Die kleine Freiheit mit dem Zitronengeschmack

„Na, wie sitzt es sich da oben in der Zitrone?“ fragt der nette Jungpilot. Ich stutze eine Sekunde, dann wird mir klar, welchen Spitznamen die Nörvenicher Sportflieger ihrer fahrbaren Flugleiterkabine gegeben haben. Der selbstgebaute Mini-Tower besteht aus einem alten Lastwagen, auf den eine Art Bürocontainer mit Kontrollkanzel montiert wurde – und ist wegen seiner knallgelben Lackierung namensmäßig an die saure Südfrucht angelehnt.

Es ist mein erster richtiger Tag auf dem Fliegerhorst Nörvenich. Um meine mit der Zeit verschütt gegangenen Motorflugfähigkeiten wieder zu zu reaktiveren, hatte ich vor einigen Monaten Bande zum hiesigen Fliegerclub geknüpft. Lockstoff war dessen enormer Flugpark: eine viersitzige Reisemaschine DR 253 Regent, ein Schulzweisitzer DA-20 Katana, ein Buschflugzeug vom Typ Piper Cub, ein historischer Bücker-Jungmann-Doppeldecker, zwei Ultraleichtflugzeuge C42 Ikarus und Z602 und last but not least je ein Motorsegler des Typs SF25 Falke und Grob G109. Das Ganze gekrönt von überaus zivilen Preisen (den Falken fliegt man für runde 30 Euro die Stunde) und einem offenbar blubbernden Vereinsleben.

Doch wie jeder Aeroclub leben auch die Nörvenicher von ehrenamtlichen Engagement. Und so darf sich das frischgeschlüpfte Neumitglied aufgrund temporärer Abwesenheit von erfahrenerem Bodenpersonal erst einmal nützlich machen – als Flugleiter. Nach ebenso kurzer wie komprimierter Einweisung („Du brauchst eigentlich nicht mehr zu sagen als: Piste Zwo-Fünf, selbständig“) finde ich mich mutterseelenallein mit einem Funkgerät, einer langen Liste an Telefonnummern von Truppenkantine bis Flugplatzfeuerwehr („falls irgendwo Rauch aufsteigt“) sowie einer Flasche gerade noch angenehm kühler Fassbrause wieder. Zitronenlimonade in der Zitrone. Soll ja nur für eine halbe Stunde sein.

"Nörvenich Info, Piste Zwo-Fünf selbständig, was kann ich für Sie tun?"
„Nörvenich Info, Piste Zwo-Fünf selbständig, was kann ich für Sie tun?“

Um die folgenden drei Stunden etwas abzukürzen: Es stieg nirgendwo Rauch auf, es gab keine Near Misses, auch einen umgeleiteten Airbus A380 oder eine Rotte Eurofighter hatte ich nicht in der Platzrunde abzufertigen und der Funkverkehr beschränkte sich auf ein bewältigbares Minimum („Frage Kontrollzone aktiv?“ – „Äh, nö.“). Die Sache hat sogar Spaß gemacht. Nur der Schädelinhalt wird einem da oben langsam weichgekocht, weil die Klimaanlage der Zitrone noch nicht oder nicht mehr zur Kühlung der Flugaufsicht beitrug.

Dann aber kam endlich freundliche Ablösung herbei, und so konnte es es schließlich auch für mich heißen: Piste Zwo-Fünf, selbständig. Natürlich mit dem Falken, dem einzigen Fluggerät, das man auch mit weichgekochter Hirnmasse noch halbwegs fehlerfrei bedienen kann (es könnte am Fehlen jeglicher komplexer Bedienelemente wie Einziehfahrwerk, Verstellpropeller oder Volldisplayscockpit liegen). Auch wenn die D-KGAA mit ihrem 60-PS-Käfermotor keine Rollbahnrandbefeuerung ausreißt, zwei Erwachsene wuchtet sie mit der selbstverständlichen Routine eines 60-jährigen Gepäckverladers in den Himmel.

platz

Da sind wir endlich.

