Vor Glasgow

30. Juni 1993: Der neue Wagen wird in Oldenburg unter dem Kennzeichen OL-DS 867 angemeldet.

6. August (180.700 km): Mit dem Benz kommt die Angst. Angst vor schlechten Menschen. Diebstahlschutz rult. Eine „Electronic Nightstick“-Lenkradkralle wird gekauft (248,- DM). Teurer geht’s nicht: Sie ist aus reinem Kryptonit, mit Zigartettenanzünderanschlusskabel, hat Geräusch- und Blinkalarm. Bei jedem Halt wird sie ans Lenkrad geklemmt.

22. August (181.200 km): Bei Mercedes wird ein linkes, asphärisches Spiegelglas gekakuft (60,- DM), dazu ein neuer Reservekanister, der ins Reserverad passt (80,- DM) und eine neue Schalthebelstulpe (8,- DM) – insgesamt 158,- DM.

Bei MB noch Veloursmatten (250,- DM) und Feuerlöscher (110,- DM), insgesamt 378,- DM plus Halter (81,- DM) gekauft und eingebaut. Das Blinkerrelais gewechselt gegen eins ohne Anhängerbetrieb, da dann Leuchte nicht mitblinkt. Kofferraumleuchte neu. Cassettenbox in die Mittelkonsole eingebaut.

4. September: Mit meiner Kommilitonin Anne und der Gaststudentin Katrien aus Belgien beim „Rock over Germany“-Konzert in Hamburg gewesen. Die erste größere Alleinfahrt. Joe Cocker, Tina Turner und Rod Steward gesehen. Dann im Gewühl Anne aus den Augen verloren. Ewig auf dem Parkplatz gewartet. Schließlich mit Katrien alleine zurück, schön mit 160 auf der Autobahn. Macht Spaß – das Fahren mit dem Wagen. (Der Abend mit Katrien wird auch noch ganz nett.)

13. September (183.000 km): Bei MB Spiegelglas rechts (60,- DM), Zierleisten in Kühlermaske (25,- DM), Luftdruckprüfer (20,- DM) gekauft – insgesamt 110,- DM. Bei Drieling in Oldenburg Abdeckkappe auf Batterie-Pluspol neu, 1. Zündkabel neu angeschlossen. Bei MB „Sofitte“ und „Zierstab“ neu (12,- DM).

17. September (ca. 183.400 km): Bei Mercedes Spur eingestellt/Wagen vermessen, dabei eine Spurstange gewechselt (vermutlich Beifahrerseite). Das Ventilspiel eingestellt (454,- DM). Rechts H4- und Standlichtbirne gewechselt.

Vermutlich Anfang Oktober (185.100 km): Hella-Killschalter eingebaut (26,- DM). Für Glasgow.

Die ersten Fotos

Der neue Wagen ist da. Mit meiner kleinen Olympus-Pocketkamera mache ich die ersten Fotos. Mir schweben Bilder nach dem Vorbild aus dem Mercedes-Prospekt vom S-Coupé vor. Da ist der ansonsten hässliche Wagen zu sehen, wie er vor nächtlicher Kulisse mit offenen Scheiben dasteht. Die Lichter im Armaturenbrett leuchten einladend. „Komm, gehen wir auf große Fahrt“, scheint der Wagen zuzurufen.

1993_Erstes-Nachtfoto_800

Als die Abzüge da sind, ist die Ernüchterung groß. Die Olympus und meine fotografischen Fähigkeiten stoßen an klare Grenzen.

1993_Erstes-Nachtfoto2_800

Mit Blitz ist das Ergebnis noch schlimmer.

Liebe auf den ersten Blick

Frühjahr 1993. Seit längerer Zeit schon träume ich von einem W123er-Coupé. Dafür lege ich monatlich 100 Mark zurück und spare bei jeder Gelegenheit (legendär sind die an die Pinnwand gehefteten Zehnmarkscheine in meinem Studentenzimmer am Petersweg).

Im Herbst dieses Jahres werde ich für ein Jahr nach Glasgow fahren, und in dem kleinen roten 1,0-Liter-Corsa von 1984 mit seinen 45 PS wäre das kein Spaß. So sieht er übrigens aus:

Corsa-aussen_800

Corsa-innen_800

Corsa-Motor_800

Also schaue ich mir schon seit Monaten jeden parkenden W123 an und nehme bei Autohändlern die angebotenen Coupés unter die Lupe. Zum Beispiel einen dunkelblauen 230C und einen silbernen 280CE bei Rosier in Oldenburg. Preise, wenn ich mich recht erinnere: 9.800 Mark für den – ziemlich schlechten – Vierzylinder… und 12.800 für den Silbernen. Oder so. Jedenfalls völlig überteuert. Gute, günstige Coupés sind rar, auch damals schon.

Eines Samstags im April oder Mai steht dann in der Neuen Osnabrücker Zeitung eine Anzeige für einen Wagen, an dem eigentlich gar nichts zu stimmen scheint:

– 230CE von 1981 (also nicht die gewünschte Drittserie),
– Farbe braun (urgs!),
– AHK (also wahrscheinlich eine heruntergerittene Zugmaschine),
– 195/70er-Alufelgen (sicher so Porno-Teile),
– kein Schiebedach,
– keine Zentralverriegelung,
– keine weiteren Extras wie elektrische Fensterheber, Colorglas oder Scheinwerfer-Wischwasch.

Ein Auto also, an dem nichts zu stimmen scheint.

Ich fahre trotzdem zum Verkäufer nach Ostercappeln – je mehr Wagen man gesehen hat, desto besser ist es schließlich. Es soll eine der einschneidensten Entscheidungen meines Lebens werden.

Gerhard P., der Besitzer, begrüßt mich freundlich. Die Familie hat sich einen Van gekauft, mit Kindern ist der Zweitürer halt doch nicht ganz das richtige. Nun soll das Coupé einen neuen Eigentümer bekommen.

Als ich den Wagen sehe, ist es sofort um mich geschehen: Er glänzt. Er strahlt. Er sieht aus wie frisch aus dem Schauraum. Diese Farbe! Ein tiefes, glänzendes Schokoladenbraun!

Ich weiß sofort: Den oder keinen. Das ist das Auto meines Lebens.

9. Juni: Der Kaufvertrag wird unterschrieben. Der Wagen ist „unfallfrei, besitzt keine technischen Mängel“. Kilometerstand ca. 179.000. Kaufpreis 8500,- DM. Eine Anzahlung über 5000,- DM wird geleistet – der Rest am 29. Juni nachgezahlt, als der Corsa verkauft ist.