Baskenblog: Navarra, Vitoria, Pamplona

Mittwoch, 1. Oktober 2008. Es ist etwas bewölkt, als ich am Morgen aus Vitoria aufbreche. In Pamplona habe ich ohnehin keinen CouchSurfer gefunden, also entscheide ich mich, die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes links liegen zu lassen.

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Ich will zurück nach Osten, ins Navarra, und von dort aus von Süden über die Pyrenäen. Dort wartet in einem Seitental der riesige Geisterbahnhof Canfranc, von dem Eberhard mir im W123-Forum erzählt hat.

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Kleiner Zwischenstopp an einer ziemlich trostlosen Tankstelle an der Landstraße. Die Grafitti an der Betonbrücke sprechen für sich – und sie sprechen Baskisch. „Independentzia“ erklärt sich von selbst, „Euskal Herria“ ist das Baskenland und Kalera heißt Stadt – vorausgesetzt, ich habe „kale“ richtig dekliniert (was nicht leicht ist bei 17 möglichen Kasus: Absolutiv, Ergativ, Dativ, Genitiv, Separativ [sic!], Benefaktiv, Komitativ, Motivativ, Inessiv, Ablativ, Allativ, Destinativ, Direktiv, Approximativ, Instrumental, Partitiv und Prolativ. Kalera wäre Allativ Singular. Eins ist mal sicher, Baskisch lerne ich in diesem Leben nicht.)

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Kurz vor Pamplona bietet sich dieser Anblick. Eine Puppe am Galgen, Plakate, ein Zelt, Stühle – dieser Betrieb wird offenbar bestreikt.

Zuerst versuche ich, direkt durch Pamplona durchzufahren, gebe aber nach der geschätzt 23. Ampel entnervt auf und biege ab auf die Stadtumgehung. Sie ermöglicht mir immerhin einen kurzen Blick auf die Neuwagenflotte vor dem Volkswagenwerk. In Pamplona werden im Jahr 240.000 Polos hergestellt.

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Das Land ist hier, abseits der Küste, schon weit weniger grün und bewaldet als noch zwischen San Sebastián und Bilbao. Trockenes Gras dominiert.

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Immer wieder stehen am Straßenrand die „Camino de Santiago“-Schilder, zu deutsch: Jakobsweg. Der Camino stellt sich mit zahlreichen Camions (Lastwagen) hier allerdings eher als vielbefahrene Landstraße dar. Will man hier pilgern?

Zum Glück befreit mich wieder mal das Navi aus dieser Situation. Ich verpasse eine Abfahrt der Autobahn, bin plötzlich auf dem Weg nach Süden Richtung Saragossa und muss wieder ein Stück über kleine Seitenstraßen fahren, um auf die ostwärts führende N 240 zurückzukommen.

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In Tiebas bildet die Ruine der Burg ein weithin sichtbares Landschaftsmerkmal.

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Die Aussicht ist oft grandios. Weit hinten, im Norden, sind schon die ersten Ausläufer der Pyrenäen zu erkennen.

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Hinter Yesa wird der Rio Aragón zum Embalse de Yesa aufgestaut. Ein Schwarm Zugvögel fliegt gerade über dem See – schnell angehalten und die Kamera rausgerissen! (An dieser Stelle nochmal der Hinweis, dass sich alle Bilder hier auch groß klicken lassen.)

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Das Ufergestein des Sees ist bizarr geformt. Das müssen die Bárdenas Reales sein, von denen ich im Reiseführer gelesen habe.

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Die Gegend ist einsam.

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Verdammt einsam. Selbst ein Dorf, das nördlich der Landstraße liegt, stellt sich bei näherem Hingucken als verlassene Ruine heraus. Es ist wohl noch nicht allzu lange her, dass die letzten Bewohner aufgegeben haben.

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Die Straße führt nach Norden, hoch ins Gebirge.

