Neues aus Marl

Es ist immer traurig zu sehen, wenn sich eine angesehene Institution selbst demontiert. So wie es gerade der Grimme Online Award geschafft hat. Selbstverschuldet und ohne Not.

Aber der Reihe nach. Für die, die ihn nicht kennen: Der vom Grimme-Institut in Marl vergebene GOA ist war die renommierteste Auszeichnung für deutschsprachige Internetangebote. Auf der Liste der Preisträger der vergangenen Jahre stehen so bekannte Seiten wie jetzt.de, das Bildblog, Riesenmaschine, Spreeblick, Ehrensenf, aber auch die Wikipedia oder Spiegel Online.

Das war früher. Das Jahr 2007 wird wohl als annus horribilis in die Geschichte des Awards eingehen, und es wird schon spekuliert, ob es ihn 2008 überhaupt noch in dieser Form geben wird.

Die Chronik:

1.
Zuerst fiel auf, dass eines der für die Kategorie Publikumspreis nominierten Angebote, die Seite hausgemacht.tv, buchstäblich in letzter Sekunde vor Ablauf der Nominierungsfrist am 31. März aufgestellt wurde. Dabei war das Angebot, ein Videoportal der Pro-Sieben-Sat.1-Tochter Seven One Intermedia, zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal offiziell gestartet. Es wurde erst am 10. April eröffnet, also volle zehn Tage später. Man darf allerdings durchaus der Meinung sein, dass eine für den GOA nominierte Webseite erst einmal über einen längeren Zeitraum beweisen sollte, dass sie die vor dem Start gemachten Versprechen auch einhält.

(Mit Hinweis auf die Laptop-Verlosung promotete Sat.1 die GOA-Abstimmung dann kräftig, und das nicht ohne Folgen.)

2.
Für erheblich größeren Wirbel sorgte anschließend die nachträgliche Nominierung der Seite Elektrischer Reporter von Mario Sixtus. Denn Sixtus saß selbst in der Jury (aus der er dann nach seiner Nominierung umgehend austrat). So erhaben über jeden Zweifel die inhaltliche Qualität seiner Arbeit ist, so sehr störten sich doch diverse Blogger an dem Eindruck, die Jurymitglieder schanzten sich selbst den Preis zu. Unter den Wortführern der Kritik stand das Blog F!xmbr.

Schließlich sah sich auch das Grimme-Institut zu einer Stellungnahme genötigt. Der salomonische Vorschlag Don Alphonsos, Sixtus möge von seiner Nominierung zurück- und sein Amt in der Jury wieder antreten, wurde aber nicht aufgegriffen.

3.
Eher kontraproduktiv war dann ein Interview des GOA-Projektleiter Friedrich Hagedorn, der im Medienmagazin DWDL auf die Mauschelei-Vorwürfe antworten durfte – denn der Interviewer Jochen Voß, der ihm die Fragen stellte, war Hagedorns eigener jahrelanger Pressereferent, wie es dann – mal wieder – bei F!xmbr zu lesen stand. So begegnet man keinen Mauschelei-Vorwürfen.

Immerhin: Dass Alexander Svensson, Autor beim ebenfalls nachnominierten blog.tagesschau.de, in der Nominierungskommission saß, stellte sich im nachhinein als „unbedenklich“ heraus. Das Blog wurde ja nicht von der Kommission, sondern erst später von der Jury nominiert, in der Svensson nicht sitzt. Und noch später erst ist Svensson im Blog als Autor tätig geworden. Der entsprechende Beitrag dazu in seinem Blog Wortfeld trägt denn auch die Überschrift: Uff!

4.
Nun die Krönung: Eigentlich sollten die Gewinner erst am 20. Juni veröffentlicht werden. Die Liste stand aber bereits gestern (am 18.) gegen 23 Uhr auf der Grimme-Seite. Offiziell konnte man an diesem Tag noch für den Sieger des Publikumspreises abstimmen (was übrigens über die Seiten des Partners TV Spielfilm ging, aber das ist eine andere Geschichte).

Gewonnen haben, große Überraschung, unter anderem die drei nachnominierten Seiten hausgemacht.tv, blog.tagesschau.de und Elektrischer Reporter.

Dass nun eine Woge aus Kritik, Spott und Verachtung über den Veranstaltern zusammenbricht, haben sie sich selbst zuzuschreiben. Gleich mehrere Blogs verwenden die Formulierung Ejaculatio Praecox („die Gewinner kamen zwei Tage zu früh“).

„Kann bitte jemand den Grimme-Online-Award aus den Händen dieser Organisatoren befreien?“, stöhnt auch Preisträger Stefan Niggemeier. Er muss sich in den Rücken gestochen fühlen, hatte er er doch noch am 3. Juni dafür geworben, die Kirche im Dorf zu lassen und die Kritik an den Nominierungen als teilweise „hysterisch“ bezeichnet.

Jetzt stehen alle Beteiligten vor einem Scherbenhaufen. Der Preis, das Institut, die Mitglieder der Jury und einige der Preisträger haben Schaden genommen. Wer könnte nun noch fröhlich feiern?

Wenn man in dieser ganzen, unerfreulichen Geschichte irgendwo Die Gute Nachricht Des Tages™ entdecken will, dann vielleicht die: Im Web 2.0 wird verdammt genau hingeguckt. Ungereimtheiten lassen sich nicht mehr unter den Teppich kehren oder aussitzen. Aber das ist verdammt wenig Positives.

(Trotz allem: Einen herzlichen Glückwunsch an die Freiburger Kollegen von fudder.de. Ihre Seite steht nämlich völlig zu Recht auf der Siegerliste.)