionen hinweg.]

Der Artikel hatte am Freitagabend mehr als 17.000 Likes und ist über 5000 Mal geteilt worden. Normalerweise schreibe ich keine Fremden auf Facebook an, diesmal machte ich eine Ausnahme. Und da die Botschaft ihre Kraft daraus gewann, dass sie öffentlich war, habe ich meine Dankesmail an den Autor kurzerhand auch auf meine Pinnwand gestellt:

[Edit: Entfernt.]

So wie es aussieht, sind wir wirklich nicht alleine in diesen Tagen.

Überhaupt, die Kölner

Des Aacheners Beziehung zu Köln ist zwiegespalten: Einerseits entlockt ihm der doppelspitzige Dom (gerade mal hundert Jahre alt ist er!) nur ein nachsichtiges Lächeln. Andererseits gibt er zähneknirschend zu, dass es so etwas wie pulsierendes Nachtleben durchaus auch 70 Kilometer weiter westlich gibt. Und dann sind da noch die Kölner. Denen ja selten vorgeworfen wird, an Selbstunterschätzung zu leiden.

Zweieinhalb Jahre lang ertrug der Schreiber dieser Zeilen mannhaft das selbstgewählte Schicksal, täglich von der einen in die andere Domstadt zu pendeln. „Kölle wird dir gefallen“, hatten ihm Kollegen versichert. Läden, Restaurants, Clubs: Köln habe alles, was das Herz begehrt. Und dann wären da noch die Kölner – herzlich, weltoffen, kontaktfreudig.

Was soll er sagen? Der Funke ist nicht so ganz übergesprungen. So reizvoll es auch war, stets eine reiche Auswahl an äthiopischen Restaurants an der Hand zu haben, sich auch zu nächtlicher Stunde von der Straßenbahn heimschaukeln zu lassen (oh, was haben sich die Aachener nur mit ihrem „Nein“ zur Campusbahn angetan!) – lodernde Liebe ist nicht entflammt zur Stadt am Rhein.

Als ihn das Schicksal dann wieder in die wahre, echte und einzige Domstadt zurückwehte, war es für den Schreiber dieser Zeilen das reinste Nachhausekommen. Was Oche an Nähe und Heimeligkeit hat, kann Köln nicht bieten: Mit dem Fahrrad zur Pontstraße, zu Fuß durch die Innenstadt, auf Joggingschuhen durch den Öcher Bosch, mit dem Auto mal eben nach Maastricht. Herrlich.

Die niederländische Nachbarstadt war es auch, in der der Schreiber dieser Zeilen die Silvesternacht verbrachte. In Gegenwart einer internationalen Truppe, allesamt Mitglieder des weltweiten Beherbergungs-Netzwerks CouchSurfing. So wohltuend es war, mit pakistanischen Robotik-Ingenieurstudenten, brasilianischen Opernsängerinnen, mit Belgiern, Polen und Niederländern zu feiern – so peinlich war es auch, auf die Pegida-Bewegung angesprochen zu werden.

Die Welt habe doch bei der WM 2006 über das offene, fröhliche Deutschland gestaunt, erklärte mir ein Belgier. Ist das jetzt schon wieder vorbei? Die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, Moslems und Ausländer in Dresden und anderswo ist auf dem besten Weg, unseren neuen, positiven Ruf im Handumdrehen zu zerstören. Für den Schreiber dieser Zeilen legte sich ein Schatten über den Jahresbeginn.

Und dann waren da noch die Kölner. Als am Montagabend bundesweit wieder Pegida und ihre Gegner aufmarschierten, da konnten am Rhein die paarhundert anti-muslimischen Kögidisten nicht einmal einen Sprechchor starten, so laut war der Gegenwind der vielen Tausend Gegendemonstranten. Dom, Rheinbrücken und diverse Gebäude blieben zappenduster. Es war ein bunter, fröhlicher, lauter Widerstand gegen Ausgrenzung und Angstmache.

Dem Neu-Aachener Ex-Kölner ward es innerlich ganz warm. Ihre Innenstadt mag nicht so hübsch sein wie unsere, die Wohnungsmieten unverschämt hoch, die Straßen chronisch verstopft – aber das Herz haben sie am rechten Fleck, die Kölner. Gute Menschen bleiben gute Menschen, egal wo sie wohnen, egal wo sie herkommen. Und so ruft er rüber an den Rhein, versöhnt mit der abgewählten Wahlheimat: Habta jut jemacht, wa!

[Geschrieben als „Gedanke des Tages“ für AmAbend.com, 6. Januar]