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Dann bin ich endlich in Canfranc. Ein abgelegenes Tal, ein paar Häuser, eine Kirchenruine. Und wo ist nun der berühmte Riesenbahnhof?

Fernreise

Wenn mir nochmal jemand erzählt, Motorfliegen sei eigentlich ja total langweilig, man wird ja die ganze Zeit eh nur vom Propeller durch die Gegend gezogen, zeige ich ihm diesen Beitrag hier im schweizerischen Flightforum. (Inklusive Start in St. Petersburg-Clearwater, wo ich 1999 die Controlled Take-Offs und Landings für meinen Schein gemacht hab, und Cedar Key, wohin mein erster Solo Cross Country führte.)

Bis dahin überlege ich mir, wie ich das Geld für den nächsten Fliegerurlaub in den USA zusammenkratze.

Ziemlich perfekt

Sollte ich jemals mit kaputter Maschine runter müssen, dann hoffe ich, dass ich es ebenso gut hinkriege wie der Pilot dieser Cessna 310. Das Bugrad war nicht eingerastet, und dem Mann gelang vor laufender Kamera eine ziemlich glatte Landung.

Man beachte, wie kurz vorm Aufsetzen die Motoren abgestellt werden (Brandhähne auf „off“) und er sogar noch Zeit hat, die Props durch kurzes Anticken mit dem Startknopf in möglichst waagerechte Position zu bringen, was allerdings nicht ganz gelingt.

Nach dem Aufsetzen hält er die Maschine so lange wie möglich mit dem Schwanz nach unten. Erst als er offenbar bremsen muss, kippt die Nase recht sanft auf den Beton. Na, irgendwann geht halt auch die längste Bahn zu Ende.

Wie heißt es so schön: Eine gute Landung ist, wenn die Insassen das Flugzeug aus eigener Kraft verlassen können. Eine sehr gute Landung ist, wenn man die Maschine danach noch verwenden kann. Das dürfte bei dieser Zweimot der Fall sein – also congratulations an den PIC.

(Hier der Link zur Videoseite. Und hier ein Video einer noch spektakuläreren – allerdings nicht ganz so echten – Notlandung.)

Kurzbesuch

Nach einem halben Jahr Auszeit, in der ich ziemlich viel mit dem Motorrad unterwegs war, geht es jetzt plötzlich wieder weiter mit dem Fliegen. Bei der FVA sammele ich weiter Baustunden (die haben sich jetzt eine DR 400 gekauft) und just auf dem Weg zum Fliegerarzt komme ich noch einmal hautnah selbst in Berührung mit dem Thema Luftfahrt.

Christoph Europa 1 vor dem Hirsch-Center in Aachen

Christoph Europa 1, der Rettungshubschrauber für die Euregio, landet vor dem Eingang des Hirsch-Centers, als ich gerade an Breslauer Straße vor der Ampel stehe. Wie oft sieht man schon eine EC 135 auf einem Supermarktparkplatz?

Lizenz zum Fliegen

Endlich. Ich bin wieder current. Nachdem mein Medical im Juli ausgelaufen war, habe ich mich jetzt endlich mal aufgerafft, zwei Tage Urlaub genommen, und habe den Termin beim Fliegerarzt angesetzt.

Was für ein schönes Gefühl. Der Doktor musste sich durch fünf Firewalls durchloggen, bis er meine neuen Daten ins JAR-System eingeben konnte. Der Vorteil ist, dass er mir das wertvolle Papier gleich ausdrucken konnte. Tataaa.

Und noch mehr gefreut hat mich, dass ich erst 2012 wieder hin muss. Piloten unter 40 müssen nur alle fünf Jahre hin – eine jüngst eingeführte Lockerung (dass ich sowas noch erleben darf…). Da ich jetzt 38 Jahre alt bin, komme ich zwar nicht mehr in den Genuss der vollen fünf Jahre, aber vier sind auch schon mal nicht schlecht. Wie außergewöhnlich bürgerfreundllich.

