Es zieht

Eigentlich, also eigentlich hatte ich ja vor, dieses Jahr sämtliche Kraft und Energie, vom Geld wollen wir gar nicht erst reden, in die Restaurierung des Moorfarbenen zu stecken. Eigentlich.

Dann kam leider etwas Wind dazwischen. Und machte mir einen Strich durch die Rechnung.

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Das ist, öhm… Windy.

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Ich weiß, ich weiß. Nach Jahren der XT hätte es eigentlich etwas mit deutlich mehr als 45 PS sein sollen. Und mit mehr Zylindern. Und größer, viel größer, Ténéré oder Africa Twin oder so. Mal abgesehen davon, dass ich mir eigentlich wirklich kein neues Motorrad leisten sollte kann.

Aber Windy war sehr, sehr billig. Und sieht sie nicht schnuckelig aus in ihrem dunkelrot-silbernen Lack? Klar, etwas dreckig ist sie, aber wenn Gott gewollt hätte, das Motorräder sauber sind, wäre Spüli im Regen.

Noch mal offiziell: Suzuki XF 650 Freewind. Baujahr 98, 47.000 km. Eintopf, 48 PS. Tourenscheibe, Hauptständer. Reifen nagelneu, Kettenkit 12.000 km, Bremsbeläge vorne 6.500 km alt. Stahlflexleitung vorne, Scheibe noch gut.

Erster Eindruck: Die fast perfekte Maschine für mich. Leicht, trotzdem komfortabel groß. Liegt wie das berühmte Brett auf der Straße. Angenehm mit 130-140 Sachen zu fahren. Und nicht so viel Leistung, dass ich Angst haben müsste.

Schade, dass die erste Fahrt gleich so fies war. Von ihrem Vorbesitzer in Laubach bei Gießen ging es in völliger Dunkelheit, Eiseskälte und gelegentlichen Nebelbänken über 260 Kilometer zurück nach Aachen.

Immerhin weiß ich jetzt auch, dass die letzten beiden Segmente in der digitalen Füllstandsanzeige „Reserve“ bedeuten. Und dass man kurz vorher besser noch schnell tankt. Oder zumindest den Tankschalter auf Reserve dreht. Weil nämlich sonst schlagartig der Motor ausgeht, wenn tatsächlich Reserve erreicht ist. Wär ja unangenehm, wenn das mitten auf der Autobahn passieren würde. Jaja, was ich jetzt so alles weiß.

Neues aus den Siebzigern

Jetzt muss ich aber mal unbedingt von der Siebziger-Jahre-Party neulich erzählen. Normalerweise bin ich auf solchen Festivitäten eher das Moos an der Mauer – mein Kleiderschrank verfügt weder über ausreichend Flowerpower, noch über so unentbehrliche Accessoires wie Zweithaarmähne oder Porno Pilotenbrille. Doch diesmal war alles anders – dank eines völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Gegenstandes. Bühne frei für Detlev.

Wenige Stunden vor Partybeginn, als ich trotz des eigens erworbenen, schrill gestreiften C&A-Shirts noch so richtig unzufrieden war mit dem Stand der Kostümierung, fiel mir beim Durchwühlen sämtlicher Schubladen Detlev in die Hand.

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Detlev ist etwas, das gegen Ende des partymottostiftenden Jahrzehnts kurzzeitig in Mode kam. Als nämlich die Hosen so knalleng an den Mann schmolzen, dass Portemonnaies und Schlüsselbunde nicht mal mit Gewalt und guten Worten hineinzuquetschen waren. Eine Herrenhandtasche. Eine Echte – nicht der Sechserträger Bier, der heutzutage gerne unter dieser Bezeichung gehandelt wird.

Irgendein wohlmeinender Verwandter muss mir das Stück vor über 20 Jahren in höchstwahrscheinlich guter Absicht vermacht haben (ich habe auch einen Verdacht, aber man ist seinen Eltern gegenüber zu einer gewissen Diskretion verpflichtet). Dass das ledrige Behältnis hier unter seinem leicht despektierlichen Spitznamen beschrieben wird, dafür bitte ich die Detlevs dieser Welt ebenso um Verzeihung wie alle gleichgeschlechtlich orientierten Menschen mit Geschmack, die sich so ein Teil nie und nimmer ans Gelenk hängen würden.

Um wieder zur Party zu kommen: Was das Streifen-Shirt nicht vermochte, das unscheinbare Täschchen schaffte es. Ich war beliebt. Ach was: begehrt. Frauen wie Männer umschwärmten mich, wollten mal anfassen, mal aufmachen, mal reingucken. „Wo hast du DAS denn her? Darf ich auch mal?“

Und das Schönste: Je länger Deti und ich ein Paar waren, desto mehr gewöhnte ich mich an ihn. Sein reißverschlussbewehrtes Innenleben schluckt nämlich wunderbar sämtlichen Krimskrams wie Schlüsselbund, Sonnenbrille oder Kugelschreiber. Was Mann halt so braucht. Als Aufbewahrungsort für familienplanerische Gummiartikel oder verwandten Zwecken dienende Erzeugnisse der Pharmaindustrie wären Detlevs verschwiegene Seitenfächer ebenfalls erste Wahl. Wie unglaublich praktisch! Zum ersten Mal in meinem Leben begann zu ahnen, was Handtaschen für Frauen bedeuten. Eine völlig neue Welt erschloss sich.

Glücklich zurück in Aachen, begann das große Grübeln. Warum nur hat sich der handliche Helfer nie durchgesetzt? Außer an Horst Schlämmer, und ob damit das große Comeback eingeläutet ist, darf bezweifelt werden. Vergeblich versuchen Firmen wie die Cityagenten, moderne Versionen an den Mann – und seine Hand – zu bringen. Doch nicht einmal die martialische Pistolenholster-Optik zieht die urbanen Massen an die baumelnden Begleiter. Wo doch Metrosexualität so angesagt sein soll.

Also lässt sich nur darauf hoffen, dass kommende Generationen nicht nur Boney M und Prilblume wiederbeleben werden, sondern auch die restlichen kulturellen Errungenschaften der Siebziger. Bis dahin wartet Deti allerdings brav in seiner Schublade. Sein Herrchen gibt nämlich lieber das Moos an der Wand als den einsamen Trendscout. Für Partys gelten Sonderregelungen.