Der an diesem Wochenende bis auf die paar Sportflieger menschenleere Platz mit seiner gigantischen Piste ist das reinste Fliegerparadies. Hier stört uns niemand, und da auch der Segelflugbetrieb mittlerweile eingestellt ist (leider hat ein Motorschaden die Winde außer Gefecht gesetzt), gehört der Himmel über Nörvenich ganz uns. Der Boxer brummt mit gemütlichen 2500 Umdrehungen, die Sonne knallt lustig durch die Plexiglashaube, ein Schwarm Greifvögel dreht unter uns seine Kreise über der Bahn und mein linker Schuh wird von irgendeinem Motorabwärmestrahl im Fußraum langsam getoastet. Die ganz kleine, grenzenlose Freiheit auf 1300 Fuß über Grund.

cockpitselfie

Ein, zwei Handvoll Platzrunden später wird das Fluggerät am Pistenrand abgestellt, in immer noch gebrauchsfähigem Zustand. Folglich hat der Mensch auf dem linken Sitz das mit den Landungen erfreulicherweise doch nicht völlig verlernt. Glücksgefühl hat viele Gesichter. Ein Flugzeug nicht kaputt gemacht zu haben, kann eines davon sein.

zitrone

Und das ist er, der gelbe Glücklichmacher. Beziehungsweise die Kuh, wie die SF25 wegen ihres bauchigen Rumpfes und ihrer sportlichen Flugleistungen landläufig genannt wird. Braves Flugzeug. Ich werde nicht Kuh zur Alpha Alpha sagen, sondern einen charmanteren Spitznamen wählen. Wie wäre es mit… Kanarienvogel? Gelbe Gefahr? Nein, besser: Zitrone? Klingt doch auch viel spritziger.

Dann ist der Flugtag vorbei, die müde Crew will in den Feierabend. Die Zitrone rollt knatternd zurück zu den Hangars, wo bereits der Großteil der Nörvenicher Luftflotte geparkt steht.

canrard

Darunter auch dieses überaus edle Fluggerät, eine Gyroflug SC01 Speed Canard. Ein Entenflügler mit Push-Motor. Ja, dieses Flugzeug steht mit dem Heck zur Kamera. Nein, es hat kein Seitenleitwerk.

buecker

Prunkstück ist natürlich die Bücker. Niemand nennt den Doppeldecker CASA, obwohl es ein spanischer Nachbau des berühmten deutschen Schuldoppeldeckers aus den Dreißiger Jahren ist. Der vor einigen Monaten mit Fahrwerksbruch lahmgelegte Klassiker wird derzeit in liebevoller Handarbeit wieder aufgebaut.

schnuerwerk

Der Vogel wartet mit dem wohl bizarrsten Detail auf, das ich je an einer Maschine gesehen habe, das geschleppte Dreibein-Einziehfahrwerk der Meta Sokol in Norwegen eingeschlossen. V-förmige, durch Schnüre verschlossene Wartungsöffnungen für die Höhenruderklappen. Hat man sowas schon gesehen?

Eine gute halbe Stunde später ist es wieder ein 35 Jahre alter Mercedes-Dieselmotor, der vor mir brummt. Der Moorbraune und sein Meister schaukeln über die Landstraßen zwischen Golzheim und Merzenich heim in Richtung Aachen – ganz schön matt, aber um so glücklicher. Das war er, der erste Flugplatztag in Nörvenich.

Klar, das Platzangebot ist im Mittelklasseauto gefühlt doppelt so groß wie im winzigen Motorseglercockpit. Die Sitze sind langstreckentauglich. Frischluft und Heizung lassen sich gradgenau regulieren und Sonnenblenden gibt es auch. Trotzdem: Die wenigen Sitze, gegen die ich mein geliebtes Benz-Gestühl von Zeit zu Zeit mit Vergnügen eintausche, sind die, die es in die ganz kleine grenzenlose Freiheit in 1300 Fuß überm Boden schaffen.

Einbürgerungstest

Ich: „Verzeihung, wo bekomme ich denn hier eine Wartemarke?“
Behördenmann: „Nirgendwo!“
Ich: Verständnisarmer Blick. (Das Einwohnermeldeamt hat doch durchaus noch geöffnet?)
Behördenmann: „Nirgendwo! Sind heute aus!“

Schild an der Wand: „Die Ausgabe von Wartemarken kann bei hohem Besucheraufkommen vorzeitig eingestellt werden.“

Och Oche. Na gut, bleib ich halt noch ein paar Tage Kölner. Bis dahin hab ich mich auch wieder über die Öcher Kodderschnauze abgeregt.