Lizenz zum Lesen

Der Lacher des Tages geht heute an die Zeitung mit den vier Buchstaben. Sie hatte über den Fall eine Copiloten berichtet, der im Cockpit einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, weshalb eine Flugbegleiterin auf dem rechten Sitz einsprang. Die Dame konnte mehr als nur Saft schubsen: Sie hat eine Commercial Pilot License mit Multi-Engine-Rating sowie ein IFR-Rating, war bei letzterem allerdings nicht current.

Bei Bild liest sich das unter der Überschrift „Stewardess absolviert Notlandung“ so:

Schließlich meldete sich eine Flugbegleiterin: Sie habe eine Pilotenausbildung, allerdings sei ihre Lizenz zum Ablesen von Fluginstrumenten abgelaufen.

Den originalen Incident Report kann man übrigens hier bei der AAIU nachlesen. Darin heißt es, etwas nüchterner:

…one of the Cabin attendants held a Commercial Pilot’s Licence, with a Multi-engine Rating, and a non-current Instrument Rating. The Commander requested that the Flight Attendant occupy the right-hand (First Officers) seat for the remainder of the flight to assist as necessary. The Flight Attendant provided useful assistance to the Commander, who remarked in a statement to the Investigation that she was ‘not out of place’ while occupying the right-hand seat.

Nachtrag: Noch falscher steht’s hier:

Warum der Pilot die Maschine nicht alleine landen konnte, ist unklar. Normaler Weise werden Passagiermaschinen standartmäßig [sic!] mit zwei Piloten besetzt, um dem Ausfall einer Person vorzubeugen.

Baskenblog: Vitoria, nachts

Für die Fahrt nach Vitoria nehme ich natürlich nicht die gebührenpflichtige Autobahn A 804, sondern die kleine Landstraße, die sich neben, über und unter ihr langschlängelt. Hier kann man wenigstens mal ein Foto machen. Wieder bin ich überrascht, wie grün und waldig das Baskenland ist.

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Am frühen Abend erreiche ich die baskische Hautstadt, die offiziell Vitoria-Gasteiz (Gasteiz ist der baskische Name) heißt. Mit der 227.000-Einwohner-Stadt verbinde ich so gut wie nichts, so dass ich etwas überrascht bin, als ich durch Straßenschluchten mit siebenstöckigen, ziemlich mondänen Wohn- und Geschäftshäusern fahre. Die Jugendherberge liegt in einer Straße namens Escultor Isaac Diez, die mein Navi einfach nicht finden will. Immer und immer wieder kurve ich durch das in Frage kommende Viertel, finde das Straßenschild nicht, rufe in der Herberge an – doch die junge Dame an der Rezeption spricht kaum Englisch. Schließlich löst sich das Rätsel. Die Escultor Isaac Diez ist ein winziger Sackgassenstummel, kaum mehr als ein Wendehammer, an dessen Ende hinter einer Mauer das etwas zurückhaltend beschilderte Gebäude liegt.

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Genau, das ist das Jugendherbergs-Schild.

Aber das Zweibettzimmer (ich hab’s alleine) ist konkurrenzlos günstig und hat sogar ein komplettes Bad. Und das für 18 Euro oder so.

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Abends tigere ich noch ein wenig durch die Stadt. Hier der Plaza de la Virgen Blanca mit dem Denkmal für die Schlacht von Vitoria, in der 1813 Wellington die Truppen Napoleons besiegte. Im Hintergrund die Iglesia de San Miguel Arcángel, zu deutsch Kirche des Hl. Erzengels Michael.

Eine Kneipe und ein Internetcafé gegenüber machen mich zu einem glücklichen Menschen. Erst gönne ich mir ein fürstliches Geburtstagsmahl mit leckeren Pintxos und frischem kühlen Bier…

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…dann setze ich mich an den Rechner und blogge die nächsten Kapitel meiner Reise.

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Als man mich gegen 22 Uhr vor die Tür kehrt, ist es schon dunkel. Jetzt überrascht mich die Stadt mit diversen Lichteffekten wie den kleinen Springbrunnen auf dem Plaza de la Virgen Blanca, die ihren Farben wechseln…

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…und den futuristischen Straßenlampen dahinter.

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Auf dem Rathausplatz (?) überrascht mich dagegen wieder das „Eta-nein-danke“-Transparent. Ob es hier Demonstrationen gegeben hat? Vielleicht in Zusammenhang mit dem Bombenanschlag vor ein paar Tagen?

Neues aus Washington

Public Viewing, das wissen wir seit der Fußball-WM, bezeichnet das öffentliche Übertragen von Fernsehereignissen vor größeren Menschenansammlungen. So wie der Ansammlung im Pub „Papillon“ in Aachens Gastromeile Pontstraße, wo ich gerade sitze. Der ernst blickende Mann oben auf der Leinwand ist allerdings nicht Günther Netzer, sondern Wolf Blitzer, Nachrichtensprecher bei CNN. Es ist Dienstag, es ist 23 Uhr, es ist Wahlnacht in Amerika.

Die Frage, ob es sich in Aachen überhaupt jemand ansehen würde, wenn in einem doch recht weit entfernten Land ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, hat sich bereits beantwortet. Das Papillon ist gut gefüllt. Die größte Gruppe dürften die Aachener Jusos sein, die das Live-Event organisiert haben.

Mir sitzt noch ein wenig der Sport in den Knochen, von dem ich gerade komme, darum bin ich froh, dass mir meine Freunde noch einen Platz in der letzten Reihe des Geschehens frei gehalten haben. Jetzt ein kühles frisches Alster Radler (das mit Zitrone), und der Abend kann beginnen. Heute wird Geschichte geschrieben, so oder so.

23.30 Uhr. Tabellen, Statistiken, Prognosen. Die Kollegen vom Fernsehen sind nicht zu beneiden. Stundenlang reden zu müssen, während noch absolut nicht passiert, ist nicht leicht. An den Tischen wird genauso haltlos spekuliert wie da oben im Studio.

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23.55 Uhr. Ein Juso steht auf, begrüßt die Zuschauer und wünscht einen angenehmen Abend. Dass wir nicht gerade in einem Lager von McCain-Anhängern gelandet sind, davon zeugen die diversen Obama-Fanposter an den Wänden.

0.03 Uhr. Unglaublich, wieviele Statistiken man sich zu Wahlen ausdenken kann. Gerade erzählt man uns, dass für 9 Prozent der Wähler Gesundheit der wichtigste Faktor war. Dass Barack Obama, würde er denn gewählt, der 27. Jurist im Weißen Haus wäre. Dass Sarah Palin, würde McCain Präsident, die erste Vizepräsidentin aus Alaska sei. Und, und, und.

0.17 Uhr. Endlich Statistiken, wie wir sie kennen und lieben. Während auf den Diskussionstisch im Studio ein 3-D-Modell des Kongressgebäudes in Washington eingeblendet wird (was auch genau so lange überzeugend aussieht, wie die Kameras stillstehen, danach wirkt das ganze leider wie eine verwackelte Bildmontage), werden erste Hochrechnungen eingeblendet. Kentucky: McCain 59 Prozent, Obama 40 Prozent. Es folgt Indiana, wo es für Obama besser aussieht: 56 Prozent für ihn, 43 für McCain.

Wie es sich für Nachrichtensender gehört, verabschieden sich die Moderatoren alle paar Minuten für einen ultrakurzen Werbeblock. Und wer mag jetzt wohl werben, wenn der halbe Globus zuguckt und die Werbesekunde ein Vermögen kostet? Turkish Airlines zum Beispiel. Das Emirat Dubai. „India means business“ heißt es in einem eher schlicht gemachten Wirtschafts-Spot mit Mähdreschern und Bauarbeitern, in dem der Subkontinent in einer Bildergalerie vorgestellt wird.

Anschließend läuft CNN-Anchorman (was LEO mit „Hauptnachrichtenmoderator“ übersetzt) durch einen Urwald Zentralamerikas, um irgendwie für die Umwelt zu trommeln.

0.43 Uhr. Cooper steht wieder im Studio, gescheitelt und geschniegelt. Vor einem Riesenbildschirm, den Medienjournalist Stefan Niggemeier kürzlich „den feuchten Traum aller iPhone-Besitzer“ genannt hat. Auf ihm wedelt er virtuos Landkarten herbei, zoomt sie mit den Fingern groß, malt gelbe Linien darauf, schiebt sie hin und her und piekt einzelne Städte und rot oder blau. Wahlweise Wahlkreise. Was es alles gibt.

1.16 Uhr. Doch es kommt noch besser. Heute kriegt der Zuschauer alles geboten, was die CNN-Techies in der Trickkiste haben. CNN-Korrespondentin Jessica Yellin wird als Hologramm ins Studio gebeamt. Da steht sie nun etwas unterlebensgroß (es sei denn, sie ist kleinwüchsig) mit sanft leuchtendem blauem Rand vor Wolf Blitzer. Sieht aus wie der Auftritt des Imperator aus „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ von 1983, nur nicht so überzeugend.

1.20 Uhr. Hungergefühl kommt auf. Ein Teller Pommes Frittes Fritten schafft Abhilfe.

1.28 Uhr. Vom Nachbartisch fragt jemand rüber: „Ihr seid doch gut informierte Leute, oder? Wie ist denn das jetzt eigentlich mit dem Senat und dem Repräsentantenhaus und dem Kongress?“ Oh je. Ich krame mein Restwissen über das parlamentarisches System der USA zusammen, das noch aus Zeiten eines Schüleraustauschs stammt. Also: Der Kongress besteht aus zwei Kammern, Senat und Repräsentantenhaus. Im Repräsentantenhaus sitzen 435 Abgeordneten, die für jeweils einen US-Wahlkreis stehen. Im Senat sitzen dagegen pro Bundesstaat zwei Senatoren.

Für die Präsidentenwahl wiederum ist wichtig, dass jeder Bundesstaat eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern hat. Der Kandidat, der in einem Staat die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommt, schickt sämtliche dieser Wahlmänner in die Wahlversammlung. 270 Wahlmänner muss man so zusammenkriegen, damit man die Mehrheit hat.

1.45 Uhr. Neue Zahlen. Indiana: McCain 50, Obama 49 Prozent. Virginia: McCain 56, Obama 44 Prozent, Georgia McCain 60, Obama 39 Prozent.

Wie ein Erdrutschsieg für Obama sieht das nicht gerade aus. Entsprechend lautstark wird an den Tischen debattiert, über dem Lärm ist gerade noch zu verstehen, dass die Experten im Studio den „Bradley-Effekt“ diskutieren. Das ist das Phänomen, wonach Wähler in Umfragen angeben, für einen farbigen Kandidaten zu stimmen, an der Wahlurne dann aber den weißen Konkurrenten wählen. Passend dazu wird wieder mal eine Statistik serviert, wonach 84 Prozent aller Evangelikalen und/oder Wiedergeborenen Christen (das sind die Ultra-Religiösen) für McCain gestimmt haben. Ist die Obamania schon zu Ende?

In North Carolina liegt Obama dagegen mit 51:48 vorne, auch im heftig umkämpften „Battleground“-Staat Florida führt er.

2.10 Uhr. Neue Hochrechnungen. Im Senat führen die Demokraten inzwischen mit 27 : 41 Sitzen, 51 brauchen sie für die Mehrheit. „Everywhere we look, McCain is underperforming Bush, and that’s a problem“, erklärt Cooper mit Blick auf die vorangegangene Wahl 2004, als George W. Bush den Demokraten John Kerry geschlagen hat. Überall, wo wir hinschauen, schneidet McCain schlechter ab als Bush, und das ist ein Problem.

2.27 Uhr. Ein Blick auf’s Handy. Das Angebot von Spiegel Online – die abgespeckte Version für Handybrowser – ist ziemlich unaktuell und liegt deutlich zurück. Bei der New York Times dagegen ist sogar schon Texas hellblau markiert, also zu den Demokraten neigend. Texas? Demokratisch? Da wissen sie mehr als CNN.

2.43 Uhr. Für einen weiteren Battleground-State liegen jetzt Hochrechnungen vor: Pennsylvania. Wegen des knappen Ergebnisses wollten die Statistiker erst warten, bis gesicherte Ergebnisse vorlagen. Jetzt prophezeit CNN: „Obama wins Pennsylvania“.

2.55 Uhr. Mir tut der Hintern weh. Seit vier Stunden sitze ich schon auf diesem Holzstuhl. Gut, dass jetzt der Barkeeper gerade die Sitzkissen von draußen hereinholt. Darf ich…? Aaah, das ist besser. Und einen Kaffee, bitte.

2.59. Kaffee.

3.05 Uhr. Die nächsten Prognosen. Obama führt jetzt schon mit 174 zu 49 Wahlmännern. Im Senat haben die Demokraten bereits die Mehrheit – 51 zu 27 Senatoren.

3.10 Uhr. Das Ergebnis gewinnt Konturen. Es wird Obama. Die Spannung lässt entsprechend nach. Der Raum hat sich bereits sichtlich geleert. Auch die Jusos haben jetzt genug, rollen ihre Fahnen ein und kleben die Plakate ab. Von den wenigen übrigbleibenden Gästen ruft ihnen jemand spöttisch zu, ob ihr politisches Interesse denn nun erloschen sei. Es gibt eine längere, etwas hitzige Diskussion. Ich bin schon zu müde, um genau hinzuhören. Aber ich gehe hier nicht weg, bevor die Entscheidung sicher ist. Als ich mich 2004 schlafen legte, war John Kerry Präsident und als ich am Morgen aufwachte, war es George W. Bush. Ein paar Stimmen in Florida hatten den Ausschlag gegeben.

3.45 Uhr. Nachdem Anderson Cooper auf seinem Wunderschirm sämtliche noch nicht ausgezählten Staaten außer den todsicheren Obama-Hochburgen an der Westküste mal probeweise rot gepiekt hat und es für McCain trotzdem nicht mehr reichen würde, ist die Sache so gut wie klar. Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten hat einen Vater aus Kenia, ist auf Hawaii und in Indonesien aufgewachsen und heißt mit zweitem Vornamen Hussein. Kann man anders als die Amerikaner dafür bewundern, dass so viele von ihnen sich frei machen konnten von Vorbehalten, Vorurteilen und Rassismus? Würden wir Deutsche einen gebürtigen Halb-Kenianer, und sei er noch so intelligent und integer, zum Bundeskanzler wählen?

3.47 Uhr. Feierabend. Das letzte Häuflein Wahlbeobachter steht frierend und mit verquollenen Augen in der Pontstraße. Kalter Nebel liegt über Aachen. Für die Jahreszeit ganz normal. Trotzdem: Die Welt ist plötzlich nicht mehr dieselbe wie noch vor vier Stunden.

Mal sehen, ob in der Nacht, in der Geschichte geschrieben wurde, auch noch ein kleines bisschen Schlaf zu bekommen ist.

Baskenblog: Bilbao, Museo Guggenheim

Dienstag, 30. September. Mein Geburtstag. Für heute habe ich mir etwas Besonderes vorgenommen: einen Besuch im Guggenheim-Museum.

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Das 1997 vom amerikanischen Stararchitekten Frank Gehry gebaute Museum ist das Highlight der Stadt.

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Wie eine Mischung aus Ozeandampfer und Zeppelin liegt es am Ufer des Nevión.

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Die große Straßenbrücke über den Fluss in das Gebäude zu integrieren, war für Gehry eine echte Herausforderung.

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Die Rückseite. Neben Titan bestehen die Wände aus Kalksandstein.

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Dieser blühende Blumenwelpe auf dem Platz vor dem Eingang heißt Puppy (ja, das ist das englische Wort für „Welpe“) und ist in seiner bunten Harmlosigkeit ein typisches Werk des amerikanischen Kitschkünstlers Jeff Koons. Eigentlich war er nur für die Eröffnungsausstellung gedacht, doch weil ihn die Bewohner der Stadt sofort ins Herz geschlossen hatten, steht er heute noch da. Was viel über die Anfälligkeit des modernen Menschen für Kitschkunst aussagt. Aber ist er nicht soooo süß, wie er so sitzt und guckt?

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Schon etwas schwerer zu verstehen sind die Skulpturen von Juan Muñoz auf der Eingangstreppe heißen „Thirteen Laughing at Each Other“.

Im Museum selber gibt’s dann leider eine kleine Enttäuschung, weil man im Gebäude nicht fotografieren darf. Meine Canon wird eigens in eine Plastiktüte eingesiegelt. Was das Innenleben und die Dauerausstellung angeht, kann ich darum nur auf die Wikipedia-Bildergalerie und Seiten wie Fernweh.de verweisen, wo mehr zu lesen und zu sehen steht. Etwa über die begehbaren rostigen Stahlellipsen von Richard Serra. Mit Muñoz dagegen, dessen Lebenswerk gerade im ersten Stock gewürdigt wird, kann ich dagegen nicht soviel anfangen. Ein leerer Raum mit schmiedeeisernen Balkonen an den Wänden – äh…?

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Geht man durch das zentrale Atrium des Museums, das ähnlich wie ein Herz gestaltet ist, gelangt man auf die hintere Besucherplattform. Hier ist Fotografieren wieder erlaubt. Gut, dass die Plastiktüte Grifföffnungen hat, durch die eine Powershot A 2000 IS gerade durchpasst. Die spinnen, die Spanier.

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Moderne Kunst: die tägliche Nebelinstallation von Fujiko Nakaya.

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„Maman“ von Louise Bourgois, eine fast zehn Meter hohe Bronzefigur in Spinnenform. Erstaunlicherweise wollte die Künstlerin ihrer Mutter mit diesem Werk ein liebevolles Denkmal setzen: Die Spinne ist für sie Symbol für das weise, hegende und webende Wesen der Mutter. Man darf halt nicht immer gleich an Tarantula denken.

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Mutter Natur hat’s lieber eine Nummer kleiner. Freifliegende Installation aus Chitin an der Außenwand. Deren Platten aus gewalztem Titan übrigens nur hauchdünn sind.

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Es ist quietschbunt, es ist irgendwie appetitlich… es ist natürlich ebenfalls von Jeff Koons.

Für das Museum sollte man sich ein paar Stunden Zeit nehmen – und einen Audioguide. Der ist nämlich sehr hilfreich beim Verständnis der Werke. Moderne Kunst, sage ich nur.

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Soviel Kreativität weckt den Wunsch des Betrachters, selbst zu schaffen, zu bauen und zum Leben zu erwecken. Hier seht Ihr die Installation „Freier Wind“ von Marc Heckert, September 2008, Material: Suzuki vor Titan.

Es ist Nachmittag und damit Zeit, Bilbao den Rücken zu kehren. Aber wohin? Weiter nach Westen, die Küste runter in Richtung Galizien? Vielleicht sogar nach Santiago de Compostela? Aber irgendwie habe ich keine Lust mehr, mich noch weiter von zu Hause zu entfernen. Schließlich muss ich die ganze Strecke auch wieder zurück. Also entscheide ich mich, wieder zurück nach Osten zu fahren, dafür aber weiter ins Landesinnere. In Vitoria, der Hauptstadt der autonomen Region Baskenland, gibt es eine Jugendherberge. Und sie hat ein Zimmer für mich.